Arafats Ausweisung ist ein Schritt in das Gewaltchaos
Friedensratschlag: Aufruf zum Frieden im Nahen Osten
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum Ausweisungsbeschluss der israelischen Regierung gegen Arafat und zu allgemeinen Gewalteskalation im Nahen Osten.
Pressemitteilung
Friedensratschlag: Aufruf zum Frieden im Nahen Osten
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Roadmap vor dem Aus
- Keine einseitigen Schuldzuweisungen: Konflikt hat strukturelle Ursachen
- Arafats Ausweisung ein Schritt in das Gewaltchaos
- Politiker sollen sich vor Arafat stellen
- 27. September soll Aktionstag für den Nahen Osten werden
Der Bundesausschuss Friedensratschlag nimmt zur dramatischen Gewalteskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt wie folgt Stellung:
Die Roadmap, die von den Vereinigten Staaten, der EU, Russland und den Vereinten Nationen in der Absicht verabschiedet worden war, die Gewaltexzesse im Nahen Osten zu stoppen und den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, steht vor dem vollständigen Aus. Die Wiederaufnahme von Anschlägen auf Zivilisten in Israel und jüdische Siedler in den besetzten palästinensischen Gebieten sowie die fortdauernden gezielten Angriffe und Razzien israelischer Truppen auf Menschen und Einrichtungen in den besetzten Gebieten haben die ohnehin geringe Hoffnung auf einen Erfolg des vor zwei Monaten beschlossenen Waffenstillstands zunichte gemacht.
Die nahezu unkontrollierbar gewordene Eskalation der Gewalt und die Aufeinanderfolge von Gewalttaten auf beiden Seiten verbieten es, einer der beiden Seiten die alleinige Schuld für die dramatische Zuspitzung der Lage zuzuweisen. Der andauernde Konflikt hat historische und strukturelle Ursachen, deren Kern die andauernde Besetzung palästinensischen Landes und die Missachtung der Rechte der Palästinenser durch die israelischen Behörden bilden. Es kann keinen Frieden im Nahen Osten geben, wenn dem palästinensischen Volk das Recht auf einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967 einschließlich der Hauptstadt Ostjerusalem verweigert wird. Und es kann ebenso keinen Frieden geben, wenn Israel nicht den Bau der Mauer stoppt, auf die völkerrechtswidrige Besiedlung palästinensischen Landes ein für alle Mal verzichtet und die Siedlungen räumt.
Es wird schließlich auch keinen Frieden geben, wenn sich Israel weigert, die Realitäten in Palästina anzuerkennen. Zu diesen Realitäten gehört der aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Palästinenserpräsident Yassir Arafat, Friedensnobelpreisträger 1995 (zusammen mit dem später von rechtsradikalen Israelis ermordeten Premierminister Rabin und dem damaligen Außenminister Peres). Ihn für "irrelevant" zu erklären, wie es Scharon kurz nach seinem Amtsantritt 2001 getan hat, ihn monatelang unter Hausarrest zu stellen (2002) und ihn jetzt durch Beschluss des israelischen Sicherheitskabinetts zum Abschuss frei zu geben, zeugt von völliger Verkennung der tatsächlichen palästinensischen Machtverhältnisse. Die Ausweisung Arafats bedeutet in Wirklichkeit dessen Tod - denn Arafat wird sich einer Ausweisung nicht fügen. Seine Liquidierung aber wäre das Signal für einen Ausbruch von Hass, Gewalt und Blutvergießen, ein allgemeines Gewaltchaos, wogegen die bisherige Intifada nur als ein harmloses Vorspiel erscheint.
Die Friedensbewegung in Deutschland ist sich ihrer Verbundenheit mit der israelischen Friedensbewegung und mit anderen Stimmen der Vernunft und Gewaltlosigkeit in beiden Lagern bewusst. Der Bundesausschuss Friedensratschlag unterstützt daher alle Bestrebungen, die sich der Eskalation widersetzen und die Gewaltspirale durchbrechen wollen. Die Verhinderung eines wie auch immer gearteten Angriffs auf Arafat ist die erste politische Aufgabe, zu der die israelische Regierung durch die Staaten der Welt, auch durch die Bundesregierung gezwungen werden muss. Israel muss zweitens dazu gebracht werden, seine gezielten Liquidierungen und andere "Vergeltungsaktionen" in den besetzten Gebieten einzustellen. Der Autonomiebehörde muss endlich die Gelegenheit gegeben werden, ihre Sicherheitsprobleme allein in die Hand zu nehmen. Nur so können schließlich die verbrecherischen Mordattentate auf Zivilisten unterbunden werden.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft die Friedensbewegung auf, sich des israelisch-palästinensischen Konflikts stärker anzunehmen als sie dies in der Vergangenheit - sicher aus einer wohl begründeten Zurückhaltung - getan hat. Ihre politischen Forderungen orientieren sich dabei an denen der israelischen Friedensbewegung. Gush Shalom, der israelische "Friedensblock", hat soeben beschlossen, mit "menschlichen Schutzschildern" den Amtssitz von Arafat zu beschützen. Wir meinen, es ist an der Zeit, dass auch prominente Politiker des Nahost-"Quartetts" ihrer Besorgnis um das Schicksal des Nahen Ostens dadurch Ausdruck verleihen, dass sie sich demonstrativ vor den Palästinenserpräsident stellen.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft die Friedensbewegung auf, am 27. September mit lokalen Aktionen, Kundgebungen, Mahnwachen oder Informationsveranstaltungen auf die hochexplosive Lage im Nahen Osten aufmerksam zu machen und von den Regierenden politische Lösungen zur Eindämmung des Konflikts einzufordern. Der 27. September soll in verschiedenen Ländern als Internationaler Aktionstag gegen den Irakkrieg und für einen gerechten Frieden im Nahen Osten begangen werden.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel, den 16. September 2003
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