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Keine Erfolgsgeschichte

Von der zeitweisen Lockerung der westlichen Sanktionen hatte Iran bisher nur geringen Nutzen

Von Knut Mellenthin *

Der Iran und die Sechsergruppe – bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats und Deutschland – wollen ihre Verhandlungen über das iranische Atomprogramm voraussichtlich erst Mitte September fortsetzen. Das ist zumindest das, was der stellvertretende iranische Außenminister Sejed Abbas Araqchi am Montag mitteilte. Geplant sei ein Treffen am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die am 16. September in New York eröffnet wird. Araqchi fungiert meist als Leiter der iranischen Delegation, da Teherans nomineller Chefunterhändler, Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, aus protokollarischen Gründen nur selten an den überwiegend auf Staatssekretärsebene geführten Gesprächen teilnimmt.

Falls die Angabe des iranischen Diplomaten sich als richtig erweisen sollte, hätten die sieben Staaten eine fast zweimonatige Verhandlungspause eingelegt. Ihre Vertreter hatten sich zuletzt am 20. Juli in Wien getroffen. An diesem Tag endete die Sechsmonatsfrist, die Iran und die Sechsergruppe ursprünglich für das Erreichen eines Abkommens vereinbart hatten.

Kaum positive Folgen

Als neues Zieldatum gilt nun der 24. November. Daß von den zur Verfügung stehenden vier Monaten offenbar die Hälfte mit einer langen Pause gefüllt werden soll, mutet seltsam an. Eine Deutungsmöglichkeit ist, daß die Zeit bis zu den amerikanischen Kongreßwahlen am 4. November überbrückt werden soll, um das Thema soweit wie möglich aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Anschließend könnten sich die sieben Staaten eine neue sechsmonatige Verhandlungsrunde genehmigen, sofern alle Beteiligten einverstanden sind. Allerdings dürfte damit die Zuversicht dahinschwinden, daß ein Ergebnis erreichbar ist.

Mit den Verhandlungen verbunden ist ein Moratorium, das am 20. Juli gleichfalls bis zum 24. November verlängert wurde. Iran hat sich verpflichtet, in dieser Zeit erhebliche Einschränkungen seines Atomprogramms, insbesondere bei der Anreicherung von Uran, auf sich zu nehmen. Im Gegenzug haben die USA und ihre europäischen Verbündeten einige Sanktionen vorübergehend außer Kraft gesetzt. Das hatte für den Iran allerdings kaum positive Folgen, da die Zeit von sechs Monaten zu kurz und die Gesamtlage zu unsicher war, um ausländischen Unternehmen den Abschluß von Lieferverträgen attraktiv erscheinen zu lassen. Das Klima wird sich während der gegenwärtigen, nur vier Monate langen zweiten Moratoriumsphase wahrscheinlich nicht verbessern.

Die iranische Regierung hat dennoch von Anfang an alles getan, um die in der Praxis geringfügigen Sanktionserleichterungen als große Erfolgsgeschichte darzustellen. Das Moratorium wurde als Beginn des Zusammenbruchs des Sanktionssystems gefeiert und Präsident Hassan Rohani sprach von einer »Kapitulation« der Sechsergruppe, die die Aufrechterhaltung der Sanktionen »unmöglich« mache. Auf der Gegenseite bedienten sich die israelische Regierung und ihre internationale Lobby genau der gleichen Thesen, um die Verhandlungen mit dem Iran anzuprangern. Beide Kontrahenten schreckten nicht einmal davor zurück, sich zur Bekräftigung ihrer Sichtweise gegenseitig zu zitieren.

Keine Abschlüsse

Tatsächlich trafen in den ersten Monaten des Jahres große, repräsentativ besetzte Wirtschaftsdelegationen aus vielen westlichen Ländern in Teheran ein, was die iranischen Medien zu der Behauptung veranlaßte, es habe ein »Wettlauf« auf den iranischen Markt eingesetzt. In Wirklichkeit ging es lediglich darum, alte Kontakte wieder aufzunehmen und das grundsätzliche Interesse an der Wiederherstellung von Handelsbeziehungen im früheren Umfang zum Ausdruck zu bringen. Aber ständig wurde auch der entscheidende Vorbehalt betont: Erst müßten die Sanktionen fallen. Konkrete Abschlüsse wurden, so weit erkennbar, nicht besprochen, geschweige denn unterschrieben.

Ein Trumpf der iranischen Erfolgspropaganda war zeitweise die angebliche Verdoppelung des Erdölexports, die als Ergebnis des Moratoriums bejubelt wurde. Die genannten Zahlen waren wahrscheinlich nicht falsch, aber sachlich irrelevant. Die Ölverkäufe, meist gemessen in Barrel pro Tag (bpd), unterliegen im Verlauf eines Jahres sehr starken Schwankungen. Dabei spielen viele Faktoren, nicht zuletzt selbstverständlich Preis und Geschäftsbedingungen, eine Rolle. Der iranische Ölexport hatte im Oktober 2013 mit 700000 bpd außergewöhnlich niedrig gelegen und erreichte im Februar mit 1,4 Millionen bpd eine überdurchschnittliche Höhe. Die Verdoppelung betraf also nur zwei Monate mit extremen Werten.

Die US-Regierung hat sich im Januar verpflichtet, während des Moratoriums keinen Druck auf Irans Kunden auszuüben, ihre Ölkäufe unter die bisherige Gesamtsumme von durchschnittlich 1,0 bis 1,1 Millionen bpd zu senken. Tatsächlich aber reduzierten einige Staaten, hauptsächlich China, die in den ersten Monaten dieses Jahres relativ viel gekauft hatten, später ihre Einfuhren. Dadurch ergibt sich für die sechsmonatige Moratoriumszeit ein Gesamtdurchschnitt von 1,2 bis 1,3 Millionen bpd. Ein kleiner Anstieg also, aber kein Riesenerfolg. Bevor die EU zum 1. Juli 2012 ein totales Einfuhrverbot für Erdöl und Gas aus dem Iran verhängte, lag der iranische Ölexport im Schnitt bei 2,5 Millionen bpd.

Ein wichtiger Punkt, der vielen westlichen Politikern und Journalisten entweder nicht klar ist oder den sie bewußt ständig falsch darstellen: Iran hat sich im Moratoriumsabkommen nicht dazu verpflichtet, sich an die Obergrenze von 1,0 bis 1,1 Millionen bpd zu halten. Die Abmachung bindet nur die US-Regierung. Da die Verpflichtungen der Beteiligten hübsch übersichtlich aufgelistet sind, ist der Sachverhalt völlig klar.

Die 20-Milliarden-Ente

Das Moskauer Energieministerium hat am Dienstag die Unterzeichnung eines auf fünf Jahre angelegten »Memorandum of Understanding« zwischen Rußland und dem Iran bekanntgegeben. Das Dokument, dessen Wert selbst mit dem Wort »Vorvertrag« übertrieben gekennzeichnet wäre, sieht unter anderem in allgemeinen Sätzen eine Ausweitung des bilateralen Handels und eine engere Zusammenarbeit im Öl- und Gassektor vor. Konkrete Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Mit deren Ausarbeitung soll bei einem Expertentreffen in Teheran begonnen werden, das für den 9. und 10. September geplant ist.

Was bisher offiziell bestätigt wurde, läßt der Phantasie viel Spielraum. So rankten sich um die knappe, nüchterne Meldung aus Moskau in verschiedenen Medien sofort Gerüchte, daß das Abkommen auch einen Deal im Umfang von 20 Milliarden US-Dollar enthalte. Angeblich wolle Rußland dem Iran einige Jahre lang große Mengen Erdöl abnehmen, um sie weiterzuverkaufen. Das Volumen soll bei 500000 Barrel pro Tag (bpd) liegen. Iran soll dafür unter anderem schwere Lastwagen, Eisenbahnschienen, Stahlrohre für Pipelines, Ausrüstungen für die Öl- und Gasförderung und vielleicht sogar zwei neue Atomkraftwerke erhalten.

Zur Verdeutlichung der Dimension: Irans gesamter Erdölexport liegt gegenwärtig bei 1,2 bis 1,3 Millionen bpd. Bei einem Einstieg in den iranischen Ölexport in der behaupteten Größenordnung würden Rußland vermutlich US-amerikanische Strafmaßnahmen drohen. Andererseits wäre das für Washington nicht ganz so leicht, wie es scheinen könnte, oder würde zumindest neue Probleme aufwerfen: 500000 bpd entsprächen ungefähr der Menge, die China gegenwärtig sanktionsfrei aus dem Iran einführen darf.

Meldungen, daß Iran und Rußland über ein solches Milliardengeschäft verhandeln, tauchten erstmals im Januar auf. Wiederholt wurde behauptet, sogar von iranischer Regierungsseite, daß die Unterzeichnung eines Vertrages in Kürze zu erwarten sei. Es gibt aber aktuell keine belastbaren Hinweise, daß dieses Projekt Teil des jetzt vereinbarten Memorandums ist. Ein Sprecher des iranischen Ölministeriums dementierte das am Mittwoch sogar ausdrücklich. In einer Stellungnahme des russischen Energieministerium heißt es lediglich, daß man sich »am Transport von Rohöl, einschließlich nach Rußland«, beteiligen könne. Der Moskauer Tageszeitung Kommersant zufolge ist dafür aber nur eine Menge von 50000 bpd im Gespräch, ein Zehntel des anfänglich wohl wirklich Geplanten.

* Aus: junge Welt, Freitag 8. August 2014

Sanktionsregime: Schrittweiser Ausstieg

Neben vielen anderen Punkten sind bei den Verhandlungen zwischen Iran und der Sechsergruppe auch die Modalitäten umstritten, nach denen im Fall einer Einigung die westlichen Sanktionen außer Kraft gesetzt werden sollen.

Das am 24. November 2013 unterzeichnete Rahmenabkommen, der Joint Plan of Action, sieht lediglich die Aufhebung von »nuklearbezogenen« Strafmaßnahmen vor. Der Text vermeidet das eindeutige Adjektiv »alle« und sogar den direkten Artikel. Viele Sanktionen sind mit unterschiedlichen Vorwürfen begründet, darunter neben dem Atomstreit auch Menschenrechtsverletzungen und Unterstützung des internationalen Terrorismus. Nach westlichem Verständnis stehen im Fall einer Einigung mit Teheran nur diejenigen Sanktionen zur Disposition, die ausschließlich mit dem iranischen Atomprogramm begründet sind. Nach dem Verständnis der übergroßen Mehrheit des US-Kongresses beträfe das nur einen sehr kleinen Teil der Strafmaßnahmen. Senat und Abgeordnetenhaus haben bereits angekündigt, daß sie der Aufhebung der vom Kongreß beschlossenen Sanktionen die erforderliche Zustimmung verweigern würden.

Einige Sanktionen beruhen nur auf Anordnungen des Präsidenten, könnten also leicht außer Kraft gesetzt werden. Die vom Kongreß beschlossenen Maßnahmen enthalten in der Regel eine Klausel, die es dem Präsidenten erlaubt, die Bestimmungen nicht anzuwenden. Das muß er aber jeweils begründen und alle sechs Monate neu bestätigen. Die Sanktionen, für die das gilt, würden also voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht aufgehoben, sondern nur immer wieder befristet suspendiert. Die bisherigen Erfahrungen mit dem seit Januar gültigen Moratorium bestätigen, daß unter solchen Voraussetzungen kein Klima für Geschäftsabschlüsse von mittlerer Dauer und erst recht nicht für langfristige Kooperationen und Investitionen entstehen kann.

Praktisch hundertprozentig sicher ist, daß eine Einigung im Atomstreit nicht zur schnellen Aufhebung aller Sanktionen führen wird. Die US-Regierung wird dem Iran voraussichtlich bestenfalls einen nicht voll verbindlichen Zeitplan für einen »schrittweisen« Ausstieg aus ihrem Sanktionssystem anbieten. Das hat die iranische Seite schon abgelehnt. Letztlich wird es aber vermutlich auf die Einzelheiten des Angebots ankommen. (km)




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