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"Das hat System und ist deshalb ein Kriegsverbrechen"

Menschenrechtsorganisationen rufen Internationalen Strafgerichtshof gegen britische Militärs an. Gespräch mit Wolfgang Kaleck *


Der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck ist Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR - Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte). Zusammen mit Public Interest Lawyers (PIL – Anwälte des öffentlichen Interesses) hat es Strafanzeige gegen britische Offiziere wegen Kriegsverbrechen gestellt.


Das European Center for Constitutional and Human Rights (­ECCHR) hat gemeinsam mit der britischen Anwaltsorganisation Public Interest Lawyers (PIL) Strafanzeige gegen hochrangige britische Militärangehörige gestellt. Was werfen Sie denen vor?

Wir wissen, daß US-Truppen zwischen 2003 und 2008 in großem Umfang irakische Gefangene mißhandelt haben. Das kam 2004 im Zuge des Abu-Ghraib-Skandals heraus. Weniger bekannt ist, daß Gleiches, wenn auch in kleinerem Maße, durch britische Truppen in deren eigenem Besatzungsgebiet geschehen ist. PIL vertritt 400 Opfer eben dieser Mißhandlungen und Folter. Davon haben wir 100 Fälle ausgewählt, die wir in unserer Strafanzeige schildern. Wir beantragen, daß der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag in diesen Fällen ermitteln soll.

Gegen wen richtet sich ihre Anzeige?

Uns ist vor allem wichtig, daß die Rolle derjenigen aufgedeckt wird, die die höchste Verantwortung getragen haben. Bis jetzt mußten sich – wenn überhaupt – in Großbritannien nur Soldaten niedriger Ränge vor Gericht verantworten. Aber das Ganze hat Systematik und ist deshalb ein Kriegsverbrechen.

Es gibt in solchen Situationen zwei Möglichkeiten, sich schuldig zu machen. Das eine ist die direkte Beteiligung zum Beispiel durch die Anordnung von Folter. Das andere ist die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit. Diese ist bis jetzt viel zu wenig diskutiert worden, und um die geht es uns vor allem. Wir sprechen von einem Zeitraum von fünf Jahren. Schon 2003/2004 gab es Informationen über diese Kriegsverbrechen. Alle, die danach das Kommando innehatten, haben sich in unseren Augen strafbar gemacht, weil sie diese Menschenrechtsverletzungen nicht gestoppt haben. Dafür haben wir Anhaltspunkte geliefert und bestimmte Personen benannt, wie den damaligen britischen Verteidigungsminister und Staatssekretäre. Nun ist es am IStGH, dem nachzugehen.

Es gab schon vorher Eingaben beim IStGH, die sich auf ähnliche Vorwürfe gegen die britische Armee beziehen. Warum versprechen Sie sich bessere Erfolgsaussichten?

Der Gerichtshof hat im Februar 2006 entschieden, daß ihm rund 15 vorgelegte Fälle zu eben solchen Mißhandlungen nicht gravierend genug seien, um die Ermittlungen zu übernehmen. [Siehe hierzu: "Die vom Statut geforderte Schwelle wurde nicht überschritten", Anm. der AGF.] Der Chefankläger hat damals aber auch gesagt, daß das keine endgültige Entscheidung sei und sich die Einschätzung ändern könnte, wenn mehr Fälle bekannt würden. Unabhängig davon, daß diese formale Entscheidung, die dort getroffen wurde, kritikwürdig ist, ist nun genau die beschriebene Situation eingetreten.

Welche Auswirkungen hatten ähnliche Anzeigen in der Vergangenheit?

In diesem Umfang gab es noch nicht viele solcher Strafanzeigen. Ernsthafte Versuche, so etwas voranzutreiben, gab es vor allem im Fall Kolumbien. Das läuft schon seit Jahren, und trotzdem ist der IStGH noch nicht über das Stadium der sogenannten vorläufigen Untersuchungen hinausgekommen.

Wie hat das Militär auf die Strafanzeigen reagiert?

Es gab schon einige Aussagen, unter anderem vom britischen Außenminister William Hague. Der hat das heruntergespielt und darauf bestanden, daß die Vorfälle schon von der britischen Justiz untersucht worden seien. Da sei nichts systematisch passiert, und im übrigen sei die britische Armee die beste der Welt. Aber das kann ich nicht ernst nehmen, da er unsere Anzeige zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gelesen hatte. Spannend wird es, wenn der eine oder andere die Anzeige gelesen hat und zur Sache Stellung nimmt.

Wie ist der Umgang der Justiz mit den Vorwürfen?

Es gibt eine Reihe schwebender Verfahren, aber keines bezieht sich auf höhere Offiziere. Die britischen Anwälte verfolgen natürlich weiter den Rechtsweg. Wir haben mit unserer Strafanzeige nun ein zweites Forum eröffnet. Das könnte dazu beitragen, daß sich die Justiz regt, da sie vor einer Entscheidung steht: Entweder sie reagiert – oder Den Haag macht es.

Interview: Claudia Wrobel

* Aus: junge welt, Freitag, 17. Januar 2014


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