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Schwarz-gelbe Option: Bundeswehr in Libyen

LINKE sieht Öffentlichkeit getäuscht und belogen *

Ein Einsatz der Bundeswehr auf libyschem Boden rückt offenbar näher. Die LINKE bezichtigte die Bundesregierung der Täuschung und Lüge.

Regierungssprecher Steffen Seibert bekräftigte am Freitag die grundsätzliche Bereitschaft Deutschlands, sich im Rahmen einer EU-Mission an der militärischen Absicherung humanitärer Hilfsaktionen in Libyen zu beteiligen. Voraussetzung sei allerdings eine Anfrage der UNO an die EU.

Das Bundesverteidigungsministerium schloss auch Bodeneinsätze deutscher Soldaten in libyschen Städten nicht aus. »In dem Moment, wenn wir an einer humanitären Operation teilnehmen würden und der Operationsplan es vorsehen würde, dass man eben auch in Libyen an Land operiert, dann ist es doch ganz klar, dass man dann den Fuß auf libyschen Boden setzen würde«, sagte ein Ministeriumssprecher.

»Erneut täuscht und belügt die Bundesregierung den Bundestag und die Öffentlichkeit, wenn es um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr geht«, erklärte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke. »Die Bundesregierung hatte versprochen, keine deutschen Soldaten im Libyen-Krieg einzusetzen. Dieses Versprechen wird jetzt gebrochen.« Die »Antikriegsposition« der Bundesregierung habe gerade eine Woche über den Wahltag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hinaus gehalten.

Abdelhafid Ghoga, Sprecher des Übergangsrates der Aufständischen, begrüßte am Freitag in Bengasi ein mögliches militärisches Engagement Deutschlands. Zugleich erteilte er allen Friedensbemühungen, die auf einen Dialog der Rebellen mit Staatschef Muammar al-Gaddafi abzielen, eine definitive Absage.

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hatte einen Friedens-Fahrplan vorgelegt. Die Truppen Gaddafis müssten ihre Belagerung der von Rebellen gehaltenen Städte beenden und eine Waffenruhe müsse in Kraft treten. Nach dem Ende der Kämpfe sollten humanitäre Korridore eingerichtet sowie ein politischer Prozess eingeleitet werden, um auf die Forderungen der Bevölkerung einzugehen, sagte Erdogan.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen veröffentlichte eine Erklärung, in der er den Tod von etwa zehn libyschen Aufständischen durch einen Luftangriff des Paktes bedauerte. Der Vizekommandeur der internationalen Militäroperation in Libyen, der britische Konteradmiral Russell Harding, hatte eine Entschuldigung abgelehnt.

* Aus: Neues Deutschland, 9. April 2011


Hintereingang zum Krieg

Von Knut Mellenthin **

Die von der Bundesregierung ins Spiel gebrachte Beteiligung deutscher Soldaten am Krieg gegen Libyen soll offenbar sehr viel weiter gehen als zunächst angedeutet. Außenminister Guido Westerwelle hatte am Mittwoch und Donnerstag lediglich kurz und unbestimmt davon gesprochen, an einer »humanitären Hilfsaktion« mitzuwirken, falls die UNO darum bitten würde. Jetzt zeichnet sich jedoch ab, daß Deutschland grundsätzlich bereit ist, bewaffnete Bundeswehreinheiten ins Kriegsgebiet zu schicken

Christian Dienst, Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, stellte am Freitag klar: »In dem Moment, wo wir an einer humanitären Operation teilnehmen würden und der Opera­tionsplan würde es vorsehen, daß man auch in Libyen an Land operiert, ist auch klar, daß man dann auch den Fuß auf libyschen Boden setzen müßte.« Allerdings sei das zur Zeit noch »hochspekulativ«, schränkte Dienst ein, als wisse er nicht, daß es für diesen Einsatz selbstverständlich auch schon konkrete Planungen gibt.

Das am 17. März beschlossene Mandat des UN-Sicherheitsrats sieht den Einsatz ausländischer Soldaten auf libyschem Territorium nicht vor, schließt ihn aber auch nicht ausdrücklich aus. Nur »Besatzungstruppen« sollen nicht stationiert werden.

Die grundsätzliche Entscheidung, Bundeswehrsoldaten in irgendeiner Form am Libyen-Krieg teilnehmen zu lassen, fiel schon am 21. März auf einer Tagung der EU-Außenminister. Mit Zustimmung Deutschlands wurde dort beschlossen, »im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik« auch humanitäre Hilfsaktionen zu unterstützen, sobald ein entsprechendes Ersuchen der Vereinten Nationen vorliegt. Zuständig dafür ist das Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (englische Abkürzung: OCHA), das dem UN-Generalsekretär untersteht. Ein neuer Beschluß des Sicherheitsrats wäre also nicht erforderlich. Am 23. März teilte die libysche Regierung dem OCHA-Direktor Rashid Khalikov mit, daß sie nicht bereit ist, solche Aktionen auf ihrem Territorium zu gestatten. Es würde sich also beim Stand der Dinge um eine militärisch zu erzwingende und abzusichernde Verletzung der libyschen Souveränität handeln.

Die Europäische Union plant für diesen Fall den Einsatz ihrer Schnellen Eingreiftruppen. Zur Zeit hat die EU zwei dieser Battlegroups mit jeweils 1500 Soldaten in ständiger Abrufbereitschaft. An einer davon ist die Bundeswehr mit 990 Soldaten beteiligt. Es handelt sich um Feldjäger, Sanitäter und Pioniere. Dem Beschluß vom 21. März zufolge könnte es bei einer gemeinsamen »Hilfsaktion« unter anderem darum gehen, bei der Evakuierung von Flüchtlingen mitzuwirken und Versorgungsgüter nach Libyen – genauer gesagt: in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete – zu bringen.

Die Oppositionsparteien Grüne und SPD nehmen selbstverständlich die günstige Gelegenheit wahr, der Bundesregierung die Widersprüchlichkeit ihres Taktierens vorzuhalten. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sogar von »Verlogenheit«. Die Ablehnung der Kriegsresolution 1975 im UN-Sicherheitsrat sei also »nur vordergründig« gewesen. Indessen lassen beide Parteien nicht den geringsten Zweifel, daß sie den Einsatz der Bundeswehr in Libyen wärmstens begrüßen und im Parlament mittragen würden. Ein klares Nein zum Kriegs­einstieg durch den Hintereingang kommt nur von der Linkspartei.

** Aus: junge Welt, 9. April 2011


April, April

Von Gabriele Oertel ***

Viel Kritik aus den eigenen Reihen, aus der SPD und von den Grünen erhielt die Bundesregierung, nachdem Außenminister Westerwelle erklärt hatte, keine deutschen Soldaten nach Libyen schicken zu wollen – und ein eher selteneres Lob von der linken Seite des Parlaments. Zwei Landtagswahlen danach verdichten sich die Hinweise, dass der Mann mit den Nur-noch-Außenamts-Ambitionen das Parlament getäuscht hat. Der nächste Auslandseinsatz der Bundeswehr rückt – natürlich unter Verweis auf die humanitäre Absicht und ohne jede kritische Reflexion auf NATO-Bombardements zu Lasten der libyschen Bevölkerung – näher. Und SPD und Grüne, so sehr sie über Kreiselkompass und Achterbahn im Regierungsgeschäft auch wettern, signalisieren eifrig Zustimmung.

Fest steht, Gefühlswallungen kann man bei Schwarz-Gelb stecken lassen. Die Halbwertzeiten ihrer Postulate werden immer kürzer. Kehrtwenden sind das Einzige, auf das man bei Merkel und Westerwelle wetten kann. Doch während ihre vorgebliche Atom-Umkehr von verlängerten Laufzeiten bis zu endgültigen AKW-Abschaltungen bislang in einem Moratorium stecken blieb, braucht die Regierung beim Libyen-Einsatz bis hin zum Einsatz von Soldaten am Boden offenbar keine Denkpause. Weil Westerwelle sein Nein nie ernst meinte – oder sein Wort nichts mehr gilt.

*** Aus: Neues Deutschland, 9. April 2011 (Kommentar)


Friendly Fire: Rebellen räumen Adschdabija ****

In Libyen haben sich die Aufständischen nach anhaltendem Widerstand der Regierungstruppen und der versehentlichen Bombardierung ihrer eigenen Kämpfer durch NATO-Kampfflugzeuge am Freitag aus der Stadt Adschdabija zurückgezogen. Das staatliche Fernsehen meldete, Regierungstruppen seien in die rund 150 Kilometer von der Rebellenhochburg Bengasi entfernte Stadt eingerückt, was von Einwohnern jedoch zunächst nicht bestätigt wurde.

Der stellvertretende Kommandeur des NATO-Einsatzes in Libyen, Konteradmiral Russell Harding, räumte am Freitag den erneuten Angriff seiner Kampfflugzeuge auf die Aufständischen ein. Dem Bündnis hätten keine Informationen vorgelegen, daß die Regimegegner über Panzer verfügten, hieß es. »Es scheint, zwei unserer gestrigen Angriffe könnten zu den Todesfällen geführt haben«, sagte Harding im NATO-Operationszentrum in Neapel zu Journalisten. Eine Entschuldigung verweigerte er jedoch. Die Lage zwischen Brega und Adschdabija sei unübersichtlich, weil beide Seiten immer wieder Geländegewinne erzielten und sich zurückzögen. Daher sei es schwierig für die Piloten, zwischen den Regierungstruppen von Staatschef Muammar Al-Ghaddafi und dessen Gegnern zu unterscheiden.

In der NATO breitet sich Informationen der Nachrichtenagentur dapd zufolge inzwischen Unmut darüber aus, daß die Aufständischen die Kampfflugzeuge der Allianz als ihre Stellvertreterluftwaffe betrachteten. »Wir versuchen, ihnen klarzumachen, was wir machen und was wir erreichen wollen«, sagte der Gewährsmann.

Die Vereinten Nationen wollen ab Sonntag die Menschenrechtslage in Libyen überprüfen. Der Leiter des UN-Ermittlungsteams, Scherif Bassiouni, kündigte in Genf an, man werde sich im ganzen Land umsehen und niemanden von den Ermittlungen ausschließen. Sein Team, dem auch eine jordanisch-palästinensische Rechtsexpertin und ein kanadischer Anwalt angehören, werde am Wochenende nach Libyen aufbrechen und »allen Menschenrechtsverletzungen« nachgehen. Der Menschenrechtsrat hat Bassiouni aufgetragen, bis zum 17.Juni einen Bericht vorzulegen. Der ägyptische Strafrechtler gilt als Experte auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts und war auch an der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beteiligt. Die libysche Regierung hat ihre Kooperation zugesagt.

Rund 30 Organisationen rufen unterdessen für den heutigen Samstag in der spanischen Hauptstadt Madrid zu einer Demonstration gegen den imperialistischen Krieg in Libyen und die Beteiligung der Regierung Zapatero daran auf. Erwartet werden mehr als 10000 Teilnehmer.

(dapd/dpa/PL/jW)

**** Aus: junge Welt, 9. April 2011

NATO-Krieg in Libyen

IPPNW-Pressemitteilung vom 10.4.2011

IPPNW fordert sofortigen Waffenstillstand

Die deutsche Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) verlangt erneut einen sofortigen Waffenstillstand in Libyen. Von der Bundesregierung fordern wir, sich auch weiterhin nicht an der Intervention zu beteiligen. Wir teilen die Befürchtung des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Harald Kujat, dass es von dem sogenannten "humanitären Einsatz" nur noch ein kleiner Schritt ist, bis die Bundeswehr mit Bodentruppen in Kampfhandlungen verwickelt ist.

Als Ärzte rufen wir beide Seiten dazu auf, das Blutvergießen umgehend zu beenden. Die NATO darf einen sofortigen Waffenstillstand nicht an die Bedingungen knüpfen, mit denen von der US-Regierung die Bitte Gaddafis nach Ende der Luftangriffe abgelehnt wurde: Zuerst müsse er von seinen Ämtern zurücktreten und das Land verlassen.

Das enthüllt, dass das tatsächliche Ziel des Westens ein militärisches Eingreifen in einen Bürgerkrieg ist, um einen Machtwechsel ("regime change") nach seinen Wünschen herbeizuführen. Dies stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar und ist selbst von der UN-Sicherheitsrats-Resolution 1973 nicht gedeckt, in der es ausschließlich um den Schutz der Zivilbevölkerung geht.

Krieg und Menschenrechte sind nicht vereinbar, Krieg schafft keinen Frieden!




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