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Für eine neue Republik

Sinn Féin will ein Irland, das den Menschen dient und nicht den Bankern

Von Uschi Grandel, Belfast *

Unter dem Motto »Für eine neue Republik« diskutierte die irische Linkspartei Sinn Féin am Wochenende auf ihrem Parteitag im nordirischen Belfast ihre politische Strategie. Parteiführung und Delegierte machten dabei klar, daß ihr Ziel eines vereinigten Irlands keinesfalls nur die territoriale Wiedervereinigung der heutigen Republik Irland mit dem Norden beinhaltet, sondern die politische und soziale Umgestaltung des Landes. Die 1920 von Großbritannien erzwungene Abspaltung Nordirlands führte dort zu einem Einparteienstaat pro-britischer Unionisten, die als Herrschaftsmittel die Spaltung der Bevölkerung in loyale pro-britische Protestanten und illoyale irische Katholiken durchsetzten. Im Süden hatte die Spaltung Irlands seinerzeit die Herrschaft einer konservativen katholischen Elite zementiert.

Der Parteitag war sich einig darin, daß die katastrophale Wirtschaftslage, in der sich die Republik Irland befindet, Folge der Politik der vergangenen Jahre ist. Auf der einen Seite stünden Geschenke an multinationale Konzerne, auf der anderen Seite die Kürzungen zu Lasten der einheimischen Wirtschaft, sowie im Bildungssystem, Gesundheitswesen und Wohnungsbau. Die Krise des Finanzsystems führte zu einem dramatischen Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Für den Kampf dagegen habe die Regierungskoalition jedoch gerade einmal 40 Millionen Euro übrig, kritisierte eine Delegierte. Die etwa 400 Arbeitsplätze, die damit entstehen könnten, würde die durch Arbeitslosigkeit erzwungene Emigration junger Menschen nicht länger als drei Tage aufhalten können. Auch der »Rettungsschirm« und die von EU und IWF verordnete Sparpolitik wurden vom Parteitag scharf abgelehnt. Es sei zynisch, wenn Irlands langer Kampf endlich zur Unabhängigkeit von Westminster führe, nur um die Souveränität an Brüssel, Frankfurt/Main und Berlin abzugeben.

Die Partei ist gut aufgestellt. In Nordirland ist Sinn Féin mittlerweile stärkste Partei und stellt mit Martin McGuinness einen der beiden gleichberechtigten Premierminister der nord­irischen Regionalregierung. In der Republik Irland verdreifachte sie bei den letzten Wahlen die Zahl ihrer Abgeordneten und ist nun mit etwa 15 Prozent die führende Oppositionspartei im Dubliner Parlament. Der Parteitag war deshalb auch eine Demonstration von Stärke und Zuversicht. Zum ersten Mal in der über hundertjährigen Parteigeschichte wurde er in Belfast abgehalten. Die Rede von Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams wurde vom öffentlich-rechtlichen irischen Fernsehen RTE live übertragen. Als er in den 60er Jahren Mitglied von Sinn Féin wurde, sei die Partei noch verboten gewesen, berichtete Adams am Samstag abend vor den über 2000 Delegierten und Gästen.

Die Demokratisierung des nordirischen »Semi-Staates« wird von den Delegierten als Erfolg gesehen, sei aber noch lange nicht beendet. Ein wichtiges Thema ist die Aufarbeitung der Vergangenheit. So war allein das British Parachute Regiment der britischen Armee, das 1972 am »Bloody Sunday« 14 Zivilisten ermordete, zwischen 1971 und 1973 für 28 weitere Morde verantwortlich, deren Umstände bis heute nicht aufgeklärt wurden. Sinn Féin fordert deshalb eine internationale und unabhängige Wahrheitskommission.

* Aus: junge Welt, 12. September 2011


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