Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Malikis Folterkerker in Bagdad

Terror im Irak: Geheimgefängnisse, Strafaktionen, Mord

Von Joachim Guilliard *

Die Führungsspitze Al-Qaidas sei getötet worden, so die Schlagzeilen letzte Woche. Einer der beiden Toten soll der schon häufiger getötete Abu Omar Al-Baghdadi sein. Ob es diesen »Emir« des »Islamischen Emirats im Irak« real gibt, war allerdings immer umstritten. Angeblich wurde der Tod zweier Führer nun von Al-Qaida bestätigt. Doch ein wirklicher Beweis sind die von »Terrorexperten« eifrig ausgewerteten »dschihadistischen« Webseiten auch nicht. Viele Experten und auch einige amerikanische Militärs halten den »Islamischen Staat Irak« für nichts weiter als eine im Jahr 2006 gegründete virtuelle Bewegung, die sich zu allen möglichen Terroranschlägen bekennt. Unabhängig davon, wie man die Bedeutung der Ermordung der beiden Männer bewertet, die Meldung kam für Ministerpräsident Nuri Al-Maliki zur rechten Zeit.

Zwei Tage zuvor war, wie die LA Times berichtete, ein Geheimgefängnis aufgeflogen, das von den Bagdad-Brigaden betrieben wurde, einer Spezialeinheit, die direkt Maliki untersteht. In dem Kerker auf dem Gelände des alten Muthanna-Flughafens in Bagdad waren 437 Gefangenen in erbärmlichen Zustand gefunden worden. Ein Viertel von ihnen wies Spuren schwerer Folter auf. Ein Gefangener war im Januar an den Folgen von Folter gestorben. Die Männer waren im Oktober 2009 im Rahmen einer Serie mehrtägiger militärischer Operationen in der Provinz Ninive, rund um Mosul gefangengenommen worden. Offiziell war das Ziel wie immer »Al-Qaida«, tatsächlich richtete es sich gegen die gesamte Opposition. Verschleppt wurden Beamte, Unternehmer, Universitätsprofessoren und andere angesehene Persönlichkeiten, die keine Verbrechen begangen haben, so der Vorsitzende des Sicherheitsausschusses des Provinzparlamentes.

Maliki ließ das Gefängnis sofort schließen. Er bestritt in einem Interview, von den Mißhandlungen gewußt zu haben, verteidigte aber die Nutzung von Spezialgefängnissen und militärischen Elitetruppen unter seinem direkten Befehl. Sie seien angesichts der prekären Sicherheitsbedingungen im Land dringend notwendig. Er versicherte jedoch erneut, alle Mißstände zu beseitigen.

Vermutlich ist der Kerker auf dem Muthanna-Flughafen nur die Spitze eines Eisberges. Spezialgefängnisse, zu denen nicht einmal die Polizei, Innen- und Justizministerium Zugang haben, sind geradezu eine Garant für Mißhandlungen und Folter. Die aktuelle Empörung zwang Maliki nun immerhin, die Kontrolle über zwei weitere Internierungslager abzugeben, die von seinen Eliteeinheiten betrieben werden.

Die Enthüllung des Geheimgefängnisses ist einer der seltenen Einblicke in den tatsächlichen Charakter des Regimes, das sich unter der Besatzung herausgebildet hat. Einen weiteren lieferte ein Bericht der Washington Post über eine brutale Vergeltungsaktion von Regierungstruppen einen Tag zuvor. Beim Angriff auf einen Checkpoint in der Nähe eines sunnitischen Dorfes im Westen Bagdads hatten am 24. März nicht identifizierte Kämpfer fünf Soldaten erschossen. Die vorwiegend schiitischen Regierungstruppen gingen daraufhin gegen die Dorfbevölkerung vor. Das Gebiet wurde in der folgenden Woche abgeriegelt und systematisch durchkämmt. Hunderte Männer wurden dabei festgenommen und in den Stützpunkt des Kommandos geschleppt. Einer nach dem anderen wurden unter Schlägen und Elektroschocks verhört. Einige der Männer zeigten später den Journalisten die roten Striemen und Blutergüsse auf ihrem Körper.

Die ersten Opfer der Vergeltungsaktion waren drei junge Brüder, die in ihrem Kleinlaster auf dem Weg zu ihrer nahegelegenen Farm waren. Familienangehörige mußten von weitem mit ansehen, wie die drei mißhandelt wurden. Als man sie später fand, waren zwei der Brüder nicht mehr am Leben, einer überlebte schwerverletzt.

Auch die Morde an prominenten Vertretern der Opposition gehen weiter. Am 14. April traf es mit Scheich Ghazi Jabouri einen angesehenen sunnitischen Geistlichen im Adhamiya-Distrikt von Bagdad. Kurz zuvor war im selben Stadtteil ein Kommandeur der lokalen sunnitischen Al-Sahwa-Miliz erschossen worden. Diese war einst von den USA gegen Al-Qaida ausgerüstet worden, wird von der Maliki-Regierung jedoch als Gegner angesehen. Ein Universitätsprofessor entkam in derselben Woche nur knapp einem Autobombenanschlag.

Im Zusammenspiel mit den Terroranschlägen auf schiitische Moscheen letzten Freitag und auf Wohnblöcke in schiitischen Vierteln scheinen diese Gewaltakte geradezu darauf angelegt, erneut Haß und Gewalt zwischen konfessionellen Gruppen eskalieren zu lassen.

* Aus: junge Welt vom 29. April 2010


Zurück zur Irak-Seite

Zur Seite "Menschenrechte"

Zur Seite "Humanitäres Kriegsvölkerrecht"

Zurück zur Homepage