"Wir glauben Euch noch nicht"
Kurzeinschätzung der neuen deutschen Diskussion zum kommenden Irakkrieg und Vorschläge für Positionen der Friedensbewegung
Von Tobias Pflüger *
1. Die neue Position der rot-grünen Bundesregierung ist wenig glaubwürdig
Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben sich in den letzten Tagen
eindeutig gegen einen neuen Irak-Krieg ausgesprochen. Dies ist eine neue
Positionierung. Aufgrund der Vorgeschichte (frühe Kriegszusage im März
2002) und der Bilanz von rot-grüner Kriegspolitik ist dieser
"Antikriegskurs" von Schröder und Fischer wenig glaubwürdig.
Im folgenden wird analysiert, was notwendig wäre, um die Absage der
rot-grünen Bundesregierung an einen Krieg gegen den Irak glaubwürdiger
zu machen. Mit diesen Positionen - so meinen wir - sollten Friedens-, Antikriegs-
und Anti-Globalisierungsbewegung in die jetzige Auseinsandersetzung um
eine Verhinderung eines Krieges gegen den Irak gehen.
2. Die deutsche Kriegszusage und wie sich die Bundesregierung davon
verabschieden könnte
Wir wissen, daß es schon im März (2002) von Gerhard Schröder eine
interne Zusage an die US-Regierung für eine deutsche Beteiligung an
einem Krieg gegen den Irak gegeben hatte. Die damaligen Bedingungen
waren: Erstens, der Krieg solle nach den Wahlen in Deutschland
stattfinden und zweitens der Angriff müsse mit einem UN-Mandat versehen
werden. (Diese Information ist inzwischen von Karl Lamers (CDU) auch
öffentlich bestätigt worden (vgl. Reuters, 06.08.2002)
Eine der wichtigsten Fragen derzeit ist, ob diese Kriegszusage heute
noch gilt. Notwendig ist eine öffentliche Erklärung der Bundesregierung, daß es
keine Zusagen mehr gegenüber der US-Regierung für eine Unterstützung
oder Teilnahme bei einem Krieg gegen den Irak gibt oder daß die frühere
Zusage für die Bundesregierung zurückgenommen wurde oder nicht mehr
bindend ist.
Darüberhinaus muß die Bundesregierung der US-Regierung gegenüber
erklären, daß die Bundesregierung den Krieg gegen den Irak in folgenden
Bereichen nicht unterstützt:
-
Keine finanzielle Unterstützung
- Kein Zurverfügungstellen von Bundeswehr-Truppen für den geplanten Krieg,
- Keine Truppenunterstützung,
- Keine Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in
Deutschland (das schließt nicht nur die deutschen sondern auch die
us-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport
u.a. mit ein).
- Veto innerhalb der NATO gegen die Unterstützung eines Irakkrieges.
3. Bundeswehrsoldaten in Kuwait - nur ein sofortiger Abzug macht einen
Antikriegskurs glaubwürdig
Derzeit sind im Rahmen von Enduring Freedom in Kuwait noch 52
ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehr mit 6 Spürpanzer Fuchs stationiert. Das
Gerät wurde zurückgelassen von einem Manöver in Kuwait, an dem 250
Bundeswehrsoldaten teilnahmen. Die ABC-Abwehrsoldaten sollen sich nach einer Übung im März nun wieder
an einem weiteren Manöver beteiligen. Die genaue "Aufgabenstellung" sei
noch offen.
Verstärkte Manöver in Kuwait sind, da sind sich alle Militärexperten
einig, ein wichtiges Anzeichen für einen demnächst bevorstehenden
Angriff auf den Irak. Bei den ersten Kriegsplanungen gegen den Irak im
Dezember 2001, die dann aufgrund der Absagen der westorientierten
arabischen Regierungen an Vize-Präsident Dick Cheney wieder verschoben
wurden (Hintergrund war das brutale Vorgehen des israelischen Militärs
in den palästinensischen Gebieten), gab es ebenfalls verstärkte Manöver
("Desert Sping") in Kuwait.
Der neue "Verteidigungsministers" Dr. Peter Struck hat entschieden, daß
die ABC-Abwehrkräfte auf Wunsch der US-Regierung in Kuwait bleiben, u.a.
zum Schutz von US-Soldaten. Die Erklärung Strucks, die ABC-Abwehrkräfte hätten eine andere Aufgabe,
als bei einem Irakkrieg mit dabei zu sein, ist völlig unglaubwürdig. Es
wurden doch gezielt ABC-Abwehrkräfte in Kuwait stationiert, um bei einem
Angriff auf den Irak angreifenden Truppen zur Hilfe zu kommen. Friedrich
Merz (CDU) sieht das klarer: "Alles ABC-Abwehrmaterial ist in Kuwait
geblieben, wenn es dort in der Region zu einem Konflikt kommt, ist
Deutschland natürlich dabei." (Financial Times 24.05.2002)
Unsere Forderung ist deshalb klar: Sofortiger Abzug aller
Bundeswehr-Soldaten aus Kuwait!
4. Die Bevölkerung ist gegen den Krieg gegen den Irak - innenpolitische
Debatte
Die Parteiendiskussion zum Irakkrieg zeigt viel Wahlkampfkalkül. Die
Parteien-Debatte ist allerdings wenig hilfreich: CDU-Schäuble und
SPD-Klose für den Krieg, CDU-Lamers, Schröder und Fischer öffentlich
dagegen. CDU-Pflüger wünscht ein UN-Mandat, hält es aber nicht für
zwingend...Die FDP kritisiert das "Hineinziehen der Außenpolitik in den
Wahlkampf" (sic!) und Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher will eine
Bundestagsaussprache zum geplanten Irakkrieg. Der Kanzlerkandidat von
CDU/CSU will sich offenbar nicht zum Thema äußern. Die
Nachrichten-Agentur AFP spricht davon, er spiele "Verstecken". Stoiber
weiß, daß eine Pro-Kriegs-Position nicht populär ist.
Entscheidend ist, die bundesdeutsche Bevölkerung ist je nach Umfrage
zwischen 73 % (n-tv / Emnid) und 91 % (Spiegel) gegen den Irakkrieg.
Diese Werte waren im übrigen schon so vor dem oberflächlichen Schwenk
der rot-grünen Bundesregierung in der Irakfrage.
Eine oberflächliche Ablehnung des Krieges wird aber SPD und Grünen kaum
Stimmen einbringen. Der neue "Antikriegskurs" von Schröder und Fischer
ist wenig glaubwürdig: Die rot-grüne Regierung hat sich bisher zweimal
an Angriffskriegen beteiligt (NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, dem
sog. "Kosovo"-Krieg und der Krieg gegen Afghanistan) Außerdem hat
rot-grün die Bundeswehr durch die Strukturveränderungen (genannt
"Reform") - bei allen Unzulänglichkeiten - entscheidend
kriegsführungsfähig gemacht (vgl. näher zu beidem: Die Bundeswehr unter
Rot-grün, http://www.imi-online.de/2002.php3?id=128 ).
5. Die Begründungen der Regierung für ihre Kriegsablehnung sind
hochproblematisch - gegen "deutschen Weg"
Die SPD will nun auf Aussenpolitik im Wahlkampf setzen, soweit so gut.
Doch die Begründungen lassen schaudern. Zitate Gerhard Schröder: "Wir
haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg. Aber wir haben
nicht alles geschafft. Deshalb brauchen wir ein Mandat, diesen Weg bis
zum Ende zu gehen." "Ich denke, wir haben nach dem 11. September letzten
Jahres bewiesen, dass wir besonnen, und im Interesse der Sicherheit
unserer Menschen handeln, mit der Staatengemeinschaft, mit den Freunden
in den Vereinigten Staaten, dass wir aber für Abenteuer nicht zur
Verfügung stehen und dabei bleibt es."
Von Besonnenheit kann bekanntlich beim Krieg in Afghanistan nicht die
Rede sein (Stichwort: Einsatz des Kommando Spezialkräfte u.a.) Das
Interessanteste ist aber die Formel vom "deutschen Weg", die sich die
SPD-Wahlkämpfer da einfallen lassen haben.
Die Reden von Gerhard Schröder und Franz Müntefering beim
Wahlkampfauftakt in Hannover sind nur so gespickt mit Formulierungen
eines "deutschen Weges".
Die Kriegsablehnung der Friedensbewegung hat mit dieser Position, die
Anleihen bei nationalistischem Gedankengut macht, nichts zu tun.
6. Nicht nur gegen eine deutsche Kriegsteilnahme sondern gegen den Krieg
an sich
Ziel muß für die Friedensbewegung natürlich nicht nur sein, eine
deutsche Kriegsteilnahme zu verhindern, sondern auch den Krieg als
solches zu verunmöglichen. Die militärische Infrastruktur in Deutschland
ist für die Kriegsführungsfähigkeit der US-Truppen von wichtiger Bedeutung.
Die Zusammenarbeit mit Friedens-, Antikriegs- und
Antiglobalisierungsbewegungen über den gesamten Globus ist sehr wichtig.
Wir müssen mit den Kriegsgegner/innen in den USA und den anderen
europäischen Ländern gemeinsam gegen den Kriegskurs der jeweiligen
Regierungen kämpfen.
7. Zur Situation im Irak selbst - notwendig ist die Aufhebung des Embargos
Der ausscheidende CDU-Außenexprte Karl Lamers hat auf einen weiteren
entscheidenen Punkt verwiesen: "Niemand hat eine Vorstellung, was nach
einer möglichen Entmachtung Saddam Husseins passiert und wie das Land
dann noch zusammengehalten werden kann." (AFP, 04.08.2002) Schon nach
dem zweiten Golfkrieg lies die damalige Kriegskoalition kurdische und
schiitische Bevölkerung schrecklich ins Messer laufen, Saddam Hussein
blieb an der Macht.
Die Bevölkerung des Irak, nicht das in aller Schärfe zu kritisierende
Regime von Saddam Hussein, leiden schwer unter dem Embargo, das gegen
das Land verhängt wurde. Das Embargo ist ein Krieg gegen die irakische
Zivilbevölkerung. Eine Antikriegsposition ist nur dann glaubwürdig, wenn
es ihr auch um die irakische Bevölkerung geht. Deshalb muß das Ziel ganz
klar die Aufhebung des Embargos gegen den Irak sein. Die Bundesregierung
muß sich also, ist sie tatsächlich gegen einen Krieg, dringend für eine
Aufhebung des Embargos einsetzen, sie sollte das Embargo selbst nicht
mehr beachten und sie muß Hilfe für die notleidende irakische
Bevölkerung organisieren.
8. UNO - Irak-Verhandlungen
Wenn die deutsche Regierung einen Krieg gegen den Irak ablehnt, muß sie
sich innerhalb der UN für eine zielgerichtetes Verhandeln mit der
irakischen Regierung einsetzen. Ziel könnte sein, die frisch
ausgesprochnenen Einladungen der irakischen Regierung anzunehmen und
ernsthaft zu verhandeln.
Die derzeitigen Verhandlungen der UN-Vertreter machen nämlich den
Eindruck, daß - aus Rücksicht gegenüber der US-Regierung - dem Irak
keine reale Chance gegeben werden soll, die Bedingungen für die
UN-Inspekteure tatsächlich zu erfüllen.
Es wurde nun ja auch offiziell - durch den damaligen Leiter der
UNSCOM-Mission Rolf Ekéus (1991 bis 1997) - bestätigt, daß bei den
UNSCOM-Inspekteuren US-Agenten mit dabei waren, die UNSCOM für
Spionagezwecke nutzten. Ziel sei die Installation von Abhöreinrichtungen
gewesen. Unter klarer Mißachtung des UN-Mandats hätten sich die Agenten
auch für Einrichtungen des irakischen Geheimdienstes und der irakischen
Armee interessiert. Nach seiner Ablösung durch den Australier Richard
Butler habe es seines Wissen nach eine Reihe "zweifelhafter
Inspektionen" gegeben. Ekéus erklärte weiter, daß auch andere Mitglieder
des UN-Sicherheitsrates Druck in Richtung provokative UNSCOM-Forderungen
an den Irak ausgeübt hätten, um so den Vorwand für ein militärisches
Vorgehen gegen das Regime um Saddam Hussein zu bekommen.
Ein Mißtrauen gegenüber den UN-Inspekteuren ist also durchaus auch
berechtigt.
9. NATO-Treffen direkt nach der Wahl - Kriegsszenarien
Am 24./25. September findet in Warschau das sogenannte "informelle
Treffen der Verteidigungsminster der NATO" statt. Es ist damit zu
rechnen, daß die einzelnen NATO-Staaten dort erklären müssen, wie sie
sich an
einem Irak-Krieg beteiligen.
Wenn die Bundesregierung tatsächlich gegen den Irakkrieg ist, muß sie
schon heute erklären, daß Peter Struck dort mitteilen wird, daß weder
Truppen noch Infrastruktur für einen Krieg gegen den Irak zur Verfügung
gestellt werden.
Die Wahrscheinlichkeit eines Krieg fällt im übrigen ziemlich stark ab,
wenn die europäischen NATO-Staaten sich konsequent, entschlossen und
geschlossen gegen eine Irak-Invasion aussprechen würden. In der
"International Herald Tribune" (IHT) vom 25.07. heißt es z.B., daß die
europäischen NATO-Staaten durchaus den Krieg gegen den Irak verhindern
oder doch zumindest um Monate hinauszögern könnten, die US-Regierung
wäre zu sehr auf in Europa befindliche Militär-Infrastruktur angewiesen.
Außerdem muß die Bundesregierung darauf drängen, daß die diversen
konkreten Kriegspläne, die George W. Bush vorgelegt wurden, öffentlich
gemacht werden. Der Oberbefehlshaber der am Golf stationierten
US-Truppen, der General Tommy Franks, hatte am 06.08. US-Präsident
George W. Bush einen neuen Angriffsplan gegen den Irak vorgelegt. In
diesem Kriegsszenario wird von einer Invasion im Irak mit 50.000 bis
80.000 Soldaten ausgegangen, die massiv von der Luftwaffe unterstützt
werden sollen. Ein anderer Kriegsplan spricht von ca. 250.000 Soldaten,
mit den die Irak-Invasion durchgeführt werden soll. In einem weiteren
Kriegsplan ist von "Kommandounternehmen" zu Beginn die Rede...
Beim Krieg selbst ist wohl mit einem wesentlich massiveren Einsatz von
High-Tech-Waffen, wie Lenkwaffen, Cruise Missiles und sogenannten
"Präzisionsbomben" ("Kollateralschäden" eingeschlossen) zu rechnen.
10. Kriegsführungsfähigkeit des Militärs verhindern
Um keine Kriege führen zu können, ist es notwendig die
Kriegsführungsfähigkeit von Armeen abzubauen. Dazu gibt es das Konzept
der "qualitativen Abrüstung", was bedeutet, die Truppen als erstes
abzubauen, mit denen Kriege geführt werden können, in Deutschland sind
dies die Einsatzkräfte der Bundeswehr. Solange die kriegsführungsfähigen
Truppen zur Verfügung stehen, werden sie erfahrungsgemäß auch
eingesetzt. Diese Bundeswehr-Einsatzkräfte, früher
Krisenreaktionskräfte, müssen aufgelöst werden!
* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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