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"Kriegsgefahr nicht gebannt" - "Großer Spielraum für Interpretationen"

Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zur Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrats

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zur Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrats.


Presseerklärung:
  • Eine zwiespältige Resolution
  • Großer Spielraum für Interpretationen
  • Kriegsgefahr nicht gebannt
  • Friedensbewegung zu weiteren Aktionen aufgerufen
Der Bundesausschuss Friedensratschlag hat eine differenzierte Bewertung der Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Freitag vorgenommen, wie einer seiner Sprecher am Sonntag erklärte.

Festzustellen sei, dass die Protagonisten der Resolution, die USA und Großbritannien, offenbar andere Ziele verfolgen als die übrigen Mitglieder des Sicherheitsrats. USA und Großbritannien waren bestrebt, eine Resolution zu erhalten, die ihnen die Möglichkeit gibt, im Falle irgendeiner tatsächlichen oder vermeintlichen Behinderung der Waffeninspektionen im Irak militärisch zu antworten. Diesem Kriegs-Automatismus wollten insbesondere Frankreich und Russland nicht folgen und haben daher die USA zur Abschwächung des ursprünglichen Resolutionsentwurfs gezwungen. Die nun einstimmig angenommene Resolution scheint beiden Seiten Recht zu geben: Die USA bewerten sie als hart genug, um im Fall einer - auch nur geringfügigen - Verletzung der Resolution Krieg gegen Irak führen zu können, Frankreich und Russland sind stolz darauf erreicht zu haben, dass es keinen "Automatismus" zum Krieg gibt.

Wichtig aus Sicht der Friedensbewegung sind einmal der zeitliche Korridor (60 Tage für den Bericht der Waffeninspekteure), der die unmittelbare Kriegsgefahr zumindest etwas entschärft, und zum anderen die Bestimmung, dass nicht ein einzelner Staat, sondern der UN-Sicherheitsrat allein zu "bewerten" hat, ob Irak die Resolution "vollinhaltlich" befolgt oder nicht (Ziffern 4, 11 und 12).

Dennoch lassen viele Formulierungen in der Resolution einen großen Spielraum für unterschiedliche Interpretationen übrig. Festlegungen, wonach der Irak "genaue", "vollständige", "endgültige", "verifizierbare" Auflistungen über seine verbotenen Waffenprogramme abzuliefern hat, oder wonach die Inspekteure "ungehinderten", "bedingungslosen", "sofortigen" und "uneingeschränkten" Zugang zu allen Stätten vermuteter Forschung, Entwicklung oder Produktion von verbotenen Waffen und ihrer "Komponenten" und "Subkomponenten" erhalten müssen, sind sehr auslegungsfähig. Die Weltöffentlichkeit wird den Prozess der Waffeninspektionen sehr aufmerksam verfolgen müssen, um gravierende Verstöße des Irak von geringfügigen oder nur behaupteten Beeinträchtigungen der Arbeit der Inspekteure zu unterscheiden.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag kommt zum Ergebnis, dass die Kriegsgefahr längst nicht gebannt ist. Die UN-Resolution ist zwar besser als der Droh-Zustand zuvor, aber die ersten Äußerungen von Bush und Powell lassen keinen Zweifel, das die USA weiterhin zum Krieg entschlossen und bereit sind. Auch geht der Truppenaufmarsch am Golf unbeirrt weiter. Vom Regime in Bagdad erwartet die Friedensbewegung, dass es auf die Forderungen des UN-Sicherheitsrats innerhalb der Frist von sieben Tagen positiv reagiert und die Resolution 1441 (2202) nach dessen Wünschen erfüllt.

In einem Brief an die Friedensbewegung hat der Bundesausschuss Friedensratschlag am Wochenende vorgeschlagen, in ihren Protesten und Aktionen nicht nachzulassen. An die Bundesregierung wird appelliert, der Bush-Administration jegliche wirtschaftliche und logistische Hilfe für einen Krieg gegen Irak zu verweigern. Die deutsch-amerikanische Freundschaft wird darunter nicht leiden. Manchmal ist es geradezu unabweisbar, einen Freund vor einem großen Fehler zurückzuhalten, oder wie der frühere UN-Waffeninspekteur Scott Ritter sagte: "Man darf einen Freund nicht betrunken ans Steuer lassen" ("You don´t let a friend drive drunk"). Die Spürpanzer müssen jetzt aus Kuwait abgezogen werden. Die Marineverbände müssen aus der Golfregion zurück beordert werden. Und die nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit operierenden und jeder parlamentarischen Kontrolle entzogene Eliteeinheit des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan muss ebenfalls zurückgeholt werden. Der Bundesausschuss Friedensratschlag appelliert an die Abgeordneten, bei der in der kommenden Woche im Bundestag anstehenden Mandatsverlängerung "Enduring Freedom" mit Nein zu stimmen. Ein Ja wäre eine Ermunterung für die Fortsetzung des US-"Krieges gegen den Terror", der längt ein US-Krieg zur Absicherung geostrategischer und ökonomischer Interessen der einzigen Weltmacht geworden ist. Die Bundesregierung muss der US-Regierung im Falle eines Krieges die Nutzung von Militärstützpunkten in Deutschland sowie Überflug- und Landerechte verweigern. Der nach wie vor geplante Krieg der US-Regierung verstößt gegen die Ziele der UN-Charta, gegen das Völkerrecht und gegen das Grundgesetz.

Die Friedensbewegung in Deutschland muss weiterhin alles tun, um den drohenden Krieg zu verhindern. Es ist die Zeit gekommen für vielfältige Aktionen des Protests einschließlich des zivilen Widerstands unter anderem vor den militärischen und politischen Einrichtungen der USA und Großbritanniens als den beiden Hauptkriegstreibern. Über solche Aktionen im November, Dezember und Januar sollten sich die Friedensinitiativen im ganzen Land, vor Ort und in regionalen Verbünden, verständigen. Darüber hinaus tritt der Bundesausschuss Friedensratschlag dafür ein, dass die gesamte Friedensbewegung am 8. Februar zu zwei großen Manifestationen aufruft: für den süddeutschen Raum nach München (anlässlich der "Sicherheitskonferenz") und für den west-, nord- und ostdeutschen Raum nach Berlin.

Kassel, den 10. November 2002
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)

Auf der Website der AG Friedensforschung an der Universität Kassel befindet sich die UN-Resolution im vollen Wortlaut:
UN-Resolution 1441 (2002).


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