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Vertane Chancen

Warum scheut der Bundestag vor der politischen Verantwortung zurück?

Von Christian Sterzing, Ramallah

Da hat die deutschen Nahost-Politikerinnen und -politiker doch wieder der Mut verlassen. Im Januar zeigte man sich noch tief beeindruckt vom Besuch der Initiatoren der Genfer Initiative und bereitete Yossi Beilin und Yassir Abed Rabbo mit ihren Delegationen einen großen Empfang. Vom Bundespräsidenten bis zu den Nahostexperten der Fraktionen - alle schafften Raum in ihren dicht gedrängten Terminkalendern, um sich für ein Gespräch Zeit zu nehmen, und versprachen tatkräftige Unterstützung. Nach einer zweistündigen (!) Debatte mit der "Genfer Delegation" im Auswärtigen Ausschuss wurde eine fraktionsübergreifende Bundestagsresolution avisiert.

Übrig geblieben ist eine lauwarme Sympathieerklärung nach einer müden Debatte. Das alles steht in einem beängstigenden Kontrast zur dramatischen Situation in der Region. Gewiss, die verabschiedete Entschließung mag als eine parteiübergreifende deutsche Positionsbestimmung zum Nahostpolitik im Großen und Ganzen taugen, auch wenn sich die eine oder andere merkwürdige Formulierung eingeschlichen hat. Doch man spürt das ehrliche Bemühen, beiden Seiten gerecht zu werden. Und das ist heute wahrlich nicht leicht!

Aber dass unter dem Strich nur ein warmer Händedruck für Yossi Beilin und Yassir Abed Rabbo herauskommt, ist dann doch enttäuschend. Das zentrale Petitum ihrer Gespräche in Bonn geriet offensichtlich in Vergessenheit (oder sind andere Einflüsse für dieses Versäumnis verantwortlich?): die Initiative nicht nur zu begrüßen, sondern sich bereit zu erklären, diese aktiv zu unterstützen und die in dem Abkommen der internationalen Gemeinschaft zugedachte Rolle anzunehmen; nicht nur als Schiedsrichter den Akteuren auf dem nahöstlichen Parkett gute Haltungsnoten zu geben, sondern als Akteure auf den Prozess Einfluss zu nehmen.

Die Unterstützung und Sympathie für die Genfer Initiative ist auf beiden Seiten des Konfliktes groß. Ein zentraler Kritikpunkt ist aber der "unverbindliche", der "utopische" Charakter dieses mutigen Unterfangens: "Das ist Träumerei!" Hier im Nahen Osten ist man vorsichtig geworden bei der Unterstützung von Initiativen, Friedensplänen und Lösungsvorschlägen. Man wartet lieber ab. Warum sich "verkämpfen" für etwas, was vielleicht aussichtslos ist? Viele - zu viele? - sind hier mit ihrem Überleben beschäftigt, mit ihrer Angst vor täglicher Gewalt und Demütigung, vor Terror und politischer Enttäuschung. Hoffnung - das scheint für viele ein Fremdwort, Hoffnung auf wen? Auf die verbohrten und gleichzeitig hilflosen politischen Führungen? Oder Hoffnung auf Hilfe von außen?

Genau hier setzt die internationale Verantwortung - und das heißt auch die des Bundestages und der Bundesregierung - ein: Zentraler Bestandteil der Genfer Initiative ist internationale Unterstützung, Beteiligung, ja Teilnahme an der Friedenslösung, sei es bei der Lösung der Flüchtlingsfrage, der finanziellen Kompensation, dem Problem des internationalen Monitoring, sei es durch Entsendung von Beobachtern, Initiativen bei der EU und im Quartett etc. Hier hätte es der unmissverständlichen Bereitschaft bedurft, sich bei den von der Genfer Initiative vorgezeichneten Regelungen aktiv zu beteiligen und den der internationalen Gemeinschaft zugedachten Part auch zu spielen. Das ist die Hoffnung und der verzweifelte Ruf von Beilin und Abed Rabbo an die internationale Gemeinschaft: Erklärt Euch bereit mitzumachen, Verantwortung zu übernehmen, damit die geschundenen Menschen in dieser Region, die in Verzweiflung und Resignation, in Terror und Gewalt zu versinken droht und der alle Welt - auch der Bundestag - nur noch mit freundlicher Vernachlässigung - und müden Debatten - begegnet, endlich eine friedliche Perspektive erhalten. Eine solche ausdrücklich erklärte Bereitschaft zum aktiven politischen Engagement - und das heißt mehr als Empathie - würde auch den Menschen hier wieder Mut und Perspektive geben, würde die Genfer Initiative aus dem "Himmel der Träume" auf den "Boden der Realität" herunterholen.

Es ist also falsch abzuwarten, was aus der Genfer Initiative wird, ob die Meinungen darüber in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft geteilt sind, ob die israelische Regierung und die palästinensische Autorität dafür oder dagegen sind, ob durch allzu konkrete Unterstützung in Israel "großer Interpretationsbedarf" entstehen würde. Ja, der Außenminister warnte sogar davor, dass durch zu deutliche Unterstützung und zu präzise Formulierungen "das Gegenteil von dem erreicht (würde), was das Haus will". Diese Fokussierung auf die israelische Regierung ignoriert die zivilgesellschaftlichen Prozesse in der Region. Das Einzigartige der Genfer Initiative liegt doch darin, dass statt einem hier ungeliebten Friedensprozess mit unbestimmtem Ziel und unter Ausklammerung aller zentralen Streitpunkte eine klar umrissene Lösung des Konflikts Gestalt angenommen hat und damit ein neuer gesellschaftlicher Diskussionsprozess angestoßen wurde, den es zu fördern gilt. Nur durch die erklärte Bereitschaft, an einer Regelung des Konfliktes auch aktiv mitzuwirken, werden der Bundestag und die Bundesregierung zu diesem Momentum beitragen können, so dass auch die Menschen hier spüren und erkennen, dass an der von der Genfer Initiative skizzierten Lösung auch die internationale Gemeinschaft aktiv mitarbeiten wird. Dies hätte die gesellschaftliche Debatte positiv beeinflussen und die noch schwankenden Menschen vielleicht davon überzeugen können, dass "Genf" etwas anderes als "Oslo" ist, dass "Genf" eben doch sehr realitätstauglich ist, weil die internationale Gemeinschaft an einer solchen Kompromisslösung auch aktiv mitwirken wird. Der Bundestag hätte - als Teil natürlich weiterer internationaler Bereitschaftserklärungen - somit als Katalysator wirken können.

Nicht der Erfolg der Genfer Initiative darf Voraussetzung für internationales Engagement sein, nein umgekehrt wird ein Schuh daraus: Internationale Unterstützung durch konkrete aktive Mitwirkung ist Voraussetzung für deren Erfolg. Der Bundestag hat leider eine Chance vertan.

Der Kommentar wurde für die Website www.genfer-initiative.de geschrieben und ist dort dokumentiert (siehe: Genfer Initiative).


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