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"Die Wahrheit sickert heraus" / The truth is seeping out

Fall Finucane zeigt Verantwortung der britischen Regierung für Todesschwadronen / Finucane an indictment of British collusion


Vorbemerkung

Am 12. Februar 1989 wurde der Menschenrechtsanwalt Pat Finucane in seiner Belfaster Wohnung ermordet. Seit 20 Jahren kämpft seine Familie um die Wahrheit über diesen Mord. Ausgeführt von pro-britischen Todesschwadronen führen die Spuren der Auftraggeber in die höchsten Ränge der britischen Regierung.

Eine öffentliche, unabhängige Untersuchung fordert deshalb das Plakat von Sinn Féin zum 20. Todestag von Pat Finucane und unterstützt damit die Forderung der Familie Finucane. Das Plakat befindet sich auf dem Platz in West Belfast, auf dem bis zum Jahr 2005 eine monströse Polizeikaserne jede Bewegung der Bewohner West Belfasts überwachte. Pat Finucane war vor seiner Ermordung von der Polizei bedroht worden, die an seiner Ermordung direkt Beteiligten sind mittlerweile als britische Agenten bekannt. Pat hatte die britische Strategie des schmutzigen Krieges, des Terrors und der Todesschwadronen gegen irisch-republikanische Aktivisten und unbeteiligte Zivilisten juristisch sehr erfolgreich bekämpft.

Auf einer Veranstaltung zu Ehren des Ermordeten, erklärte die Familie Finucane, dass sie ihren Kampf um Wahrheit so lange führen werde, bis eine öffentliche, unabhängige Untersuchung die politischen Drahtzieher des Mordes entlarvt. Unterstützt wird die Belfaster Familie in ihrem Kampf u.a. von der Belfaster Menschenrechtsvereinigung "Relatives for Justice", von Sinn Féin und von der irischen Regierung, sowie weltweit von internationalen Menschenrechtsanwälten, darunter der kanadische Richter Peter Cory, der damalige UN Sonderbeauftragte für Menschenrechte Dato Param Cumaraswamy und der bekannte Londoner Anwalt Michael Mansfield.

"Die britische Regierung wird feststellen müssen, dass nicht nur der Fall Pat Finucane nicht einfach verschwindet, sondern dass es keinen dauerhaften Frieden ohne Gerechtigkeit gibt. ... Pat Finucane ist die Spitze eines Eisbergs, und die Regierung muss wissen, dass es keine Lösung ohne Wahrheit gibt."
(Michael Mansfield in der Dubliner Trinity Universität auf der Veranstaltung zum 20. Todestag von Pat Finucane, 14. Februar 2009)

Man schätzt, dass über 1000 Menschen in Nordirland, Anwälte, unbeteiligte Zivilisten, irisch-republikanische Aktivisten Opfer von Collusion wurden, ermordet von pro-britischen Todesschwadronen, die im Auftrag britischer Polizei- und Militärsondereinheiten operierten.

Beiliegend finden Sie die deutsche Übersetzung des Berichts von Jim Gibney zum 20. Jahrestag der Ermordung von Pat Finucane: "Die Wahrheit sickert heraus". Deutsche Übersetzung und englischsprachiges Original sind wie immer auch auf der Webseite von "Info Nordirland" zu finden: www.info-nordirland.de

Uschi Grandel



"Die Wahrheit sickert heraus"

Fall Finucane zeigt Verantwortung der britischen Regierung für Todesschwadronen

Von Jim Gibney (Sinn Féin) *

Als der Menschenrechtsanwalt Pat Finucane auf der Höhe seines Schaffens als Anwalt war, gab es wenige Anwälte in Nordirland, die bereit waren, die Rechte der Menschen zu verteidigen, für die staatliche Organisationen nur Verachtung übrig hatten.

Loyalistische Auftragskiller (pro-britische Organisationen, die sich als loyal zur britischen Krone sahen und verschiedene paramilitärische Organisationen bildeten, die als Todesschwadronen mordeten) ermordeten ihn im Alter von 39 Jahren. Dieses Jahr hätte Pat Finucane seinen 60. Geburtstag gefeiert.

Man kann nicht sagen, welche Richtung Pat's anwaltliches Schaffen in den letzten 20 Jahren genommen hätte. Aber vor seiner Ermordung war ein klarer Schwerpunkt erkennbar. Er widmete beachtliche Zeit und anwaltliche Tätigkeit der Verteidigung derer, die der Staat durch eine Vielzahl repressiver Massnahmen, Mord eingeschlossen, brechen wollte.

Das anwaltliche Erbe, das Pat hinterliess, kann man in der Haltung seiner Familie erkennen, die seit 20 Jahren unermüdlich und unablässig gegen mächtige Gegner - innerhalb und ausserhalb der britischen Regierung - dafür kämpft, dass die Wahrheit über seine Ermordung ans Tageslicht kommt.

Als ich Pat und seine Frau Geraldine das erste Mal traf, lebten sie in einer kleinen Wohnung im dritten Stock eines Hauses in Lenadoon (ein Viertel in West Belfast). Es waren die frühen Jahre seiner Tätigkeit als Anwalt. In unserem ersten Treffen ging es um rechtliche Grundlagen für das Relatives Action Committee (RAC), eine Gruppe, die für den politischen Status der politischen Gefangenen eintrat und damit den Protest der Gefangenen unterstützte. Es war nicht unüblich, Pat auf RAC Treffen in Belfast zu sehen, wo er nervösen Angehörigen, die Angst um ihre in Haft befindlichen Angehörigen hatten, rechtlichen Beistand bot.

Ich erinnere mich an den Eifer, mit dem er internationale Protokolle über die Behandlung von Kriegsgefangenen in sogenannten "konventionellen Kriegen" studierte, um Sinn Feins Bemühen zu unterstützen, auf rechtlichem Wege die Forderungen der Gefangenen für politischen Status zu unterstützen, ihnen die rechtliche Anerkennung als Kriegsgefangene zu sichern und damit den drohenden Hungerstreik abzuwenden. Pat war immer Herr der Lage, unabhängig von den Bedingungen um ihn herum, ob in Zusammenarbeit mit protestierenden Angehörigen, im Gefängnis bei der Unterstützung politischer Gefangener, im Gerichtssaal, wenn er seine rechtlichen Argumente zu ihrer Verteidigung vor einem feindseligen Richter vorbrachte.

Pat gab den am meisten verwundbaren und machtlosen Menschen eine Stimme - denen, die durch die volle Gewalt des Staates niedergeworfen wurden. Für Menschen, die nach der Ermordung eines Angehörigen verwirrt und orientierungslos waren, war er ein Halt bei der Suche nach Wahrheit, genauso wie für Gefangene, die isoliert von Angehörigen und Freunden, lange Jahre im Gefängnis vor sich hatten.

Als die politischen Gefangenen in den H-Blocks sich ihrer grössten Bewährungsprobe gegenübersahen - dem Hungerstreik von 1981 - war Pat als Anwalt von Bobby Sands dabei. Für die, die Hilfe benötigten, war mit Pat's Ratschlägen die Zukunft weniger düster.

Bewaffnet nur mit seinem scharfen juristischen Verstand, war Pat Finucane ein gewaltiges Hindernis für diejenigen in der britischen Regierung und in der britischen Armee, die im Dunkeln arbeiteten und für die Menschenleben nichts wert waren.

Bevor er ermordet wurde, vertrat er die Familien der Opfer der britischen Todesschuss-Politik und des Einsatzes von Plastik-Geschossen. Diese Arbeit wurde durch seine Ermordung unterbrochen. Heutzutage kämpft sein Sohn, ebenfalls Anwalt, um Aufklärung für die Familien, deren Angehörige Opfer der Todesschuss-Politik der britischen Regierung geworden sind.

Diejenigen, die Pat ermordeten, wollten die Suche nach Aufklärung ermorden, die Angehörigen, für die er arbeitete, demoralisieren und verhindern, dass ihre dunklen Aktivitäten juristisch ans Licht gezerrt werden. Sie haben das Gegenteil erreicht, weil die Familie Finucane, vor allem seine Frau Geraldine, durch ihre unermüdliche Arbeit sicherstellte, dass Pat Finucane - auch nach seinem Tod wie zuvor in seinem Leben - ein Symbol der Hoffnung bleibt. Er steht noch immer als Hinderniss vor denen, die glauben, sie könnten morden und foltern, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, hier und überall auf der Welt.

Die Suche der Familie nach der Wahrheit über den Mord hat weltweite Aufmerksamkeit auf die britische Politik der Collusion (der Instrumentalisierung von Todesschwadronen durch die britische Regierung) gelenkt.

Wo immer Pat's Name genannt wird, wird die britische Regierung für seinen Mord verantwortlich gemacht, wie für den Mord an Hunderten anderer Opfer ihrer Politik der Todesschwadronen. Nach zwanzig Jahren kann das öffentliche Interesse nur durch eine unabhängige Untersuchung der Ermordung von Pat Finucane gewahrt werden. Die britische Regierung hat es bisher geschafft, den Deckel auf der Büchse der Pandorra zu halten, die das Thema "Collusion" bedeutet.

Aber die Wahrheit sickert heraus.

* Der Originalartikel (englisch, siehe unten) erschien in: Irish News, 19. Februar 2009


The truth is seeping out

Finucane an indictment of British collusion

By Jim Gibney **

19/02/2009

When human rights lawyer Pat Finucane was at the height of his legal prowess there were few solicitors in the north of Ireland prepared to advocate the rights of people the state forces viewed with contempt.

Loyalist assassins claimed his life in his 39th year and this year Pat Finucane would have celebrated his 60th birthday.

It is impossible to say the direction Pat’s legal life would have taken in the intervening 20 years. But prior to his killing a clear pattern had been established where he devoted a considerable amount of his time and his legal practice to defending those the state sought to crush through an array of repressive measures including murder.

An indication of Pat’s legal legacy can be seen in the stance his family have taken in pursuing relentlessly for 20 years and against powerful opponents – inside and outside the British government – the truth about the circumstances surrounding his murder.

I first met Pat and his wife Geraldine when they lived in a small third-storey flat in Lenadoon. It was the very early years of his legal practice. That first meeting was about Pat preparing a constitution for the Relatives Action Committee, (RAC) a group campaigning for political status for protesting political prisoners. It was not unusual to see Pat at RAC meetings in Belfast offering legal advice to distraught relatives fearful about the imprisonment of their loved one.

I recall his dedicated study of international protocols governing the treatment of POWs captured in, what were described as, ‘conventional’ wars as part of Sinn Fein’s attempts to pursue a legal route to end the protest for political status and prevent the prisoners embarking on a hunger strike by securing them recognition under the protocols as POWs. Pat was comfortable no matter the circumstances he was in, whether with campaigning relatives, in jails with political prisoners or representing both in the well of a courtroom with his legal arguments honed in their defence, invariably before a hostile judge.

In life Pat was a voice for the most vulnerable and powerless people – those who felt the full force of the state bearing down on them. People bewildered and at a loss left to cope with the aftermath of losing a relative in violent circumstances with their only anchor the search for truth or a prisoner isolated from his family and community facing a lengthy period behind bars.

When the political prisoners in the H-Blocks faced their greatest challenge – the Hunger Strike of 1981 – Pat was there as Bobby Sands’s solicitor. For those in need, with encouragement from Pat, the future was less daunting.

Armed only with his sharpened legal brain Pat Finucane was a formidable obstacle for those in the British government and military that operated in darkened recesses where people’s lives were expendable.

At the time of his killing he represented the families of those killed through the British government’s shoot-to-kill policy and use of plastic bullets. The work that he was doing was stalled by his murder. Today his son, a solicitor, is carrying on that work in pursuit of the truth for the families whose relatives were killed in the British government’s shoot-to-kill policy.

The intention of those who killed Pat was to kill off the search for the truth, to demoralise those relatives he worked for, to remove the legal spotlight from those darkened recesses. Of course the opposite has in fact happened because Pat’s family, particularly his wife Geraldine, has ensured that in death, as in life, Pat Finucane remains a symbol of hope and a barrier to those who believe they can kill and torture with impunity whether here or elsewhere in the world.

Their search for the truth has put a worldwide focus on the British government’s policy of collusion.

Wherever Pat’s name is mentioned the British government is indicted for his killing and that of hundreds of others through collusion. Twenty years on, the public interest can only be served by an independent inquiry into Pat’s murder. The British government thus far has managed to keep the lid on the Pandora’s Box that is collusion.

But the truth is seeping out.

** Irish News, February 19, 2009 (The Thursday Column)


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