Der Friedensprozess in Nordirland: Von Krise zu Krise
Nicht die IRA, die Unionisten sind das Problem
Eine Woche zuvor - Ende Oktober 2001 - hatte die IRA mit der Selbstentwaffnung begonnen. Es war das, was von protestantisch-unionistischer Seite seit Monaten immer wieder als wichtigste Voraussetzung für die Fortsetzung des Friedensprozesses verlangt worden war. Vor allem der rechte Flügel der Unionisten hatte sich nie mit der internationalen Kontrolle der IRA-Waffenbestände begnügt, sondern sichtbare Signale der Abgabe bzw. Unschädlichmachung derselben verlangt. Nun waren die Signale da, und dennoch bleibt der Frieden in Nordirland in der Schwebe.
Der erste wirklich handfeste Abrüstungsschritt der Irisch-Republikanische Armee wurde in Dublin, London und Washington einhellig als historischer Durchbruch für den Frieden begrüßt und gefeiert. Auch in Belfast war man zuversichtlich, dass sich nun die protestantischen Unionisten einer Zusammenarbeit mit den Republikanern nicht mehr entziehen würden. Auch Friedensnobelpreisträger David Trimble, der im Juni unter dem Druck seiner Parteifreunde noch aus Protest gegen die zögerliche Haltung der Republikaner in der Abrüstungsfrage zurückgetreten war, sah nun den Boden für eine weitere Zusammenarbeit mit den Katholiken gegeben.
Doch es sollte anders kommen. Die prinzipiellen Gegner einer gemischt-konfessionellen Regierungszusammenarbeit in Trimbles eigener Partei machten dem UUP-Führer einen Strich durch die Rechnung. Zwei UUP-Abgeordnete, Pauline Armitage und
Peter Weir, hielten den Beginn der IRA-Abrüstung für unzureichend und die Belege und Informationen für ihre tatsächliche Umsetzung für zu vage. Die beiden Abweichler ließen sich auch nicht durch ein Gespräch mit dem unabhängigen Abrüstungs-Beauftragten für die Provinz, dem kanadischen General John de Chastelain, überzeugen. Sie blieben hart. Bei der entscheidenen Abstimmung im nordirischen Regionalparlament am 2. November erhielt Trimble im unionistischen Lager, in dem er mehr als 50 Prozent der Stimmen gebraucht hätte, nur auf 49,2 Prozent.
Obwohl Trimble bei der Parlamentswahl von Stormont 70 Prozent der Gesamtstimmen erhielt, hat er es nicht geschafft. Denn im Stormonter Parlament benötigt man zur Wahl des Regierungschefs und des Stellvertreters nicht nur eine Mehrheit der gesamtstimmen, sondern getrennte Mehrheiten im Lager der Unionisten und der nationalistischen Republikaner. Diese Klausel war im Friedensvertrag von 1998 eingeführt worden, um die Minderheitsrechte auf beiden Seiten zu schützen und einen möglichst breiten Konsens herzustellen. Man hatte nicht damit gerechnet, dass die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der beiden Gruppen so unsicher werden würden. Am 2. November zeigte sich die Labilität des Friedensprozesses: Trimble erhielt statt der erforderlichen 30 Stimmen im eigenen Lager nur 29 Stimmen. 3o Stimmen stimmten gegen ihn.
Ein enttäuschter David Trimble beschuldigte nach der Abstimmung die beiden Abweichler" Armitage und Weir eines "vollkommen unehrenhaften" Verhaltens. Der Vertraute des früheren Regierungschefs, Sir Reg Empey, erklärte, die Welt werde wenig Verständnis dafür haben, dass sich die Unionisten nunmehr der Zusammenarbeit entzögen. Den "Mut" der beiden UUP-Rebellen pries derweil der DUP-Vorsitzende Ian Paisley. Der republikanische Chef-Unterhändler Martin McGuinness äußerte sich für seine Partei Sinn Fein "zutiefst enttäuscht" und forderte Neuwahlen in Nordirland.
Damit stellt sich der britischen Regierung erneut die Frage, ob sie das nordirische Parlament auflösen und Neuwahlen riskieren oder ob sie den Friedensvertrag von 1998 aussetzen und die Regeln der Belfaster Wahlprozeduren ändern will. Eine Entscheidung muss Nordirland-Minister John Reid bis Samstagabend fällen. Aber auch das politische Schicksal Trimbles steht auf dem Spiel. Auf einer Sondertagung des großen Parteirats der UUP am 17. November, wird die Zukunft Trimbles und der nordirischen Regierung weiter erörtert.
Das alte hässliche Gesicht
Von Peter Nonnenmacher
Vorige Woche noch Euphorie in Belfast: Nun wieder, nach dem Parlamentsdebakel
für David Trimble, tiefe Depression. Ulsters Unionisten reicht es nicht, dass die IRA
mit der Abrüstung begonnen, dass Premier Tony Blair den Entwaffnungsakt als
"historisch" gewürdigt hat. Bei der entscheidenden Abstimmung am Freitag
schlossen sich zwei Abgeordnete der Trimble-Partei den notorischen Nein-Sagern
des Ian Paisley an - mit katastrophalen Folgen für Trimble und unabsehbaren für
den nordirischen Friedensprozess.
Mühsam wird nun die britische Regierung den erneut zum Stehen gekommenen
Prozess wieder in Gang setzen müssen. Viele Maßnahmen stehen London nicht
zur Verfügung, und keine - von Neuwahlen bis zur Änderung der parlamentarischen
Spielregeln in Belfast - nimmt sich sonderlich attraktiv aus. Da stehen bleiben, wo
der Karren augenblicklich steht, kann er allerdings nicht. Nun haben ihn Trimble
und die Republikaner endlich auf den Weg der waffenlosen Zusammenarbeit
gezwungen. Bliebe das Gefährt in die gemeinsame Zukunft stecken, bestünde die
Gefahr eines Rückfalls, womöglich der Rückkehr des Terrors. Denn ohne politische
Basis, ohne demokratische Institutionen kann sich Nordirland von seiner dunklen
Vergangenheit nicht befreien.
Die Schuld aber, für einen solchen Rückfall, wäre denen zuzuweisen, die im
protestantischen Lager zur Machtbeteiligung der katholischen Nachbarn schlicht
nicht bereit sind: Gestern hat der Unionismus, zum Schrecken der
verständigungsbereiten Protestanten, sein ältestes, sein hässlichstes Gesicht
enthüllt.
Aus: Frankfurter Rundschau, 3. November 2001
Ein Trick soll Trimble retten
Die Alliance Party, eine der protestantischen Splitterparteien, die über fünf Mandate im Stormont verfügt, bisher aber weder der einen noch der anderen Seite angehören wollet, hat sich zwei Tage nach der Abstimmungniederlage als "unionistisch" registrieren lassen. Gleichzeitig bekundeten sie ihre Absicht, für Trimble stimmen zu wollen. Damit hätte Trimble "aus den eigenen Reihen" eine ausreichende Mehrheit von 34 Stimmen (gegen 30 unionistische Stimmen aus dem gegnerischen Lager. Man würde so auch lästigen Neuwahlen ausweichen, von denen keine der beiden Lager genau vorhersagen könnte, wie sie letztendlich ausgehen würden. Neben Trimble ist aber die Alliance Party schon der sichere Sieger in dem parlamentarischen (Ränke-)Spiel. Sie hat sich ihren Schwenk nach langen Verhandlungen mit London mit einigen Zugeständnissen hinsichtlich parlamentarischer Reformen wahrscheinlich reichlich bezahlen lassen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Trimble wieder auf die Beine käme. Zu befürchten ist aber, dass auch der neuerliche Versuch, der tiefen Krise Nordirlands, dem Rückfall in Terror und Bürgerkrieg zu entgehen, nur vorübergehend von Erfolög gekrönt sein wird. Seit Monaten ist festzustellen, dass die Gewalt in Nordirland in der Regel von der protestantisch-unionistischen Seite ausgeht, während die Republikaner sich relativ zurückhaltend verhalten.
Pst
Quellen: FR, SZ vom 3. und 5. November 2001
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