Japan - ein Land des Friedens?
Ei-Ichi Kido über die Friedensbewegungen und US-Militärstützpunkte *
Ei-Ichi Kido, Politikwissenschaftler aus Osaka, war zu Monatsbeginn Gast des Friedenspolitischen Ratschlags in Kassel. Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das während des "Ratschlags" in Kassel geführt wurde.
Ist Japan ein pazifistischer Staat?
Nach Artikel 9 der Friedensverfassung ist dem Staat das Recht auf Kriegsführung aberkannt, Militär
und militärische Einrichtungen sind verboten. Trotzdem gibt es eine Armee und 85 US-Militärstützpunkte.
33 davon befinden sich auf der Insel Okinawa, unter anderem die größte
Luftwaffenbasis des Fernen Ostens in Kadena. Insgesamt umfassen die Basen 30 880 Hektar Land,
23 000 davon auf Okinawa. Das sind flächenmäßig 75 Prozent aller US-Basen.
Wie kommt es zu dieser Konzentration?
Nach 1945 war Okinawa von den USA besetzt und die ersten Stützpunkte wurden errichtet. Nach
der Rückgabe der Insel an Japan 1972 blieben sie erhalten und wurden weiter ausgebaut. Heute
sind dort etwa 23 000 US-Soldaten stationiert, außerdem 1400 Zivilangestellte und mehr als 24 000
Familienangehörige.
Widerspricht das nicht der verfassungsmäßigen Verpflichtung zum Pazifismus?
Im Prinzip ja, aber Japan, vor allem Okinawa, ist von größter strategischer Bedeutung für die USA.
Von dort aus wurden die Einsätze gegen Korea und Vietnam geflogen, später gegen Irak. 1951
wurde der Sicherheitsvertrag zwischen Japan und den USA geschlossen, der 1960 überarbeitet
wurde. 1997 wurden neue »Richtlinien der Zusammenarbeit bei der Verteidigung zwischen den USA
und Japan« vereinbart. Heute kann sogar über eine Änderung der Verfassung nachgedacht werden.
Gibt es Widerstand gegen die zunehmende Militarisierung?
An sich ist die Mehrheit sehr unpolitisch, aber zwei Drittel der Bevölkerung sind gegen eine
Änderung des pazifistischen Verfassungsartikels. Auch in Japan merken die Menschen, dass die
Armut wächst, während viel Geld für militärische Zwecke ausgegeben wird, so für die USMilitärstützpunkte.
Jahrelang stand Japan mit seinem Verteidigungsetat auf Platz 2 der Weltliste,
inzwischen auf Nummer 5. Das heißt allerdings nicht zwangsläufig, dass die Ausgaben gesunken
sind.
Welche Rolle spielen die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki heute in Japan?
In den Lehrplänen wird das Thema zunehmend gestrichen. Im vergangenen Jahr sagte der
damalige Verteidigungsminister, es sei »schade«, aber die USA hätten keine andere Wahl gehabt.
Darüber war die Empörung so groß, dass er zurücktreten musste. Herr Akiba, Oberbürgermeister
Hiroshimas und Vorsitzender der »Bürgermeister für den Frieden«, gibt jedes Jahr eine
Friedenserklärung ab und organisiert Hiroshima-Nagasaki-Friedensstudien an den Universitäten.
Dafür wird er von anderen Politikern angefeindet.
Gibt es eine Friedensbewegung in Japan?
Ja, aber sie ist eine absolute Minderheit. Das liegt zum einen an dem Desinteresse der Bevölkerung.
Aber auch daran, dass die einzelnen politischen Kräfte untereinander total zerstritten sind. Trotzdem
gelang es uns dieses Jahr, im Rahmen der »Globalen Artikel-9-Kampagne zur Abschaffung von
Kriegen« eine internationale Friedenskonferenz bei Tokio auszurichten, an der mehr als 13 000
Menschen aus 45 Ländern teilnahmen. Das war ein großer Erfolg und entspricht meinen
Vorstellungen von einer weltumspannenden Friedensbewegung, analog zu den Sozialforen. Wir
müssen uns international vernetzen, damit wir dem Thema Frieden und Abrüstung mehr Gewicht
verleihen. Dazu soll unsere Kampagne ein Beitrag sein.
Fragen: Birgit Gärtner
* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2008
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