Ärzteorganisation IPPNW entschieden gegen NATO- und Bundeswehreinsatz
Ermutigung für Abweichler in Koalitionsfraktionen - Zwei Erklärungen im Wortlaut
IPPNW, Berlin, den 23. August 2001
Die Internationalen Ärzte für Frieden und in sozialer
Verantwortung (IPPNW) danken in einem persönlichen
Brief den dreißig SPD-Bundestagsabgeordneten, die den
Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Mazedonien im Auftrag
der Nato aus friedenspolitischen Erwägungen ablehnen.
Die IPPNW hofft, dass die Abgeordneten trotz des jetzt
zu erwartenden politischen Druckes bei ihrer Ablehnung
bleiben.
In einem von dem Psychoanalytiker Horst-Eberhard
Richter, Ehrenvorstandsmitglied der IPPNW und Direktor
des Siegmund-Freud-Institutes in Gießen,
unterzeichnetem Brief, begrüßt die IPPNW die Courage
der Abgeordneten, die deutsche Außenpolitik dazu
anzuhalten, internationale Aufgaben der
Konfliktschlichtung nicht an die Nato zu delegieren.
"Die Nato ist zur Stiftung von parteiübergreifenden
Vertrauen - Grundlage einer echten Befriedung - schon
deshalb ungeeignet, weil sie sich in den Augen der
Bevölkerung längst als Bundesgenossin der Albaner
diskreditiert hat. Sie haben ganz recht damit, dass
eine wirklich friedenssichernde Konflikthilfe das
Engagement der OSZE und der UN einschließen sollte",
heißt es in dem Brief.
Die Haltung der Abgeordneten lässt nach Ansicht der
IPPNW diejenigen wieder Mut schöpfen, denen die Abkehr
der Koalition von ihren vor der Wahl und danach
gelobten friedenspolitischen Prinzipien großes
Unbehagen bereitet.
Die IPPNW appelliert zudem an alle Abgeordneten des
Deutschen Bundestags, einer Stationierung Deutscher
Soldaten und anderer Einheiten der NATO in Mazedonien
nicht zuzustimmen, sondern stattdessen die UN
aufzufordern, Blauhelme in die Krisenregion zu
entsenden. "Der ´NATO-Serbien-Kosovokrieg` hat
gelehrt," so Professor Ulrich Gottstein
Ehrenvorstandsmitglied der IPPNW aus Frankfurt, "dass
mit dem NATO-Kriegseinsatz nicht nur das Völkerrecht
und die Genfer Konventionen sträflich verletzt wurden,
sondern auch ein stabiler Frieden in Gerechtigkeit für
beide Seiten nicht erzielt wurde. Mit dem Einsatz der
NATO und deutschem Militär in Mazedonien besteht die
Wahrscheinlichkeit, dass wieder die NATO in
Kampfeinsätze verwickelt wird."
Für die IPPNW ist Aufgabe der Vereinten Nationen, mit
der Entsendung von Blauhelmen, und der Europäischen
Union mit der Entsendung von OSZE-Kontingenten für die
Einhaltung des Waffenstillstandes zur Vorbereitung
eines Friedensprozesses tätig zu werden.
IPPNW, 15. August 2001
Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges ermutigen Bundestagsabgeordnete,
die einen Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien aus friedenspolitischen Überlegungen
ablehnen, bei dieser Ablehnung gegen den zu erwartenden massiven politischen Druck zu
bleiben.
Die IPPNW lehnt einen Einsatz aus grundsätzlichen Erwägungen ab und befürchtet als Folge der
anstehenden Entscheidung eine Festigung der Militarisierung deutscher Außenpolitik. Kritische
Stimmen sind jetzt besonders wichtig, da die Zusage, der NATO-Krieg gegen Jugoslawien ohne
VN-Mandat bliebe eine Ausnahme, vergessen scheint.
Die IPPNW sieht im NATO-Vertrag keine rechtliche Grundlage für ihren Einsatz in Mazedonien
und hält zudem die Entsendung deutscher Soldaten für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Die
NATO sieht keine anderen Formen von Militäreinsätzen als zu Zwecken der Verteidigung vor,
weswegen sie sich nicht selbst zu dem Einsatz "Essential Harvest" mandatieren kann. Erfolgt
der Einsatz der Soldaten aber nicht nach den Regeln eines "akzeptierten Systems gegenseitiger
kollektiver Sicherheit", dann verstößt ihr Einsatz gegen das Grundgesetz und dessen Deutung
nach dem "Out of Area-Urteil" vom 12. Juli 1994. Alleine der Sicherheitsrat kann laut Charta der
VN die NATO beauftragen.
Über die juristischen Bedenken hinaus kümmern die IPPNW die politischen Folgen des
anstehenden Entscheids. Für einen Soldateneinsatz gibt es keine Notwendigkeit und zudem wird
er sich für die Entwicklung in Mazedonien und für die internationale Sicherheitspolitik als äußerst
konfliktträchtig zeigen. Die IPPNW bedauert, dass die Politik der Bundesregierung einen Beitrag
zur weiteren Schwächung der VN und der OSZE leistet. Anstatt den VN die Befähigung zu
internationaler Krisenprävention als weltumspannender Ein-richtung des Interessensaustausches
auf rechtlicher Grundlage zu ermöglichen, beteiligt sich Deutschland daran, die NATO als
Interessensvertretung einiger mächtiger Staaten zunehmend an ihre Stelle zu setzen.
Eine Entwaffnung der Separatisten muss und kann von anderen Kräften als Soldaten der NATO
durchgeführt werden. Der Einsatz adäquater Mittel zivilgesellschaftlicher internationaler
Prävention wäre ein wichtiger Beitrag für ein multiethnisches Mazedonien auf dem Weg nach
Europa. Die Bereitstellung zivilgesellschaftlicher Kräfte belegt zugleich die notwendige Distanz
zu der widersprüchlichen Politik der USA gegenüber den albanischen Extremisten und der
Souveränität Mazedoniens.
Es sollte jedem klar sein: Die Entscheidung nur als eine der Entsendung von Soldaten zum
30-tägigen Waffensammeln zu sehen, verkürzt das Problem. Ein Ja zementiert Deutschland in
ein USA-gelenktes Bündnis, von dem andere Länder in Zukunft befürchten müssen, außerhalb
konfliktregelnder internationaler Zusammenschlüsse, belangt zu werden. Mit Rückblick auf die
Entscheidung zum Waffengang der NATO gegen Jugoslawien fordert die IPPNW die vollständige
Aufklärung des Parlaments und der Öffentlichkeit über alle Bedingungen und mögliche
Perspektiven der Entwicklung in Mazedonien und der gesamten Region. Nur ein gleicher
Wissensstand der Parlamentarier mit der Bundesregierung ermöglicht dem Souverän die volle
demokratische Kontrolle über zentrale Anliegen deutscher Politik.
Die IPPNW lehnt Gewalt grundsätzlich ab, es gibt auch keine Rechtfertigung für Gegengewalt.
Eine Gewaltspirale bessert nicht, was grundsätzlich falsch ist - sie verschlimmert nur die Lage.
Seit jeher fordern wir eine prä-ventive Politik, die den Einsatz von Gewalt politisch nicht honoriert.
Leider ist aber zu konstatieren, dass oftmals erst der Einsatz von Gewalt zu Reaktionen der
internationalen Gemeinschaft führt. Die IPPNW appelliert an alle Beteiligten, jede Chance zu
einem friedlichen Ausgleich der Interessen zu ergreifen und zu verstehen, dass allein darin
Lösung und Zukunft liegen. Es liegt besonders in der Verantwortung der Europäer, der Region
des ehemaligen Bundesstaates Jugoslawien eine Entwicklungsperspektive zu bieten, die den
Menschen eine vertrauenswür-dige wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Zukunft bieten.
Quelle: www.ippnw.de
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