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Druck und Fristen

Am 12. September 2003 beschloß der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde das erste Ultimatum an den Iran

Von Knut Mellenthin *

Vor zehn Jahren setzte das »Board of Governors« der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) dem Iran das erste Ultimatum. Die Entscheidung erfolgte einstimmig, also auch mit den Stimmen Rußlands und Chinas. Damit war, mit einer gewissen Vorhersehbarkeit und Zwangsläufigkeit, der Weg zu der gegenwärtigen Konfrontation eingeleitet.

Im Gouverneursrat sind 35 Staaten vertreten, von denen einige ständige Mitglieder sind, andere ernannt und die übrigen 22 nach einem Rotationsverfahren für zwei Jahre gewählt werden. Das Gremium tagt fünfmal im Jahr für jeweils mehrere Tage.

Mit der Resolution vom 12. September 2003 wurde dem Iran eine Frist von sieben Wochen, bis zum 31. Oktober, gesetzt, um der IAEA einen vollständigen Bericht über die gesamte, bis weit in die Zeit des im Januar 1979 endenden Schah-Regimes zurückreichende Geschichte seines Atomprogramms vorzulegen. Das beinhaltete insbesondere eine genaue Aufstellung aller importierten Materialien und Geräte zur Entwicklung der Urananreicherung und Informationen über alle Versuche zur Umwandlung von Uran. Iran wurde außerdem aufgefordert, bis zur Klärung der offenen Fragen sämtliche mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten – die sich zu diesem Zeitpunkt erst im Teststadium befanden – einzustellen. Dieser Appell hatte allerdings keinen verpflichtenden Charakter und war auch nicht Bestandteil der Fristsetzung. Das gleiche galt für die Aufforderung, Iran möge sofort das Additional Protocol, ein freiwilliges Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag, unterschreiben. Es gibt den Inspektoren der IAEA erheblich mehr Rechte als in den ursprünglichen Ausführungsbestimmungen des Vertrages vorgesehen sind.

Inszenierte Enthüllung

Was passieren sollte, falls Iran sich dem Ultimatum zur Hauptsache, der Offenlegung seines gesamten Atomprogramms der letzten Jahrzehnte, nicht unterwarf, war in der Resolution nicht definiert, noch nicht einmal angedeutet. Aus den vorausgegangenen Gesprächen und Verhandlungen war aber klar geworden, daß es um die Übergabe des Streits an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ging. Anders als die IAEA, die über solche Mittel nicht verfügt, kann der Rat Strafmaßnahmen, von Sanktionen bis zu militärischer Gewaltanwendung, beschließen. Die zentrale Forderung nach Offenlegung hatte das »Board of Governors« auch schon auf seiner Juni-Sitzung beschlossen, allerdings damals noch ohne Frist.

Daß Iran angeblich heimlich Atomwaffen entwickle und von deren Fertigstellung nur noch wenige Jahre entfernt sei, war schon seit Beginn der 1990er Jahre ein permanentes Thema vor allem US-amerikanischer und israelischer Politiker, das immer wieder mit konkreten Kriegsdrohungen untermalt wurde. Die Polemik gewann aber eine neue Brisanz, als ein Sprecher der Exilgruppe MEK (Volksmudschahedin) am 15. August 2002 auf einer Pressekonferenz in den USA »Enthüllungen« über ein »geheimes Atomwaffenprogramm« des Iran präsentierte.

Die beiden Objekte, die der MEK-Vertreter nannte, waren eine Anlage zur Urananreicherung in Natanz und eine Fabrik zur Herstellung von schwerem Wasser bei Arak. »Geheim« waren daran allerdings nur die beiden Anlagen, die sich zu dieser Zeit noch im Bau befanden und nicht der IAEA gemeldet waren. Dazu bestand jedoch keine Veranlassung: Die Produktion von schwerem Wasser, das unter anderem für den Betrieb von Reaktoren, aber nicht nur dafür, benötigt wird, fällt nicht in die Kompetenz der IAEA. Und die Anlage in Natanz hätte Iran erst sechs Monate vor der Einführung von Uran melden müssen. Im Gegensatz zu landläufigen Vorstellungen ist die Behörde kein Instrument zur Überwachung der Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags, sondern ist nur für die Arbeit mit nuklearem Material zuständig – und zwar hauptsächlich unter Sicherheitsaspekten.

Die sachlich unbegründeten Vorwürfe der MEK reichten jedoch als Anstoß, daß sich die IAEA sehr intensiv mit dem iranischen Atomprogramm zu beschäftigen begann. In den Gesprächen wurde, großenteils durch Eingeständnisse der iranischen Seite, deutlich, daß die Iraner in der Vergangenheit, teilweise über zehn Jahre zurückliegend, eine ganze Reihe von Verstößen gegen die Ausführungsvereinbarungen zum Atomwaffensperrvertrag begangen hatten. Dazu gehörten der unangemeldete Import relativ kleiner Mengen von Uran zu Versuchszwecken und verschiedene Tests, die der IAEA gleichfalls nicht angezeigt worden waren.

»Vermittler« aus der EU

Die Aufklärung dieser Vorgänge verlief zunächst zäh. Zum einen bestanden, wie inzwischen mehrere iranische Insider veröffentlicht haben, Unsicherheit und Meinungsverschiedenheiten, ob man schonungslos sämtliche Altlasten offenbaren und sich damit vielleicht in noch größere Schwierigkeiten bringen sollte. Außerdem lagen die meisten Vorgänge schon viele Jahre zurück, waren nicht oder nur mit großen Mühen noch vollständig zu rekonstruieren, und gingen zum Teil auf individuelle Initiativen, nicht auf zentrale Anweisungen zurück.

Durch das Ultimatum der IAEA vom 12. September 2003 sah sich die iranische Führung zu einer Entscheidung gezwungen. Dieser lag die Überlegung zugrunde, daß, wenn irgendwie möglich und vertretbar, eine Übergabe des Streits an den UN-Sicherheitsrat vermieden werden sollte. Außerdem fürchtete man in Teheran, die USA könnten nach ihrem scheinbar schnellen militärischen Erfolg im Irak – der amerikanische Einmarsch lag erst ein halbes Jahr zurück – auch den Iran angreifen, und wollte Vorwände dafür beiseite räumen. Zu dieser Zeit drängten die Neokonservativen öffentlich darauf, den Krieg sofort auf den Iran und Syrien auszuweiten.

Als scheinbarer Vermittler übernahm das »EU-Trio«, bestehend aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die Verhandlungsführung gegenüber dem Iran. Die Regierungen in Berlin und Paris hatten sich offen gegen den Irakkrieg der USA ausgesprochen, was bei maßgeblichen iranischen Politikern und Diplomaten die Hoffnung geweckt hatte, daß Europa eine eigenständige, mäßigende Rolle spielen könne und wolle.

Am 21. Oktober 2003, zehn Tage vor Ablauf des IAEA-Ultimatums, wurde in Anwesenheit der »Trio«-Außenminister – deutscherseits war das damals Joseph Fischer – in der iranischen Hauptstadt die Teheraner Erklärung unterzeichnet. Iran sagte – »freiwillig«, wie es ausdrücklich hieß – die unbefristete Einstellung aller mit der Urananreicherung verbundenen Arbeiten zu. Es kündigte darüber hinaus die Unterzeichnung des Aditional Protocol an und versprach, sich ab sofort auch ohne Ratifizierung durch das Parlament an dessen Vorschriften zu halten. Im Gegenzug verpflichtete sich das EU-Trio zu absolut gar nichts. Mündlich hatten die drei Außenminister lediglich versprochen, daß ihre Staaten sich einer Übergabe des Streits an den UN-Sicherheitsrat widersetzen würden, solange Iran das Anreicherungsmoratorium praktizieren würde.

Als offensichtlich wurde, daß die drei EU-Staaten gar nicht ernsthaft verhandeln, sondern nur Irans zeitweise Unterbrechung der Vorarbeiten zur Urananreicherung verewigen wollten, beendete die iranische Regierung am 1. August 2005 das Moratorium.

* Aus: junge welt, Samstag, 14. September 2013


Quelle. Aus der Teheraner Erklärung vom 21. Oktober 2003

Die iranische Regierung bekräftigt, daß Atomwaffen keinen Platz in der iranischen Verteidigungsdoktrin haben und daß ihr Atomprogramm und ihre nuklearen Aktivitäten ausschließlich im friedlichen Bereich liegen. Sie wiederholt Irans Verpflichtung auf die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen und setzte die Minister (des EU-Trios) über folgendes in Kenntnis:

Die iranische Regierung hat beschlossen, mit der IAEA allumfassend zusammenzuarbeiten, um durch vollständige Transparenz allen Anforderung zu entsprechen und alle offenen Fragen der Behörde zu beantworten, mit dem Ziel, alle möglichen Verstöße und Mängel innerhalb der IAEA zu klären.

Als vertrauensbildende Maßnahme mit Blick auf die Beseitigung bestehender Hindernisse für die Zusammenarbeit im nuklearen Bereich hat die iranische Regierung, nachdem sie die notwendigen Klarstellungen erhalten hat, beschlossen, das Zusatzprotokoll der IAEA zu unterzeichnen und den Ratifizierungsprozeß einzuleiten. Zur Bekräftigung ihres guten Willens wird die iranische Regierung im Vorgriff auf die Ratifizierung in der Zusammenarbeit mit der Behörde gemäß den Vorschriften dieses Protokolls verfahren.

Obwohl Iran im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags das Recht hat, Atomenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln, hat die iranische Regierung beschlossen, freiwillig alle Arbeiten auf den Gebieten der Urananreicherung und der Wiederaufarbeitung gemäß den Definitionen der IAEA zu unterbrechen.



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Im Streit um Irans Atomprogramm setzen USA und Israel auf Konfrontation. Von Knut Mellenthin (28. Oktober 2003)


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