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Avnerys "Gespräche mit dem Feind"

Der israelische Friedenskämpfer wird heute 90 Jahre alt

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Er sprach über Frieden mit den Palästinensern, und er sprach mit Arafat, lange bevor es andere taten. Heute wird Uri Avnery, einer der Gründer der israelischen Friedensbewegung, 90 Jahre alt. Sein Lebenswerk, ein Staat Palästina und ein anderes Israel, ist nach wie vor unvollendet.

Wenn Uri Avnery heute seinen Geburtstag feiert, dann werden sie sich erneut treffen – die Unterhändler der Regierungen Israels und der palästinensischen Autonomiegebiete. Mit Ergebnissen ist nicht zu rechnen.

»Dass Israelis und Palästinenser heute überhaupt miteinander reden, das ist ein Stück weit auch der Verdienst von Uri Avnery«, sagt Schimon Peres. »Für uns war er jahrzehntelang immer auch ein Stachel. Ich habe mich oft über ihn geärgert. Aber er hat auch Denkanreize gegeben.«

Gut zehn Jahre, von 1965 bis 1974 und von 1979 bis 1981 saßen beide für verschiedene Parteien im Parlament. Avnery, Abgeordneter einer linken Kleinpartei, mahnte unermüdlich einen anderen Weg, ein anderes Israel an – mit mehr als 1000 Redebeiträgen in drei Legislaturperioden wurde er, mit weitem Abstand, zum aktivsten Abgeordneten in der israelischen Parlamentsgeschichte.

Heute ist Peres Staatspräsident. Und der 1923 in Beckum (heute Nordrhein-Westfalen) als Harald Ostermann geborene Avnery mahnt weiter, auch gegen Peres, den er den »Gummimann« nennt; eine Bezeichnung, die Peres von sich weist. Als Politiker müsse man eben auch pragmatisch sein. Avnery sei nie Politiker gewesen, sein Weg zu kompromisslos.

Und zwar dieser Weg: Anstelle eines jüdischen Staates fordert er einen hebräischen Staat, in dem Staat und Religion sauber von einander getrennt sind, und der neben einem palästinensischen Staat koexistiert. Er habe in seiner Zeit als Soldat im Unabhängigkeitskrieg gelernt, dass ein gemeinsamer Staat nicht umsetzbar ist, so Avnery.

Ein Konzept, für das er unermüdlich eintritt; in seinen Reden vor der Knesseth forderte er, mit der PLO zu sprechen, und wenn ihm dann vorgeworfen wurde, dass das doch Terroristen seien, die versuchten, ihre Forderungen mit Gewalt durchzusetzen, dann erwiderte er, dass man doch selbst auch nichts anderes getan habe, damals, vor der Unabhängigkeit.

Äußerungen, die Leute wie Peres, der anders als Avnery nie im Krieg gekämpft, aufregten. 1975 wurde Avnery bei einer Messerattacke schwer verletzt. Doch Avnery trat dennoch weiter für seine Überzeugung ein. 1982, mitten im Libanon-Krieg, traf er sich als erster Israeli mit Yasser Arafat. Und Peres sagt, er habe vor Wut geschäumt, als er das gehört habe. Wenige Jahre später flog er, damals Vizepremier unter Jitzhak Schamir, selbst heimlich nach Europa, um sich mit Vertretern der PLO zu treffen.

Mit seinen kaum zählbaren Schriften ist er bis heute im Inland und im Ausland der wohl prominenteste Vertreter der israelischen Friedensbewegung, die neben seiner eigener Organisation Gusch Schalom, eine Vielzahl von Gruppierungen umfasst. Es ist fraglos eine Bewegung, die heute vor einer Vielzahl von Herausforderungen steht.

Da ist die seit Jahren von der Rechten dominierte Politik, die immer wieder eine Gesetzgebung verabschiedet, die darauf abzielt, der Friedensbewegung zu schaden. So konnte das 2011 in Kraft getretene »Boykottgesetz« Ende 2012 nur durch eine Klage Avnerys vor dem Obersten Gerichtshof vorerst abgewendet werden.

Dieses Gesetz ermöglicht es Unternehmen, Privatleute und Organisationen, die zum Boykott von Produkten aufrufen, auf Schadenersatz zu verklagen, ohne die tatsächliche Höhe des Schadens nachweisen zu müssen. Zudem drohen Bußgelder. Eine endgültige Entscheidung des Gerichts darüber steht noch aus. Das Gesetz habe sich direkt gegen Gusch Schalom gerichtet, sagt Adam Keller, Sprecher der Organisation: »Dieses Gesetz hätte dazu geführt, dass wir viele Millionen an Schadenersatz hätten zahlen müssen. Wir wären nicht mehr funktionstüchtig.«

Aber noch viel mehr macht der Friedensbewegung die Lethargie der israelischen Gesellschaft zu schaffen. Durch den andauernden Siedlungsbau verfließen die Grenzen zwischen Israel und den besetzten Gebieten zunehmend. Und viele Israelis setzen Frieden mit Ruhe gleich.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. September 2013


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