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"Die Leute sollen Angst haben"

Dina Meza: In Honduras räumen Todesschwadrone in Militäruniformen vor den Wahlen auf *


Dina Meza arbeitet bei der honduranischen Organisation »Komitee der Familienangehörigen von Verhafteten und Verschwundenen« (COFADEH) und als Journalistin. Aufgrund ihrer Arbeit erhielt sie immer wieder Morddrohungen gegen sich und ihre Familie und sah sich daher gezwungen, für einige Monate das Land zu verlassen. Über die Lage in Honduras im Wahljahr sprach für »nd« mit ihr Jutta Blume.


Der Staatsstreich gegen Präsident Manuel »Mel« Zelaya liegt nun gut vier Jahre zurück. Zelaya stand für einen moderaten Linkskurs. Was ist davon geblieben?

Nicht viel. Seit dem Jahr 2009 haben wir einen zunehmenden Verfall der Menschenrechtslage beobachtet, zuerst bei der massiven Repression des Protests auf der Straße, dann durch selektive Repression, das Erstellen von Profilen, Morde, Verfolgung, Belästigung, Entführungen, erzwungenes Exil. Heute funktioniert weder die Staatsanwaltschaft noch der Oberste Gerichtshof oder die Polizei. Öffentliche Gelder werden dafür eingesetzt, die sozialen Proteste zu kriminalisieren wie auch den Kampf für die Menschenrechte, für Landrechte, für eine gesunde Umwelt und gegen den Ausverkauf von Honduras. Die Staatsanwaltschaft eröffnet Prozesse gegen MenschenrechtsverteidigerInnen und gegen Mitglieder der Widerstandsbewegung. Die Leute sollen Angst haben, dass sie im Gefängnis landen, wenn sie für ihre Rechte kämpfen.

In der Region Bajo Aguán sind seit 2009 mindestens 57 Kleinbauern und -bäuerinnen ermordet worden, die für ihre Landrechte gekämpft haben. Wie konnte es dazu kommen?

Das Gebiet wird immer weiter militarisiert, es wurden spezielle Gesetze, angeblich zur Befriedung des Bajo Aguán, erlassen. In Wirklichkeit werden die Großgrundbesitzer unterstützt, auf dass sie weiter gegen die Menschenrechte verstoßen und Bauernführer umbringen können. Uns liegen beispielsweise Anzeigen vor, dass die privaten Sicherheitskräfte in die Bataillone kommen und dort in Militäruniformen wechseln. Danach nehmen sie gewalttätige Räumungen vor, ermorden Menschen und vergewaltigen Frauen. Sie benutzen außerdem das staatliche System, Staatsanwälte, Richter, Polizei und Militär, um Menschen zu entführen und direkt im Anschluss Verfahren gegen sie zu eröffnen. Führende Mitglieder der Kleinbauernorganisationen werden ständig überwacht, ihre Telefone abgehört. Wenn sich die Menschen von einer Kooperative zur anderen bewegen, werden sie manchmal unterwegs überfallen. Eine andere Art von Terror sind ständige Schüsse in der Nacht und überraschende Besuche an den Schulen, um schon die Kinder in Panik zu versetzen.

Und der Staat schaut zu?

Ja. Der Staat möchte sich aus der Verantwortung ziehen, also hat man paramilitärische Gruppen gebildet, Todesschwadronen, die Menschen exekutieren. Hinterher behaupten die staatlichen Stellen, dass sie die Schuldigen nicht ermitteln konnten.

Im November wird in Honduras ein neues Parlament gewählt. Wird die Repression in den nächsten Monaten weiter zunehmen?

Ich gehe davon aus, denn diese Wahl ist anders, weil die Partei »Freiheit und Neugründung« (Libertad y Refundación – LIBRE) teilnimmt. Die Leute sind die Zweiparteienherrschaft leid, da diese lediglich die Interessen der Oligarchie verteidigen. Die Bevölkerung lebt in noch größerer Armut und hat kaum noch Zugang zu lebenswichtigen Dingen wie Bildung, Wohnung und Gesundheit, alles wurde privatisiert. Die Flüsse wurden verkauft, das ganze Land wurde verkauft, es wurden großzügig Minenkonzessionen vergeben, mit denen die Inhaber nun die Umwelt verschmutzen und die Naturgüter außer Landes schaffen können. Die Herrschenden haben große Angst vor dieser Partei, weil sie aus der Widerstandsbewegung hervorgegangen ist. Bei den Vorwahlen im November wurden Polizei und Militär eingesetzt, um Angst zu verbreiten, damit die Leute nicht wählen gingen. Wir glauben, dass man dieses Szenario auch bei den Parlamentswahlen anwenden wird.

Gibt es dennoch die Chance auf eine politische Veränderung?

Im Zweiparteiensystem hat es Wahlfälschungen gegeben, und das wird man auch mit LIBRE versuchen. Wenn die Partei an die Macht käme, gäbe es einen Wandel in unserem Land. Aber das wird die oberste Wahlkommission nicht zulassen. Vielleicht wird LIBRE drei, vier Abgeordnete ins Parlament bekommen, aber es wird weiter von den beiden großen Parteien kontrolliert werden. Wir glauben, dass sich die Repression zuspitzen wird. Es wurden bereits mindestens 27 Personen umgebracht, die bei LIBRE aktiv waren.

Beschränkt sich die Rechte auf das traditionelle Zweiparteiensystem aus der Nationalen und der Liberalen Partei?

Nein. Es haben sich auch aus dem rechten Spektrum neue Parteien zur Wahl angemeldet ... Es wird eine Partei der Militärs teilnehmen. Die wird von Romeo Vásquez Velasquez angeführt. Vásquez stand an der Spitze des Putsches und war dabei für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Ein anderer, der als unabhängiger Kandidat antritt, ist Billy Fernando Joya Améndola, der bei den Todesschwadronen der Einheit 3-16 war. Dieser Mann sagt, dass er Honduras retten wird, weil er ein Gesetz gegen die Delinquenz, den Drogenhandel und die Maras (Jugendbanden, d. Red.) erlassen will. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er der nächste Innenminister wird. Wir können uns ausmalen, zu welchen schlimmen Menschenrechtsverletzungen es dann kommen wird.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 16. Juli 2013

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