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Gaddafi wird zum Herrscher ohne Land

UN-Sicherheitsrat verabschiedete Sanktionen gegen libysche Führung / Tunesien: Die Revolte geht weiter *

In Libyen fielen weitere Städte in die Hände der Opposition. Dennoch will Staatschef Gaddafi nicht aufgeben. Der UN-Sicherheitsrat hatte am Sonnabend (26. Feb.) Sanktionen gegen seinen Machtapparat beschlossen.

Zwölf Tage nach Beginn der Unruhen in Libyen ist Staatschef Muammar al-Gaddafi die Herrschaft über das eigene Land weitgehend entglitten. Seine Gegner nahmen am Sonntag sowohl die drittgrößte Stadt Misurata als auch die nur 50 Kilometer westlich der Hauptstadt Tripolis gelegene Stadt Al-Sawija ein. Der Gaddafi-Clan herrsche damit nur noch in einigen Stadtvierteln in Tripolis sowie Sirte, der Heimatstadt des 68-Jährigen, berichtete der katarische Fernsehsender Al-Dschasira. In der Hauptstadt herrschte am Sonntag gespannte Ruhe. Der einstige Revolutionsführer denkt nach Informationen von Al-Dschasira indes nicht an Aufgabe oder Exil. Gaddafi wolle eher sterben als Tripolis verlassen, berichtete der Sender unter Berufung auf engste Familienkreise. Während sich der Gaddafi-Clan im Militärkomplex Bab al-Asisija in Tripolis verschanzt hat, bildete der bisherige Justizminister Mustafa Abdul Dschalil nach Angaben des Fernsehsenders Al-Arabija in Bengasi, der zweitgrößten Stadt, eine Übergangsregierung. Er kündigte demokratische Wahlen unter internationaler Beobachtung an.

Am Samstag hatte der UN-Sicherheitsrat einstimmig Sanktionen gegen Gaddafi und sein Umfeld beschlossen. Die in New York verabschiedete UN-Resolution 1970 verurteilt »die Anstiftung zu Feindseligkeit und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung durch die höchste Ebene der libyschen Regierung« und sieht ein Waffenembargo, Reiseverbote und Kontosperrungen vor. Der Internationale Strafgerichtshof soll die Gewalttaten prüfen, weil der Tod von mehr als tausend Zivilisten »Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen« könne.

In der vergangenen Woche sind mehr als 100 000 Menschen vor den Unruhen aus Libyen geflohen, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Genf mit.

In Tunesien gab es am Wochenende neue Proteste, bei denen mindestens drei Menschen starben. Der Chef der Übergangsregierung, Mohammed Ghannouchi, erklärte daraufhin seinen Rücktritt. Er hatte unter dem am 14. Januar gestürzten Staatschef Zine El Abidine Ben Ali als Regierungschef gedient und danach den Vorsitz der Übergangsregierung übernommen.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Februar 2011


Bundeswehr in Libyen

Von Karin Leukefeld **

Erstmals seit 1997 waren am Wochenende wieder deutsche Militärflugzeuge zu einem bewaffneten Evakuierungseinsatz im Ausland unterwegs: 132 Personen, darunter 22 Deutsche, wurden am Samstag aus Libyen ausgeflogen. Vor 14 Jahren fand eine ähnliche Kommandoaktion in der albanischen Hauptstadt Tirana statt. Bild am Sonntag berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, Fallschirmjäger aus Seedorf seien an Bord der zwei »Transall«-Maschinen gewesen, die die ausländischen Staatsangehörigen von einem Flughafen nahe dem Ölfeld Nafurah in Sicherheit brachten. Die Bundeswehr hatte zuvor mitgeteilt, daß die Menschen auf die griechische Insel Kreta geflogen worden seien. Auch die britische Luftwaffe evakuierte etwa 150 britische Arbeiter aus Ölförderanlagen in der ostlibyschen Wüste. Das Londoner Verteidigungsministerium bestätigte, daß zwei »Herkules«-Militärmaschinen in der Wüste gelandet seien und die Leute ausgeflogen hätten. Eine offizielle Genehmigung der libyschen Regierung oder von Behörden war in beiden Fällen weder eingeholt noch erteilt worden.

International gibt es weiterhin Überlegungen für eine größere militärische Intervention in Libyen. Der UN-Sicherheitsrat beschloß am Wochenende einstimmig Sanktionen gegen Oberst Muammar Al-Ghaddafi und vier seiner engsten Familienangehörigen, schloß aber einen Militäreinsatz zur Durchsetzung einer Flugverbotszone über Libyen vorerst aus. Die UN-Sicherheitsratsresolution 1970 legt ein Reiseverbot sowie das Einfrieren aller Konten fest. Der Sicherheitsrat ordnete eine Untersuchung der Ereignisse in Libyen in den letzten zehn Tagen an, um festzustellen, ob es sich beim Vorgehen Ghaddafis und seiner Getreuen um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt. In dem Fall könnte Ghaddafi vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt werden. Außerdem wurde ein Waffenembargo gegen Libyen verhängt.

Saif Al-Islam Al-Ghaddafi, der bisher als möglicher Nachfolger seines Vaters galt, hatte am Wochenende internationale Medien nach Tripolis eingeladen, um sie davon zu überzeugen, daß die Lage im Land ganz anders sei, als arabische Medien der Welt berichteten. Vorher hatte er vor allem den Nachrichtensender Al-Dschasira beschuldigt, Bilder über Angriffe auf Zivilisten und über Tote in den Straßen libyscher Städte gefälscht zu haben. Saif Al-Islam Al-Ghaddafi schloß einen Rücktritt seines Vaters aus, räumte bei der Pressekonferenz allerdings »Probleme in Misurata und Zawwiya« ein, zwei Städte westlich von Tripolis, die nach Angaben der Opposition der Kontrolle Ghaddafis weitgehend entglitten seien. In Zawwiya scheint die Lage jedoch unklar zu sein, nachdem der General einer Panzerbrigade, der sich nach seiner Festnahme durch die Opposition zunächst auf deren Seite gestellt hatte, wieder zu seiner Brigade zurückgekehrt sein soll und den Ort inzwischen mit rund 40 Panzern erneut anzugreifen droht.

Aus dem Osten des Landes, wo sich die meisten Ölvorkommen Libyens befinden, melden Medien ein Vorrücken von Oppositionellen auf Tripolis, die sich offenbar mit Waffen desertierter Armee-Einheiten eingedeckt haben. In Tripolis gibt es zwar Demonstrationen, doch scheinen bestimmte Teile der Stadt weiterhin fest unter der Kontrolle von Ghaddafi-Getreuen zu sein.

Der frühere Justizminister Mustafa Abdel Dschalil berät sich derweil weiterhin mit Volkskomitees und Stammesvertretern, um eine Übergangsregierung auf die Beine zu stellen, die Neuwahlen innerhalb von drei Monaten vorbereiten soll.

** Aus: junge Welt, 28. Februar 2011

Keine Militärintervention in Libyen

Dokumentiert: Der erste Parlamentariertag der Partei Die Linke am 26. Februar 2011 in Magdeburg verabschiedete folgende Erklärung einstimmig:

Die Linke fordert, die Gewalt und das Morden in Libyen sofort zu beenden. Der Wille der Bevölkerung nach einem Leben in Würde, in Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit darf nicht länger mit brutaler Repression und Gewalt unterdrückt werden. Unsere Solidarität gilt den Menschen, die jetzt aufgestanden sind und für ihre Rechte streiten.

Alle Staaten sind aufgefordert, jegliche Waffenlieferungen und finanzielle Hilfen für das alte Regime in Libyen zu beenden. Wir weisen alle Überlegungen innerhalb der NATO- und EU-Staaten zurück, in Libyen militärisch zu intervenieren. Eine solche Intervention würde nur zur Gewalteskalation beitragen, zu mehr Blutvergießen führen, die Opposition schwächen und dem GHaddafi-Regime nützen. Jetzt geht es darum, den aus dem Land flüchtenden Menschen zu helfen und die Widerstands- und Befreiungsbewegung in Libyen konsequent zu unterstützen.



Security Council imposes sanctions on Libyan authorities in bid to stem violent repression

26 February 2011 – The Security Council today voted unanimously to impose sanctions against the Libyan authorities, slapping the country with an arms embargo and freezing the assets of its leaders, while referring the ongoing violent repression of civilian demonstrators to the International Criminal Court (ICC).

In its Resolution 1970, the Council obligated all United Nations Member States to “freeze without delay all funds, other financial assets and economic resources which are on their territories, which are owned or controlled, directly or indirectly, by the individuals or entities” listed in resolution.

The Council imposed a travel ban on President Muammar Al-Qadhafi and other senior figures in his administration, including some members of his family and other relatives.

“All Member States shall immediately take the necessary measures to prevent the direct or indirect supply, sale or transfer to the Libyan Arab Jamahiriya, from or through their territories or by their nationals, or using their flag vessels or aircraft, of arms and related material of all types, including weapons and ammunition,” according to the arms embargo clause of the resolution.

The arms embargo also prohibits Libya from exporting all arms and related materiel, and obligates UN Member States to prevent the procurement of such items from Libya by their nationals.

The Council directed the Libyan authorities to cooperate fully with the ICC in its investigations of the situation in Libya since 15 February 2011, while recognizing that the country is not party to the Rome Statute that created the Court.

In their resolution, members of the Council said that they considered that the “widespread and systematic attacks currently taking place in the Libyan Arab Jamahiriya against the civilian population may amount to crimes against humanity.”

The Council demanded an immediate end to the violence and called for steps to fulfil “the legitimate demands of the population.” It called upon the Libyan authorities to ensure the safety of all foreign nationals and their assets, and to facilitate the departure of those wishing to leave the country.

It also called for safe passage of humanitarian and medical supplies, and humanitarian agencies and workers, into Libya, and demanded the immediately lifting of restrictions on the media.

In remarks to the Security Council soon after the resolution was adopted, Secretary-General Ban Ki-moon welcomed the move, saying that while the measure cannot, by itself, end the violence and the repression, it is a clear expression of the will of a united community of nations.

“The actions taken by the regime in Libya are clear cut violations of all norms governing international behaviour and serious transgressions of international human rights and humanitarian law,” said Mr. Ban.

“It is of great importance that the Council in response has reached the consensus and is determined to uphold its responsibilities for the maintenance of international peace and security,” he said.

He reiterated that peace and stability are at stake across the Arab world, adding that the world's collective challenge is to provide real protection and halt the ongoing violence.

“The text sends a strong message that gross violations of basic human rights will not be tolerated, and that those responsible for grave crimes will be held accountable.

“I hope the message is heard, and heeded, by the regime in Libya. I hope it will also bring hope and relief to those still at risk. The sanctions you have imposed are a necessary step to speed the transition to a new system of governance that will have the consent and participation of the people,” said the Secretary-General.

He said he will continue to monitor the situation closely and remain in close touch with world and regional leaders to ensure their support for swift and concrete international action.

“I would like to take this opportunity to express my solidarity with the people of Libya as they brave the bloodshed and as they cope with possible shortages of food and medical supplies and other humanitarian impacts.

“As the Libyan people take their destiny into their hands, as is their right, I hope that the new future for which they yearn, peaceful, prosperous and democratic, will soon be theirs,” Mr. Ban added.

Source: UN News Centre, 26 February 2011; www.un.org


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