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Neue Eskalation in Nordirland?

Zusammenschluß irischer Splittergruppen zu "neuer IRA"

Von Florian Osuch *

In Nordirland haben sich in der vergangenen Woche drei von vier dem Friedensprozeß ablehnend gegenüberstehenden bewaffneten Organisationen zu einer Gruppierung vereinigt (siehe jW vom Wochenende, Seite 1). Nach Informationen des britischen Guardian verständigten sich die »Real IRA« (RIRA), die »Republican Action Against Drugs« (RAAD) sowie »Óglaigh na hÉireann«, fortan mit einer gemeinsamen Struktur und Führung zu agieren. Insgesamt soll es sich um mehrere hundert Aktive handeln, so der Guardian. Einzig die »Continuity IRA« bleibt der Verbindung fern.

Die neue Organisation stellt sich selbst in die Tradition des irischen Freiheitskampfes und des Osteraufstandes von 1916, verzichtete auf schmückende Beinamen und nennt sich schlicht Irisch-Republikanische Armee. Für die »neue IRA« sei der bewaffneten Kampf gegen die britische Vorherrschaft in Nordirland »notwendig«, solange der ursprünglichen Bevölkerung »fundamentale Rechte der Selbstbestimmung und Souveränität« verweigert blieben, hieß es in einer vom Guardian verbreiteten Erklärung. Die Schuld für eine fortwährende Eskalation in Nordirland habe einzig London. Es sei Großbritannien, das sich für »Eskalation und Konflikt« entschieden habe, so die neue IRA in ihrer Erklärung.

Deren Einzelgruppierungen sind für zahlreiche Attacken auf Polizei und britisches Militär in Nordirland verantwortlich. Die größte Fraktion ist wohl die »Real IRA«. Diese 1997 gegründete Organisation zeichnet verantwortlich für den verheerenden Anschlag in Omagh 1998, bei dem 29 Personen getötet wurden.

Ob der Zusammenschluß den Friedensprozeß tatsächlich destabilisieren kann und die »neue IRA« den bewaffneten Kampf intensivieren wird, bleibt abzuwarten. Der Experte Henry McDonald vom Guardian deutete jedoch an, daß die Isolation der Splittergruppen bröckelt. Er nennt zwei Faktoren für die bisherige Schwäche der verschiedenen in Opposition zum Friedensprozeß stehenden Gruppierungen: die fehlende Unterstützung innerhalb der irischen Bevölkerung und die völlige Zersplitterung der Kräfte. Zumindest letzteres dürfte überwunden sein, und insbesondere die Aktivitäten der »Republican Action Against Drugs« gegen tatsächliche oder vermeintliche Drogenhändler hätten zu einiger Sympathie in den irischen Vierteln geführt, so McDonald.

Die irische Linkspartei Sinn Féin, zu deren Führungsriege zahlreiche einstige hochrangige IRA-Kämpfer gehören, geht derweil auf Distanz und versucht, den Zusammenschluß kleinzureden. Gerry Kelly, Abgeordneter für Sinn Féin im nordirischen Regionalparlament und ehemaliger IRA-Kämpfer, ist der Auffassung, der neuen Kraft würden nur »einige wenige Leute« angehören. Sie verfüge über »kein Konzept« für ein vereinigtes Irland, hätte keine Unterstützung aus der irischen Bevölkerung und würde die »Freiheit und das Leben von jungen Leuten« aufs Spiel setzen, so Kelly in Belfast.

Beschwichtigend äußerte sich auch Jeffrey Donaldson von der rechten pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP). Für ihn sei die Neugruppierung einzig eine »Markenänderung«. Alasdair McDonnell von der sozialdemokratischen SDLP ist überzeugt, daß die neue Fraktion den »relativen Frieden der letzten 14 Jahre« nicht destabilisieren könne.

Es überrascht wenig, daß sich die etablierten Parteien in dieser Frage so einig sind. Sinn Féin und DUP bilden seit 2007 die Spitze einer Allparteienregierung für Nordirland, an der auch die Sozialdemokraten und zwei weitere Fraktionen beteiligt sind.

* Aus: junge Welt, Montag, 30. Juli 2012


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