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Nordirland-Gipfel gescheitert - Dennoch Fortschritte erzielt

Vollständige Abrüstung der Untergrundarmee IRA reichte den protestantischen Hardlinern nicht. Meldungen und Hintergrund

"Die irischen Republikaner signalisierten bei dem Treffen offenbar die vollständige Abrüstung ihrer Untergrundarmee IRA. Die militanten Unionisten des Protestanten-Führers Ian Paisley sträuben sich aber noch gegen eine gleichberechtigte Teilhabe ihrer katholischen Mitbürger an der Macht in Ulster."
So fasste FR-Redakteur Peter Nonnenmacher das Ergebnis der dreitägigen Verhandlungen, die vom britischen Premierminister Tony Blair und seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern geleitet wurden. Es war vor allem die harte Haltung Paisleys und seiner Partei der Demokratischen Unionisten (DUP), die weitere Fortschritte im nordirischen Friedensprozess verhinderte. Die IRA zeigt sich dagegen gesprächsbereit und kooperativ.

In der "jungen Welt" hieß es zum Ergebnis des Treffens im südenglischen Schloß Leeds Castle in Kent:
Nach dreitägigen anglo-irischen Verhandlungen sind die Gespräche der nordirischen Parteien über die Wiedereinsetzung der 2002 suspendierten Allparteienregierung in Nordirland ergebnislos abgebrochen worden. Das gaben die Schirmherren der Gespräche, der britische Premierminister Anthony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern, am Samstag [18.09.2004]auf einer Pressekonferenz im südenglischen Schloß Leeds Castle in Kent bekannt. Ahern äußerte vor der Presse, daß "Fortschritte" bezüglich der drängenden Fragen Paramilitarismus, Entwaffnung sowie Transfer von Polizeiaufgaben von London an eine Lokalverwaltung in Belfast gemacht wurden. Die Irish Republican News meldeten in ihrer Samstagsausgabe, daß die beteiligten Parteien kurz vor einer Einigung über die Entwaffnung und Auflösung der nordirischen Untergrundorganisation Irisch-Republikanische Armee (IRA) gestanden hätten.
Die Gespräche scheiterten an der rechten und probritischen Democratic Unionist Party (DUP) und deren Vorsitzendem, Ian Paisley, da dieser sich weigerte, der angestrebten Vereinbarung zwischen den beteiligten Konfliktparteien zuzustimmen. Die Partei verlangt weitreichende Änderungen am Karfreitagsabkommen von 1998. Diese würden zu einer Verwässerung der Klauseln über die Machtverteilung in Belfast führen und eine erneute unionistische Hegemonie sichern. Blair stellte jedoch gegenüber der Presse klar, daß das "Gleichgewicht des Abkommens" nicht umgestoßen werden dürfe. Die Gespräche aller nordirischen Parteien werden ohne Blair und Ahern in dieser Woche in Belfast fortgesetzt.
(jW, 20.09.2004)

Paisley verlangte nicht nur die Abrüstung und unmittelbare Auflösung der IRA, sondern auch Neuverhandlungen über das so genannte Karfreitags-Abkommen von 1998, das erstmals in der Geschichte Nordirlands eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Protestanten und Katholiken festlegte, von der DUP als einziger Partei aber nicht unterzeichnet wurde.
Mit ihrem Bestehen auf weiteren unionistischen Privilegien und auf nachträglichen Vertragsänderungen blockierte nach Einschätzung von FR-Redaktewur Nonnenmacher die DUP den von Blair und Ahern erhofften Durchbruch bei den Gesprächen. Zu den Forderungen der DUP sagte Blair, es gehe nicht an, dass "die Basis und die grundsätzliche Ausgewogenheit des Abkommens gestört" würden. "Wenn hier keine Vereinbarung erreicht werden kann, obwohl sie erzielt werden könnte, dann werden wir andere Wege finden, um den Friedensprozess voranzubringen", sagte Blair, in kaum verhüllter Drohung an die Adresse Paisleys. Ein Sprecher der katholischen Sozialdemokraten Nordirlands warf der DUP vor, "durch die Hintertür wieder unionistische Alleinherrschaft einführen" zu wollen.

Blair und Ahern waren umso verstimmter über Paisleys Haltung, als sie eine Vereinbarung mit den Republikanern über die Entwaffnung der IRA in greifbarer Nähe sahen. Laut Konferenzteilnehmern hatten die Führer der republikanischen Bewegung, Gerry Adams und Martin McGuinness, die Abrüstung der IRA, ein Ende paramilitärischer Aktivitäten und ihre Unterstützung für die neue gemischt-konfessionelle Polizei Nordirlands in Aussicht gestellt.



Aus einem Kommentar von Peter Nonnenmacher

(...) Die gute Nachricht aus Leeds Castle ist freilich, dass der Friedensprozess einen dramatischen Fortschritt gemacht hat, der es den Paisleyisten schwer machen wird, den Friedenszug aufzuhalten. Das wirklich Interessante, ja Sensationelle der gegenwärtigen Entwicklung ist nämlich die wachsende Bereitschaft der irischen Republikaner, von ihrer Untergrundarmee - der IRA - Abschied zu nehmen. Die Bereitschaft ist mittlerweile offenbar so groß und so konkret geworden, dass Blair wie Ahern sie als "echte Chance", von "historischer Bedeutung", begreifen: Nach langem Zögern, glauben beide Regierungen, haben sich die Republikaner zu diesem für alles Weitere entscheidenden Schritt durchgerungen.

Überfällig ist das Ende der IRA in der Tat seit langem gewesen; den Beweis für ihren endgültigen Abschied vom "bewaffneten Kampf" müssen die Republikaner natürlich erst noch liefern. So sich ihre Ankündigung aber erfüllt, würde dies die politische Atmosphäre in ganz Nordirland verändern. Vor allem könnten Unionisten wie Paisley dann nicht länger, unter Verweis auf "die Terroristen", die Zusammenarbeit mit den katholischen Parteien verweigern, ohne sich des Verdachts auszusetzen, dass sie an fairer Zusammenarbeit überhaupt nicht interessiert sind. An Londons fester Hand wird es dann liegen, Paisley den Weg zur Kooperation zu weisen.

Aus: Frankfurter Rundschau, 20.09.2004



Verhandlungen gescheitert: selbst die Auflösung der IRA reicht der DUP nicht

Trotz der Aussicht auf vollständige Entwaffnung der IRA und ihre Auflösung als militärische Organisation wollte Ian Paisley's DUP keine Einigung.

Aus der "Irish Republican News", 18.09.2004

Die Verhandlungen in Leeds Castle in England sind heute ohne Einigung zu Ende gegangen. Die Gespräche werden jedoch fortgeführt. Ziel ist dabei ein Abkommen, das Berichten zufolge die Einstellung aller Aktivitäten der Provisional IRA enthalten wird und das die (seit zwei Jahren von der britischen Regierung suspendierte) Regionalregierung im nordirischen Parlament Stormont (bei Belfast) wieder einsetzt.

Trotz der Aussicht auf vollständige Entwaffnung der IRA und ihre Auflösung als militärische Organisation hat Ian Paisley's DUP eine Einigung abgelehnt.

Die unionistischen Hardliner bestanden darauf, die 1998 im Karfreitagsabkommen festgelegten Mechanismen zur gemeinsamen Regierungsbildung zu ändern und stattdessen neue Mechanismen einzuführen, die der unionistischen Mehrheit wieder die Vorherrschaft in Nordirland sichern würden.

Gerry Adams, der Präsident von Sinn Fein, sagte, es sei nun klar, dass es die unionistische Blockadehaltung sei, die den Friedensprozess behindere.

"Die IRA ist nicht das Problem," sagte der Abgeordnete für West Belfast. "Das Problem ist, dass ein Teil des politischen Unionismus sich weigert, Änderungen zu akzeptieren. Wie kann eine Partei zu Verhandlungen gehen, ohne zu verhandeln und ohne mit anderen Parteien zu reden?"

Weiterhin wurde berichtet, dass die britische Regierung sich verpflichtet hat, die Inhalte der "Joint Declaration" (vom April 2003) umzusetzen. Die Joint Declaration enthält Vorgaben für die Umsetzung der im Karfreitagsabkommen vereinbarten und noch ausstehenden Themen (u.a. Demilitarisierung, Justizreform, Polizeireform, gleiche Rechte für alle Bevölkerungsgruppen). Die britische Regierung hat erneut versprochen, eine öffentliche Untersuchung des Mordes des Rechtsanwalts Pat Finucane durchzuführen (in diesen Mord sind britische Staatsorgane bis hin zur damaligen britischen Regierung verwickelt - Stichwort "Collusion").

Der irische Premierminister, Taoiseach Bertie Ahern, bestand darauf, dass die Verhandlungen den lange erwarteten "act of completion" der IRA und den Transfer der Polizeigewalt von London zu einer lokalen Administration in Belfast in greifbare Nähe gebracht hätten.

Er sagte: "Es ist absolut notwendig, dass wir nicht vor der letzten Hürde aufgeben. Ich appelliere an alle Parteien, insbesondere diejenigen, die die Macht und die Verantwortung haben, den Job im Interesse aller Menschen in Nordirland zu Ende zu bringen."

Der britische Premierminister Tony Blair sagte, obwohl noch kein abgestimmtes IRA Statement vorliege, sei er zuversichtlich, dass die Frage der Waffen, die den Friedensprozess dominiert habe, gelöst sei. Gescheitert seien die Verhandlungen bisher an der Frage, wie die politischen Institutionen im Regionalparlament Stormont arbeiten sollen.

"Ich kann nicht glauben, dass diese institutionellen Unstimmigkeiten einen Deal verhindern werden, nachdem in den anderen Punkten Einigkeit erreicht wurde, und ein sehr gutes Abkommen kurz vor dem Abschluss steht."

"Wenn keine Einigung erreicht wird, obwohl eine Einigung so klar und unmittelbar erreicht werden kann, dann müssen wir einen anderen Weg finden, diesen Prozess weiterzuführen", warnte Herr Blair.

Eine neue Gesprächsrunde wird zwischen dem derzeitigen Londoner Verwalter der "six counties" (Nordirland) Paul Murphy und dem Dubliner Aussenminister Herrn Cowen abgestimmt. Die Verhandlungen werden dann nächste Woche fortgeführt.

Übersetzung: Uschi Grandel, 18. September 2004, Text in Klammern dient der Erläuterung
Quelle: http://www.info-nordirland.de


Polizeifestungen nicht mehr unter britischer Flagge

Hängt vom Erfolg der Polizeireform das Schicksal des nordirischen Friedensprozesses ab?

Aus Belfast berichtet Mattes Standke

Seit Donnerstag versuchen Nordirlands führende Politiker im Beisein der Regierungschefs Großbritanniens und Irlands, dem Friedensprozess im Norden der Grünen Insel neues Leben einzuhauchen. Die Reform der protestantisch dominierten Polizei gilt vielen als Knackpunkt der Gespräche.

Der Begriff »Festung« scheint beim Anblick dieser Bollwerke nicht übertrieben. Belfasts Polizeistationen haben wenig mit denen anderer europäischer Großstädte gemein. Zwischen Wohnhäusern und Ladenzeilen stößt man in der nordirischen Hauptstadt dutzendfach auf die dunklen Backsteingebäude, umgeben von meterhohen Käfigkonstruktionen, verstärkt durch Stahl und Panzerglas. Sie sollen die Beamten des Police Service of Northern Ireland (PSNI) vor Sprengsätzen und Geschossen schützen.

Die Sicherheitsvorrichtungen stammen noch aus Zeiten, die man in Nordirland eigentlich vergessen machen will: den »Troubles« (Unruhen). So nennen die Nordiren jene bürgerkriegsähnlichen Jahrzehnte zwischen 1969 und 1997, in denen mehr als 3000 Menschen ums Leben kamen. Jedes zehnte Opfer war ein Polizist, die meisten ermordet von IRA-Terroristen.

»So konnte es ja nicht weitergehen«

Für viele Protestanten sind die Männer und Frauen in den dunkelgrünen Uniformen Helden. Damals, zu Zeiten der »Unruhen«, hießen sie noch Royal Ulster Constabulary – kurz RUC. Doch eben jene königstreue RUC war für viele Katholiken Nordirlands nur eine weitere Facette des Terrors. Seit der irischen Teilung Anfang der 20er Jahre diente Belfasts Polizeitruppe als Eckpfeiler pro-britischer, protestantischer Vorherrschaft, galt als Sinnbild für Ausgrenzung und Missachtung der katholischen Minderheit. Im Kampf gegen die Irisch-Republikanische Armee (IRA), die vergebens den Anschluss der britischen Krisenprovinz an die Republik Irland herbeizubomben versuchte, scherten sich nur wenige Polizisten um Bürger- oder Menschenrechte. Jüngste Untersuchungen haben bewiesen, dass RUC-Beamte über Jahre hinweg die Ermittlungen gegen pro-britische Terroristen verschleppen ließen. Angriffen auf Katholiken ging man nur nachlässig nach.

Mit dem Friedensvertrag vom April 1998 wagten pro-britische Unionisten und pro-irische Republikaner einen Neuanfang. Das ersehnte Ende der Bombenanschläge brachte indes auch für die RUC das Aus. Die gelb-schwarzen Metallschranken rund um die Innenstadt, an denen schwerbewaffnete Polizeiposten Passanten und Autos auf dem Weg in das Zentrum kontrollierten, blieben fortan verwaist. Ein radikales Reformpaket des Briten Chris Patten sollte den Polizeidienst für alle Nordiren akzeptabel gestalten.

Doch die 1999 veröffentlichten Patten-Pläne lösten einen Proteststurm unter pro-britischen Unionisten aus. Besonders in Polizeikreisen herrschte Entsetzen, erinnert sich Chief Inspector Genny Belton. Sie arbeitet im PSNI-Hauptquartier in Brooklyn, einem unscheinbaren Außenbezirk im Südosten Belfasts. Seit 25 Jahren ist Genny Belton Polizistin. »Die Moral hier war absolut zerstört«, gibt sie rückblickend zu.

Zunächst wurde der Name »Royal Ulster Constabulary« in das neutrale »Police Service of Northern Ireland« (Polizeidienst von Nordirland) umgewandelt. Über Polizeistationen durften keine britische Flaggen mehr wehen. Die Personalstärke wurde auf 7300 Mann halbiert, altgediente Beamte entließ man in den vorzeitigen Ruhestand. Heute sind die Einheiten unterbesetzt, viele der verbliebenen Polizisten schlichtweg überfordert. Dennoch zeigt Genny Belton Verständnis für die Reformen. »75 Jahre lang wurden die Behörden von Protestanten dominiert, während Katholiken vom Dienst ausgegrenzt wurden. So konnte es ja nicht weitergehen.«

Mittlerweile ist rund die Hälfte der 175 Patten-Reformpunkte umgesetzt. In zehn Jahren, so die ehrgeizige Bestrebung der britischen Regierung, soll wenigstens jeder vierte Beamte Katholik sein. Genny Belton glaubt fest an den Erfolg. Schließlich trage das Konzept bereits Früchte, erklärt sie. 2004 hätten sich erstmals mehr katholische Bewerber gemeldet, als freie Plätze zur Verfügung standen. Eine Erklärung für den Anstieg sieht Genny Belton in der verbesserten Sicherheitslage. »Seit Beginn des Friedensprozesses sind die Straßen bedeutend weniger gefährlich. Das macht eine Polizeilaufbahn für junge Leute attraktiver.« Noch 1999 waren lediglich acht Prozent der nordirischen Polizeikräfte Katholiken, während immerhin fast die Hälfte aller Nordiren römisch-katholischen Glaubens ist.

Darüber hinaus ist die Polizei nun erstmals zivilen Kontrollausschüssen aus Politikern aller führenden Parteien rechenschaftspflichtig. Auch das steigere in vielen katholischen Gemeinden die Akzeptanz. In District Policing Partnerships (DPP) besprechen Anwohner, Politiker und leitende Polizeibeamte gemeinsam die Ziele örtlicher Polizeiarbeit. Probleme sollen im Dialog gelöst werden, bevor sie auf den Straßen in Gewalt ausschlagen.

Wenn es nach Mrs. Patterson ginge…

Abgehalten werden die Sitzungen in Gemeindezentren oder der »City Hall«, dem Rathaus Belfasts. Der Prachtbau mit seiner kupfergedeckten Kuppel thront direkt im Stadtzentrum. Hier weht sie noch wie eh und je, unberührt von den Reformen: die britische Flagge. Ginge es nach Stadträtin Ruth Patterson, würde sich daran bis in alle Ewigkeit nichts ändern. Die kräftige Frau mit dem kurzen Blondhaar ist Mitglied der radikal pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP), der stärksten politischen Kraft Nordirlands. Außerdem ist sie Vorsitzende der Polizei-Partnerschaften DPP. Von ihrem Büro in der City Hall aus soll sie die Arbeit der Belfaster DPPs koordinieren. Dort höre sie oft auch Beschwerden über die Polizeireformen, erzählt Patterson. Wenn sie könnte, würde sie den Patten-Plan »am liebsten zerreißen«. Besonders in Rage bringe sie das 50:50-Prinzip, das garantieren soll, dass künftige Rekrutenjahrgänge der Polizei gleichmäßig aus Katholiken und Protestanten zusammengesetzt sind. Bewusst setzt man dabei auf die Zurücksetzung der protestantischen Mehrheit zu Gunsten katholischer Bewerber. »Eine Katastrophe«, klagt Patterson und verweist auf einen Vorfall aus dem vergangenen Jahr. »Als wir im Verwaltungsbereich 200 neue Stellen zu besetzen hatten, kamen Bewerbungen von etwa 250 Protestanten in Frage. Da aber zufällig nur 28 katholische Bewerber die Voraussetzungen erfüllten, durften im Sinne der Quotenreglung nicht mehr als 56 Bewerber einstellt werden. Die restlichen Stellen mussten unbesetzt bleiben.«

Doch nicht nur in der Polizeiakademie gibt es Probleme. Stadträtin Patterson deutet auf eine Karte neben ihrem aktenbeladenen Schreibtisch. Ihr Finger kreist um Stadtteile im Norden und Westen Belfasts »In diesen Vierteln leben die Menschen oftmals strikt nach Konfessionen getrennt.« Dort hätten IRA und pro-britische Paramilitärs noch immer das Sagen. In Shankhill oder Falls, wo britische und irische Wimpel an Laternenpfählen unmissverständlich klar machen, in wessen »Territorium« man sich befindet, liegen auch die sozialen Brennpunkte der Stadt. Arbeitslosigkeitsraten von bis zu 70 Prozent sind keine Seltenheit. »Anwohner, die mit Polizisten sprechen, werden schnell als Spitzel denunziert. Die Leute haben Angst, den Mund aufzumachen.« Um den paramilitärischen Terrorbanden den Boden zu entziehen, müsse man durch Gespräche und Zusammenarbeit das Vertrauen in die Polizeiarbeit stärken, findet Patterson. Doch wenn es um die IRA-nahe Partei Sinn Féin geht, die wichtigste Partei in den republikanischen Vierteln, endet Pattersons Gesprächsbereitschaft abrupt. Seit jeher verbietet die DUP-Führung ihren Abgeordneten, auf direkte Verhandlungen mit Sinn-Féin-Politikern einzugehen. So können die beiden größten Parteien Nordirlands bis zum heutigen Tage nur über Dritte kommunizieren. Dabei wollen die Democratic Unionists es auch belassen, bis sich die IRA endgültig von ihren Waffen getrennt habe, wiederholt Ruth Patterson den Leitspruch ihrer Partei.

Auch Sinn Féin spart nicht an Kritik

Wenn auch unter gegensätzlichen Vorzeichen, sind die beiden Parteien doch zumindest in einem Punkt geeint: Sie sparen nicht mit Kritik an den Polizeireformen. Nur dass sie Sinn Féin einfach nicht weit genug gehen. Auf Plakaten der Partei werden junge Katholiken aufgefordert, sich nicht zum Polizeidienst »locken« zu lassen. Auch den neuen Aufsichtsgremien und Polizei-Partnerschaften bleiben Sinn-Féin-Abgeordnete vorerst fern. Sie fordern mehr Kontrollrechte der politischen Institutionen über das nordirische Polizei- und Justizwesen sowie die vollständige Auflösung der Special Branch, einer umstrittenen Spezialeinheit des PSNI. Weitere Reformen im Polizeiwesen können daher nicht ausgeschlossen werden, urteilten jüngst Belfaster Medien. Denn ohne den Segen Sinn Féins, das weiß auch Ruth Patterson, die Vorsitzende der District Policing Partnerships, wird es in den republikanischen Gemeinden keine Kooperation mit der Polizei geben. Hängt vom Erfolg der Reformen am Ende vielleicht doch der Erfolg des Friedensprozesses ab? Keine drei Sekunden muss Ruth Patterson überlegen: »Nein, diese Reformen werden kein Erfolg.« Die Frage nach dem Friedensprozess lässt sie unbeantwortet.

Aus: Neues Deutschland, 18. September 2004


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