Gegen die Logik des Krieges
Von Peter Strutynski *
Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien,
bzw. gegen das, was zu jener Zeit
noch von Jugoslawien übrig geblieben
war, bedeutete eine Zäsur in der Geschichte
der NATO und der Bundesrepublik
Deutschlands.
Dieser Krieg wurde geführt, ohne
dass ein einziger NATO-Soldat zu
Schaden gekommen wäre. Auf serbischer
Seite dagegen wurden zahlreiche
Todesopfer unter der Zivilbevölkerung
gezählt, Brücken zerstört, Flüchtlingstrecks
und Züge angegriffen,
Klöster, Kirchen und andere Kulturdenkmäler
zerstört, Krankenhäuser
und Schulen dem Boden gleichgemacht
und Botschaftsgebäude und
Fernsehanstalten zerbombt.
Erstmals in ihrer damals 40-jährigen
Geschichte trat die NATO in einen
Krieg ein – allerdings ohne sich verteidigen
zu müssen, sondern um anzugreifen.
Und zum ersten Mal beteiligte
sich das größer gewordene Deutschland
an einem Krieg auf einem Schauplatz,
der bislang – einem Diktum des
früheren Kanzler Helmut Kohl zufolge
– für deutsche Soldaten Tabu sein
sollte. Das war in der Tat ein gewaltiger
Schritt aus einer Phase der außenund
militärpolitischen Zurückhaltung in
eine neue Phase selbstbewusster politischer
und militärischer Interessenvertretung.
Nie wieder Krieg ohne Deutschland?
Die Zeit des Kalten Kriegs war dadurch
gekennzeichnet gewesen, dass
die BRD in ihrem außenpolitischen
Handlungsspielraum einerseits eingeschränkt
war (es galten die alliierten
Vorbehaltsrechte), andererseits als
Partner der Westmächte durchaus
gleichberechtigt auftreten konnte –
wozu auch der wirtschaftliche Aufschwung
wesentlich beitrug. Die letzten
Reste der alliierten Vorbehalte
wurden erst mit dem Zwei-plus-Vier-
Vertrag und der deutschen Einigung
beseitigt. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag
hieß es in Artikel 7: „Das vereinte
Deutschland hat demgemäß volle Souveränität
über seine inneren und äußeren
Angelegenheiten.“ Allerdings wurde
Deutschland darauf verpflichtet,
dass „von deutschem Boden nur Frieden
ausgehen wird“ (Art. 2), dass es
„auf Herstellung und Besitz von und
auf Verfügungsgewalt über atomare,
biologische und chemische Waffen“
verzichtet (Art.3) und dass die Personalstärke
seiner Armee einen bestimmten
Umfang nicht überschreitet
(ebd.).
Der Verzicht auf Massenvernichtungswaffen
ist indessen keine
wirkliche Beschränkung; sie gilt für alle
Staaten, die den entsprechenden Rüstungskontrollregimen
beigetreten sind
(Atomwaffensperrvertrag, Konventionen
über biologische und chemische
Waffen). Und die besondere Friedensverpflichtung
war in der Sache bereits
im Bonner Grundgesetz enthalten, in
dem es in Art. 26, Ziffer 1 heißt:
„Handlungen, die geeignet sind und in
der Absicht vorgenommen werden,
das friedliche Zusammenleben der
Völker zu stören, insbesondere die
Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten,
sind verfassungswidrig. Sie
sind unter Strafe zu stellen.“
Mit Kriegslügen zum Menschenrechts-Desaster
Die beiden größten und skandalösesten
Kriege, an denen sich Deutschland
beteiligte und heute noch beteiligten,
waren der Krieg gegen Jugoslawien
1999 und ist noch heute der Krieg
in Afghanistan. Beide wurden angeblich
aus „humanitären“ Gründen geführt.
1999 sollte eine humanitäre Katastrophe
verhindert werden. Dazu
wurden der deutschen Öffentlichkeit
faustdicke Lüge aufgetischt: Von einem
serbischen Vernichtungsplan der
Kosovo-Albaner, dem sog. Hufeisenplan,
war die Rede, von einem Racak-
Massaker und sogar von „serbischen
KZs“. Die wirkliche humanitäre Katastrophe
trat aber erst ein, als die
NATO am 24. März 1999 mit ihren
Bombardierungen begann. Hunderttausende
Kosovo-Albaner flüchteten in
die angrenzenden Länder. Im Ergebnis
des Krieges wurden rund zweihunderttausend
Serben aus dem Kosovo vertrieben,
wurde ein faktisches Protektorat
des Westens errichtet und schließlich
– gegen jedes Völkerrecht – ein
unabhängiger Staat ausgerufen.
Mit Lügen war auch der Krieg gegen
Afghanistan gepflastert. Ging es
zunächst ausschließlich um die Organisierung
dessen, was George W.
Bush als Reaktion auf den 11. September
2001 den „Krieg gegen den
Terror“ nannte, so wurden im Laufe
der Zeit zusätzliche Begründungen für
den Krieg nachgeschoben. Die ökonomische
und politische Rückständigkeit
des Landes waren das eine, was ins
Feld geführt wurde, wenn die Interventionsmächte
versprachen, Afghanistan
„aufzubauen“ und demokratische
Strukturreformen durchzusetzen. Die
fast völlige Abwesenheit garantierter
universeller Menschenrechte (Freiheit,
soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung
der Geschlechter, Recht auf Bildung
usw.) legte es nahe, den Fokus
auf den Menschenrechtsdiskurs zu legen.
Eine prominente Rolle im Menschenrechtsdiskurs
nahm die Stellung
der Frau in Afghanistan ein. Der Krieg
wurde der Öffentlichkeit verkauft als
Kampf um die Befreiung der Frau.
Das Ergebnis ist bis heute – nach
fast zehn Jahren Krieg! – ein totales
Desaster. Von Frauenrechten kann im
Land außerhalb Kabuls keine Rede
sein, die Analphabetenquote ist heute
nicht geringer als vor 10 Jahren, die
Jugendarbeitslosigkeit ist stark angestiegen,
immer größere Teile der Bevölkerung
leiden an Hunger und Mangelernährung
und auch der Terrorismus
konnte weltweit keineswegs eingedämmt
werden.
Pervertierung der UN-Charta
Am 19. März 2011 haben die NATO-
Staaten USA, Frankreich und
Großbritannien eine Militärintervention
gegen Libyen begonnen. Eine Legitimation
ziehen sie aus einer Resolution
des UN-Sicherheitsrats [Res. 1973
(2011)]. Die aber ist mindestens ebenso
problematisch wie der Krieg selbst.
Die UNO-Charta, die entstanden war
aus den Erfahrungen zweier schrecklicher
Weltkriege, gibt ganz klare Antworten:
Weder die "Anwendung" noch
die "Androhung von Gewalt sind in den
internationalen Beziehungen erlaubt
(Art. 2, Abs. 4). Vom strikten Gewaltverbot
gibt es drei Ausnahmen:
-
a) Jeder Staat darf sich gegen eine
militärische Aggression zur Wehr setzen
(Verteidigungsrecht nach Art. 51).
-
b) Im Falle einer "Bedrohung" oder
eines "Bruchs des Friedens", kann der
UN-Sicherheitsrat Maßnahmen gegen
einzelne Staaten ergreifen: Von Sanktionen
bis hin zu militärischen Maßnahmen
(Art. 39 bis 42). Die Maßnahmen
müssen geeignet sein, "den Weltfrieden
und die internationale Sicherheit
zu wahren oder wiederherzustellen".
-
c) Des Weiteren kann der UN-Sicherheitsrat
Maßnahmen anordnen im
Falle von Völkermord oder massiven
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Um es ganz klar zu sagen: Keine
der genannten Bedingungen ist im Fall
Libyen erfüllt. Der UN-Sicherheitsrat
hat gegen seine eigenen Prinzipien
verstoßen.
Der häufig strapazierte Hinweis
auf eine besondere „Schutzverantwortung“
(„responsibility to
protect“), wonach die internationale
Staatengemeinschaft verpflichtet sei,
in Staaten einzugreifen, deren Regierungen
nicht fähig oder nicht willens
sind, die eigenen Bevölkerung vor systematischen
Menschheitsverbrechen
zu schützen bzw. sie sogar selbst begeht,
trifft im Fall Libyen ebenfalls nicht
zu. Amnesty international bewertet die
Auseinandersetzungen in Libyen als
einen Bürgerkrieg, der ein militärisches
Eingreifen von außen nicht rechtfertige.
Das, was die NATO – die am 31.
März die operative Leitung des Krieges
übernahm – in Libyen macht, ähnelt
sehr stark dem Vorgehen gegen
Jugoslawien vor 12 Jahren: Mit ihren
Raketen- und Bombenangriffen fungiert
sie als „Luftwaffe“ der Rebellen
von Bengasi und Misrata. Aus der
„Verantwortung zu schützen“ ist längst
eine unverantwortliche Schützenhilfe
für die libysche bewaffnete Opposition
geworden.
Flugverbotszone – Türöffner zum Angriffskrieg
Selbst wenn man die anfängliche
Begründung für die Einrichtung einer
„Flugverbotszone“ geteilt hat, müsste
auf Grund des Kriegsverlaufs jedem
klar geworden sein, dass der Libyen-
Einsatz der NATO zu einem ganz
ordinären Angriffskrieg geworden ist,
unter dem Zivilpersonen am meisten
zu leiden haben, und zwar auf beiden
Seiten der unklaren Front. Das hat die
schwarz-gelbe Bundesregierung besser
verstanden als die grün-sozialdemokratische
Opposition. Letztere
schlägt unaufhörlich die Kriegstrommel
und fordert eine beherztere Teilnahme
der Bundeswehr an dem NATO-Krieg
– aus „humanitären“ Gründen und aus
Gründen der „Bündnissolidarität“.
Deutschland, so wird behauptet, habe
sich mit seiner partiellen Kriegszurückhaltung
in NATO, EU und UNO isoliert
und beschreite einen gefährlichen
„Sonderweg“. Dem wäre nun erstens
entgegenzuhalten, dass nur eine Minderheit
der NATO-Mitglieder sich an
dem Krieg beteiligt, dass sich - zweitens
- Deutschland im UN-Sicherheitsrat
mit der Enthaltung zwar gegen die
Supermacht USA und die alten Kolonialmächte
Frankreich und Großbritannien
gestellt, gleichzeitig aber mit den
BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien,
China, die immerhin fast die Hälfte
der Weltbevölkerung repräsentieren)
gestimmt hat, womit sich drittens
der Vorwurf des deutschen „Sonderwegs“
von selbst erledigt hat.
Friedensbewegung gegen mediales Trommelfeuer
Die Friedensbewegung hat eine relativ
klare Haltung zum Libyen-Krieg
eingenommen. Schon das Zustandekommen
der UN-Resolution wurde
sehr kritisch aufgenommen. Klar war
auch, dass der Westen von Anfang an
eine bewaffnete Rebellenbewegung
unterstützte, die für eine andere
Machtverteilung im Land kämpfte, mit
Demokratie und Menschenrechten
aber höchstens in der Rhetorik etwas
zu tun hatte. Das machte auch den
großen Unterschied zu den vorangegangenen
Entwicklungen in Tunesien
und Ägypten aus: Dort setzten unbewaffnete
Massenbewegungen die diktatorischen
Regime unter Druck und
zwangen sie zur Abdankung; hier
agierte eine vergleichsweise dünne zivilgesellschaftliche
Protestbewegung,
die alsbald von bewaffneten Formationen
unterschiedlichster Herkunft verdrängt
wurde.
Die Friedensbewegung, obwohl entschieden in der Verurteilung
des Gaddafi-Regimes, tat gut daran,
sich nicht – wie es die Grünen, die
SPD und die Mainstream-Medien taten
– auf die Seite der Aufständischen zu
schlagen, sondern in diesem Bürgerkrieg
eine strikte Neutralität einzufordern
und auf das Völkerrecht zu pochen.
Angesichts des medialen Trommelfeuers
– das an die Propaganda
gegen Jugoslawien 1998/99 erinnert –
blieben allerdings die Aktionen der
Friedensbewegung bescheiden. Über
Informationsveranstaltungen und gelegentliche
Mahnwachen im öffentlichen
Raum gingen die Aktionen kaum hinaus.
Ein besseres Bild lieferten erst die
vielen Ostermärsche ab, in denen der
Libyen-Krieg neben Afghanistan einen
großen Stellenwert einnahm. Zu wenig
aber auch dies, wenn man an die Perspektiven
des Krieges denkt: Die NATO wird diesen Krieg so lange führen,
bis Libyen entweder ganz oder zumindest
teilweise „befreit“ bzw. in die
Abhängigkeit des Westens gebracht
sein wird. Und das kann dauern.
* Dr. Peter Strutynski, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, Lehrbeauftragter an der Universität Kassel; Mitglied der AG Friedenforschung und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag
Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 3, Mai 2011, S. 13-14.
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