"Wem es ernst ist um die Sicherheit Israels, muss auch die Sicherheitsinteressen der anderen Seite(n) anerkennen"
Friedensbewegung gegen Bundeswehreinsatz im Libanon - Für Neuorientierung der deutschen Nahostpolitik
Mit der am 11. August verabschiedeten UN-Resolution 1701 (2006) und dem am 14. August beginnenden Waffenstillstand im Libanonkrieg wurden neue Möglichkeiten für die Politik eröffnet. In Deutschland führte das - fast schon reflexartig - zur Bereitschaft der politischen Klasse, einen militärischen Beitrag im Rahmen eines UN-Mandats leisten zu wollen. Dem widersprechen im Parteienspektrum die Linkspartei.PDS, die WASG, die FDP sowie Teile der Grünen. Eindeutiger ist die Haltung der Friedensbewegung. In den Begründungen gegen eine Bundeswehrbeteiligung verbergen sich aber auch hier interessante Unterschiede.
Wir dokumentieren im Folgenden eine Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag (vom 16. August) und eine Erklärung der Bonner Friedenskooperative vom 14. August.
Friedensbewegung gegen deutsche Soldaten im Libanon
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag-
Bundeswehreinsatz kategorisch abgelehnt
- Deutschland ist nicht neutral
- Argumente sind latent rassistisch
- Aufbauhilfe statt Militäreinsatz
- Resolution 1701 verlangt umfassende Nahost-Lösung
- Neuorientierung der deutschen Nahostpolitik nötig
Kassel, 16. August 2006 - Zu den Auseinandersetzungen um eine deutsche Beteiligung an einer UN-Militärmission im Libanon und zu den weiteren Aktionen der Friedensbewegung gab der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag folgende Erklärung ab:
Der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnt einen Bundeswehreinsatz im Nahen Osten kategorisch ab. Die Diskussion, die in der Regierungskoalition und zwischen den Oppositionsparteien FDP und Grünen geführt wird, geht haarscharf an den wirklichen Problemen vorbei.
Die UN-Mission verlangt Soldaten. Polizeikräfte (etwa die Bundespolizei), die Berlin ins Gespräch brachte, sind in der aufzustellenden Blauhelmtruppe nicht vorgesehen. Alles andere, nur keine Soldaten in den Nahen Osten zu schicken, bedeutet dabei sein zu wollen, ohne wirklich dabei zu sein. Deutschland als omnipräsente Weltmacht!?
Das häufig vorgebrachte Argument (gegen einen Bundeswehreinsatz), deutsche Soldaten dürften unter keinen Umständen in eine Lage gebracht werden, dass sie evtl. auf israelische Soldaten schießen müssten, ist aus mehreren Gründen aufschlussreich:
Erstens ist es ein unfreiwilliges Eingeständnis der mangelnden Neutralität Deutschlands im Nahostkonflikt. Solange Berlin einseitig die Position Israels und damit auch der USA einnimmt, kann es weder Vermittler, "Makler" oder neutraler Akteur in einer multinationalen Blauhelmtruppe an einem so neuralgischen Punkt sein. Niemand käme z.B. auf die Idee, US-Truppen für einen solchen Job anzufordern.
Zweitens versteckt sich hinter dem Argument ein latenter Rassismus. Im Umkehrschluss heißt es doch nicht anders als: Auf alles andere, auf islamische Hisbollah-Kämpfer, auf libanesische Soldaten, auf Hamas-"Terroristen", auf irgendwelche anderen "Araber" kann sehr wohl geschossen werden, nur Israelis sind "Tabu". Das ist eine nur sehr unvollständige Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Aus der unheilvollen deutschen Geschichte der millionenfachen Judenvernichtung und der Behandlung anderer, insbesondere slawischer Völker als "Untermenschen" gibt es als wichtigste Lehre zu ziehen: Deutschland darf Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion usw. nie wieder als mehr oder weniger "minderwertig" klassifizieren. Deutschland muss das Lebensrecht aller Menschen gleich hoch bewerten. Die Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung 1948 und in den beiden Menschenrechtskonventionen ("Sozialpakt" und "Zivilpakt", 1967) verankert wurden, haben universelle Gültigkeit.
Drittens wird in Berlin so getan, als könne man dem zerstörten Libanon (allein die materiellen Kriegsschäden gehen in die Milliarden) nun vor allem mit deutschen Soldaten helfen. Nein, die Mittel, die von einer evtl. Bundeswehrmission in Anspruch genommen würden, sind viel besser in konkreter ziviler Aufbauhilfe aufgehoben. Gerade weil die deutsche Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts unternommen hat, um Israel vom Libanonfeldzug abzuhalten, ist sie moralisch und politisch in der Pflicht, wenigstens jetzt dem zerstörten Land zu helfen.
Die Umsetzung der
UN-Resolution 1701 (2006) verlangt von den teilnehmenden Blauhelmtruppen zur Sicherung der israelisch-libanesischen Grenze (der sog. "Blauen Linie") strikte Neutralität. Die libanesische Armee, die nun in den Südlibanon einzieht, wird zum Teil aus eingegliederten Kräften der Hisbollah bestehen (anders wird es keine funktionierende libanesische Armee geben). Mit ihr gilt es zusammenzuarbeiten; das wiederum setzt Neutralität voraus. Eine solche Neutralität ist im Fall der Bundeswehr nicht gegeben. Außenminisetr Steinmeier hat soeben mit der Absage seines Syrienbesuchs deutlich gemacht, dass Deutschland im Nahostkonflikt eindeutig auf der Seite Israels und der USA steht.
Nun wird man davon ausgehen können, dass andere Nationen, die sich an der Blauhelmtruppe beteiligen wollen (Italien, Frankreich), auch nicht neutral sind. Es stellt sich ohnehin die Frage, ob eine UN-Truppe, auch wenn sie - wie die seit 1978 stationierte UNIFIL - von seither 2.000 auf 15.000 Mann aufgestockt wird, im Friedensprozess des Nahen Ostens hilfreich sein kann. In dem Augenblick, da sich die gegenüber stehenden Parteien (hier: Israel und Libanon bzw. Hisbollah, dort Israel und die Palästinenserbehörde bzw. Hamas, dort Israel und Syrien) nicht mehr an den Waffenstillstand halten und nicht bereit sind in ernsthafte Verhandlungen miteinander einzutreten, hilft auch die UN-Truppe nicht. Hier gälte es vielmehr, politisch auf die Parteien einzuwirken, in einen umfassenden Friedensprozess einzutreten.
Genaus dies verlangt im Grund genommen auch die
Resolution 1701. In Ziffer 18 heißt es unmissverständlich, dass der Waffenstillstand genutzt werden solle, um einen "umfassenden, gerechten und anhaltenden Frieden im Nahen Osten" auf der Grundlage aller "relevanten UN-Resolutionen" herbeizuführen. Aufgeführt werden namentlich die Resolutionen 242 (1967) und 338 (1973), in denen der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten auf die Grenzen von 1967 verlangt und ein Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkannt wird. Und genau hierin liegt auch der Schlüssel für die Lösung so mancher Probleme im Nahen Osten.
Die Diskussion um eine Beteiligung deutscher Truppen im Libanon führt in die Irre. Zu diskutieren wäre vielmehr über einen politischen Beitrag zu einer umfassenden Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Wem es wirklich ernst ist um die Sicherheit Israels, muss endlich auch die Sicherheitsinteressen der anderen Seite(n) anerkennen. Dies erfordert von der Bundesregierung eine vollkommene Neuorientierung ihrer Nahost-Politik.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Pressemitteilung 14.08.2006
Nach dem Waffenstillstand:
Aus Waffenruhe Friedensdynamik entwickeln!
Debatte um deutsche militärische Beteiligung beenden!
"Die UN-Sicherheitsrats-Resolution kam einen Monat zu spät, spart
als "defensiv" deklarierte Kriegshandlungen Israels sowie die
weitere Blockade Libanons aus und muss dennoch energisch begrüßt
werden", erklärt das Bonner Netzwerk Friedenskooperative. Und
weiter:
Es ist zu hoffen, dass die weitere Beachtung der Resolution durch
alle Konfliktparteien und folgende Initiativen für umfassende
Friedenslösungen auch die Vereinten Nationen als Instrument für
Friedensstiftung stärken.
Der bisher wirksame äußerst fragile Waffenstillstand birgt große
Hoffnungen für ein Ende des Blutvergießens im Libanon und
Nordisrael, wenn eilig daran gearbeitet wird, daraus eine
Friedensdynamik weit über Libanon/Israel hinaus zu entwickeln.
Gerade die Bundesregierung steht dabei nach dem beschämend
versäumten Eintreten für einen sofortigen Waffenstillstand
in der Bringschuld.
Gefordert sind energischer Druck und diplomatische Initiativen
von USA und EU. Die Chancen für eine Einflussnahme stehen nach
Ansicht der Friedensorganisation trotz des durch den Libanonkrieg
stark gewachsenen Hasses gut, da die Einsicht der Unmöglichkeit
militärischer Lösungen bis hinein in die israelische Armeeführung
gewachsen ist und die regionalen "Feinde" Israels viel rationaler
einzuschätzen sind als vielfach kolportiert.
Dass die Hisbollah nach Selbsteinschätzung und in der Wahrnehmung
der meisten Palästinenser, Araber und in der islamischen Welt als
Sieger des Waffengangs hervorgeht, kann dazu eher hilfreich sein,
ist die Einschätzung des Netzwerk-Geschäftsführers Manfred Stenner.
Von einer vermeintlichen Position der Stärke heraus lassen sich eher
Zugeständnisse machen als aus gedemütigter Märtyrerrolle heraus.
Die Hamas kann nach einem beidseitigem Gewaltverzicht in Gaza die
bereits im "Gefangenenpapier" formulierte implizite Anerkennung des
Existenzrechts Israels offiziell machen, wenn konkrete Verhandlungen
über die Zweistaaten-Lösung in den Grenzen von 1967 in Aussicht
stehen.
Die größte Chance sieht das Netzwerk Friedenskooperative in der
Einbindung aller Akteure in einen durch die Internationale
Gemeinschaft moderierten Friedensprozess, der im Rahmen einer
"Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren
Osten" die syrischen Interessen bzgl. der Rückgabe der Golanhöhen
wie legitime Sicherheitsinteressen Irans einbezieht, bei denen es um
eine Lösung des Atomstreits mit Iran im Gegenzug zu
Nichtangriffsgarantien gehen müsste.
Die Alternativen zu einer jederzeit möglichen Gewaltspirale bis zum
Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten und einer globalen neuen
Welle des Attentats-Terrorismus liegen nach Ansicht der
Friedenskooperative auf der Hand. Die Bundesrepublik kann für
Friedenslösungen diplomatisch-politisch wie durch humanitäre und
wirtschaftliche Hilfe sehr große Beiträge leisten - nicht aber durch
militärische Beiträge. Eine ernst gemeinte Stabilisierungstruppe
würde nicht umhinkommen, sich gegen militärische Übergriffe aller
Seiten in Südlibanon zu stellen. Da verbietet sich eine deutsche
Beteiligung absolut, weiß sich das Netzwerk Friedenskooperative
ausnahmsweise mit Ministerpräsident Stoiber einig.
Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative
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