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Kongress-Hürden für Bushs Irak-Plan

Friedensbewegung in den USA setzte Proteste mit "virtuellem Marsch" fort

Von Max Böhnel, New York *

Nach den Großdemonstrationen am vergangenen Wochenende in Washington, New York und San Francisco gegen die Besetzung Iraks ließ der Druck auf die Politikerelite in dieser Woche nicht nach. Wie die »Washington Post« gestern schrieb, stufe der lang erwartete Geheimdienstbericht für Präsident George W. Bush die Lage im Zweistromland als »zunehmend gefährlich« ein.

Hunderttausende US-Bürger nahmen am Donnerstag per Email und Telefon an einem »virtuellen Marsch« teil. Das Etappenziel: der Eskalationsstrategie der Bush-Regierung parlamentarische Hürden zu setzen. Langfristig geht es der US-amerikanischen Friedensbewegung darum, durch politischen Druck mit Blick auf die Wahlen in weniger als zwei Jahren die Finanzmittel, die zur Aufrechterhaltung der Irak-Besetzung nötig sind, auszutrocknen. Doch der Weg dahin ist mühsam.

In der kommenden Woche wird der US-Senat über eine Resolution abstimmen, die keinen verpflichtenden Charakter hat, aber trotzdem die Debatte über das Irak-Desaster beeinflussen wird. Im 90-seitigen Report des National Intelligence Estimate (NIE), der Bush am Donnerstag vorgelegt worden ist, stufen die Geheimdienste nach Informationen der »Washington Post« die Lage im Zweistromland als »zunehmend gefährlich« ein. Die USA hätten nur wenig Einfluss auf die Situation, und es gebe die »starke Möglichkeit« einer weiteren Eskalation. Es sei ungewiss, ob die politische Führung in Bagdad die religiös bedingten Interessenkonflikte überbrücken und den Extremismus wirksam bekämpfen sowie effektiv arbeitende Institutionen schaffen und die Korruption beenden könne, heißt es laut »Washington Post« im NIE-Bericht. Die Al-Qaida-Aktivitäten seien zwar weiterhin ein großes Problem, doch sei die Gewalt zwischen den Irakern selbst weitaus gefährlicher und gefährde die Umsetzung der US-amerikanischen Ziele im Lande am meisten. Der Kongress hatte den Report über die Irak-Aussichten für die kommenden 18 Monate im Sommer angefordert und verlangt, dass das Dokument rechtzeitig fertig wird, um die neue Strategie von Präsident Bush einschätzen zu können.

Das Weiße Haus, das versucht hat, die Abfassung einer entsprechenden Senatsresolution in der nächsten Woche zu verhindern, sieht sich zunehmend isoliert. Bushs Plan, zusätzliche 21 500 Soldaten zu entsenden, ist und bleibt sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Kongress höchst unpopulär. Zumal er nach Einschätzung des Rechnungshofs (CBO) weitaus mehr Soldaten erfordert als bislang bekannt. Die zusätzlichen Kampfeinheiten würden weitere Soldaten zur Unterstützung, für Logistik und ähnliches nötig machen, heißt es in einem jetzt vorgelegten CBO-Bericht, der von insgesamt 35 000 bis 48 000 Soldaten ausgeht. Die Kosten veranschlagte die Behörde für eine viermonatige Einsatzzeit auf rund 9 bis 13 Milliarden Dollar. Eine vorläufige Resolution des demokratischen Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses im Senat, Carl Levin, und seines Vorgängers, des Republikaners John Warner, hat die größten Aussichten auf eine Mehrheit.

Am Mittwoch (31. Januar) einigte sich der Ausschuss darüber, dass er sich einerseits gegen einen »surge«, die Aufstockung von Kampftruppen in Irak, wendet. Andererseits wird in dem Entwurf ausdrücklich eine Reduzierung der Finanzmittel für den Krieg abgelehnt. Dieser Resolutionsentwurf ist ein für sich genommen wenig aussagekräftiges Kompromissprodukt zwischen Demokraten und Republikanern. Doch allein die Tatsache, dass es kommende Woche darüber eine Debatte unter reger Anteilnahme der Medien geben wird, zeigt, dass mit den neuen Mehrheitsverhältnissen seit den Herbstwahlen Bewegung in den Kongress gekommen ist. Sowohl im Repräsentantenhaus wie im Senat haben die oppositionellen Demokraten zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder Mehrheiten.

Präsident Bush gab sich angesichts der zu erwartenden Kritik in einem Interview mit dem rechten Fernsehsender »Fox News« abgebrüht und arrogant. Er fühle sich bei der Ablehnung seiner Irak-Eskalation nicht »allein gelassen«, sagte er, es seien eben »schlechte Zeiten, und da gibt es nur einen Urheber, und der bin ich«. Umfragen zufolge befürwortet weniger als ein Viertel der Bevölkerung Bushs Irak-Plan. Trotzdem befürchten zahlreiche Demokraten nach wie vor, für eine deutliche Rückzugsforderung als »unpatriotisch« gebrandmarkt zu werden. Ganz vorn steht dabei die demokratische Präsidentschaftsanwärterin Senatorin Hillary Clinton aus New York. Ihr innerparteilicher Herausforderer Senator Barack Obama aus Illinois lehnte sich dagegen zu Wochenbeginn weiter aus dem Fenster. Er schlug den Rückzug von USA-Kampfverbänden aus Irak bis zum Frühling 2008 vor. Den Forderungen der USA-Friedensbewegung am nächsten ist ein Gesetzesentwurf, den Mitglieder des linken Demokratenflügels, des »Progressive Caucus« um die Abgeordnete Lynn Woolsey und die Senatoren Russ Feingold und Barbara Boxer, einzubringen versuchen – unter dem Namen »Bring the Troups Home and Iraq Sovereignty Act«.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Februar 2007


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