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Kasachstan auf Europa-Trip?

Zentralasiatisches Pferd in der OSZE-Troika

Von Henryk Alff, Almaty *

Mit Beginn des Jahres 2009 gehört Kasachstan der Troika der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. 2010 übernimmt es sogar den Vorsitz – ein Prestigegewinn für das außenpolitisch zwischen Ost und West lavierende Land.

Am heutigen 15. Januar stellt Griechenland in Athen die Prioritäten seines diesjährigen OSZE-Vorsitzes vor. Überraschungen sind nicht zu erwarten: Im Vordergrund wird die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Dialog stehen.

Anders könnte das 2010 sein, wenn Kasachstan den Vorsitz in der OSZE übernimmt. Wegen Nichteinhaltung von Menschenrechtsstandards und erheblicher Mängel aller Wahlen seit der Unabhängigkeitserklärung stand das Land eben dort mehrfach in der Kritik. Zwar hat die Staatsführung Reformwillen bekundet, zugleich fordert sie jedoch, dass die OSZE andere Schwerpunkte setzt: Sie müsse sich mehr um internationale Sicherheit und ökonomische Zusammenarbeit kümmern.

»Es ist unerlässlich, dass sich die OSZE von Vorwürfen in Hinsicht auf Selektivität und Anwendung von Doppelstandards befreit«, erklärte Außenminister Marat Taschin beim OSZE-Ministertreffen im Dezember 2008 in Helsinki. Fortwährende Kritik an seinem Land wegen Demokratiedefiziten wies er zurück.

Bereits vor einem Jahr, als der OSZE-Vorsitz 2010 an Kasachstan vergeben wurde, waren Einwände dagegen zu hören – besonders aus den USA und Großbritannien. Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, sah dagegen im Vorsitz eines Landes, das zu den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion gehört, auch eine Chance, die Zukunft der OSZE zu sichern.

Ende 2007 hatte die Regierung in Astana Schritte zur Demokratisierung und zur Verbesserung der Menschenrechtslage zugesagt. Im Herbst 2008 wurde dem Parlament ein Reformpaket vorgelegt, das Änderungen der Wahl-, Parteien- und Mediengesetzgebung enthielt. Opposition und westliche Auguren sprechen jedoch von reiner Kosmetik oder gar von Rückschritten.

Die Führung des Landes lässt die Kritik kalt. In dem Medien und auf großformatigen Plakaten im ganzen Land wird die internationale Wertschätzung für Kasachstan gepriesen, die sich aus einer erfolgreichen Politik speise. Laut Umfragen wissen immerhin schon fast zwei Drittel der Bevölkerung um Kasachstans OSZE-Vorsitz im nächsten Jahr. Eilig wurde zudem ein Programm unter der Losung »Der Weg nach Europa« verabschiedet.

Die neue »Europhilie« dürfte nicht zuletzt mit dem drohenden Auseinanderfallen der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu tun haben. Im vergangenen August lieferten sich zwei ihrer Mitglieder – Russland und Georgien – erstmals einen Krieg, worauf Georgien seinen Austritt aus der GUS erklärte. Die Ukraine gilt als nächster Kandidat für einen solchen Schritt. Zu einem informellen GUS-Treffen im Dezember lud Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew auch Aserbaidshan und Moldova nicht ein. Die Präsidenten von Usbekistan, Turkmenistan und Belarus blieben aus eigenem Entscheid zu Hause.

Die Perspektiven für eine Integration in »Eurasien« scheinen also düster zu sein, ein Schritt gen Europa wäre demnach logisch. Kasachstans ausgezeichneten Beziehungen zu Russland dürfte dies jedoch nicht beschädigen. Dafür spricht schon die wirtschaftliche Abhängigkeit beider Staaten beim Transport von Erdöl auf die Weltmärkte. Kasachstan braucht die russischen Pipelines, Russland das kasachische Öl, um die Kunden in Westeuropa zufrieden zu stellen. Ähnlich pragmatische Beziehun-gen unterhält Kasachstan zu China, das die Hand nach Zentralasiens Rohstoffen ausstreckt und die Region zugleich mit Billigprodukten überflutet. Auch die USA haben nach dem Kaukasus-Krieg ihre politischen Anstrengungen in der Region verstärkt.

Diese Beziehungen in alle Richtungen werden in Kasachstan gern unter »multivektoraler« Außenpolitik abgebucht. Die funktioniert allerdings nur, solange sich die Interessen der Beteiligten nicht widersprechen. Was aber, wenn die EU sich müht, ihre Öl- und Gasversorgung durch Kasachstans Ressourcen zu diversifizieren und Russland dagegen Einspruch erhebt? Bisher zögerte Nasarbajew, dem westlichen Werben nachzugeben.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2009


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