Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Streit um Kuba-Politik

Vor Treffen der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg: US-Verbündete sperren sich gegen den Dialog mit Havanna. Sanktionen könnten trotzdem enden

Von Harald Neuber *

Zwischen den EU-Mitgliedsstaaten ist Streit um die Haltung gegenüber der sozialistischen Regierung Kubas entbrannt. Vor allem die tschechische Regierung wendet sich entschieden gegen eine Aufhebung der Sanktionen Brüssels gegen Havanna. Die Strafmaßnahmen waren 2003 auf Drängen der rechtsgerichteten spanischen Regierung unter Premierminister José Maria Aznar erlassen worden. Bereits 2005 wurden sie jedoch wieder ausgesetzt. Havanna hat die vollständige Abschaffung der Sanktionen als notwendige Voraussetzung für einen politischen Dialog mit der EU gefordert.

Nicht nur die amtierende slowenische Ratspräsidentschaft, sondern die Mehrheit der 27 EU-Mitgliedsstaaten wollen dieser Forderung nachkommen. Bevor sich die EU-Außenminister am Montag (16. Juni) in Luxemburg treffen, hat die Lateinamerika-Arbeitsgruppe des EU-Rats nach Informationen aus Diplomatenkreisen einen Erklärungsentwurf ausgearbeitet, in dem die jüngsten wirtschaftlichen und politischen Reformen in Kuba positiv bewertet werden. Der Rat habe den neuen Präsidenten Kubas, Raúl Castro, aufgefordert, »in Übereinstimmung mit seinen erklärten Absichten weitere Maßnahmen durchzusetzen«. Auch werde in dem Dokument ein »offener Dialog mit den kubanischen Behörden« über »alle Bereiche des beidseitigen Interesses« befürwortet. Um dies zu erleichtern will der Rat der Europäischen Union die 2003 erlassenen Sanktionen gegen Kuba vollständig aufheben. Ein sogenannter gemeinsamer Standpunkt der EU, der 1996 formuliert wurde und der auf einen Regimewechsel in Kuba abzielt, soll jedoch beibehalten werden.

Während die Mehrheit der 27 EU-Mitgliedsstaaten eine Annäherung an Kuba und ein Ende der Sanktionen begrüßen, stellen sich einige Regierungen quer. Vor allem Polen, Tschechien und Großbritannien -- drei enge Bündnispartner der USA in der EU -- haben Bedenken gegen den Text geäußert, der den Außenministern am Montag zur Verabschiedung vorgelegt werden soll. So haben die tschechischen Vertreter während der Beratungen der Lateinamerika-Arbeitsgruppe des EU-Rats Anfang dieser Woche mehrere provozierende Änderungsvorschläge gemacht, die von der Mehrheit der Anwesenden abgelehnt worden. Die Prager Diplomaten wollten einen Passus einfügen, der Kuba die Öffnung der Gefängnisse für Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes als Bedingung für den Dialog vorgeschrieben hätte. Auch wollten die tschechischen Vertreter verhindern, daß die bilateralen Kontakte zwischen Kuba und Staaten der EU in dem Dokument erwähnt werden. Während der Generalversammlung der Vereinten Nationen im September vergangenen Jahres in New York hatte es informelle Treffen zwischen dem kubanischen Außenminister Felipe Pérez Roque und mehreren seiner EU-Amtskollegen gegeben. Diese Gespräche waren Ausgangspunkt für weitere Kontakte in den vergangenen Monaten. Im März dieses Jahres dann war der für humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik zuständige EU-Kommissar Louis Michel nach Havanna gereist.

Daß mit Polen, Tschechien und Großbritannien drei US-nahe Regierungen gegen ein Ende der Sanktionen Sturm laufen, kommt nicht überraschend. In den vergangenen Wochen hat die Bush-Regierung wiederholt Druck auf Brüssel ausgeübt, eine aggressive Linie gegenüber Kuba beizubehalten. Im April war der »Transitionsbeauftragte der US-Regierung für Kuba«, Caleb McCarry, mit Regierungsfunktionären in mehreren europäischen Hauptstädten zu Geheimgesprächen zusammengekommen. McCarry, dessen Aufgabe die Vorbereitung eines Systemwechsels in Kuba ist, hatte auch in Berlin Vertreter des Auswärtigen Amtes getroffen. Am 4. Juni dann hatte der US-Handelsminister Carlos Gutiérrez die EU-Staaten offen aufgefordert, die Sanktionen gegen Kuba beizubehalten. Bei der Mehrheit der 27 Mitgliedsländer waren die Versuche der Einflußnahme offenbar nicht von Erfolg gekrönt.

* Aus: junge Welt, 13. Juni 2008


Zurück zur Kuba-Seite

Zur Europa-Seite

Zur Seite "Embargo, Sanktionen"

Zurück zur Homepage