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Konservative Royalisten geben keine Ruhe

Unionisten torpedieren Friedensprozess und manövrieren sich ins Abseits

Jedes Jahr zur Zeit rüsten die ewig gestrigen Unionisten zur Orangisten-Parade in Portadown. Auch in diesem Jahr provozieren sie die katholische Bevölkerung Nordirlands. Es kam zu den üblichen Ausschreitungen und Gewalttaten, die sogar schon Todesopfer gefordert haben. Die Bilanz (bis zum 13. Juli) in trockenen Zahlen:
Ein toter Zivilist, 81 verletzte Polizisten, sechs verletzte Soldaten, 217 Festnahmen, 128 beschädigte Gebäude, 350 demolierte Fahrzeuge, 329 Angriffe auf die Sicherheitskräfte, 305 Zwischenfälle mit Benzinbomben.
Doch mehr als je zuvor sind es vornehmlich die protestantischen Marschierer und Katholikenhasser, die an die Gewalt appellieren und vom Friedensprozess nichts wissen wollen. Wenn der mit dem Karfreitagsabkommen 1998 begonnene Weg des Ausgleichs und der Versöhnung zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen wieder verlassen werden sollte, dann wird die Schuld ausschließlich bei den protestantischen Hardlinern zu finden sein. Der im folgenden dokumentierte Bericht aus Nordirland schildert die Strukturen, die im nordirischen Alltag immer noch für Misstrauen und Feindschaft sorgen. Es handelt sich um einen Bericht aus der Frankfurter Rundschau vom 13.07.2000, den wir leicht gekürzt wiedergeben. In ähnlicher Weise argumentiert die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar, den wir weiter untern auszugsweise wiedergeben.


Nur ein paar Meilen sind's von Portadown und Lurgan
Aber zwischen militanten Orangisten und gemäßigten Unionisten in Nordirland klafft ein Abgrund

Von Peter Nonnenmacher (Craigavon)

Keine Stunde von Belfast entfernt, im Südwesten der nordirischen Hauptstadt, weisen die Autobahnschilder ... nach "Craigavon"... Doch wer Craigavon sucht, der sucht vergebens. Eine Stadt dieses Namens existiert nicht. Craigavon ist nur ein Verwaltungsbegriff. Mit diesem Namen wollten 1965 die protestantischen Herren der Provinz ein Gebiet an der "Front" zum katholischen Irland in eine neue Großstadt verwandeln, in eine Kommune, die Industrie und Gewerbe anziehen und die verachteten katholischen Regionen im eigenen Land in den Schatten stellen sollte. In Craigavon sollten die alten Nachbar-Städtchen Portadown und Lurgan verbunden, sollte die Basis einer modernen Ulster-Siedlung gelegt werden.

Letztlich erfüllte die Vision sich nicht, teils wegen mangelnden Zuzugs, teils wegen wirtschaftlicher Probleme - und auch, weil Portadown und Lurgan besonders unter republikanischen Beschuss kamen. Mittlerweile, 35 Jahre nach der Gründung Craigavons, mutet das damalige Projekt überzogen, wie ein später Traum protestantischer Hegemoniesucht an. Nach einem Vierteljahrhundert blutiger Unruhen haben sich die Gewichte deutlich verschoben. Der Karfreitags-Vertrag von 1998, vom Protestanten-Führer David Trimble mit getragen, besiegelte das Ende der Hegemonie, bezeugte Einsicht in die Notwendigkeit katholisch-protestantischer Kooperation. Grenzübergreifende, integrierende Maßnahmen traten an die Stelle des alten Allmachtsanspruchs. Vertrauensbildende Schritte sollten Unionisten und irischen Republikanern aus ihren jeweiligen Wagenburgen helfen.

Dabei fand sich Craigavon im Brennpunkt der Ereignisse. In Lurgan, auf der einen Seite, entwickelte der örtliche Abgeordnete - nämlich David Trimble - seine Verständigungsstrategie. In Portadown, auf der anderen Seite, stemmten sich Orangisten und Fundamentalisten wütend gegen die Reform. Der allsommerliche bittere Streit um protestantische Triumphmärsche vom Kirchlein von Drumcree durch die katholische Garvaghy Road, der in diesen Tagen wieder die Provinz erschüttert, wurde zum Sammelpunkt protestantischen Widerstands gegen "Kapitulation vor den Papisten", gegen die Versöhnungspolitik des "Verräters" Trimble.

In seinem Radio- und Fernsehladen in Portadown beharrt denn auch der unionistische Politiker Robert Oliver darauf, dass sein Parteichef "ein Narr" gewesen sei, als er den Karfreitags-Vertrag unterzeichnete. Die Republikaner, erklärt Oliver, hätten mit ihren Bomben alles erreicht, was sie erreichen wollten; "wir Unionisten haben alles verloren." ... Oliver selbst ist natürlich Orangist und zieht in diesem Sommer wieder mit Bannern, Flöten und Trommeln gegen die katholische Provokation zu Felde. "Hier in Portadown würde sich David Trimble einen bösen Empfang einhandeln, wenn er sich blicken ließe", warnt der Ladenbesitzer den Unionisten-Boss aus der Nachbarstadt.

...
In Lurgan unterdessen, wo Trimble an einer bescheidenen Ecke der Hauptstraße sein Wahlkreis-Büro unterhält, findet er Weggefährten. Fred Crowe, der Vize-Bürgermeister der Stadt und ein langjähriger Vertrauter Trimbles, versteht zwar, dass viele seiner Parteifreunde "der IRA nicht trauen", hält aber nichts von einer Politik des Boykotts und der ewigen Abschottung. "Was wir versuchen müssen", meint Crowe, "das ist, die Republikaner auf ihrem Weg zur Demokratie zu ermutigen - nicht sie in die alte Situation zurückzustoßen." Als Sprecher eines aufgeklärten Unionismus, der keinem Orden angehört, sieht Fred Crowe sich verpflichtet, dem Parteichef beizuspringen - damit die "Hardliner" der Partei Trimbles Friedensbemühungen nicht zu Fall bringen. Bei der entscheidenden Abstimmung des Parteirats der Ulster-Unionisten im Mai stimmte der Mann aus Lurgan so für einen Wiedereinstieg in die gemischt-konfessionelle Regierung mit Sinn Fein und den katholischen Sozaldemokraten.

Angesichts der Bereitschaft der IRA, republikanische Waffenlager von internationalen Beobachtern inspizieren zu lassen, und ihrem Versprechen, binnen zwölf Monaten sämtliche Arsenale "unbrauchbar" zu machen, will Crowe ernsthaft auf die Sinn Fein zugehen. "Auch die Sinn Feiner sind misstrauisch, uns gegenüber. Auch die müssen sich erst auf diese Zusammenarbeit einstimmen." Glaubt Fred Crowe denn den Beteuerungen der Republikaner, dass sie die Einheit Irlands nur noch auf friedlichem, politischem Wege erkämpfen wollen? "Die Republikaner befinden sich in einer Übergangsphase. Mit Gewalt haben sie ihr Ziel nicht erreichen können. Und viele von den damals jungen IRA-Leuten haben heute selbst Kinder und wollen denen nicht mehr Jahrzehnte neuen Kriegs zumuten." ... Wachsendes politisches Selbstvertrauen und "eine neue Mentalität bei den Republikanern" würden Abrüstung ermöglichen.

Für Robert Oliver in Portadown, nur ein paar Meilen, aber zugleich Welten entfernt, ist das wahrhaftig nicht gut genug. "Wie viele Waffenlager hat die IRA denn? Wann können ausnahmslos alle Waffen, alle Arsenale der IRA inspiziert werden?" Zu trauen sei den Sinn Feinern in keinem Fall: "So lange sie uns noch einen Revolver an die Stirn setzen können, so lange kann es auch keinen Frieden geben hier zu Lande. So lange die IRA an ihren Waffen festhält, kann es uns hier ergehen wie den weißen Farmern in Simbabwe." Auch Oliver, der Orangist, gehört dem Parteirat der Unionisten an, auf der anderen Seite der innerparteilichen Barrikade.

Dass offene Konfrontation mit den Katholiken, dass die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit den Republikanern zu neuer Gewalt in der Provinz führen könnte, dünkt ihn weniger schrecklich als weitere Preisgabe protestantischen Terrains: "Hier muss eine klare Linie in den Sand gezogen werden." Mit seinem Kompromisskurs spalte Trimble Nordirlands Protestanten auf verhängnisvolle Weise: "Er ist dabei, die Partei der Ulster-Unionisten zu ruinieren." Fred Crowe in Lurgan räumt ein, dass die Partei bereits gespalten ist, aber er macht nicht David Trimble für diese Situation verantwortlich. "Was wollen denn die Unionisten, die sich so stur stellen? Die Alternative zum Fortgang des Friedensprozesses ist doch zu schrecklich, als das man sie sich vorstellen möchte." Die jüngsten Szenen in Drumcree, mit aufputschenden Reden von Orangisten-Führern, mit Attacken gegen die Staatsgewalt, der die Loyalisten eigentlich zur Loyalität verpflichtet sind, haben viele nordirische Protestanten gegen den Orden, gegen die Trommler des Hasses aufgebracht.

Mit Mühe nur, das kann auch Crowe nicht abstreiten, vermag die große alte Partei des nordirischen Protestantismus die widerstreitenden Lager zusammenzuhalten. Craigavon, diese Klammer um die ungleichen Schwestern Lurgan und Portadown, steht als Symbol dafür. Was Trimbles kleines Büro und das Kirchlein von Drumcree verbindet, ist nur noch die gemeinsame Herkunft - nicht mehr der Geist einer politischen Bewegung.

Aus einem Kommentar von Stefan Klein in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Juli 2000 (Auszüge):

Nicht, dass es besonders schlimm gewesen wäre dieses Mal. Es hat schlimmere Jahre gegeben. Doch das ist nur ein schwacher Trost, denn die Krawalle der vergangenen zwei Wochen sind deshalb so bitter, weil sie genau das Schreckensimage wieder heraufbeschwören, von dem sich Nordirland im Zuge des Friedensprozesses gerade zu lösen begonnen hatte. Als attraktiven Standort für Investitionen hat man sich mit einigem Erfolg dargestellt, aber eine amerikanische Handelsdelegation sagte ihren Besuch jetzt ab. Wer mag schon investieren, wo auf den Straßen Barrikaden brennen?

...
Das Problem ist keines mehr zwischen Katholiken und Protestanten. Die katholische Gravaghy Road in Portadown, wo die Oranier nicht marschieren dürfen, ist nurmehr der Anlass für die Krawalle, die weniger vom Hass auf die Katholiken als vielmehr von ganz anderen Quellen gespeist werden: Von der Verwirrung eines Stammes, der seine politische Dominanz verloren hat und vielleicht auch bald seine numerische Überlegenheit einbüßen wird. Der seinen Existenzzweck in seiner "britishness" sieht und doch von London zusehends als Peinlichkeit empfunden wird. Der den Namen der nordirischen Polizei, der "Royal Ulster Constabulary", am liebsten unter Denkmalschutz stellen möchte, ihre Beamten aber mit Benzinbomben bewirft. Der in seiner schlimmsten Ausprägung, den loyalistischen Terrorgruppen, blutrünstige Monster gezüchtet hat, die sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Loyalisten, Unionisten, Oranier - das protestantische Lager ist im Chaos, und es ist niemand zu sehen, der es einigen und seine Identität im Nordirland des Karfreitagsabkommens neu definieren könnte.

David Trimble wäre der Mann. Als Chef der größten Protestantenpartei und erster Minister wäre es seine Aufgabe, leadership zu zeigen, den Oranierorden in die Schranken zu weisen und vor allem unter seinesgleichen viel aggressiver für den Friedensdeal mit den Republikanern zu werben - als die einzige Chance, die Nordirland hat. Doch Trimble hat die Hälfte seiner Partei gegen sich, weswegen er sich zum Lavieren und Taktieren gezwungen sieht. Das mögen für einen Politiker nicht die schlechtesten Eigenschaften sein - aber es sind nicht die, die Nordirland jetzt braucht.

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