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Mali: Keine Intervention! Kein neues Afghanistan!

Gemeinsame Stellungnahme aus Friedensforschung und Friedensbewegung

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Äußerungen aus dem Regierungs- und Oppositionslager sowie zahlreiche Kommentare und Leitartikel aus den Meinungsmedien zur Situation in Mali lassen den Eindruck entstehen, als käme die „internationale Gemeinschaft“ gar nicht daran vorbei, militärisch zu intervenieren. Und dies vornehmlich aus zwei Gründen: Erstens gehe es darum, den Zerfall des Staates Mali zu verhindern, damit sich dort keine „islamistischen“ Terrororganisationen einnisten; zweitens müsse der zu befürchtende Export terroristischer Aktionen über die Grenzen Malis und Afrikas hinaus verhindert werden. Der Komplexität der gesellschaftlichen und politischen Konfliktlinien in und um Mali wird diese Argumentation keinesfalls gerecht: Es geht dort um mehr als um den Maghreb-Ableger von Al Kaida oder um Drogen- und Waffenschmuggel. Der von Frankreich eingeschlagene Weg der kriegerischen „Stabilisierung“ Malis wird aller Voraussicht nach das Gegenteil dessen bewirken, was offiziell als Ziel ausgegeben wird. Und er trägt die Handschrift imperialistischer Politik einer altgedienten Kolonialmacht, die offenbar eine neue Chance in Afrika wittert.


Da hat Frankreich gerade seine Truppen aus Afghanistan zurückgezogen – und beginnt nun in Mali einen Krieg zur „Bekämpfung des Terrorismus“, dessen Begründung fast wortgleich jener gleicht, die die USA und die NATO für ihren verlorenen Krieg in Afghanistan verbreitet hatten. Seit bald zwanzig Jahren ist die Sahel-Zone ein Unruhegebiet als Folge der (klima-bedingten) Dürrekatstrophe, die die Viehherden der Nomadenvölker vernichtet hat. Besonders betroffen davon sind die Tuareg-Stämme, die nie einen eigenen Staat erhielten, sondern aufgrund willkürlicher Grenzziehung durch den französischen Kolonialismus auf die Staaten Algerien, Libyen, Niger, Mali und Burkina Faso verteilt leben. Ihre Aufstände wurden in den letzten zwanzig Jahren immer heftiger.

Die nun beschworenen „islamistischen Terroristen“ kontrollieren seit mehr als zehn Jahren den Rauschgiftschmuggel, der von Kolumbien über Westafrika und die Sahara nach Europa fließt. Sie alimentieren sich durch Kontrolle und Erpressung der Migranten, die von Schwarzafrika ans Mittelmeer streben und aus vielfältigen Entführungen von Technikern vor allem des französischen Atomkonzerns Areva und von diversen Geheimdienst-Agenten, die in der Region aktiv sind. Die bekannteste Gruppe, die sich jetzt Al Kaida im Islamischen Maghreb nennt, wurde erstmals bekannt als GSPC (Groupe Salafiste de Prédication et du Combat), die 2003 für 32 entführte europäische Touristen 15 Mio. Lösegeld kassierte. Sie wurde schon damals an der langen Leine des algerischen Geheimdienstes geführt – das dürfte bis heute gelten. Es war diese Gruppe, die von den USA zum Anlass genommen worden war, um 2007 ein Regionalkommando für Afrika (African Command, kurz: Africom) aufzustellen, dessen Hauptaufgabe die Bekämpfung des (islamischen) Terrorismus in Afrika sein sollte.

In Mali rächt sich nun der vor allem von Frankreich voran getriebene Krieg in Libyen mit dem Ziel des Sturzes von Mu’ammar Qaddhafi: Der Sahel ist überschwemmt mit teils hoch modernen Waffen, die nach der Zerstörung der Staatlichkeit Libyens in die Hände zahlreicher Banden gerieten, darunter auch Tuareg-Stämme, die für Qaddhafi gekämpft hatten. Ihre Rebellion gegen die Zentralregierung in der malischen Hauptstadt Bamako und die Ausrufung eines „unabhängigen Staates Awazad“ – eines Staates der Tuareg musste für Frankreich wie die Mehrzahl der Sahel-Staaten eine Bedrohung sein, gefährdete sie doch die kolonial etablierte „Ordnung“: Es geht also nicht primär um Mali, sondern vor allem um das benachbarte Niger, den drittgrößten Uranproduzenten der Welt, der de facto beherrscht wird vom weltgrößten Atomanlagenbauer und Nuklearkonzern Areva, einer französischen Firma. Auch das Frankreich des sozialistischen Präsidenten Hollande erweist sich so als Schützer der Interessen jener Konzerne, die auch 50 Jahre nach der formalen Unabhängigkeit die ehemaligen Kolonien fest im Griff haben.

Die Existenz moderner Waffen in der Region verdankt sich aber auch der aggressiven Politik des Golfemirats Katar, das schon in der Frühphase des arabischen Frühlings islamistische Rebellen in Libyen großzügig mit Waffen belieferte – mit Wissen und in Abstimmung mit den USA, Frankreich und Großbritannien. In einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP, 2/2012) heißt es: „Katar dirigierte Waffen und Geld in erster Linie an islamistische Rebellen … In Bengasi wurden vor allem Milizen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft beliefert, in den westlichen Bergen die Einheiten des ehemaligen Jihadisten und späteren Militärkommandeurs von Tripolis, Abdalhakim Belhaj.“ Grob gesprochen lässt sich sagen: Während die Tuareg-Kämpfer mit Waffen aus den Arsenalen Qaddhafis nach Mali (zurück) gekommen sind, werden die Kämpfer der islamistischen „Ansar al-Din“ und der „Bewegung für Einheit und Djihad“ von Katar aus mit Geld, Waffen und Munition versorgt. Das einzige, woran in Mali kein Mangel besteht, sind Mordwerkzeuge.

Für seine Militärintervention - mit Mordwerkzeugen aus der Luft, zunehmend aber auch am Boden - beruft sich Frankreich auf die Resolution 2071 (2012) des UN-Sicherheitsrats, die in Ziffer 9 die „Mitgliedsstaaten, regionale und internationale Organisation einschließlich der Afrikanischen Union und der Europäischen Union dazu aufruft, so schnell wie möglich koordinierte Hilfe, Expertise, Ausbildung und Fähigkeiten“ der malischen Armee zur Verfügung zu stellen, … „um die Einheit und territoriale Integrität Malis aufrecht zu erhalten“. Hieraus das Recht auf eine Militärintervention herauslesen zu wollen, ist ein politischer Kraftakt. Und in der jüngsten Resolution 2085 vom 20. Dezember findet sich kein über die oben zitierte Formel hinausgehender Beschluss. Im Gegenteil: Ausdrücklich wird in Ziffer 11 dieser Resolution betont, „dass die militärische Planung vor dem Beginn der offensiven Operation weiter präzisiert werden“ müsse. Das ist bisher nicht geschehen. Wohl deshalb beruft sich Frankreich auf eine (bestellte?) formale Bitte der nach einem Militärputsch in Bamako eingesetzten Übergangsregierung zur Legitimation seiner Intervention.

Dieser nun französische „Krieg gegen den Terror“ entpuppt sich also als Krieg zur Wahrung von Interessen. Ihn militärisch zu gewinnen, dürfte noch schwieriger sein als in Afghanistan: Der Raum ist wesentlich größer als Afghanistan, das Gelände, den Aufständischen bestens bekannt, noch schwieriger. Geradezu ironisch erscheint die Zurückhaltung der USA, die sich mit ihrem eigens dafür geschaffenen Instrument, Africom, an diesem Krieg nicht beteiligen. Anders scheint es in der EU zu sein, in der nicht nur Frankreich erheblichen Einfluss hat, sondern wo auch unter deutschen „Verteidigungspolitikern“ schon mit den Hufen gescharrt wird, um aus Frankreichs Krieg ein Unternehmen der EU zu machen – mit dem Ziel, die Rolle des deutschen Militärs auch weltweit voranzutreiben. Ernst zu nehmen ist die Drohung einer der Gruppierungen des Sahel, der „Bewegung für Einheit und Djhad in Westafrika“, die bereits Terroranschläge in Frankreich angekündigt hat: In der Folge der Kolonisation lebt eine Vielzahl von Menschen aus dieser Region in Frankreich. Der „Krieg gegen den Terror“, der in Wirklichkeit wirtschaftliche Interessen verfolgt, wird Krieg und Terror auch nach Frankreich und Europa bringen!

Welche Perspektiven sehen wir?

1. Die ersten Aktionen der französischen Armee zeigen bereits, dass sich in Mali ein veritabler Luftkrieg mit all seinen Begleiterscheinungen wie Flächenbombardements, Zerstörungen und zahlreiche zivile Opfer zu entwickeln beginnt. Es ist reines Wunschdenken des französischen Präsidenten, dass die Militäroffensive binnen einer Woche dazu führen könnte, die avisierten 3.300 Soldaten der ECOWAS-Staaten ins Land zu holen, damit diese die „Rückeroberung“ des nördlichen Landesteils (immerhin ein Gebiet von der Größe Frankreichs und Spaniens zusammen genommen!) bewerkstelligen würden. Viel eher erwarten wir eine Ausweitung der Kampftätigkeiten auch im Süden Malis.

2. Der „Krieg gegen den Terror“, den die USA 2001 in Afghanistan begannen und 2003 gegen Irak fortsetzten und der 2011 als NATO-Krieg gegen das Qaddhafi-Regime in Libyen geführt wurde, hat bisher in keinem Fall zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Afghanistan ist nach 11 Jahren Krieg ein Desaster, Irak gründlich destabilisiert und in Libyen sind Kräfte an die Macht gespült worden, die dem salafistischen Islam näher stehen als der westlichen Kriegsallianz. Eine ausländische Intervention in Mali wird keine anderen Ergebnisse zeitigen: Im schlimmsten Fall wird nicht nur Mali, sondern werden auch die angrenzenden Staaten destabilisiert. Der Antiterrorkrieg wird auch in dieser Region zu einer Schwächung staatlicher Strukturen bis hin zu deren Verfall und zur Vervielfachung und Stärkung der terroristischen Organisationen beitragen.

3. Frankreich wird – selbst wenn kurzfristige militärische Erfolge möglich erscheinen - über kurz oder lang in seine historische Rolle als Kolonialmacht zurückfallen, die in ihrer Einflusszone die Kontrolle über die wichtigsten Rohstoffquellen und Transportwege beibehalten oder wieder gewinnen will.

4. Eines der Hauptargumente, die heute von der politischen Klasse bemüht werden, um ein energisches Eingreifen in Mali zu rechtfertigen, lautet: Al Kaida und seine Ableger in Nordafrika und der Sahelzone müssen militärisch bezwungen werden, damit sie sich nicht über den Mittelmeerraum bis in die Europäische Union hinein ausbreiten und hier ihre Terroraktivitäten entfalten. Doch genau das wird die Folge des militärischen Eingreifens sein – nicht nur in Frankreich, sondern auch in den Staaten, die Frankreich direkt oder indirekt unterstützen.

Welche Alternativen gibt es?

Die Alternativen zu diesen Horrorszenarien liegen demnach auf der Hand: Alles andere ist aussichtsreicher als die begonnene Militärintervention.
  • Dazu gehören ernsthafte Versuche, die verfeindeten Parteien zu Gesprächen zu bewegen.
  • Dazu gehören Überlegungen, wie ein Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Landesteilen und ihren Bewohnern aussehen könnte.
  • Dazu gehört schließlich die Anerkennung des Prinzips des Gewaltverbots in den internationalen Beziehungen. Die Regierungen des Westens sollten sich bei jedem innerstaatlichen Gewaltkonflikt mehr und bessere Gedanken machen, als gleich nach dem Militär zu rufen.
  • Sache der Malier ist es, in einem Dialogprozess nach politischen Lösungen der Staats- und Gesellschaftskrise zu suchen.
Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie einem Kampfeinsatz der Bundeswehr in Mali eine Absage erteilt.

Die Bundesregierung wäre auch gut beraten, wenn sie eine Unterstützung (z.B. logistischer Art) für den französischen Krieg ebenfalls nicht ins Auge fassen würde. Eine solche Unterstützung sollte sich auch für die Europäische Union verbieten.

Kassel, 16. Januar 2013

Für die AG Friedensforschung und den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Prof. Dr. Werner Ruf, Dr. Peter Strutynski


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