Kriegstrommeln werden gerührt
Günter Grass wehrt sich gegen Hetze. Friedensbewegung stellt sich hinter den Autor
Von Arnold Schölzel *
Der Schriftsteller Günter Grass wehrte sich in mehreren Fernsehinterviews am Donnerstag (5. April) gegen die neueste deutsche Propaganda für Krieg. Deren Anlaß war sein am Mittwoch veröffentlichtes Gedicht »Was man sagen muß«, in dem er – in ausdrücklicher Verbundenheit mit Israel – vor einem Erstschlag gegen den Iran warnte. Grass kritisierte außerdem die kürzlich vereinbarte Lieferung eines sechsten deutschen U-Boote an Israel und wies auf die Gefährdung des Weltfriedens hin. Im »tagesthemen«-Interview kritisierte er außerdem die Besatzungspolitik Israels. Einen Widerruf seiner Thesen lehnte er ab.
Zahlreiche Kommentatoren widmeten sich den von ihnen bei Grass vermuteten Motiven, nutzten aber vor allem die Gelegenheit, um den Iran als angeblichen Kriegstreiber anzuprangern. Eine monströse Diffamierungsleistung lieferte am Freitag (6. April) die Kandidatin der Linken zur Bundespräsidentenwahl Beate Klarsfeld ab. Sie zitierte in einer Mitteilung aus einer Hitler-Rede im Jahr 1939 die Formulierung »das internationale Finanzjudentum« und fuhr fort: Wenn man diesen Ausdruck durch »Israel« ersetze, »dann werden wir von dem Blechtrommelspieler die gleiche antisemitische Musik hören.« Ähnlich schrieb der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, für Handelsblatt online: »Günter Grass hat zwar die Waffen-SS verlassen. Aber offenbar hat die Judenfeindschaft der Waffen-SS Günter Grass doch niemals verlassen.« Vertreter der Regierungsparteien hielten sich mit Äußerungen zurück, der Grünen-Parlamentarier Volker Beck nannte Grass »uneinsichtig«, der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich warf ihm »Einseitigkeit« vor. Den Medienlenkern reicht das offensichtlich nicht. So schrieb der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer, Mathias Döpfner, in Bild unter dem Titel »Der braune Kern der Zwiebel«, es gehe jetzt nicht mehr darum, was Grass gesagt habe, sondern nur noch, wie die Deutschen darauf reagierten. Döpfner hatte Ende 2010 den Krieg des Westens gegen das »Weltkalifat« propagiert.
Aufschlußreich für die derzeitige Medienausrichtung erscheint die am Freitag vom Bundestagsabgeordneten Diether Dehm (Die Linke) verbreitete Information, daß eine von ihm in Auftrag gegebene Anzeige mit dem Text »Kein Krieg gegen den Iran!« vom Madsack-Konzern abgelehnt wurde. Selbst das Angebot, nur den Satz Willy Brandts »Krieg ist die ultima irratio« zu zitieren, akzeptierte das vor allem in Niedersachsen tätige Presseunternehmen nicht. Der Linke-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Gregor Gysi, wandte sich mit einem Brief an die Madsack-Führung und fragte darin: »Ist es wirklich in Ihrem Verlag so weit gekommen, daß Warnungen vor Krieg und Werben für den Frieden gegen Ihre verlegerischen bzw. unternehmerischen Absichten verstoßen?«
Vor diesem Hintergrund starteten am Donnerstag (5. April) in Erfurt die diesjährigen Ostermärsche. Der Sprecher der Infostelle Ostermarsch 2012, Willi van Ooyen, äußerte aus Anlaß der Auseinandersetzungen um Grass am Freitag erneut »Sorge über die politische Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten.« Er erklärte: »Wir wollen, daß die Menschen in Israel – aber auch in Palästina, im Irak und in Syrien – in Frieden leben können. Krieg und Militarisierung lösen keine Probleme, weder in dieser Region noch sonstwo auf der Welt. Kriegsdrohungen und Kriegsvorbereitungen vergiften die politische Atmosphäre.« Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, stimmte in einer
Pressemitteilung der »politische(n) Aussage« des Grass-Gedichtes »ausdrücklich« zu.
* Aus: junge Welt, Samstag, 7. April 2012
"Die Reaktionen sind unverschämt"
Die Kritik von Günter Grass an Israel wird von den Medien niedergebrüllt. Ein Gespräch mit Wolfgang Gehrcke **
Wolfgang Gehrcke ist im Bundestag Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuß.
Der Schriftsteller Günter Grass hat den Medien ein Osterei geschenkt: Nach dem Wulff-Skandal haben sie wieder ein Thema, über das sie sich kollektiv empören können. Sie sind eine der wenigen Persönlichkeiten, die sich hinter Grass gestellt haben – werden Sie auch schon angefeindet?
Eigentlich nicht, ich habe sehr viele Briefe, Mails und Anrufe bekommen, die mich in ihrer großen Mehrheit ausdrücklich und sehr sachlich unterstützen. Auch aus der israelischen Friedensbewegung haben mich Reaktionen erreicht, meine dortigen Genossinnen und Genossen sind froh, daß endlich öffentlich über den drohenden Krieg geredet wird.
Ich selbst habe sofort erklärt: »Günter Grass hat recht« – und davon nehme ich nichts zurück. Mich verblüfft bei den Medien allerdings, daß kaum jemals die Frage gestellt wird, ob Grass denn vielleicht doch richtig liegt. Das tut er nämlich in vielen Punkten.
Wenn man die Berichterstattung in Spiegel, Focus, im TV und vielen Tageszeitungen analysiert, fällt eine einheitliche Struktur auf: In den ersten Zeilen wird Front gegen Grass gemacht, ohne auf Argumente einzugehen. Und die Berichte enden mit persönlichen Diffamierungen. Bestätigt das nicht den Vorwurf von Grass, unsere Medien seien fast gleichgeschaltet?
In unserer Medienlandschaft ist es unverzichtbar, daß Themen kontrovers behandelt werden. Ein dafür charakteristischer Stil – wie ihn z. B. der Konservative Sebastian Haffner gepflegt hat – ist sehr selten geworden. Uniforme Meinungen aber schaden der Demokratie. Eigentlich hat Grass die Medien herausgefordert – eine qualifizierte Antwort steht bisher aus. Es ist ein schlimmer Zustand, wenn bestimmte Themen einfach ausgeklammert werden.
Für mich war in dem Gedicht von Grass die zentrale Frage: Stimmt es, daß Israel dem Iran mit einem militärischen Angriff droht? Wenn dieser Vorwurf nicht stimmen würde, wäre das eine ungeheure Diffamierung. Wenn es aber doch stimmt, dann stellt sich die Frage: Muß man nicht alles tun, um einen solchen Krieg zu verhindern?
Die Behauptung vieler Medien ärgert mich, Grass habe Israel angegriffen. Das ist eine Unverschämtheit! Richtig ist vielmehr, daß er dessen Regierung kritisiert und die deutsche Bundesregierung dazu. Er tut das aber solidarisch mit der Bevölkerung Israels, in einer angenehmen Hinwendung – was auch meine Position ist. Ich weiß, daß die Menschen in Israel selbst keinen Krieg gegen den Iran wollen – und die sind es, mit denen ich mich verbunden fühle!
Über Grass werden jetzt Kübel mit Dreck ausgegossen: Er sei altersbedingt gaga, man müsse ihm den Griffel aus der Hand nehmen, er sei im Grunde ein Antisemit. Wird damit nicht jede Kritik an Israel als antisemitisch abgetan?
Eine solche Gleichsetzung ist natürlich völliger Unsinn. Ich habe in Israel viel schärfere Kritik an der Regierung von Benjamin Netanjahu gehört, als die meisten unserer Medien hierzulande zulassen. Sind diese jüdischen Kritiker etwa Antisemiten? Es haben auch jüdische Persönlichkeiten und Gruppen in Europa Grass in Schutz genommen – etwa die »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«.
Wie hat Ihre Partei darauf reagiert, daß Sie sich mit Grass solidarisieren? Es gibt in ihr ja auch bedingungslose Anhänger Israels, die ähnlich faktenfrei argumentieren wie die erwähnten Medien. Stichwort: Bundesarbeitskreis »Shalom« ...
Alle Reaktionen, die mich bisher aus der Partei erreicht haben, klangen so, als sei man ganz zufrieden damit. Es wird immer wieder unterstrichen, daß ich drei Punkte angesprochen habe.
Erstens: Kein Krieg gegen den Iran, das wäre nämlich eine Katastrophe für den ganzen Nahen Osten. Zweitens: Von wem gingen denn bisher die Kriegsdrohungen aus? Das war doch wohl die israelische Militär- und Staatsführung. Drittens: Wer, wie die deutsche Bundesregierung, in einer solchen Situation auch noch atomwaffenfähige U-Boote an Israel liefert, macht sich mitschuldig.
Die Reaktionen aus meiner Partei bestärken mich darin, daß sie sehr einheitlich und mit Courage gegen jede Art Krieg auftritt. Ich bin daher sehr zuversichtlich, daß bei den diesjährigen Ostermärschen viele meiner Genossinnen und Genossen dabei sind.
Interview: Peter Wolter
** Aus: junge Welt, Samstag, 7. April 2012
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