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Stimmzettel statt Gewehrkugeln

Bürgerinitiative strebt vereintes Irland per Referendum an

Von Katharina Millar, Crossmaglen *

Im 1998 geschlossenen Karfreitagsabkommen wurde die Möglichkeit einer Wiedervereinigung von Irland und Nordirland festgehalten. Nun drängt eine Bürgerinitiative auf ein Referendum in der Republik und dem Landesteil des Vereinigten Königreichs.

Das südliche Armagh, verschrien als »Bandit Country«, Schmugglerland und republikanisches Herz ist die Szene für ein symbolisches Referendum über die Wiedervereinigung Irlands. Jahrzehntelang galt die Region als die gefährlichste Abkommandierung für britische Soldaten, die Scharfschützen des lokalen IRA-Bataillons waren für ihren Wagemut und ihre Treffsicherheit berüchtigt. Auch wenn Süd Armagh das am stärksten militarisierte Gebiet Nordirlands war und nahezu flächendeckend überwacht wurde, erfolgten bis 2002 Truppenbewegungen und -versorgung aufgrund von Straßenminen nahezu ausschließlich per Hubschrauber. Das britische Militär- und Polizeihauptquartier in Bessbrook war zeitweilig eines der am stärksten frequentierten Start- und Landefelder für Helikopter in ganz Westeuropa.

Die kleinen Grenzgemeinden Crossmaglen, seit der Teilung des Landes dem Norden Irlands zugehörig, und Upper Creggan in der südlichen Grafschaft Louth stimmten nun in einem selbstorganisiertem Referendum probehalber und öffentlichkeitswirksam über die Einheit der geteilten Insel ab. Die Initiative »United Ireland – You Decide – A People’s Referendum« (Vereintes Irland – Du entscheidest – Ein Volksreferendum), von lokalen Aktivisten ins Leben gerufen, orientiert sich dabei am Erfolg der Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Das dort neu gewählte Regionalparlament ebnete zu Jahresanfang den Weg für ein Referendum im Jahr 2014, indem es die »Erklärung für die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen« verabschiedete.

Historisch betrachtet bilden Crossmaglen und Upper Creggan eine von vielen Pfarrgemeinden, die durch die Teilung Irlands 1922 auseinandergerissen wurden. Vorschläge einer damals ins Leben gerufenen »Boundary Commission« (Grenzkommission) zur Korrektur des Grenzverlaufs in verschiedenen Gegenden wurden nicht umgesetzt, Crossmaglen verblieb so im Norden.

»Das zeigt, wie willkürlich die Grenze hier gezogen wurde von Leuten in London«, sagt die Sprecherin der Initiative United Ireland, Emma McArdle. »Leute, die hier nie auf den Straßen oder Feldern gestanden haben, die die Leute hier nicht kennen und sich auch nicht um die Auswirkungen gekümmert haben. Wir sind hier nie gefragt worden und jetzt ist es langsam an der Zeit, dass unsere Stimmen gehört werden.«

Die Mutter eines sieben Monate alten Sohnes mit Familie auf beiden Seiten der Grenze kann sich noch an die Checkpoints an allen Zugangsstraßen erinnern. Und an die bewaffneten Soldaten, die zweimal täglich ihren Schulbus bestiegen und kontrollierten. Inzwischen sind die militärischen Befestigungen abgebaut, wenn auch die überdimensionierte Polizeistation noch martialisch im Ort thront. Drei Jahrzehnte militärischer Auseinandersetzungen mit Auswirkungen auf Geschäfte und Arbeitsmöglichkeiten sowie die Lage an der äußeren Peripherie, sowohl von Dublin wie von London betrachtet, trugen dazu bei, dass der Bezirk als einer der ärmsten in Nordirland galt. Angesichts der miserablen wirtschaftlichen Situation und erneut steigenden Abwanderung überwiegend junger und gut ausgebildeter Menschen ist der Versuch, neue Lösungen zu finden, verständlich. »Unsere Kampagne hat nicht die Idee, diesen Teil des Landes einfach in den Süden einzugliedern. Unsere Vorstellung ist die von einer gerechteren Gesellschaft. Der erste Schritt dazu ist, den Menschen das Sagen zu geben«, so McArdle.

Die praktischen Vorteile einer gesamtirischen Wirtschaft muss man Geschäftstreibenden und Angestellten, die grenzübergreifend tätig sind, nicht erklären. Die Bürokratie wirkt in doppelter Hinsicht: zwei Währungen, zwei Steuererklärungen, unterschiedliche Regelungen und Gesetze im Geschäfts- und Agrarbereich, einschließlich arbeitsrechtlicher Grundlagen. Dazu kommen zwei unterschiedliche Schulsysteme und zwei Gesundheitssysteme, was dazu führt, dass das theoretisch nächstgelegene Krankenhaus z.B. für Anwohner von Upper Creggan (Republik Irland) nicht zur Verfügung steht. Zusätzlich sind hohe Telefonkosten garantiert. Falls überhaupt ein Mobilfunknetz zur Verfügung steht, befindet man sich üblicherweise im Netz von der anderen Seite der Grenze – und es gibt kein Roaming-Abkommen, das vor einer hohen Rechnung schützen könnte.

Der Vorsitzende von Sinn Féin, Gerry Adams, inzwischen Abgeordneter für die Grafschaft Louth in der Dáil, wie das irische Parlament genannt wird, rief im Januar erneut zur Debatte über eine Wiedervereinigung auf. Die Voraussetzungen für ein offizielles Referendum sind bereits im nunmehr 15 Jahre alten Karfreitagsabkommen festgelegt: Der britische Nordirlandminister ist verpflichtet, eine Abstimmung anzuordnen, wenn dies ein nachweisliches Verlangen der Wahlberechtigten in Nordirland ist. Sinn Féin möchte im Verlauf der nächsten Legislaturperioden des Dáil und des nordirischen Parlaments Stormont Gebrauch von dieser Vereinbarung machen.

Wie ein wiedervereintes, neues Irland aussehen soll, ist unklar. Aber die lokale Initiative ist ein erster Schritt, diese Debatte anzustoßen und mögliche Modelle zu entwickeln. »Wer, wenn nicht wir, soll mit der Diskussion über ein neues Irland und darüber, wie es gestaltet sein soll, beginnen?«, fragt Emma McArdle. Die Bürgerinitiative hatte zwar keinen Zugang zum Wahlregister, erreichte aber dennoch, dass sich von etwa 4000 Stimmberechtigten in beiden Wahlbezirken rund 2500 für eine Stimmenabgabe registriert haben. Bei einer Diskussionsveranstaltung in der vorletzten Woche waren jedoch auch skeptische Stimmen zu hören. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage in der Republik sei ein Zusammenschluss zu diesem Zeitpunkt nicht ratsam. Auch die Teilnahme eines Vertreters der Unionisten an solch einer Veranstaltung wäre vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen. Roy Garland, Mitglied der Ulster Unionist Party und ehemals des loyalistischen Oranier-Ordens, wies darauf hin, dass für viele Protestanten ein vereintes Irland weiterhin undenkbar ist. Die Pflicht bestehe darin, diese Hälfte der Bevölkerung überhaupt erst für die Diskussion zu gewinnen.

Befragt nach ihrer Meinung zum anstehenden Probereferendum waren einige der Geschäftsleute und Passanten rund um den Hauptplatz von Crossmaglen sehr vorsichtig: »Ich sage dazu lieber nichts«, »Ich arbeite hier nur und wohne im Süden, mich betrifft das nicht«, »Ich interessiere mich nicht wirklich für Politik«. Die deutlich sichtbare Zurückhaltung bei der Stellungnahme zur »nationalen Frage« zeigt den langen Weg, den diese Diskussion auf beiden Seiten noch vor sich hat.

Für den Wahltag am Sonnabend hatte sich Michael Halpenny, Anwalt und Vorsitzender der Rechtsabteilung der größten allgemeinen und branchenübergreifenden irischen Gewerkschaft SIPTU (Services Industrial Professional Technical Union), bereit erklärt, als Wahlleiter zu agieren. »Letztlich wollen wir zum Ergebnis stehen können und versuchen daher, unsere Kampagne so professionell wie möglich zu führen«, erklärt Emma McArdle. Sie sei froh, dass sie Michael Halpenny gewinnen konnte und dieser mit zwei weiteren Anwälten die Grundlagen für die Abstimmung vorgegeben hatte. »Das legitimiert unser Unterfangen.« Zusätzlich ist Alfred Bosch, Vertreter und Sprecher der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) im spanischen Parlament und maßgeblich an der Durchsetzung eines Referendums in Katalonien beteiligt, als internationaler Beobachter anwesend.

»Falls wir ein negatives Ergebnis bekommen, ist das natürlich ein schlechtes Zeichen für weitere Kampagnen. Wir hoffen auf ein gutes Resultat«, sagt Emma McArdle. Am Ende blieb lediglich die Wahlbeteiligung mit knapp 42 Prozent etwas unter den Erwartungen. Die Frage »Soll Irland wiedervereinigt werden?« wurde mit insgesamt 92 Prozent mit einem überwältigendem Ja beantwortet. »Ihr habt Geschichte geschrieben«, so Alfred Bosch nach Verkündung des Ergebnisses. »Das Volk hat gesprochen, lasst euch das nicht mehr nehmen.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 27. Mai 2013


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