Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Diplomatie sieht anders aus"

Armut, Repression und Eskalation – die vorhersehbaren Folgen der Sanktionen gegen den Iran. Ein Gespräch mit Niema Movassat *

Niema Movassat ist Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für die Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag.



Das erste iranische Atomkraftwerk Buschehr wird gerade mit nuklearen Brennstäben bestückt. Zu Beginn der Bauzeit vor 30 Jahren war die deutsche Firma Siemens an dessen Bau beteiligt. Sie werfen der Bundesregierung und der EU vor, wegen des Atomstreits Sanktionen gegen den Iran verhängt zu haben, ohne vorher zu analysieren, welche Auswirkungen dies haben wird. Was wären Ihrer Meinung nach die Auswirkungen?

Es wird die einfache Bevölkerung treffen. Armut und soziale Mißstände werden sich verschärfen. Hinzu kommt, daß die Bundesregierung weitere Sanktionen nicht ausschließt. Zu welchen Ergebnissen ein derart unreflektiertes Vorgehen führen kann, haben die in den 90er Jahren verhängten Sanktionen gegen den Irak gezeigt, die zum Tod von 500000 Menschen geführt haben. Das »Zurück zum Verhandlungstisch«, das die Bundesregierung propagiert, wird damit nicht erreicht. Eher wird die Lage dadurch eskalieren.

Wie könnten sich die Sanktionen auf die Innenpolitik des Iran auswirken – haben es oppositionelle Kräfte dadurch leichter oder schwerer?

Oppositionelle werden dadurch sogar gefährdet. Die Repression nach innen wird sich verschärfen; und die Regierung kann soziale Mißstände, die sonst auch da wären, allein auf die Sanktionen schieben. Sie kann sagen: »Wir können ja nichts dafür, das kommt alles von außen.« Das schweißt dann natürlich zusammen und schafft einen Zusammenhalt von Bevölkerung und Regierung, den es sonst nicht in diesem Ausmaß geben würde. Das entzieht jeder Opposition den Nährboden und die Unterstützung – auch im Repressionsfall können Oppositionelle nicht auf allzuviel Solidarität in der Bevölkerung hoffen.

Die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage Ihrer Fraktion enthält keine konkrete Auflistung von Anhaltspunkten für die Zweifel an der ausschließlich zivilen Nutzung des iranischen Atomprogramms. Meinen Sie, daß es keinen Grund gibt, daran zu zweifeln?

Die Nichtexistenz von irgend etwas kann man immer schwer beweisen. Der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Yukiya Amano, hat allerdings noch im Juni klargestellt, nie gesagt zu haben, der Iran sei eine Bedrohung oder habe ein Atomwaffenprogramm.

Laut Atomwaffensperrvertrag hat jedes Land, das ihn unterschrieben hat, das Recht auf eine zivile Nutzung der Atomenergie – und auch auf die Anreicherung von Uran auf seinem eigenen Territorium. Anders als Israel, Pakistan oder Indien, die bekanntermaßen die Atomkraft auch militärisch nutzen, hat der Iran den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben. Die Frage nach den Gründen für diese Doppelstandards wurde von der Bundesregierung bisher nicht beantwortet.

Gleichzeitig beliefert sie Israel, welches tatsächlich ein geheimes Atomwaffenprogramm unterhält und Kontrolleuren der IAEA den Zutritt zu seinen Anlagen verwehrt, mit atomwaffenfähigen U-Booten zu Sonderpreisen. Im Streit um das iranische Atomprogramm wird offensichtlich versucht, rücksichtlos die Interessen der EU und der USA durchzusetzen – auf dem Rücken der iranischen Bevölkerung. Diplomatie sieht anders aus. Daß die iranische Regierung darauf mit verbalem Säbelrasseln reagiert, ist logisch und vorhersehbar.

Gibt es im Iran überhaupt Atomkraftgegner – sei es nun aus ökologischen Gründen oder aus Angst vor einem Krieg?

Eine Umweltbewegung gegen die Atomenergie gibt es dort meines Wissens nicht. Wenn doch, dann ist sie marginal. Die Meinung der Iraner zum Atomprogramm ist auch weitgehend unabhängig davon, wie sie zum Mullah-Regime stehen. Die übergroße Mehrheit ist dafür, weil sie die Unabhängigkeit vom Erdöl erreichen will. Die iranische Geschichte ist voll von Konflikten, die mit dem Erdölreichtum zusammenhingen. Der Iran und die Region hat deshalb mehr als einen Krieg erlebt. Deshalb gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, daß der Energiebedarf schrittweise anders gedeckt werden muß. Auch der Schah wollte schon Atomenergie; und die Iraner sehen es als ein Recht an, das ihnen genauso zusteht wie anderen Völkern. Man möchte sich da nicht reinreden lassen, nachdem das Land den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat.

Auch Mussawi, der bei der Präsidentenwahl gegen Ahmadinedschad angetreten ist und als Kopf der »grünen« Oppositionsbewegung gilt, hat sich positiv über das Atomprogramm geäußert.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, 3. September 2010


Zurück zur Iran-Seite

Zur Embargo/Sanktionen-Seite

Zurück zur Homepage