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Imperiales "U-NO"

Zum ersten Jahrestag des Irakkriegs. Von Norman Paech*

Vergangenes Jahr zum selben Zeitpunkt kamen noch Hunderttausende in Deutschland, Millionen in der Welt, um gegen den Überfall auf den Irak zu protestieren. Heute sind es nur noch Hunderte, vielleicht Tausende, in einem Land von über 80 Millionen.

Ist der Irak-Krieg schon vergessen, obwohl wir täglich mit neuen Terrormeldungen aus dem besetzten Land an ihn erinnert werden? Gewöhnen wir uns langsam an diese Art von Interventionen, da Saddam Hussein nun gefangen ist und der Aufbau eines weiteren Protektorats zügig voranschreitet? Treten wir nun langsam der Allianz der Aufbauwilligen bei, um Demokratie und Menschenrechte zu exportieren und Öl und Gas dafür wieder billiger zu importieren?

Jetzt wollen sie uns wieder einreden, daß der Terror in Spanien nichts mit Aznars Kriegspolitik zu tun gehabt hat, daß wir alle in Europa, der ganze christliche Westen ohne Unterschied, vom islamischen Terror bedroht werden, daß wir also in dieser Stunde der höchsten Gefahr zusammenstehen und uns hinter den USA versammeln müssen und vor allem den Irak nicht aus den militärischen Fingern lassen dürfen. Die Sicht ist plump und durchsichtig: Die Kriegsallianz, die sich nun allmählich aufzulösen droht, muß zusammengehalten und gefestigt werden. Die Politik imperialistischer Herrschaftsordnung im Nahen und Mittleren Osten muß unverändert, d. h. mit militärischer Drohung und Gewalt fortgeführt werden. Eher sollen Völkerrecht, UNO und der eigene Rechtsstaat vor die Hunde gehen, als daß wir schmählich zurückweichen und die reichen arabischen Ölstaaten uns ihre Preise diktieren.

Die Maschine dreht sich auf hohen Touren, die uns weismachen will: Egal, welche Politik wir machen, mit oder ohne Krieg und Militär, wir sind alle über kurz oder lang Opfer des Terrorismus. Also rüsten wir auf, pflastern wir unsere Straßen und Plätze mit Videokameras, machen wir aus den Wohnungen der Menschen Glascontainer, und holen wir die Armee in die Städte, wehren wir uns, streichen wir die Sozial- und Bildungsetats zusammen und bewaffnen wir uns bis an die Zähne, lieber dumm und kriegsbereit als gebildet und politikbereit, heißt offensichtlich der geheime Fahrplan dieser Politik. Eine Politik, die nicht nur tödlich für unsere Gegner ist, sondern schließlich auch selbstmörderisch für uns sein wird. Eine Politik, zu der wir immer wieder nein sagen müssen, die wir nicht wollen.

Bereits 1999 haben wir beim Angriff der NATO auf Jugoslawien davor gewarnt, daß der Mißbrauch der Menschenrechte zur Begründung von Kriegen die Schleusen für immer weitere Kriege öffnen wird. Daß der Versuch der UNO, mit dem absoluten Gewaltverbot den Krieg aus der Politik der Staaten zu entfernen, ausgerechnet mit den Menschenrechten unterlaufen wird, ist eine der größten Niederlagen nicht nur der UNO, sondern dessen, was wir Zivilisation nennen. Welche Verdrehungen, Übertreibungen und Lügen – von Racak bis zum Hufeisenplan – haben die Regierungen gebraucht, um ihre Wählerinnen und Wähler von einer Menschenrechtskatastrophe im Kosovo und der Notwendigkeit zu überzeugen, ihr mit einem Bombenkrieg abzuhelfen. Und heute? Was uns als Krieg gegen die Katastrophe verkauft wurde, liegt uns nun als das Desaster eines andauernden Bürgerkriegs auf der Tasche und wird zur weiteren Aufsplitterung des Balkans führen. Nicht ohne Grund sehen darin viele das eigentliche Ziel des NATO-Krieges.

Auch der Afghanistan-Krieg, als Verteidigungskrieg gegen den internatioanlen Terrorismus begonnen, hat schon lange die Legitimation wirklicher Verteidigung verloren. Das Glaubensbekenntnis von Minister Struck, »Deutschland wird am Hindukusch verteidigt«, ist genauso irrsinnig wie der Satz »Die USA werden in Kuba verteidigt«. Aber er ist auch genauso gefährlich, da sich dahinter nicht nur die Aufgabe des eigenen Rechtsstaates verbirgt, sondern die unverhohlene Drohung imperialer Herrschaftsansprüche rund um die Welt eröffnet. Um diese Drohung nicht so brutal klingen zu lassen, wie sie in Wirklichkeit ist, werden jetzt wieder die Menschenrechte hervorgeholt, die es für die Frauen in Afghanistan zu gewinnen gilt. Doch schauen wir uns die Militärstrategien von USA und NATO an, so erfahren wir unverblümt, um welche Art von Menschenrechten es sich dreht: Die Freiheit des Handels und der Investitionen, die Freiheit des Zugangs zu Öl, Gold, Diamanten, Kobalt, Kupfer und Coltan, die Freiheit des ungehinderten Zugriffs auf die Reichtümer aller Länder. In keinem dieser Strategie-Dokumente finden wir einen Hinweis auf die sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte, das Selbstbestimmungsrecht oder das Menschenrecht auf Entwicklung oder auf Frieden. Das ist auch gut so, denn sie gehören nicht in Militärstrategien. Es gibt keine Menschenrechte, die dazu taugen, Militär und Krieg zu begründen.

Der Irak-Krieg vor nun genau einem Jahr hat die Unverträglichkeit von Menschenrechten und militärischer Gewalt in besonderer Weise gezeigt. Genauso wie die angeblichen Massenvernichtungsmittel und die Verbindung Saddam Husseins mit dem internationalen Terrorismus eine bewußte Täuschung der internationalen Öffentlichkeit war, so lügenhaft ist nun die Berufung auf Menschenrechte und Demokratie, um den Regimewechsel in Bagdad zu rechtfertigen. Die einzige jahrzehntelange und enge Verbindung, die sich herausgestellt hat, ist die zu den Regierungs- und Wirtschaftskreisen der USA und etlicher europäischer Staaten, darunter natürlich die Bundesrepublik. Wenn überhaupt Massenvernichtungswaffen, dann nur mit Hilfe dieser Länder; wenn massive Menschenrechtsverletzungen, dann nur auf der Basis der Verbindung zu diesen Ländern; wenn ein Angriffskrieg gegen die Nachbarländer Iran und Kuwait, dann nur mit der Unterstützung oder der Ermutigung der USA. Alle verbrecherischen Beziehungen Bagdads in den vergangenen Jahrzehnten weisen in westliche Richtung.

Aber wo steht geschrieben, daß die Förderung und Unterstützung eines verbrecherischen Regimes den Verbündeten das Recht gibt, dieses Regime mit Krieg zu beseitigen, wenn es nicht mehr nützlich ist? Nirgends, und dazu sollte man nicht die Menschenrechte mißbrauchen. Wer sich mit solchen Regimen einläßt, wird selbst Teil des verbrecherischen Systems und befreit sich nicht dadurch, daß er das Volk mit Krieg überzieht. Er befreit sich auch nicht dadurch, daß er sich an Aufräumarbeiten beteiligt, die zu nichts anderem dienen, als ein neues Protektorat zu errichten.

Daran heute, am ersten Jahrestag des Überfalls auf den Irak zu erinnern und immer wieder den Verzicht auf Krieg als Mittel der Politik einzufordern, ist unsere Pflicht. Menschenrechte sind nur mit und im Frieden durchzusetzen, das ist die Botschaft der UNO-Charta. Friedenspolitik entspricht nicht nur den Zielen und der Existenz von UNO und Völkerrecht, sondern ist die Grundbedingung und Voraussetzung für Menschenrechte. Wer zum Krieg greift, sollte von Menschenrechten schweigen.

Dieses alles sind Binsenweisheiten aber für den Imperialismus der neuen Weltordnung offensichtlich kein Argument. Wir haben nur wenige Mittel, diese Wahrheiten in Politik umzusetzen. Aber wir sollten sie auch nicht gering achten. Schröder hätte niemals auf den Krieg an der Seite der USA und Großbritanniens verzichtet, wenn er nicht von dem Friedenswillen der Mehrheit der Deutschen überzeugt worden wäre, der von der Friedensbewegung immer wieder gestärkt worden ist. Aznar wäre nie aus dem Amt gejagt worden, wenn nicht die Mehrheit des spanischen Volkes seiner Kriegspolitik und der damit verbundenen Lügen und Erpressungen überdrüssig geworden wäre. Und so unterstützen wir die Demokraten in den USA bei ihrem Versuch, Bush jr. aus dem Amt und auf die Ranch seines Vaters zu jagen, denn das ist ausschließlicher Inhalt und alleiniges Ziel unseres »Antiamerikanismus«. Und wenn Bush nicht mehr im oval office sitzt, wird auch Blair sich nicht mehr in Downing Street halten können.

Friedenspolitik ist internationale Politik, sie kennt keine Grenzen und macht vor keiner Regierung halt. Deshalb fordern wir nicht nur: Alles fremde Militär muß raus aus Afghanistan und dem Irak. Selbstbestimmung und Souveränität ohne fremde Besatzung für Afghanistan und den Irak. Sondern wir fordern auch: Bush und Blair, ein Krieg genügt, tretet zurück, dann belohnt euch vielleicht der (verdient ihr erst den) Friedensnobelpreis.

* Rede auf der Antikriegsdemonstration in Berlin am 20. März 2004.
Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler, emeritierter Hochschullehrer, Hamburg


Die Rede war ebenfalls dokumentiert in der "jungen Welt" vom 22. März 2004


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