"Protestiert vor den US-Basen"
Gespräch mit Matthis Chiroux. Über die Verweigerung des Irak-Einsatzes, die Bedeutung von Demonstrationen vor Kasernen und klare Worte an GIs
US-Sergeant Matthis Chiroux (25) muß sich am 21.April einer Anhörung der US-Armee in St.Louis, Missouri, stellen. Der Reservist hatte sich im vergangenen Sommer einem Einsatz im Irak verweigert. Chiroux beteiligte sich im Rahmen der Anti-NATO-Proteste Anfang April an Veranstaltungen in Tübingen, Karlsruhe und Strasbourg.
Sie müssen sich am Dienstag bei der US-Armee in St. Louis in Missouri einer Anhörung stellen, weil Sie den Einsatz im Irak verweigert haben. Wie sind Sie zum US-Militär gekommen?
Ich lebte als Kind im tiefen Süden, mit einem Dad, der stolz auf seinen Militärdienst war. Ich war in der Schule nicht immer erfolgreich und so ein gefundenes Fressen für die Anwerber der Army. In meiner Teenager-Zeit hatte ich häufig Krach mit meinem Vater, und ich wohnte schließlich in einem Zelt draußen vor meiner Stadt. Als mir das Geld ausging, trat ich ein. Mir blieb wirklich nichts anderes übrig. Das war 2002. In der Grundausbildung lernte ich Töten wie jeder andere auch. Ich trainierte auch für die 82. Airborne Division in North Carolina, aber ich beschloß, das Training nicht fortzusetzen. Die 82. steht im Ruf, hirnlos brutal zu sein, untereinander wie gegenüber dem »Feind«. Mein Kommandeur fragte damals: »Bist du ein Airborne oder ein Schwanzlutscher?« Ich frage mich, bei wie vielen so was wirklich ankommt? Sie schickten mich schließlich für sieben Monate in die Journalismusschule der Armee. Schreiben lag mir irgendwie. Schon als Kind hatte ich viel geschrieben. Ich hatte einen Sprachfehler – wirklich verstehen konnte mich nur meine Mutter – deswegen hab’ ich so viel geschrieben. Fotografieren habe ich in der Armee gelernt.
Wie war es, als Journalist für die Armee zu arbeiten?
Zuerst haben sie mich für etwa zwei Jahre nach Tokio geschickt. Dann war ich vom Mai 2005 bis zum August 2007 in Heidelberg in der U.S. Army Europe Command Information Division. Es war mein Job, als literarischer und fotografischer Hochstapler für das US-Militär zu dienen. Man meinte, ich sei in internationalen Beziehungen und strategischen Kommunikation begabt. Hauptsächlich habe ich mit Zivilisten zusammengearbeitet. Ich habe Pressemitteilungen und Artikel für das Internet oder für Militärpublikationen wie Stars & Stripes und das Armeemagazin in Deutschland geschrieben. Ich war wirklich froh, in Japan und Deutschland zu sein, fand aber, daß die USA in beiden Ländern nichts zu suchen hatten. Ich wurde in andere Länder geschickt – nach Italien, auf die Philippinen und nach Afghanistan. Ich hatte Artikel zu schreiben, wie großartig das US-Militär ist – daß es etwa in Afghanistan verwundete rumänische NATO-Soldaten medizinisch versorgt. Bei diesen Aufträgen mußte ich eine Waffe tragen: Ich möchte nicht daran denken, auf wie viele Frauen und Kinder sie unbeabsichtigt gerichtet gewesen sein mag. Als Armeejournalist war es mein Job, Geschichten von Militärangehörigen zu sammeln und zu filtern. Ich hörte vieles über Greuel und Verbrechen im Irak, Geschichten, die einem den Magen umdrehten.
Jetzt glaube ich, daß ich mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) kämpfe, zum Teil wegen tiefer Schuldgefühle, mein Können benutzt zu haben, um das zu fördern, was ich mittlerweile als rassistischen, imperialistischen und letztlich völkermörderischen Feldzug ansehe. In den Artikeln, die wir geschrieben haben, belogen wir Soldaten vom bequemen Deutschland und Japan aus – das waren Soldaten, die, wie ich wußte, im Nahen und Mittleren Osten litten, bluteten und töteten.
Was hat Sie dazu gebracht, sich gegen Washingtons Kriege zu wenden?
In Japan und in Deutschland war ich mit vielen Zivilisten befreundet. Ich habe mit ihnen mehr herumgehangen als mit GIs. Einige Freunde in Heidelberg – sie waren keine Friedensaktivisten, einfach normale Zivilisten – sahen mir ins Auge und sagten: »Weißt Du, was ihr im Irak und in Afghanistan macht, ist Völkermord.« Zuerst ging mir das auf den Senkel. Ich dachte: »Wie gefühllos; sie wissen nicht, was meine Leute durchmachen, die da hingehen und kämpfen müssen.« Aber sie sagten: »Du mußt verstehen, daß es mehrere Arten von Völkermord gibt, nicht nur den der Nazifaschisten. Du mußt vergleichen, was jetzt passiert und was damals passierte, weil wir nicht mitansehen wollen, daß eure Kriege enden wie unsere.«
Es war besonders wichtig für mich, daß meine japanischen und deutschen Freunde den Mut hatten, ihre Kritik in Verbindung zu ihrer eigenen Geschichte zu bringen. Ja, zuerst hat es mich gekränkt, und ich sagte zu ihnen, »was untersteht ihr euch?« Aber was sie sagten, blieb mir im Hinterkopf haften, und ich dachte weiter darüber nach. Ich kam zu einem Punkt, wo ich es nicht mehr leugnen konnte. Fürchte dich also nie zu sagen, wie es ist. Es war schwer zu verkraften, hat aber vielleicht mein Leben gerettet. Am Ende weigerte ich mich, in den Irak zu gehen, größtenteils wegen der Dinge, die ich in Heidelberg gelernt habe. Vielleicht verdanke ich sogar mein Leben einigen sehr tapferen deutschen Bürgern, die bereit waren, mich mit der Wahrheit zu kränken.
Vor den Militärstützpunkten in Heidelberg gab es immer wieder Proteste von Friedensaktivisten. Wie haben Sie und andere GIs diese Demonstrationen aufgenommen?
Ich persönlich habe es genossen. Die meisten GIs fanden es sehr cool. Einige andere machten sich lustig und sagten »verdammte Hippies«, »verdammte Spinner« oder »Wir sind hier um ihre Redefreiheit zu schützen, aber alles was sie reden wollen, ist Blech, da, da, da ...« Letztere sind die lautesten, weil es das ist, was in der Armee akzeptiert wird. Aber ich bin sicher, die draußen vor der Kaserne haben es gesehen: GIs machen das Friedenszeichen. Sie sagen damit, »gute Arbeit, protestiert weiter, weil wir dieses Recht nicht haben«. Es ist für Soldaten wichtig zu sehen, daß eine andere Welt möglich ist. Die GIs haben diese Information nicht, besonders nicht in Deutschland. Sie bekommen keine Zeitungen und Zeitschriften aus den USA – nur ein paar im PX. Sie bekommen fast all ihre Information vom Armed Forces Network (AFN) oder Militärzeitungen oder von ihren Kommandeuren. Sie bekommen keine Information von draußen. Gerade diese haben mich gezwungen, neu zu überlegen, woran ich war.
Was hat Sie letztlich dazu gebracht, öffentlich gegen die Kriege der USA Stellung zu beziehen?
Ich wurde 2007 in Heidelberg ehrenhaft aus der Armee entlassen, aber es gibt da eine Bestimmung, nach der man dann zu den Individual Ready Reserves (IRR) gehört. Man kann jederzeit wieder einberufen werden. Als ich Heidelberg verließ, war ich so lange in Übersee gewesen, daß ich mich bei der Rückkehr in die USA wie ein Immigrant fühlte, also zog ich nach Brooklyn, eine Stadt von Einwanderern. Nach verschiedenen kurzzeitigen Jobs und kurzer Arbeitslosigkeit schrieb ich mich im Januar 2008 am Brooklyn College ein. Die Unterstützung der Armee half ein bißchen, aber mit 1200 Dollar im Monat deckte sie nicht mal meine Miete. Im Februar 2008 bekam ich einen Brief von der Armee, in dem meine Rückkehr in den aktiven Dienst wegen der Mobilmachung für die »Operation Iraqi Freedom« befohlen wurde. Ich war deprimiert und wußte nicht, was tun. Im März 2008 sah ich das Hearing »Winter Soldier« von Iraq Veterans against the War (IVAW) im Internet. Diese Veranstaltung hat viele GIs angesprochen. IVAW ist daraufhin schnell größer geworden und hat jetzt über 1700 Mitglieder weltweit. In New York traf ich IVAW-Mitglieder wie Selena Coppa. Sie leitet die IVAW-Kampagne »Active Duty Organizing« und ist mittlerweile in Wiesbaden stationiert. IVAW gab mir den Rückhalt, aufzustehen und den Kriegseinsatz für diese verfassungswidrige und illegale Besatzung zu verweigern, die gegen all meine innersten Werte als Mensch verstößt. Aber wie ich schon sagte, bevor ich IVAW begegnete, war ich durch meine Gespräche mit japanischen und deutschen Freunden schon zu dem Schluß gekommen, daß diese Kriege Unrecht sind.
Was steht bei Ihrer Anhörung am 21. April auf dem Spiel, und wie kann man Ihnen hier in Deutschland helfen?
Höchstwahrscheinlich werde ich aus dem Militär entlassen. Es ist unwahrscheinlich, daß die Armee irgendwelche weiteren Aktionen unternimmt, da ich viel in der Öffentlichkeit gewesen bin und zu einer wachsenden Zahl von Reservisten gehöre, die in ähnlicher oder mehr privater Weise den Einsatz verweigert haben. Über ein Dutzend US-Kongreßmitglieder haben eine Erklärung unterzeichnet, die meine Weigerung, in den Irak zu gehen, unterstützt. Selbst mein Vater, der zweimal für Bush gestimmt hat, unterstützt mich heute.
Aktivisten in Deutschland können helfen, indem sie weiter solche Leute wie mich unterstützen. Setzt euch dafür ein, daß André Shepherd, der sich auch geweigert hat, in den Irak zu gehen, in Deutschland Asyl bekommt. Demonstriert vor Militärbasen. Redet mit mehr jungen Soldaten wie mir. Sie müssen die Wahrheit in unmißverständlichen Worten erfahren.
Im Rahmen der Anti-NATO-Proteste Anfang April in Strasbourg haben Sie sich bei der afghanischen Politikerin Malalai Joya entschuldigt, an der Besetzung ihres Landes mitgewirkt zu haben. War dieser Schritt schwierig für Sie?
Es war schwer für mich, nach Afghanistan zu gehen und dabei die wahre Natur dessen, was ich tat, zu verleugnen – das Leid, das ich nicht nur anderen, sondern das ich auch mir selbst zufügte, indem ich nach Afghanistan ging. Es war auch schwer, die Entschuldigung auszusprechen, aber es war absolut notwendig. Diese Worte haben latent festgesessen und schon seit Jahren darauf gewartet, sich aus meiner Seele zu reißen. Und ich fühle mich so geehrt, daß sie jemandem wie Malalai erreichen konnten, vor der ich so großen Respekt habe und die ich so sehr bewundere. Ich glaube wirklich, daß sie für das afghanische Volk die Verkörperung von Hoffnung ist. Ich werde nicht aufhören, für seine Befreiung zu kämpfen. Seine Versklavung durch die USA ist genauso Unrecht wie es die Versklavung der Schwarzen war.
* Matthis Chiroux ist in Auburn, Alabama, in einer konservativen Familie aufgewachsen. Er ging 2002, kurz nach der Highschool, zur Armee. Er diente über vier Jahre als Armeefotograf und -journalist in Deutschland, Italien, Japan und den Philippinen und gewann zahlreiche Journalismuspreise der Armee. Zudem wurde er mit der »Army Good Conduct Medal« und der »Global War on Terrorism Service Medal« ausgezeichnet.
Wie viele andere Widerständler im Militär war Chiroux jahrelang im Dienst, bevor er zum Schluß kam, daß Krieg und Besatzung im Irak und in Afghanistan unrecht sind, und er den Mut fand, sich dagegen auszusprechen. Seit vergangenem Sommer ist er Aktivist in der Organisation »Iraq Veterans Against the War« (IVAW).
Interview: Elsa Rassbach
* Aus: junge Welt, 18. April 2009
Dokumentiert:
"Ich war im Unrecht"
Sergeant Matthis Chiroux entschuldigt sich bei der afghanischen Politikerin Malalai Joya **
Malalai Joya (31) ist jüngstes Mitglied des afghanischen Parlaments. Sie ist eine von 68 Frauen, die 2005 in das Unterhaus der Nationalversammlung (Wolesi Jirga) mit 249 Sitzen gewählt wurden. Nachdem sie sich gegen die Fundamentalisten und früheren Warlords im Parlament gewandt hatte, wurde sie im Mai 2007 suspendiert. Malalai Joya steht der Gruppe »Organization for Promoting Afghan Women’s Capabilities« (OPAWC) im Westen ihres Landes vor. Sie hat mehrere Mordanschläge überlebt und kann in Afghanistan nur mit bewaffneten Wächtern reisen.
Matthis Chiroux wollte sich am 4. April bei der Auftaktkundgebung der AntiNATO-Demonstration in Strasbourg öffentlich bei der afghanischen Aktivistin für seine Beteiligung an der Besetzung ihres Landes entschuldigen. Die Veranstaltung wurde jedoch durch einen Tränengasangriff der französischen Polizei gesprengt. So trafen sich die beiden am folgenden Tag auf dem Podium des Kongresses »No NATO – No War«:
Matthis Chiroux: Hallo, alle. Mein Name ist Matthis, und ich bin immer noch Sergeant in der US-Armee, hoffentlich nicht mehr lange. Und hier ist Malalai Joya aus Afghanistan. 2005 habe ich für kurze Zeit geholfen, Malalais Land zu besetzen, und das war Unrecht. Es war ein Fehler. Ich hätte nicht da sein sollen. Ich hätte diese Unterdrückung ihres Volkes nicht unterstützen dürfen. Ich möchte dir sagen, Malalai, wie sehr ich die Gewalt bedauere, die meine Armee deinem Volk, deinem Land angetan hat. Ich möchte mich bei dir für die Rolle entschuldigen, die ich dabei gespielt habe. Ich war im Unrecht, und ich werde dir zeigen, daß mein Land und der Rest der Welt zu einem Punkt kommen können, wo sie Unrecht zugeben, sich entschuldigen und eine Art Versöhnung anbieten können.
Ich habe nicht viel zu geben, Malalai, aber ich würde dir gern dieses kleine Symbol für meine Versöhnung und unsere gute Freundschaft anbieten, die auf diesem Kongreß geschlossen worden ist. Diese Freundschaft wird bestehen, und hoffentlich können die Freundschaft von Malalai und mir als Vorbild für andere Menschen in anderen Ländern dienen.
Ich möchte Malalai diese Brosche geben. Die Taube ist ein internationales Symbol für den Frieden. Ich möchte sie dir gern schenken, Malalai, und dich bitten, sie als ein Zeichen unserer Versöhnung anzunehmen. Wenn amerikanische und andere Soldaten zu demselben Ort kommen könnten, wissend, daß sie Unrecht getan haben, und sich bei dem Volk, dem sie Unrecht getan haben, entschuldigen und Freundschaft suchen könnten, dann können wir Frieden haben, und es macht nichts, was unsere Regierungen tun.
Malalai Joya: Ich bin sprachlos vor Dankbarkeit, mein lieber Bruder. Ich habe nichts an dich weiterzugeben als die Liebe meines Volkes. Ich gebe sie an dich, und ich gebe meinem Volk auch deine Liebe weiter. Und ich möchte dir sagen, daß es deine Regierung ist, die sich vor allem bei großen Menschen wie dir entschuldigen muß: Sie betrügen euch, und sie benutzen euch für keine gute Sache; sie benutzen euch für einen Krieg, der nur zum Leiden meines Volkes beiträgt. Und es ist eure Regierung, die sich beim afghanischen Volk dafür entschuldigen muß, daß sie in sein Land eingedrungen ist und ihm eine Mafiaregierung von Warlords und Drogenbossen aufgezwungen hat. Nicht nur beim afghanischen Volk, sondern ebenso beim Volk des Irak, dessen Land sie besetzen ließ und das sie betrügt. Und jetzt führen sie auch Krieg in Pakistan. Die US-Regierung muß sich vor allem bei den friedliebenden Menschen ihres Landes entschuldigen.
Ich war gestern bei der Demonstration. Ich wollte dort im Namen meines Volkes sprechen, um die falsche Politik der US-Regierung und besonders die der NATO aufzudecken, weil die Regierungen ihrer Mitgliedsländer seit sieben Jahren der verheerenden Politik der USA gefolgt sind, einer Politik, die ein Hohn auf jegliche Demokratie ist. Bitte erheben Sie alle, so laut Sie können, Ihre Stimme gegen die Kriegstreiberei Ihrer Regierung und auch gegen die USA, die besetzen und besetzen möchte. Bitte erheben Sie Ihre Stimme gegen die falsche Politik der Obama-Regierung, die jetzt mehr Truppen nach Afghanistan senden und um ihrer eigenen strategischen Gewinne willen Kompromisse mit den brutalen Taliban und anderen Terroristen eingehen möchte, was meinem Volk mehr Konflikte und Krieg bringen wird.
** Aus: junge Welt, 18. April 2009
Zurück zur Seite "Stimmen gegen den Krieg"
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zum Dossier "Truppen raus aus Afghanistan"
Zurück zur Homepage