Irak hat begrüßt, daß eine Entscheidung des UN- Sicherheitsrates über die »Reform« der Sanktionen verschoben worden ist. Das vorläufige Scheitern der sogenannten Reform sei ein »Sieg des arabischen Volkes«, sagte der irakische Außenminister Nadschi Sabri El-Hadithi am Dienstag in Bagdad. Die irakische Presse sprach von einer Niederlage der USA. Großbritannien hatte sich am Montag abend dagegen ausgesprochen, die Reform der Irak- Sanktionen wie geplant am Dienstag dem UN-Sicherheitsrat zur Abstimmung vorzulegen. Zunächst solle mit Rußland weiter über das Vorhaben verhandelt werden. Moskau lehnt die Pläne Londons ab.
Die Rücknahme des mit großen Fanfaren angekündigten britisch-amerikanischen Plans zur Durchsetzung der neuen, sogenannten smarten Sanktionen im 15 Mitglieder zählenden UNO-Sicherheitsrat gegen Irak empfand die britische Presse als regelrecht »erniedrigend«. Nach den Regeln des Sicherheitsrates besteht der alte Plan fort, wenn kein neuer angenommen wird. Folglich wird das bestehende, aber äußerst unbefriedigende UNO-Programm für den Irak, nämlich das Programm »Öl-für-Lebensmittel« fortgeführt werden.
Wegen der mittlerweile von UNO-Behörden auf über eine Million geschätzten Todesopfer der ursprünglich von den USA im UNO-Sicherheitsrat durchgesetzten Wirtschaftsanktionen war vor zweieinhalb Jahren der Ire Denis Halliday von seinem Posten als UNO-Koordinator für humanitäre Hilfe für den Irak zurückgetreten. Auch sein deutscher Nachfolger, Hans von Sponeck, verließ im vergangenen Jahr unter Protest seinen Posten. Beide bezeichneten die Auswirkung des Embargos als Völkermord. Eine Gruppe von kritischen Abgeordneten des US-Kongresses verglich die von Washington über elf Jahre hinweg verfochtene Beibehaltung der Irak-Sanktionen sogar mit dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe, die in ihrer Wirkung schlimmer sei, als die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben.
Das konservative britische Wirtschaftsmagazin The Economist schrieb einmal zu den Sanktionen: »Wenn die UNO jahrein, jahraus systematisch irakische Kinder durch Bombenabwürfe töten würde, dann hätten westliche Regierungen diese Politik längst für unerträglich erklärt, egal aus welch noblen Gründen auch immer eine solche Politik verfolgt würde. Sie sollten ihre gegenwärtige (Embargo-)Politik ebenso unannehmbar finden. Das Ziel rechtfertigt nicht die Mittel.« Dieser Kritik haben sich Papst Johannes Paul II. und 53 katholische Bischöfe in den USA ebenso angeschlossen wie Scott Ritter, der ehemalige Oberst der US-Marines und früherer Chef der UNSCOM-Waffeninspekteure im Irak.
Vor dem Hintergrund des zunehmenden Widerstandes gegen die Fortführung der bestehenden Embargopolitik hatten die USA und Großbritannien einen Plan mit »Smart Sanctions« entworfen. Dieses vermeintlich intelligente Embargo sieht im Vergleich zur bestehenden Sanktionspolitik die Aufstellung einer detaillierten Verbotsliste vor mit militärischen und »dual-use items«, also Gütern und Technologien, die sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden können. Wenn das »dual-use«- Konzept lediglich auf bestimmte Güter angewendet würde, könnte es weniger einfach dazu mißbraucht werden, die irakische Wirtschaft und damit die irakische Bevölkerung weiterhin am Boden zu halten. Da im britisch- amerikanischen Plan aber auch von »dual-use«- Technologien die Rede war, hätte der neue, »smarte« Sanktionsplan den USA und Großbritannien als humanitäres Mäntelchen gedient, unter dem die alte Sanktionspolitik hätte fortgesetzt werden können. Dale Hildebrand von der kanadischen »Inter-Church Action«, einer Koalition von Kirchen und Hilfsagenturen, zitierte dazu jüngst einen amerikanischen Regierungsbeamten, der erklärt hatte, was Washington tatsächlich mit den »intelligenten Sanktionen« bezweckt: »Eigentlich geht es um eine Veränderung der Wahrnehmung. Die meisten Leute glauben, der Irak ist am verhungern, weil der böse Westen Medizin fernhält. Wir werden Saddam dieses Propagandainstrument wegnehmen.«
Bei genauer Betrachtung sehen die »smart sanctions« fast genauso dumm aus wie das alte Embargo. Selbst wenn letzteres nun weiter beibehalten wird, sind die Chancen, beim nächsten Versuch eine grundlegende Verbesserung der UNO-Embargopolitik gegenüber dem Irak zu erzielen, durch die russische Veto-Drohung gegen die »smart sanctions« erheblich gestiegen.
Wolf Reinhardt
Aus: junge welt, 5. Juli 2001