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Nordirland: Frieden mit der verhassten Polizei?

Sinn Fein: "Ein Wendepunkt in der Geschichte unseres Kampfes"

Am 28. Januar fand in Dublin ein Sonderparteitag der republikanischen Partei Sinn Féin statt, in dem es vor allem um die Änderung ihrer Politik zum Thema "Polizei und Justiz" ging. Im Folgenden dokumentieren wir hierzu einen Vorabbericht aus der Tageszeitung "Neues Deutschland" und im Anschluss daran einen Bericht von Uschi Grandel, die selbst an dem "historischen" Parteitag teilnahm.



Weichenstellung bei Sinn Fein

Parteitag entscheidet über Haltung zu Sicherheitskräften in Nordirland

Von Aljoscha Kertesz *


Der Friedensprozess in Nordirland steht vor einer Weichenstellung. Darüber wird die Partei Sinn Fein an diesem Sonntag (28. Jan.) entscheiden.

2000 Delegierte der irischen Sinn Fein kommen in Dublin zusammen, um über die Anerkennung der nordirischen Sicherheitsorgane zu diskutieren. Bislang stockte immer wieder der Friedensprozess, da scheinbar unüberbrückbare Standpunkte aufeinander trafen. Derzeitiger Hauptstreitpunkt ist die nordirische Polizei. Die stärkste Partei der Unionisten, die Democratic Unionist Party (DUP) von Ian Paisley, macht die Akzeptanz der Sicherheitsorgane durch Sinn Fein zur Voraussetzung für deren Regierungsbeteiligung .

Bisher hat sich Sinn Fein, die stärkste Partei der irischen Nationalisten, strikt gegen die Anerkennung des Police Service of Northern Ireland (PSNI) ausgesprochen. Wenn es nach dem Willen der Parteispitze um Gerry Adams geht, wird sich dies nun ändern. Sollte eine breite Mehrheit der Delegierten ihrem Parteivorstand folgen, könnte der 28. Januar als einer der wichtigsten Meilensteine in die Geschichte des irischen Friedensprozesses eingehen.

Die letzten Wochen haben gezeigt, dass in der irisch-republikanischen Bevölkerung großer Diskussionsbedarf über die Anerkennung der Sicherheitskräfte besteht. Auf vielen Regionalkonferenzen warb die Parteispitze bis zuletzt um das Vertrauen der Basis und bat um Unterstützung auf dem eingeschlagenen Weg. Die Mehrheit scheint sicher. Jedoch sind auch die Stimmen der innerparteilichen Gegner hörbar. Diese erhielten in den vergangenen Tagen Auftrieb angesichts der Veröffentlichung eines Berichtes durch die Polizei-Ombudsfrau Nuala O`Loan. In ihm stellte sie die Ergebnisse einer Untersuchungskommision vor, wonach die Zusammenarbeit der nordirischen Polizei mit loyalistischen Terrororganisationen im Norden Belfasts nachgewiesen wird. Grund genug für viele irische Nationalisten, der Polizei auch weiterhin das Vertrauen zu entziehen.

Enttäuscht über den Kurswechsel in Sachen Polizei, geben die ersten Mitglieder ihr Parteibuch zurück. In teilweise erregten Diskussionen warb die Parteiführung um Unterstützung für den Friedensprozess und verwies darauf, dass in Gesprächen mit der britischen Regierung umfassende Reformen des PSNI erreicht wurden. So dürfte der Einsatz von oft tödlichen Plastikgeschossen demnächst der Vergangenheit angehören. Auch jegliche Einmischung des britischen Geheimdienstes MI5 in die lokale Polizeiarbeit soll zukünftig ausgeschlossen sein.

Die erzielten Reformen reichen jedoch nicht allen Parteimitgliedern. Sie wittern Verrat am Ziel der irischen Unabhängigkeit. Trotzdem erwarten Experten, dass eine deutliche Mehrheit des Parteitages der Kurskorrektur zustimmen wird. Vereinzelte Stimmen warnen jedoch vor der Abspaltung und Radikalisierung enttäuschter Parteimitglieder. So könnten Splittergruppen wie die »Real IRA« oder die »Continuity IRA« Zulauf erhalten. Die Mitglieder der Sinn Fein haben die Chance, einen großen Schritt in Richtung eines friedlichen Miteinanders zu gehen. Durch ein positives Votum auf ihrem Parteitag würde dem ins Stocken geratenen Friedensprozess neuer Atem eingehaucht.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Januar 2007


Sinn Féin beendigt 86-jährige Gegnerschaft zur Polizei

Bericht über den Parteitag

Von Uschi Grandel **

Am Sonntag, den 28.1.2007 fand in Dublin der Sonderparteitag Sinn Féins zur Änderung ihrer Politik zum Thema "Polizei und Justiz" statt. Ich habe an dem Parteitag als Gast teilgenommen. Etwa 900 Delegierte und insgesamt über 2000 Personen verfolgten die ganztägige intensive Debatte. Die Delegierten stimmten dem Antrag ihrer Parteiführung mit einer überwältigenden mehr als 90%igen Mehrheit zu. Die irischen Medien titelten in ihrer Berichterstattung danach: "Sinn Féin beendigt 86-jährige Gegnerschaft zur Polizei" - eine Gegnerschaft zu einer Polizei, die seit der Gründung Nordirlands durch Grossbritannien immer der bewaffnete, anti-demokratische Arm zur Unterdrückung der irischen Bevölkerung war. Sie tat dies in Zusammenarbeit mit pro-britischen Todesschwadronen, in den 1920er und 1930ern mit Pogromen gegen irische Viertel, bis in die Gegenwart, indem sie pro-britische Mördergangs lenkte, bezahlte und beschützte.

Die nordirische Polizei-Ombudsfrau Nuala O'Loan hat mit ihrem Bericht über die brutalen Morde einer kleinen Nordbelfaster Gruppe der UVF und die Verstrickung der nordirischen Polizei in diese Morde einen kleinen Einblick gegeben, wieviel Terror diese Zusammenarbeit für die Menschen in Nordirland brachte.

Viele der Delegierten ergänzten in ihrer Rede zum Antrag den Untersuchungsbericht der Ombudsfrau mit eigenen schlimmen Erfahrungen zur Polizei. Kein einziger der Redner war der Ansicht, die Polizei habe sich grundlegend geändert. Das war auch nicht die Begründung für die Änderung der Haltung zur Polizei. Auch nicht die Tatsache, dass damit ein gewaltiges Blockadeargument der DUP gegen die Bildung einer gemeinsamen Regierung aus dem Weg geräumt ist. Der Hauptgrund für die meisten Redner war die Tatsache, dass die Verhandlungen ihrer Parteiführung einiges an Kontrollmöglichkeiten geschaffen hat und Sinn Féin an Stärke gewaltig gewonnen hat, so dass Demokratisierung und Kontrolle der Polizei nun in den Bereich des Möglichen gerückt ist. Die meisten Delegierten waren der Meinung, dass ihr Ziel, eine gesamtirische, demokratische, sozialistische Republik eine so grundlegende Änderung und Demokratisierung aller Staatsbereiche in ganz Irland erfordere, dass ein wichtiges Instrument, wie die Polizei nicht ausgeklammert werden darf. Und dass man am besten schnell damit anfängt.

Allerdings bestand Einigkeit, dass dies eine gewaltige Aufgabe ist, die die aktive Mitarbeit möglichst vieler Menschen erfordert. Dass eine solche aktive Mitarbeit nicht nur eine Worthülse ist, zeigten die über hundert internen und öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, die Sinn Féin im Vorfeld des Parteitages unter Beteiligung von Aktivisten, Parteimitgliedern, Unterstützern und der Öffentlichkeit durchführte. Die Teilnehmerzahlen der öffentlichen Veranstaltungen waren beeindruckend: unter anderen nahmen in Toome, County Derry, ca. 500 Personen; in Galbally, East-Tyrone, über 1000 Personen; in Newry, Armagh, 1300 Personen; in West-Belfast, 700 Personen teil. In Galbally erhielt die Sinn Fein Führung nach einer langen und offenen Diskussion am Ende stehend Applaus. Martina Anderson aus Derry, verantwortlich in Sinn Féin für den Dialog mit den pro-britischen Unionisten, fast in ihrem Redebeitrag auf dem Ard Fheis die Stimmung gut zusammen:

"Heute ist ein Wendepunkt in der Geschichte unseres Kampfes. Wahrhaft historisch war der Diskussionsprozess, durch den wir gegangen sind. Die Menschen haben die politische Führung übernommen. Frühere Entscheidungen wurden von der Armee (d.h. der IRA) getroffen -- der Waffenstillstand, die Vernichtung der Waffen. Aber die heutige Entscheidung ist der Höhepunkt eines Prozesses an breiter, noch nie in dieser Intensität durchgeführter Beratung mit Aktivisten, Parteimitgliedern, den Familien unserer toten Patrioten und mit der Community, die über die Jahre die Hauptlast des Kampfes schultern musste. Unser Kampf wird nicht länger von einer kleinen mutigen Schar von Leuten für Irland geführt. Heute fällen wir unsere Entscheidungen in enger Beratung mit den Menschen.

Die Briten haben Irland in einer Art und Weise besetzt, die James Connolly so gut beschrieben hat: sie spielen uns gegeneinander aus und lassen uns uns gegenseitig bekämpfen, während sie uns alle ausrauben und ermorden. Während der Nachbar den Nachbarn fürchtet, gegen den 'anderen' kämpft, bleiben wir gespalten und nicht in der Lage, unser Schicksal selbst zu bestimmen. In diesem Zustand können wir nicht hoffen, ein Irland der Gleichberechtigung, in das alle einbezogen werden, eine demokratische, sozialistische Republik zu schaffen. Unsere Resolution dreht sich darum, Menschen dazu zu befähigen. Es ist eine Voraussetzung, um unseren Kampf weiterzubringen, es ist ein Programm dafür.

Natürlich erreichen wir noch nichts dadurch, dass wir nur diese Resolution verabschieden. Sie ist eine Erklärung unserer Intention, in unserem Land Gerechtigkeit aufzubauen. Die Polizei wird der Community nur so weit verantwortlich sein, wie wir, die Menschen, sie zur Verantwortung ziehen. Die Resolution ist ein Programm für all diejenigen, die Gerechtigkeit und Gleichheit für unsere Community wollen. Wir müssen die Polizei in die Pflicht nehmen, Polizeiarbeit transparent machen und die Arroganz der Macht zur Rechenschaft ziehen.

Comrades, wir haben es mit der Polizei schon früher aufgenommen und wir werden sie nicht in Ruhe lassen -- mit dem gleichen furchtlosen Selbstvertrauen. Zusammenhalt heisst nicht, die Stimmen zu zählen, die den Antrag auf dem Papier unterstützen. Zusammenhalt zeigt sich darin, wie wir gemeinsam vorgehen, um die Resolution umzusetzen. Wie wir zusammenarbeiten, um den Menschen Macht zu geben und die Arroganz der Macht zu beseitigen, damit wir endlich die Demütigung einer nicht uns rechenschaftspflichtigen Polizei beenden, damit wir die Praxis des Sectarianism (des anti-irischen und anti-katholischen Rassismus) beenden, auf den sich britische Herrschaft in Irland gestützt hat. Auf Basis dieses Programms werden wir vorangehen, morgen, als ein Volk, das aufgestanden ist, das aus dem Mut, der Zähigkeit und der Bestimmtheit einiger Vorbilder Kraft schöpft.

Wenn Bloody Sunday uns etwas gelehrt hat, dann ist es, dass wir die Mächtigen zur Rechenschaft ziehen müssen. Und während ich den Ard Fheis verlasse, um in Derry auf der Bloody Sunday Commemoration zu sprechen, bitte ich Euch, nicht nur den Antrag mit überwältigender Mehrheit zu unterstützen, sondern gemäss seiner Intention zu handeln, um unseren Feinden einen weiteren Pfeiler des korrupten Staates aus den Händen zu reissen.

Denn, comrades, wenn Krieg die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln ist, dann ist dies die Umkehrung. Ich bitte Euch, dem Antrag zuzustimmen. Wenn Ihr dazu nicht in der Lage seid, bitte ich um Euere Enthaltung."


Beeindruckend war die Toleranz und der Respekt der Delegierten gegenüber der Minderheitsmeinung. Die Jugendorganisation Ogra Sinn Fein hat gegen die Unterstützung der Polizei argumentiert und gestimmt, jedoch erklärt, das Votum zu respektieren. Ihre Sprecher wurden mit Beifall bedacht. Genauso wie ein profilierter Gegner des Antrags aus Derry, der -- obwohl kein Delegierter -- Rederecht erhielt, um seine Position den Delegierten zu erklären. Der Parteitag hat nicht nur mit überwältigender Mehrheit ja zur Einmischung in die nordirische Polizei gesagt, er hat auch die Kritiker in fairer Weise mitgenommen und damit Einigkeit und Zuversicht im ganzen republikanischen Lager gestärkt.

** Aus dem Newsletter von Uschi Grandel, 29. Januar 2007; "Save the Good Friday Agreement Coalition (Germany)" - "Unterstützt den Friedensprozess in Nordirland";
Internet: http://www.info-nordirland.de/



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