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Der Irak - Ein Land im Schock-und Ausnahmezustand

Aktueller Reisebericht von Dr. med. Angelika Claußen, stellvertretende Vorsitzende der IPPNW

Den folgenden Bericht haben wir der Internetseite der IPPNW (www.ippnw.de) entnommen. Der Text ist eine sehr gute Ergänzung zum Bericht von Dr. Hobiger, Wien, den wir ebenfalls dokumentiert haben.

Am 13.5.03 ging es los vom Frankfurter Flughafen: drei Ärzte der IPPNW (Internationale Vereinigung zur Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in sozialer Verantwortung), Prof. Ulrich Gottstein, Internist, Dr. Zuhair Khannak, Kinderarzt, und Dr. Angelika Claußen, Psychotherapeutin fliegen nach Bagdad. Unsere Mission: Wir wollen den dritten Medikamententransport der Irak-Kinderhilfe für drei Ambulanzen in Elendsvierteln von Bagdad abliefern und die humanitäre Lage vor Ort erkunden. Der Kinderarzt Dr. Khannak würde weitere zwei Wochen in Bagdad bleiben und unentgeltlich in einer der Ambulanzen arbeiten.

Unsere Kontakte in Bagdad sind zustande gekommen durch Prof. Gottstein, der jetzt zum neunten Mal in den Irak fährt und aus der Zeit der früheren Transporte viele Verbindungen direkt zu Krankenhäusern hat. Dr. Angelika Claußen lernte während ihres Irak-Aufenthalts im Januar 2003 die einzige deutsche Hilfsorganisation, die "Architekten für Menschen in Not" (APN) kennen, die schon seit über zwei Jahren konkrete Hilfe in Elendsvierteln von Bagdad leisten. Es erschien sinnvoll, gerade die drei Ambulanzen, die diese Organisation direkt nach dem Krieg neu eingerichtet hat, zu unterstützen, weil sie in Vierteln errichtet wurden, die nie zuvor ärztliche Versorgung hatten.

Da die amerikanische Besatzungsbehörde den Flug für die Hilfsorganisationen von Amman nach Bagdad nicht freigegeben hatte, in dem wir auch einen Platz gebucht hatten, mussten wir mit einem Auto - Konvoi den Landweg durch die Wüste nehmen, etwa 900 km Autofahrt. Insbesondere auf den letzten 100 km zwischen Ar-Ramadi und Bagdad war es immer wieder zu Raubüberfällen gekommen, warnte man uns.

Nach 12 Stunden Fahrt und Unterbrechungen an der jordanisch-irakischen Grenze sind wir in Bagdad angekommen und kamen privat in drei verschieden Quartieren unter: Bei einer Bagdader Arzt-Familie und in den Privathäusern der beiden Hilfsorganisationen APN und Cap Anamur. Das bedeutete, die täglichen Mühen des Alltags der Menschen in Bagdad mit zu erleben: 3 x 1 Std. täglich gab es Strom, Temperaturen von tagsüber 45°C und nachts 30°C, sich aus Sicherheitsgründen möglichst nicht allein auf den Straßen aufhalten, ständige Gefahr von Überfällen, Totschlag und Entführung.

Wie sieht Bagdad nach dem Krieg aus?

Bombardierungsschäden an Zivilhäusern halten sich in Grenzen, aber fast alle Ministerien wurden entweder von Raketen teilzerstört oder von Plünderern ausgeraubt und angesteckt. Lediglich das Ölministerium strahlt in seiner ganzen Schönheit, da es sofort von den US-Truppen geschützt worden war. Auch die Internationale Industriemesse, sowie ein großer Supermarkt wurden zerbombt. Das geplünderte berühmte Irak-Museum, sowie die ebenfalls geplünderte und angesteckte Zentralbank sind nun mit Stacheldraht umgeben und von einem Panzer bewacht. Verheerender als die Schäden an den Gebäuden sind die Folgen der Beschädigung der Infrastruktur als Folge des Krieges, als Langzeitfolge der Sanktionen und als Folge fehlender Ordnungsmacht:

Ein nur teilweise funktionierendes Stromnetz, Beschädigung der Wasserleitungen, kaum oder nur schlechte Wasseraufbereitung, was die Zahl der Durchfall- Erkrankungen immens in die Höhe steigen ließ, keine oder nur unzureichende Klimatisierung in den Krankenhäusern, fehlende Müllentsorgung (in ganz Bagdad sind die Straßenränder mit Mülltüten aus privaten Haushalten bedeckt), schlecht funktionierendes Abwassersystem.

Die Plünderungen:

Das Ausmaß der Plünderungen, die noch immer anhalten, ist bodenlos und betrifft viele zivile Einrichtungen: Sieben von 18 staatlichen Krankenhäusern wurden in Bagdad geplündert: Yarmouk-Hospital, Al Karh-Hospital, Al-Eskan-Hospital, Al Rashid-Hospital, Al Kindi-Hospital, Olympic Hospital, Ibn-Al Baladi-Hospital.

Prof. Sommerfeld, ein Archäologe, der sich vom 25.4.03 bis zum 08.05.03 in Bagdad aufhielt, gibt folgende Liste der geplünderten Gebäude:
  • alle Ministerien mit Ausnahme des Ölministeriums und State Departments
  • alle 15 Universitäten des Landes (mit Ausnahme des Campus der Universität Bagdad, wo die Amerikaner ihr Quartier aufgeschlagen haben)
  • Museen (darunter das weltberühmte Irak-Museum), Bibliotheken, Archive, Kunst- und Kulturzentren
  • staatliche Warenlager, Banken
  • Paläste und Wohnhäuser der führenden Vertreter des Regimes
  • Hotels (z.B. Rashid, Melia Mansour, Babil)
  • einzelne andere Einrichtungen wie die deutsche Botschaft, das französische Kulturinstitut, die Residenz des chinesischen Botschafters, einige Gebäude von UNO-Einrichtungen, z.B. UNICEF.
Aus geplünderten Armeebeständen sind jetzt viele (auch schwere) Waffen zu günstigen Preisen in Bagdad erhältlich. Wir fuhren an einem der Waffenmärkte mit dem Auto vorbei, gelegen in dem sehr armen Schiiten-Viertel Shuallah. Sowohl erwachsene Männer als auch Kinder beteiligten sich am Verkauf und schossen zur Demonstration immer wieder in die Luft.

Die Krankenhäuser:

Der Direktor des Yarmouk-Hospitals, Dr. Zaid, mit dem wir persönlich sprachen, berichtete uns folgendes:
Das Krankenhaus sei in die Frontlinie gekommen. So seien die Abteilungen Innere Medizin und Gynäkologie gebombt worden, (die Schäden konnten wir besichtigen), ebenso vier Generatoren, die zum Krankenhaus gehörten. Darüber hinaus ist das Krankenhaus in großem Ausmaß geplündert worden Am 7.4. mussten das Krankenhaus geschlossen werden. Ein Großteil der Ärzte und des gesamten Personals blieb zu Hause wegen der extrem unsicheren Situation in diesen Tagen. Dr. Zaid blieb im Krankenhaus und versuchte, so gut es ging, das Krankenhaus gegen die Plünderer zu verteidigen.

Inzwischen, seit dem ersten Mai, funktioniert das Krankenhaus wieder. Amerikanische Soldaten schützen es jetzt, nach den Plünderungen. Verschiedene Hilfsorganisationen (Das Rote Kreuz, CARE, Premiere Urgence) haben das Krankenhaus wieder mit den wichtigsten Gegenständen ausgestattet. Die Medikamente wurden teilweise von kirchlichen Organisationen, teilweise vom Krankenhaus des Sheik Zayid (Krankenhaus einer islamischen Organisation) zur Verfügung gestellt. Schwierigkeiten bestehen noch mit dem Funktionieren der Klimaanlage sowie mit dem Ersatz von Operationsinstrumentarium. Dass das Krankenhaus trotz der ausgedehnten Schäden schon wieder verhältnismäßig gut funktioniert, ist wohl ausschließlich auf die große Initiative dieses Direktors und seiner Kollegen sowie dem schnellen und unterstützenden Einsatz einiger Hilfsorganisationen zurück zu führen.

Unsere Besuche in zwei nicht geplünderten Krankenhäusern, das Al-Nur Krankenhaus im Armenviertel Shuallah, und die Onkologiestation des Al-Mansour Hospitals (Lehrhospital der Universitätsklinik) ergaben, dass die Patientenversorgung funktioniert, Medikamente und notwendige Ausstattung sind vorhanden, weil verschiedene Hilfsorganisationen bei der Ausstattung mit Medikamenten und Geräten geholfen hatten.

Zu den Patienten:

An dem Tag unseres Besuches im Al-Nur-Hospital wurden 4 Patienten akut wegen Minenverletzung aufgenommen, ein Patient, der bei einem Raubüberfall schwer angeschossen wurde, traf im Krankenhaus tot ein. Todesfälle seien im Al-Nur Hospital noch wegen fehlender Möglichkeit von Sauerstoffgabe aufgetreten. Akute Atemwegserkrankungen und akute Durchfallerkrankungen machen den größten Teil der Behandlungsbedürftigkeit bei den Kindern aus, gerade wenn sie unterernährt sind.

Im Al-Mansour- Krankenhaus (einem Lehrhospital der Universitätsklinik) sprachen wir mit der Chefärztin der Kinderonkologie -Abteilung, Frau Prof. Dr. Salma Haddad. Sie berichtete, dass sie jetzt alle notwendigen Zytostatika zur Therapie kindlicher Leukämien erhalten hätten, so dass sie nun die modernen Protokolle durchführen könnten. Große Sorge bereite ihr allerdings die Leitungsstruktur: Die bisherigen Klinikdirektoren seien spurlos verschwunden. Das Krankenhaus stünde direkt unter Kontrolle der ORHA (Organization for Reconstruction and Humanitarian Assistance) und die Amerikaner seien dabei das gesamte Leitungspersonal des Krankenhauses auszuwechseln, weil sie Anhänger der Baath-Partei waren. Ihre KollegInnen hätten Sie gebeten bei nun zu organisierenden Wahlen für das neue Leitungsteam zu kandidieren. Sie selbst würde sich aber lieber für die Kranken und den studentischen Unterricht einsetzen. Außerdem sei das Krankenhaus personell unterbesetzt: Das Gros der Ärzte sei seit Wochen nicht zum Dienst erschienen, sie und ein Oberarzt würden die medizinische Versorgung der Kinder-Onkologie-Abteilung aufrecht erhalten (28 Betten ). Die Gründe für das Nicht-Erscheinen seien verschieden: Mangel an Sicherheit auf dem Weg zur Arbeit, fehlendes Benzin, fehlende Bezahlung. Die 20 Dollar, die die Amerikaner an viele Staatsbeamte bezahlt hätten, seien bei ihr bisher nicht angekommen.
Trotzdem hoffte Frau Haddad, dass es aufwärts ginge. Medikamente hätten sie genug, allesamt wären sie vom Gesundheitsministerium geliefert worden. Nach den Jahren der Sanktionen hätten sie und andere Universitätsprofessoren am meisten an den fehlenden wissenschaftlichen Kontakten und der fehlenden Literatur gelitten. Sie seien vom wissenschaftlichen Fortschritt ausgeschlossen gewesen.

Das Ibn-Al Balady Krankenhaus, eine staatliche 320- Bettenklinik, mitten in dem vorrangig von Schiiten bewohnten Armen Stadtteil Al Thawra-City war Mittelpunkt einer Auseinandersetzung zwischen schiitischen Milizen und einem Teil des Krankenhaus-Personals, als die Hilfsorganisation Cap Anamur Hilfe anbot.

Rund 30 Ärzte hatten durch den Krieg hindurch den Betrieb in der 320-Betten-Klinik aufrechterhalten. Die Medikamenten-Vorräte waren ebenso erschöpft wie das Krankenhauspersonal. Es fehlte an Schmerzmitteln ebenso wie an medizinischen Apparaten und Ersatzteilen. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal, weil durch den wochenlangen Stromausfall die Abwasser-Pumpen nicht funktionierten. Inzwischen wurde das KH einigermaßen funktionsfähig hergestellt. Schiitische Milizen bewachen es.
Ebenfalls eröffnete Cap Anamur zwei kleine Gesundheitszentren in dem Stadtteil.

Primary Health Care Centers (Ambulanzen)

Die WHO behaupte zwar, dass alle Ambulanzen mit Medikamenten bestückt sein, Tatsache sei jedoch, dass sich die Vertreter von diesen Einrichtungen regelmäßig an die 40 - 100 humanitären Hilfsorganisationen wendeten, um sich überhaupt auszustatten.

Um die Hilfen zu koordinieren hätten alle Hilfsorganisationen einen Koordinationskreis gegründet, in dem die Hilfsmaßnahmen jetzt aufeinander abgestimmt würden.

Die Architekten-Organisation APN setzt auf den Aufbau von Ambulanzen in bisher Unversorgt gebliebenen Elendsvierten oder Armen -Vorstädten Bagdad´s. Am 8.4.03 wurde die erste der bisher drei Ambulanzen eröffnet. Die Architekten mieteten dazu zunächst ein öffentliches Gebäude an und machten es funktionstüchtig, stellten irakische Ärzte ein und kauften die notwendigen Medikamente zur Erstversorgung. Zuletzt wurden die Räume eines ehemaligen Frauengefängnisses in Hay-Ar-Rashad renoviert (ein Vorort von 20.000 -25.000 Menschen bewohnt, ohne Wasserversorgung, direkt neben einem sumpfartigen Teich, der mit diversen Abwässern des Ortes extrem verunreinigt ist.

Wir brachten unseren Medikamenten-Transport in diese neu eröffnete Ambulanz. Als wir in der Ambulanz zur Eröffnung ankamen, warteten schon ca. 50 Eltern mit Kindern an der Anmeldung, um sich untersuchen zu lassen. Eine Mutter, die ich zusammen mit dem irakischen Arzt nach den Krankheiten ihres zwei Monate alten Säuglings befragte, gab an, dass er schon seit vier Tagen an Durchfall und seit einem Tag an Erbrechen litt. Ein Vater kam mit seinem vierjährigen Sohn, der eine starke Lippenzyanose, eine blaue Haut und die typischen Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel aufwies, eine Fallot'sche Tetralogie.

Nach Inbetriebnahme der Ambulanz wird sich APN zunächst um die Installierung eines Wasserversorgungsnetzes kümmern, danach die Entsorgung des anfallenden Mülls und der Abwässer. So werden auf Dauer die Hauptkrankheitsursachen ebenfalls beseitigt.

Die Situation der Kinder (UNICEF):

Direkt nach dem Krieg kehrte UNICEF in den Irak zurück. Auch ihr Gebäude wurde geplündert. Laut Aussage des UNICEF-Projekt-Koordinators Dr. Haydar Nassr sind landesweit zwischen 50 - 80% der Gesundheitseinrichtungen geplündert worden, 25 % dieser Einrichtungen befinden sich nicht mehr unter Kontrolle des Gesundheitsministeriums, d.h. sie sind unter Kontrolle von Milizen, religiösen Gruppen und/politischen Gruppen. Im Norden sei insgesamt weniger geplündert worden.

Die genaue Zahl der unmittelbaren Kriegsopfer könne bisher keiner angeben. (Anm. Der Iraqbodycount gibt am 25.5.03 eine Zahl zwischen 5425 und 7041 Zivilisten an, von deren Tod in den verschiedensten Medien berichtet wurde.)

Cholerafälle seien bisher in Basra, Nasseriya und Missan festgestellt worden. Exemplarisch für die Gesamtarbeit der Organisation im Irak sei hier auf zwei Bereiche eingegangen, die Ernährungs- und die Schulsituation der Kinder:

a) Ernährungssituation der Kinder unter fünf Jahren:

Das Forschungsinstitut für Ernährung und UNICEF führten vom 29.4. - 3.5.03 eine Befragung über die Ernährungssituation der Kinder unter 5 Jahren in den Haushalten von Bagdad durch.

Ergebnisse: Im Vergleich zum Vorkriegsstatus (Erhebung 2002) stieg die Zahl der akut unterernährten Kinder um das zweifache (von 4.0% auf 7.7%).
Die Inzidenzrate von Durchfallerkrankungen war mit 72% der befragten Kinder erschreckend hoch. Dies deutet auf die schlechte Trinkwasserqualität und die schlechte Nahrungsmittelhygiene (fehlende Kühlmöglichkeiten) hin.
UNICEF drängt daher auf die schnelle Wiederherstellung der Infrastruktur (Trinkwasser, Müllentsorgung, Elektrizität, Benzin).
Das System der landesweiten "Nahrungsmittel -Körbe" sollte für die am meisten verletzlichen Gruppen in der Gesellschaft wieder hergestellt werden (Kinder unter fünf Jahren, schwangere und stillende Mütter).

b) Schulsituation

Es gibt 3,5 Millionen Kinder, die die Grundschule besuchen müssten ( 1.- 6. Klasse). Etwa 25 % besuchen trotz Schulpflicht keine Schule, aufgeteilt nach Mädchen und Jungen (31,2 % Mädchen und 17,5% Jungen ).

Die Schulgebäude sind oft in einem miserablen Zustand, bedürfen dringend der Renovierung und Ausstattung mit Bänken und Tischen. UNICEF habe eine "Zurück in die Schule-Kampagne gestartet. Alle Klassen einer Primärschule würden mit Unterrichtsmaterial sowie Arbeitsmaterial für die Schüler aufgestattet, sog. School-kits. Ein "School-Kit" kostet 270 $ und stattet 80 Schüler sowie die Lehrer aus.
UNICEF sieht dies als ersten Schritt an, um den Schock, den dieser Krieg für die Kinder bedeutet, langsam zu überwinden und ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben. Seit Ende des Krieges wurden 24.000 Kinder in Bagdad mit diesen School-kits versorgt.

Wegen der fehlenden Sicherheit auf den Straßen würde die Kampagne jedoch noch nicht ausreichend angenommen, insbesondere Mädchen würden oft zuhause gehalten. Manche Sekundarschulen hätten bewaffnete Sicherheitsleute vor die Mädchenschulen gestellt.

Wie ist das große Ausmaß an Plünderungen zu erklären?

a. Die Plünderungen fanden systematisch statt. In einem Stadtteil nach dem anderen wurden die öffentlichen Einrichtungen des alten Staates vollständig ausgeraubt.

b. Die amerikanische Besatzungsmacht ermöglichte und tolerierte die Plünderungen. Es gibt zahlreiche, von einander unabhängige Augenzeugenberichte, in denen berichtet wurde, dass amerikanische Soldaten erst die Plünderungen ermöglichten, indem sie gut gesicherte Tore aufbrachen oder aufschossen und die Umstehenden aufforderten zu plündern: "go in , Ali Baba, take it, it's yours." Z.B. das Irak-Museum (wiedergegeben in "Aspekte", ZDF, 9.5.03, 22:30 -23:00 Uhr), die University of Technology, wo die Amerikaner in das Gebäude eindrangen, die Computer öffneten und die Festplatten herausnahmen, bevor sich die Plünderer ans Werk machten (Quelle: Mitarbeiter des UN-Developement Departments, nach Bericht von Prof. Sommerfeld)
Bei vielen Plünderungen (Krankenhäuser, Universitäten) riefen irakische Ärzte oder Wächter die amerikanischen Besatzungssoldaten zu Hilfe, die Antwort: "It's not our job.".

c. Wer sind die Plünderer?
Laut Aussagen unserer Gesprächspartner gäbe es unterschiedliche Gruppen:
Kriminelle (sie wurden vom alten Regime aus den Gefängnissen entlassen); arme Leute, Bewohner der Elendsviertel; Menschen, die Rache nehmen wollten, darunter nicht wenige Milizen verschiedenster politischer und/oder religiöser Gruppen ; Mitglieder aus dem weiteren Umkreis des alten Regimes (die Saddam-Gang, wie es auf einem politischen Transparent hieß).

Zusammenfassend sehen wir also eine Komplizenschaft: Einerseits der amerikanischen Besatzungsarmee (bei der britische Armee verfügen wir nicht über derartige Informationen), andererseits der einheimischen Mitglieder aus verschiedensten kriminellen Gruppen und arme Leute. Oder politisch: 13 Jahre anhaltende Sanktionen, die im Sicherheitsrat vor allem von der US-amerikanischen und der britischen Regierung durchgesetzt wurden, andererseits ein Regime, das brutal unterdrückt, morden lässt, und Korruption und Armut fördert.

Was ist angesichts dieser veränderten und sehr verwirrenden Lage zu tun?

- für die IPPNW und die Irak-Hilfe:

Mindestens noch schätzungsweise für ein halbes Jahr wird die Bevölkerung und insbesondere die Kinder Bedarf für Akut- und Nothilfe haben. Da wir nur ein begrenztes Budget zu Verfügung haben, uns andererseits aber sehr flexibel verhalten können, sollten wir vorrangig im Rahmen bestehenden Projekten sowohl Ambulanzen oder Krankenhäuser in ihrem medikamentösen Bedarf unterstützen. Ebenfalls könnten gezielt einige unserer Mitglieder ihre Arbeitskraft in den Einrichtungen für einige Wochen anbieten. Ansprechpartner hierzu Prof. Gottstein.
Was uns vor anderen Gruppen auszeichnet ist die starke Verankerung als Friedensorganisation in der Verzahnung mit konkreter Hilfe.

- für die Friedensbewegung:

a. Genaue Beobachtung des Wiederaufbauprozesses und Aufklärung über dessen Widersprüche.
  • Wohin fließen die Ressourcen der westlichen Welt, zivil/militärisch ? Z.B. Ein Lehrer bekommt ein Monatsgehalt von 20 $, ein Besatzungssoldat kostet monatlich 4000 $.
  • Was wird beim Wiederaufbau ausgelassen, an die Seite gedrängt? Die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, die Entsorgung der mit DU kontaminierten Panzer und Urangeschosse ebenso wie das Aufräumen der Clusterbomben und der anderen herumliegenden Munitionsreste, die fehlende Sicherung der Atomanlage Al Tuwaitha vor Plünderern.
  • Wie konsequent wird die Entwaffnung der Zivilbevölkerung durchgeführt, die der US-Administrator für den Irak, Paul Bremer, am 25.05.03 ankündigte.
b. sich einmischen in die Militarisierungspläne der EU-Außen- und Sicherheitspolitik

Für uns als Friedensbewegung muss die gemeinsame EU-Außenpolitik auf das Ziel der Erhaltung des Friedens ausgerichtet sein. Statt militärischer Eingreiftruppen brauche man "Truppen" und Kräfte ziviler Konfliktschlichtung. Wir brauchen eine neue gemeinsame Abrüstungsinitiative der EU zur Eindämmung der Massenvernichtungswaffen weltweit.

Die Einleitung eines Friedens- und Abrüstungsprozesses für den gesamten Nahen Osten unter Einschluss des Israel- Palästina-Problems ist überfällig.

Der Bericht befindet sich auf der Homepage der IPPNW: www.ippnw.de


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