Nordirischer Friedensprozess hängt am seidenen Faden
Konfliktparteien erhalten eine zweite Frist - Unionisten mauern
Der Friedensprozess in Nordirland ist im ersten Halbjahr 2001 wieder in eine ernste Krise geraten. Radikale Unionisten, die sich mit dem Karfreitagsabkommen nie einverstanden erklärt hatten, weil sie dadurch die Zugehörigkeit Nordirlands zum britischen "Mutterland" gefährdet sehen, heizten mit zahlreichen Übergriffen und Anschlägen - teilweise auch gegen "gemäßigte" eigene Leute - das politische Klima an und spielten damit den ebenso uneinsichtigen katholischen Nationalisten in die Hände, die am liebsten den bewaffneten Kampf gegen die britische Besatzung fortsetzen wollen. Abteilungen der "Real IRA" machen hin und wieder sogar mit Anschlägen im britischen Mutterland von sich reden (z.B. das Attentat auf die BBC im März 2001). Und immer häufiger liefern sich in Belfast und in anderen Orten verfeindete Protestanten und Katholiken blutige Straßenschlachten.
Nach Trimbles Rücktritt: Neuer Friedensplan
Anfang Juli hatte Friedensnobelpreisträger David Trimble mit seinem Rücktritt als Erster Minister der protestantisch-katholischen Nordirland-Regierung die bisher schwerste Krise ausgelöst. Unter dem Druck der Scharfmacher in seiner eigenen Partei, der protestantischen Ulster Unionisten (UUP), deren Vorsitzender er ist, und der protestantisch-layalistischen Paramilitärs, Ulster Defense Association (UDA) und Ulster Volunteer Front (UVF) hatte er eine Wiederaufnahme der gemeinsamen Regierungsgeschäfte von der Bedingung abhängig gemacht, dass die IRA endlich mit der Abgabe bzw. Vernichtung ihrer Waffenarsenale ("decomissioning") beginne. In dieser kritischen Situation haben die Regierungen Großbritanniens und Irlands einen neuen Friedensplan erarbeitet und am 1. August den nordirischen Konfliktparteien vorgelegt. Darin wird keine Frist für die Entwaffnung der IRA genannt - was für die Unionisten unannehmbar zu sein schien. In dem Friedenspapier aus London und Dublin heißt es lediglich, die Entwaffnung der Milizen in der Unruheprovinz sei "unerlässlich". Über einen Zeitplan solle die internationale Entwaffnungskommission entscheiden. Ian Paisley, Führer der radikalen protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und Gegner des Friedensprozesses von Anfang an, nannte das Papier aus diesem Grund "verheerend" und eine "Beleidigung des demokratischen Prozesses".
In dem Friedensplan werden auch andere umstrittene Punkte behandelt.
So wird für eine Reform der traditionell von Protestanten
dominierten Polizei in Nordirland (der Royal Ulster Constabulary) ein "neuer Anfang" versprochen. Außerdem wird ein weiterer Abbau bei Polizeikräften und britischem Militär in Aussicht gestellt. So sollten die Mehrheit der Militärbasen sowie sämtliche Überwachungsstationen geräumt werden. Im Grunde genommen ist das eine Bekräftigung der Vorschläge, die London bereits im Dezember 2000 anlässlich des Clinton-Besuchs in Nordirland vorgelegt hatte: Reduzierung der britischen Armee (demilitarisation) und der Aufbau einer zivilen Polizeistruktur, wie sie schon von der unabhängigen Patten-Kommission im Herbst 1999 skizziert worden war. Seither war aber viel zu wenig in dieser Richtung passiert, um die katholische-republikanische Seite zufriedenzustellen. Für Sinn Fein und die Social Democratic Labour Party (SDLP) ist eine konsequente Polizeireform ein Kernstück des Friedensprozesses in Nordirland. Das neue Papier stellte nun den Beginn der Polizeireform im September 2001 in Aussicht.
IRA mit überraschendem Angebot
Die Vorschläge von Tony Blair und dem irischen Ministerpräsidenten Bertie Ahern haben ultimativen Charakter. Die Parteien in Belfast sollten sich bis zum 6. August zu dem Plan äußern, es sei die "letzte Chance". "Es wäre tragisch, wenn diese Vorschläge jetzt in Gefahr geraten würden", sagte der britische Nordirland-Minister John Reid. Eine Zeitlang schien es, als würde die "letzte Chance" ungenutzt bleiben. David Trimble stellte klar, was er von dem britisch-irischen Friedensplan hielt: "Ohne Entwaffnung der IRA wird es keinen Fortschritt geben." Wieder war es die IRA, die - wie schon einmal in einer ähnlich kritischen Situation im Frühjahr 2000 - mit einem überraschenden Zugeständnis den festgefahrenen Gesprächen wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums am 6. August eine neue Wendung gab. General John de
Chastelain, der Vorsitzende der internationalen
Entwaffnungskommission, teilte in Belfast mit, ein Vertreter der
Irisch-Republikanischen Armee (IRA) habe eine Methode
vorgeschlagen, mit der die Waffen der früheren Terrorgruppe
"vollständig und nachweisbar außer Gebrauch" genommen
werden sollten. Er sei "überzeugt", dass die Methode zum Ziel
führen könne, versicherte Chastelain. Der irische Ministerpräsident Bertie Ahern würdigte die IRA-Initiative sogar als "historischen Durchbruch". Und der britische Nordirland-Minister John Reid meinte, auf der Grundlage dieses Vorstoßes könnten die
Entwaffnungsfrage gelöst und das größte Problem der
nordirischen Politik aus der Welt geschafft werden. "Dies ist ein
bedeutender Schritt nach vorn." Für den Präsidenten der Partei Sinn Fein, Gerry Adams, stellte das Angebot der IRA unter Beweis, "wie sehr sich die IRA dem
Friedensabkommen verpflichtet fühlt." Selbst ein Mann wie John Taylor, der innerhalb der protestantischen Ulster Unionisten als Vertreter der harten
Linie gilt, bezeichnete die Initiative als "ermutigend".
Nach Ablauf des Ultimatums am 12. August: Verfahrenstrick verlängert die Frist um sechs Wochen
Doch die Konfliktparteien stehen weiter unter Zeitdruck, da am 12. August die nächste Frist abläuft: David Trimble muss dann entweder
sein Amt als Chef der nordirischen Regionalregierung wieder
antreten oder es muss ein Nachfolger gefunden werden. Letzteres gilt als unrealistisch. Nach dem Karfreitagsabkommen
von 1998 gelten das nordirische Parlament und die
Provinzregierung als aufgelöst, wenn nicht innerhalb von sechs
Wochen ein neuer Erster Minister gewählt wird. Die Alternative
wären Neuwahlen in Nordirland oder die erneute Unterstellung
der Provinz unter britische Direktverwaltung. Dann würde die
Provinz wieder allein von London aus regiert und der Friedensprozess wäre vorerst gescheitert.
Daran kann - außer den radikalen und uneinsichtigen Kräften auf unionistischer Seite und unter der 1998 abgespaltenen "Real IRA" - niemand wirklich Interesse haben. Um den Unionisten um David Trimble Zeit zum Einlenken zu geben, griff die Regierung in London zu einem Verfahrenstrick: Am 10. August suspendierte der Nordirlandminister John Reid die nordirische Regierung für zwei Tage; danach trete automatisch das Ultimatum wieder in Kraft. Somit haben die Konfliktparteien noch einmal sechs Wochen Zeit (jetzt also vom 12. August an gerechnet), auf den Pfad des Friedensprozesses zurückzukehren. Die Aussichten dazu stehen aber nicht sehr gut. Der schwarze Peter liegt eindeutig bei den Unionisten. David Trimble hat selbst das neue Angebot der IRA für völlig unzureichend gehalten. "Wenn sich die IRA nicht bewegt, hat sie die Krise zu verantworten", sagte er am 9. August. Sollte Trimble bei dieser Haltung bleiben, bringt er Nordirland an den Rand eines neuerlichen Bürgerkriegs.
Pst
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