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Chronik März 2004

Haiti: Wichtige Ereignisse

1. bis 7. März
  • Der geflüchtete haitiianische Präsident Jean-Bertrand Aristide ist am 1. März in der Zentralafrikanischen Republik gelandet. Er werde dort einige Zeit verbringen und dann vermutlich nach Südafrika weiterfliegen, sagte ein Mitarbeiter der US-Botschaft in Bangui. Er wisse nicht, wie lange Aristide bleiben wolle. Unklar sei auch, warum Aristide ausgerechnet in dieses afrikanische Land geflogen sei. Möglicherweise habe Frankreich seine Hand im Spiel gehabt.
  • Die USA werden zur "Stabilisierung" Haitis rund tausend Soldaten in dem Karibikstaat stationieren. Das gab US-Außenminister Colin Powell am 1. März in Washington bekannt. Gemäß einer Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Vorabend soll die US-geführte multinationale Haiti-Truppe für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten für Ruhe und Ordnung sorgen und danach von einer UN-Truppe abgelöst werden.
  • Der haitianische Rebellenführer Guy Philippe ist am 1. März in der Hauptstadt Port-au-Prince eingetroffen. Begleitet von etwa 50 bewaffneten Männern erreichte der Militärchef der Aufständischen am Morgen die Vorstadt Pétionville, wie ein AFP-Reporter berichtete. Bewohner begrüßten seinen Fahrzeugkonvoi mit den Rufen "Guy Philippe, Guy Philippe."
  • Führer der bewaffneten Rebellen in Haiti sind am 1. März in einem Hotel in der Hauptstadt Port-au-Prince mit Vertretern der politischen Opposition und der Polizei zusammengekommen.
  • Der ins Exil getriebene haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide soll einem Bericht aus dem Karibikstaat St. Kitts and Nevis zufolge von US-Soldaten mit vorgehaltener Waffe entführt worden sein. Raball Robinson, ein früherer Präsident einer schwarzen Lobbyorganisation in Washington, der jetzt in St. Kitts and Nevis lebt, erklärte am 1. März, Aristide habe ihn angerufen und gebeten, der Welt zu sagen, dass er von US-Soldaten entführt und in ein Flugzeug gesetzt worden sei. Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, nannte den Bericht "völligen Blödsinn". Aristide habe das Land aus freien Stücken verlassen. Entschiedene Dementis kamen auch von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Außenminister Colin Powell. Dieser betonte, Aristide habe sein Land freiwillig verlassen. Und Rumsfeld erklärte, er glaube auch nicht, dass Aristide behaupten würde, dass er entführt worden sei.
  • Schon am 29. Feb. hatte es in Port-au-Prince Berichte von Augenzeugen gegeben, die Aristide beim Gang zum Flugzeug am Sonntagmorgen in Handschellen gesehen haben wollen. Die Verhandlungen Aristides mit amerikanischen und französischen Diplomaten, bei denen auch dessen Verwicklung in der Drogenhandel zur Sprache gekommen sein soll, hatten sich in der Nacht zum 29. Feb. über Stunden hingezogen bevor Aristide seine Rücktrittserklärung unterschrieb. Auch die Karibische Gemeinschaft (CARICOM) bezweifelte in einem in Jamaikas Hauptstadt Kingston am 1. März veröffentlichten Kommuniqué, dass Aristide freiwillig zurückgetreten sei. "Dies ist ein sehr gefährlicher Präzedenzfall für demokratisch gewählte Regierungen überall auf der Welt", sagte der gegenwärtige CARICOM-Vorsitzende, Jamaikas Premierminister Percival J. Patterson. Haiti ist Vollmitglied der überwiegend englischsprachigen Staatengemeinschaft.
  • Die ersten ausländischen Truppen waren am Abend des 29. Feb. in Haiti eingetroffen, kurz bevor der Weltsicherheitsrat in New York einer multinationalen "Übergangstruppe" ein Mandat für drei Monate erteilte. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte am 1. März, er rechne mit der Entsendung von etwa 5.000 ausländischen Soldaten zur Stabililisierung der Lage in Haiti. Davon kämen etwa 1.500 bis 2.000 Soldaten aus den USA. "Einige Hundert" seien schon dort.
  • Mehrere tausend Menschen haben am 1. März in den Straßen der Hauptstadt Port-au-Prince den Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide ausgelassen gefeiert, meldete dpa.
  • In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince haben amerikanische und französische Soldaten am 1. März damit begonnen, strategisch wichtige Punkte zu sichern. Neben den ersten Einheiten der von den UN beauftragten multinationalen Eingreiftruppen rückten nach der Vertreibung von Präsident Jean-Bertrand Aristide auch die Rebellen in die Hauptstadt ein. Als sie vor dem Nationalpalast amerikanische Marineinfanteristen entdeckten, kehrten sie um. Das frühere Hauptquartier der Streitkräfte wurde aber von ihnen besetzt. US-Außenminister Colin Powell sagte, die USA wollten nicht, dass einige der Rebellenführer politische Funktionen übernähmen. "Einige dieser Individuen möchten wir wegen ihrer Vergangenheit nicht in die Zivilgesellschaft wieder eintreten sehen", sagte er. Neben Rebellenführer Guy Philippe traf sich auch Louis-Jodel Chamblain mit Mitgliedern der bisherigen Opposition. Chamblain ist wegen Mordes verurteilt worden und befehligte früher eine Todesschwadron.
    Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rief die internationale Truppe auf, Chamblain und einen weiteren Rebellenführer, Jean Pierre Baptiste, zu verhaften. Baptiste entkam nach seiner Verurteilung wegen eines Massakers an 15 Aristide-Anhängern 1994 aus dem Gefängnis.
  • Aus einem Vorort von Port-au-Prince wurden erste Rachemorde an militanten Aristide-Anhängern gemeldet. Ein Reporter sah in Carrefour drei Leichen mit Kopfschüssen, denen die Hände auf den Rücken gebunden waren. Ein Augenzeuge sagte, ein vierter Mann habe versucht zu fliehen, sei von Polizisten aber aus einem Haus geholt und erschossen worden. Ein junger Rebell sagte, einige militante Mitglieder von Aristides Lavalas-Partei würden getötet. "Ich habe gestern ein paar Plünderer erschossen. Sie müssen erschossen werden", sagte der Mann mit dem Kriegsnamen "Faustin". "Es gibt eine sehr kleine Anzahl von Lavalas-Leuten, die nicht gerettet werden können."
  • Der aus Haiti geflohene Präsident Jean-Bertrand Aristide hat in einem Telefoninterview der Nachrichtenagentur AP erklärt, dass er von amerikanischen Truppen ins Exil gezwungen worden sei. "Agenten sagten mir, sie würden nach einer gewissen Zeit zu schießen und zu töten anfangen, wenn ich nicht gehe", sagte Aristide am 1. März in dem Telefongespräch, das von dem Bürgerrechtler Jesse Jackson nach einer Pressekonferenz in Atlanta vermittelt wurde. Auf die Frage, wer die Agenten gewesen seien, sagte er: "Weiße Amerikaner, weißes Militär." Auf die Frage, ob er aus freien Stücken ins Exil gegangen sei, sagte er: "Nein, ich wurde gezwungen zu gehen." Jackson sagte, der US-Kongress sollte Ermittlungen darüber aufnehmen, ob der Geheimdienst CIA eine Rolle bei der Rebellion in Haiti gespielt habe, die zu Aristides Vertreibung führte.
  • Die USA und Frankreich haben Vorwürfe des haitianischen Ex-Präsidenten Jean-Bertrand Aristide zurückgewiesen, er sei in die Zentralafrikanische Republik "entführt" worden. Aristide werde dort "geschützt und nicht gefangen gehalten", sagte die französische Verteidigungsministerin Michčle Alliot-Marie am 2. März. Aristide hatte dem US-Sender CNN gesagt, er sehe sich als Opfer eines "Staatsstreichs" und habe nicht gewusst, wohin er gebracht werde. Frankreich überwache "das Kommen und Gehen von Jean-Bertrand Aristide" in Zentralafrika nicht, sagte Alliot-Marie. Es gehe nur darum, dass sein "vorübergehender Aufenthalt unter normalen Bedingungen abläuft". US-Außenminister Colin Powell sagte in Washington, Berichte über eine Entführung entbehrten "absolut jeder Grundlage" und seien "absurd". "Er ist nicht entführt worden, wir haben ihn nicht ins Flugzeug gezwungen." Auch eine Sprecherin der Vereinten Nationen in Genf sagte, es sei "sehr klar", dass Aristide zurückgetreten und nicht ins Exil gezwungen worden sei.
  • US-Präsident George W. Bush hat dem französischen Staatschef Jacques Chirac für die "hervorragende Zusammenarbeit" beider Staaten in der Haiti-Krise gedankt. Wie Chiracs Sprecherin Catherine Colonna weiter berichtete, rief Bush den französischen Präsidenten am 2. März an und würdigte den Einsatz Frankreichs. Chirac hob die "Qualität der Zusammenarbeit" mit Washington in dieser Frage hervor. Nach Frankreich hatten am Wochenende auch die USA den haitianischen Expräsidenten Jean-Bertrand Aristide fallen lassen, der daraufhin das Land verließ. Bush und Chirac hatten zuletzt am 10. Dezember miteinander telefoniert.
  • Der haitianische Rebellenführer Guy Philippe hat sich am 2. März zum neuen Militärchef des Karibikstaates ausgerufen und eine Festnahme von Ministerpräsident Yvon Neptune angekündigt. Am Nachmittag zeigte sich Philippe auf einem Balkon des früheren Armeehauptquartiers in Port-au-Prince vor hunderten jubelnden Anhängern. Ein Rebellenführer an seiner Seite rief die Menge auf, Philippe zum Haus Neptunes zu begleiten. Zuvor hatte Philippe aber versichert, dass er sich dem Interimspräsidenten Boniface Alexandre unterordnen werde. "Der Präsident ist der rechtmäßige Präsident, daher folgen wir seinen Anweisungen."
  • Der haitianische Rebellenchef Guy Philippe will seine Kämpfer entgegen früheren Bekundungen doch nicht entwaffnen lassen. Trotz internationalen Drucks werde er die Waffen nicht niederlegen, sagte Philippe am Abend des 2. März. Erneut rief er die Anhänger des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide auf, die Waffen zu strecken. Zuvor hatten die Rebellen die Festnahme von Regierungschef Yvon Neptune angekündigt. Vor Neptunes Amtssitz bezogen US-Soldaten Stellung. Der Vertraute des entmachteten Staatschefs solle wegen nicht näher bestimmter Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden, sagte der "Koordinator" der Aufständischen, Paul Arcelin, in Port-au-Prince vor einer jubelnden Menge. Unter "Fasst Neptune!"-Rufen mehrerer tausend Menschen verkündete Arcelin vom Balkon des ehemaligen Hauptquartiers der Mitte der 90er Jahre aufgelösten Armee: "Wir werden ihn festnehmen."
  • Rebellen in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince haben am 3. März Parteimitglieder des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide verfolgt. Die Parteimitglieder seien zum Flughafen geflohen, während US- Marineinfanteristen ihre Verfolger zurückgehalten hätten, erklärten Augenzeugen. Die US-Truppen vor Ort hatten zuvor erklärt, sie wollten mit verstärkten Patrouillen die Rebellen um ihren Anführer Guy Philippe in Schach halten.
  • In einem Elendsviertel der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist am 3. März eine Schießerei zwischen Anhängern und Gegnern des ins Exil geflüchteten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide ausgebrochen. Das Elendsviertel La Salines gilt als Hochburg von Gefolgsleuten Aristides. Reporter in dem Viertel berichteten, von französischen oder US-Truppen, die eingreifen könnten, sei nichts zu sehen.
  • Im Leichenschauhaus von Port-au-Prince sagte ein Klinikmitarbeiter, seit Sonntag seien 30 Leichen eingeliefert worden.
  • Die karibische Staatengemeinschaft CARICOM wird sich nicht an der UN-Schutztruppe für Haiti beteiligen. Die 15 Staaten umfassende Gemeinschaft protestiert damit gegen die Umstände, wie der haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide aus dem Amt getrieben wurde, wie der jamaikanische Ministerpräsident P.J. Patterson am 3. März nach einer Krisensitzung in Jamaika mitteilte. Die CARICOM sei sehr enttäuscht über die Beteiligung westlicher Partner an der überhasteten Abreise Aristides. Der haitianische Expräsident erklärte, er sei am 29. Feb. von US-Marineinfanteristen mit vorgehaltener Waffen gezwungen worden, sein Land zu verlassen. Die USA wiesen dies zurück. Die CARICOM, der auch Haiti angehört, forderte inzwischen eine unabhängige Untersuchung der Flucht Aristides. Aristide war am 1. März in der Zentralafrikanischen Republik eingetroffen. Außenminister Charles Wenezoui erklärte am 3. März, es sei noch keine Entscheidung über den zukünftigen Aufenthaltsort des Expräsidenten gefallen.
  • Der haitianische Regierungschef Yvon Neptune hat den Notstand ausgerufen. Die Maßnahme gelte für das gesamte Land und sei verhängt worden, um wieder Ruhe herzustellen, sagte Neptune am 3. März in Port-au-Prince. Es gebe "zahlreiche illegale Gruppen, die in der Hauptstadt unter dem irreführenden Vorwand, der Nationalpolizei helfen zu wollen, Angst und Schrecken verbreiten". Tatsächlich wollten diese Gruppen die Polizei jedoch "erniedrigen". Seit der Amtsniederlegung von Präsident Jean Bertrand Aristide seien Privathäuser und staatliche Einrichtungen im Wert von mehr als 300 Millionen Dollar geplündert worden, sagte der Regierungschef weiter. Neptune ist ein enger Vertrauter von Aristide.
  • Präsident Boniface Alexandre ernannte am 3. März den Kommissar Léonce Charles zum neuen Polizeichef Haitis. Die bisherige Polizeichefin Jocelyne Pierre war eine enge Vertraute Arsitides. Wie die Nachrichtenagentur Haiti Press Network weiter meldete, wurde nach den Beratungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen am 3. März außerdem eine Dreier-Kommission gebildet, die weitere Schritte zur Bildung einer neuen Regierung einleiten soll. Ihr gehören der Oppositionspolitiker Paul Denis von der Demokratischen Plattform, der bisherige Minister Leslie Voltaire als Repräsentant von Aristides Lavalas-Partei und der UN-Gesandte Adama Guindo als Vertreter der internationalen Gemeinschaft an.
  • Die haitianischen Rebellen wollen nach den Worten ihres Anführers Guy Philippe ihre Waffen abgeben. Der Rebellenchef, dessen Front im Februar den Norden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht hatte, regierte damit am 3. März auf den Druck von US-Diplomaten und -Militärs.
  • Haiti erhält aus Deutschland 150.000 Euro für dringend erforderliche humanitäre Hilfe. Das Auswärtige Amt teilte am 4. März mit, der entsprechende Betrag sei dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zur Verfügung gestellt worden. In erster Linie sollen damit Krankenhäuser, Ambulanzen und Erste-Hilfe-Stationen des haitianischen Roten Kreuzes sowie Schutz- und Hilfsmaßnahmen für Gewaltopfer unterstützt werden. An sie sollen Lebensmittel verteilt werden.
  • Nach dem Sturz von Präsident Jean- Bertrand Aristide bemüht sich Haiti um eine Regierung der Nationalen Einheit. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kündigte am 4. März die Einsetzung eines Dreierrates zur Vorbereitung einer Übergangsregierung an. Dem Gremium gehören Leslie Voltaire, ein bisheriger Kabinettsminister Aristides, der Oppositionspolitiker Paul Denis sowie der haitianische UN-Repräsentant Adama Guindo an. Die drei sollen innerhalb einer Woche sieben Mitglieder eines Weisenrates ernennen, der wiederum einen neuen Ministerpräsidenten vorschlagen soll.
  • Brasilien will sich mit 1.100 Soldaten an einer UN-Truppe für Haiti beteiligen. Sein Land sei auch zur Führung der Truppe bereit, wenn dies gewünscht sei, erklärte ein Sprecher von Präsident Luiz Inacio Lula da Silva am 4. März. Eine UN- Friedenstruppe könnte in etwa drei Monaten die Soldaten aus den USA, Frankreich, Kanada und Chile ablösen, die derzeit bereits in Haiti sind. Brasilien ist das erste Land, das seine Beteiligung anbietet.
  • Der ins Exil gegangene frühere haitianische Präsident Jean Bertrand Aristide hat seinen Wunsch geäußert, nach Haiti zurückzukehren. Er wolle zurückkehren, weil er nicht "formal" zurückgetreten sei, sagte Aristide am 4. März dem französischen Schriftsteller und Haiti-Kenner Claude Ribbe in einem Gespräch, das der Nachrichtenagentur AFP vorlag. "Es wurde ein Papier unterzeichnet, um ein Blutbad zu verhindern, aber es gab keinen formalen Amtsverzicht", sagte Aristide. Die "politische Entführung" sei der Preis dafür gewesen, ein Blutbad zu verhindern. Notfalls werde er einen "Zwischenstopp" in Südafrika einlegen, bevor er nach Haiti zurückkehre, sagte Aristide. Südafrika hatte ihm Asyl angeboten. Aristide warf Frankreich "Komplizenschaft" mit den USA vor.
  • In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince ist es trotz ausländischer Truppenpräsenz erneut zu Plünderungen gekommen. Bewaffnete raubten Lagerhallen in einem der wichtigsten Häfen des Landes aus, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP in der Nacht zum 5. März berichtete. Der Chef des Containerterminals von Port-au- Prince, an dem gut ein Drittel der Importe anlanden, sprach von einer "Desaster". "Man muss sofort eingreifen, um die restlichen Container zu retten, bevor die Katastrophe komplett ist", sagte Hafendirektor Georges Roumain. Er forderte den Einsatz französischer und US-Truppen gegen die Plünderer. In mehreren Vierteln der Hauptstadt raubten bewaffnete Plünderer erneut Bankfilialen aus. Die meisten Banken in Port-au-Prince sind seit zwei Wochen geschlossen.
  • Die USA haben die Führung der internationalen Truppen in Haiti übernommen. Die Amerikaner hätten akzeptiert, das Kommando über die derzeit in dem Karibikstaat stationierten ausländischen Soldaten zu übernehmen, sagte der Kommandeur der französischen Einheiten, General Henri Clément-Bollet, am 5. März in Port-au-Prince. Kanada kündigte an, es werde weitere 450 Soldaten nach Haiti schicken. Die Zusammenarbeit mit den USA sei "eng", sagte Clément-Bollet nach einem Treffen mit dem US-Kommandeur Tom Hill. Die USA und Frankreich teilten die Ansicht, dass die Truppenkontingente im ganzen Land aufgestockt werden müssten. Derzeit seien 600 französische Soldaten in Haiti stationiert, unter ihnen Gendarme und Legionäre. Sie seien bislang nur mit dem Schutz der französischen Botschaft beauftragt. Aber angesichts der Notsituation hätten sie sich nun auf eine "Unterstützungsmission" eingestellt, um die Arbeit der Hilfsorganisationen erleichtern. Als Vorhut der künftigen UN-Stabilisierungstruppe sind derzeit Soldaten aus den USA, Frankreich, Kanada und Chile in dem Karibikstaat. Sie standen bislang jeweils unter nationalem Kommando. Die UN-Truppe soll laut Clément-Bollet in zwei bis vier Monaten eingesetzt werden. Dann solle Brasilien das Kommando von den USA übernehmen.
  • Knapp eine Woche nach dem Sturz des haitianischen Präsidenten sind am 5. März nach einer AP-Meldung rund 3.000 Menschen für eine Rückkehr Jean-Bertrand Aristides auf die Straße gegangen. Die zum Teil bewaffnete Demonstranten marschierten vor die Botschaften der USA und Frankreichs in Port-au-Prince und protestierten gegen die Stationierung von Soldaten aus beiden Ländern. Es war die erste große Demonstration für Aristide seit dessen erzwungener Flucht aus Haiti am 29. Februar.
  • Auf Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) setzte die haitianische Regierung einen "Rat der Weisen" ein, der innerhalb einer Woche einen neuen Premierminister benennen soll. Nach OAS-Angaben vom 5. März repräsentieren die sieben Mitglieder des neu eingesetzten "Rats der Weisen" die unterschiedlichen Gruppen der haitianischen Gesellschaft. Sie seien von einem Dreier-Gremium aus Vertretern der haitianischen Opposition, der Lavalas-Partei von Aristide sowie der internationalen Gemeinschaft ernannt worden.
  • Der Rebellenführer Guy Philippe zog seine Ankündigung, seine Einheit zu entwaffnen, wieder zurück. Er sagte in einem Interview mit der US-Tageszeitung "The Miami Herald" vom 6. März, er könne seinen Leuten nicht befehlen, ihre Waffen abzugeben, solange es keine Sicherheitsgarantien gebe.
  • Die Regierung der Zentralafrikanischen Republik forderte ihren Gast Aristide nachdrücklich auf, sich mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten. "Er hat eine Verpflichtung zur Diskretion, die er respektieren muss", sagte Regierungssprecher Parfait M'bay nach einer Kabinettssitzung am 6. März in Bangui. Aristide, der sich zuvor in einem Interview als politischer Gefangener bezeichnet hatte, solle die Gastfreundschaft des Landes respektieren, ohne die er "inzwischen längst tot wäre", sagte M'bay.
  • Kerry über die Haiti-Politik des US-Präsidenten:
    Der demokratische Bewerber im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf, Senator John Kerry, warf US-Präsident George W. Bush in einem Zeitungsinterview eine falsche Politik gegenüber Haiti vor. Aristide habe viel verkehrt gemacht, ihn nicht unterstützt zu haben, sei aber "kurzsichtig" und "eine schreckliche Botschaft" an die gesamte Region und an demokratische Regierungen, sagte Kerry der "New York Times" vom 6. März.
    Wörtlich sagte Kerry:
    Look, Aristide was no picnic, and did a lot of things wrong. And there was a lot of reason to dislike much of what Aristide did. But we had understandings in the region about the right of a democratic regime to ask for help. And we contravened all of that. I think it's a terrible message to the region, democracies, and it's shortsighted. And that's not - again, Aristide had a lot of problems, and I don't gloss over any of them. But I don't think it's the right way to assert America's and the region's and the hemisphere's interests. I would have been prepared to send troops immediately. Period. I would have done the work long ago that was necessary. If I'd been president, I would not have allowed it to arrive at where it was.
    I would have worked with Canada, I would have worked with countries of interest, I would have worked with the hemisphere. Long ago, I would have had an assistant secretary, and or a special envoy, who would have done the work necessary to avoid that, hopefully avoid that crisis.
  • Stromausfall für den Betrieb der Kühlaggregate führt unterdessen in der Leichenhalle von Port-au-Prince zu katastrophalen Zuständen. Dort stapelten sich am 7. März die Leichen von mehr als 200 Menschen. Um die in der Innenstadt gelegenen Leichenhalle herum macht sich Verwesungsgeruch breit. Um die Leichen herum schwirren Fliegen. Unter den Toten sind Säuglinge, die an Unterernährung gestorben sind. Die letzten Leichen, zwei Männer mit Schusswunden, seien am Freitag angeliefert worden, sagte ein Mitarbeiter der Leichenhalle.
  • Bei Schüssen auf eine Kundgebung von Tausenden Aristide-Gegnern wurden am 7. März mindestens fünf Menschen getötet, darunter ein Kameramann des spanischen Senders Antena 3. Unter den mehr als 30 Verletzten war auch ein US-Fotograf. Demonstrationsteilnehmer vermuteten Anhänger Aristides hinter den Schüssen. Soldaten der Friedenstruppen waren nicht in der Nähe. Die Kundgebung vor dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Port-au-Prince, auf der ein Prozess gegen den gestürzten Staatschef gefordert wurde, stand unter dem Schutz von Polizisten, US-Marineinfanteristen und französischen Fremdenlegionären. Die Soldaten bestätigten zwar, dass es Opfer gab, wollten aber keine Einzelheiten nennen. Eine ebenfalls für den 7. März geplante Gegenkundgebung von Anhängern des Expräsidenten wurde aus Angst vor Zusammenstößen kurzfristig abgesagt.
    AP meldete noch, dass US-Marineinfanteristen eingegriffen und mehrere Schüsse in Richtung der Angreifer abgefeuert hätten. Dabei wurde ein Demonstrant von US-Soldaten erschossen. Die aufgebrachte Menschenmenge warf den zur Stabilisierung der Lage entsandten Soldaten aus den USA und Frankreich jedoch vor, nicht genug für den Schutz der Demonstranten getan zu haben. Der französische Kommandeur Oberst Daniel Leplatois verteidigte die Truppen. "Wir konnten nicht das Leben aller Demonstranten schützen", sagte er.
8. bis 14. März
  • Aristide rief die Bürger am 8. März im französischen Radio zum Widerstand gegen die "inakzeptable Besetzung" des Landes auf. Er bleibe der Präsident Haitis, betonte Aristide im Radiosender RTL. Das haitianische Volk müsse friedlichen Widerstand gegen die Besatzung leisten. Seinen Gang ins Exil bezeichnete er als "politische Entführung". RTL erklärte, die Kommentare Aristides seien einem Telefongespräch mit einem Freund entnommen worden. Der Expräsident habe einer Veröffentlichung der Ausschnitte zugestimmt.
  • Acht Tage nach der Flucht von Expräsident Jean-Bertrand Aristide ist in Haiti am 8. März ein Interimspräsident ins Amt eingeführt worden. Boniface Alexandre rief seine Landsleute auf, angesichts der chaotischen Lage im Land ruhig zu bleiben. Während der Zeremonie forderten Aristide-Anhänger vor dem Nationalpalast lautstark die Rückkehr des gestürzten Präsidenten und drohten mit neuer Gewalt.
  • In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince sind patrouillierende US-Soldaten erneut unter Beschuss geraten. Auf einen Konvoi mit 50 US-Marineinfanteristen gaben Unbekannte am 8. März in dem Stadtteil Bel Air nahe dem Präsidentenpalast etwa zehn Schüsse ab, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Die Schüsse kamen offenbar aus einer Gruppe von rund 50 Menschen, die die US-Soldaten beschimpften und Bilder des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide schwenkten. Die Soldaten bezogen Gefechtsstellung, erwiderten die Schüsse jedoch nicht.
  • Bei neuen Gewalttätigkeiten in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince sind am 9. März zwei Menschen getötet worden. Ein US-Marineinfanterist habe einen Mann erschossen, der mit seinem Wagen auf eine Straßensperre zufuhr, wie ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums in Washington mitteilte. Ein weiterer Mensch sei dabei verletzt worden. In der Nähe des Flughafens wurde bei Auseinandersetzungen ein weiterer Mensch getötet, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Auch hier wurde ein weiterer Mensch verletzt.
  • Der Anwalt und Wirtschaftsexperte Gérard Latorture ist zum neuen Regierungschef Haitis gekürt worden. Der haitianische "Rat der Weisen" nominierte den 69-Jährigen am 9. März zum Nachfolger von Yvon Neptune, wie das Gremium in Port-au-Prince mitteilte. Übergangspräsident Boniface Alexandre soll die Nominierung am 10. März offiziell bekannt geben. Der in Haiti und Frankreich ausgebildete Latorture war lange Zeit für die UN-Organisation für industrielle Entwicklung tätig. Der in Florida lebende Exilhaitianer nahm die Berufung an. Enttäuscht äußerten sich die Rebellen, deren Aufstand am 29. Februar zum Sturz des bisherigen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide führte. Sie hätten General Herard Abraham den Vorzug gegeben, sagte der ehemalige Oberst Himler Rebu.
    Nach der in Kürze erwarteten Rückkehr aus dem Exil in Miami soll Latortue den bisherigen Ministerpräsidenten Yvon Neptune ablösen, der sein Amt nach der Vertreibung Aristides nicht niedergelegt hatte. Wichtigstes Ziel der neuen Regierung ist die Vorbereitung von allgemeinen Wahlen an der Seite von Interimspräsident Boniface Alexandre. Latortue war 1988 Außenminister der Regierung von Leslie Manigat, der bei einem der 32 Militärputsche in der Geschichte Haitis gestürzt wurde. Für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) war er in den westafrikanischen Staaten Togo und Elfenbeinküste. Als Ministerpräsident sehe er seine Hauptaufgaben in der Wiederherstellung von Sicherheit, Gerechtigkeit, Arbeitsplätzen und nationaler Versöhnung, sagte er der Zeitung "South Florida Sentinel". Er wolle Haitianer aller politischen und sozialen Gruppierungen einbinden. "Ich denke, Aristide ist bereits Vergangenheit", sagte er. "Wir blicken jetzt nach vorne, um ein Haiti nach dem Desaster des Aristide-Regimes zu bauen."
  • Aristide besteht in seinem Exil in der Zentralafrikanischen Republik weiter darauf, der rechtmäßige Präsident Haitis zu sein. Sein Anwalt Ira Kurzban machte am 9. März in Miami US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Außenminister Colin Powell und weitere Regierungsbeamte für den Sturz Aristides verantwortlich.
    Unterstützung erhielt Aristide von der Afrikanischen Union (AU). Die 53 Staaten umfassende Organisation erklärte am 9. März in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, die Entfernung Aristides aus seinem Amt sei verfassungswidrig. Dabei gehe es nicht um Personen, sondern um die Grundsätze der Demokratie, sagte AU-Vorsitzender Alpha Oumar Konare.
  • Soldaten der US-Marineinfanterie haben bei mehreren Feuergefechten in Port-au-Prince vermutlich zwei Menschen getötet. Nach einer nächtlichen Schießerei hätten die beteiligten Soldaten zwei Tote am Boden gesehen, die aber später nicht mehr aufgefunden worden seien, teilte ein US-Militärsprecher am 10. März mit. Möglicherweise seien die Getöteten von Mitkämpfern weggeschafft worden. Insgesamt sei es zu zwei weiteren bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen, eine davon vor dem Sitz des Ministerpräsidenten, nachdem Unbekannte jeweils das Feuer auf die US-Soldaten eröffnet hätten.
  • Ein Vertrauter des haitianischen Ex-Präsidenten Jean Bertrand Aristide ist in Toronto festgenommen worden. Nach Angaben der kanadischen Einwanderungsbehörde wurde Aristides ehemaliger Sicherheitschef Oriel Jean am Abend des 10. März auf einem Flughafen der kanadischen Metropole festgenommen, wo er aus der Dominikanischen Republik landete. Nach einem Bericht der Zeitung "Toronto Sun" wurde der Mann wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen von kanadischen Geheimdiensten und Polizei verhört. Demnach hatten Jean und seine Frau bei der Einreise 17.000 Dollar Bargeld (13.930 Euro) sowie einen Scheck über 300.000 Dollar bei sich.
  • Der haitianische Expräsident Jean-Bertrand Aristide will die USA und Frankreich wegen Entführung und Beihilfe verklagen. Der US-Anwalt Brian Concannon sagte am 10. März in Paris, sein Mandant sehe sich immer noch als rechtmäßiger Präsident und wolle vor Gericht um seine Rückkehr kämpfen. Concannon sagte, in den Vereinigten Staaten liefen Vorbereitungen für ein Entführungsverfahren gegen amerikanische Behörden. Aristide sei am 29. Februar in ein Flugzeug gezwungen worden und habe weder die Maschine verlassen noch das Ziel bestimmen können. In Frankreich solle gegen vier Personen Klage wegen Beihilfe zur Entführung eingereicht werden: den französischen Botschafter in Haiti, Thierry Burkard, seinen Vorgänger Yves Gaudel, den Intellektuellen Régis Debray sowie gegen die Schwester von Außenminister Dominique de Villepin, Véronique Albanel. Aristides französischer Anwalt Gilbert Collard sagte, Debray und Albanel hätten im Dezember versucht, den Präsidenten zum Rücktritt zu bewegen. Das französische Außenministerium erklärte dazu, Debray habe einem unabhängigen Komitee angehört, dessen Mitglieder im Herbst vergangenen Jahres zwei Mal nach Haiti gereist seien.
  • Der designierte haitianische Ministerpräsident Gérard Latortue hat sich für eine Regierung der nationalen Versöhnung und die Entwaffnung der Milizen ausgesprochen. Nach seiner Landung in der Hauptstadt Port-au-Prince wurde Latortue von drei Mitgliedern des "Rates der Weisen" empfangen. Mit Unterstützung des Weisenrates soll Latortue bis zum 13. März eine neue Regierung der nationalen Einheit bilden. Latortue appellierte an seine Landsleute, unabhängig von sozialer Herkunft oder politischer Denkweise "mit ihren Kompetenzen, ihrer Aufrichtigkeit und Integrität" am Aufbau des Landes mitzuwirken. Nach seinen Worten sollten die "ausländischen Truppen so kurz wie möglich im Land bleiben". Derzeit würden sie aber wegen der prekären Sicherheitslage und der schwachen haitianischen Polizei benötigt.
  • Mehr als tausend Anhänger von Jean Bertrand Aristide haben am 11. März im Zentrum der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince die Rückkehr des Ex-Präsidenten gefordert. Die Veranstalter rechneten im Lauf des Tages mit mehreren tausend Anhängern, die zum Präsidentenpalast im Zentrum der Hauptstadt marschieren wollten. Die Demonstranten trugen T-Shirts und Schirme mit Fotos von Aristide. Im Verlauf der Demonstration sind mindestens vier Menschen verletzt worden. Allein in der Klinik Canapé vert wurden vier Menschen mit Schussverletzungen behandelt. Augenzeugen berichteten, die Polizei habe Tränengas eingesetzt, um die Kundgebung aufzulösen. Später hätten Demonstranten und Polizisten aufeinander geschossen.
  • Bei Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Anhängern des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide wurden zwei junge Männer erschossen und elf weitere von Kugeln verletzt. Zu dem Schusswechsel kam es am späten Abend des 11. März vor dem Präsidentenpalast in Port-au-Prince. In der Nacht zum 12. März wurden US-Marineinfanteristen beschossen, die einen Industriepark bewachten. Angaben über Verletzte lagen zunächst nicht vor.
  • Der gestützte Präsident Aristide und seine Frau wollen Anfang nächster Woche nach Jamaika reisen, offiziell, um dort ihre Töchter zu besuchen. Aber es wird spekuliert, dass er von dort aus seine Rückkehr nach Haiti vorbereiten könnte. Aristide betrachtet sich weiterhin als rechtmäßiger Präsident Haitis.
  • Rund 1,5 Millionen Kinder und Jugendliche auf Haiti brauchen nach Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF dringend humanitäre Hilfe. "Viele sind seit langer Zeit unzureichend ernährt und besonders von Infektionskrankheiten bedroht", berichtete UNICEF am 12. März in Köln. Die Hilfsorganisation bereitet deshalb eine Impfkampagne vor und beschafft dazu Impfstoffe gegen die gefährlichsten Kinderkrankheiten für mehr als 600.000 Kinder.
  • Haiti hat einen neuen Ministerpräsidenten: Gerard Latortue ist am 12. März in Port-au-Prince vereidigt worden. Der 69-jährige versprach, dem Blutvergießen so rasch wie möglich ein Ende zu machen. "Dies ist ein Anlass zur Hoffnung für alle Haitianer", sagte er vor den etwa 200 Menschen, die an der Zeremonie teilnahmen. Er kündigte an, umgehend eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden.
  • US-Soldaten haben bei einem Schusswechsel in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince zwei Haitianer getötet. Die Marineinfanteristen seien am Abend des 12. März im Viertel Bel Air beschossen worden und hätten das Feuer erwidert, teilte ein Sprecher der US-Armee am 13. März mit. Das Viertel in der Nähe des Präsidentenpalastes gilt als Hochburg von Anhängern des entmachteten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide.
  • Bei seinem Besuch in Haiti hat US-Generalstabschef Richard Myers ein konsequentes Vorgehen gegen Rebellen und Gewalttäter angekündigt. Die multnationale Truppe werde weder Gewalt gegen die eigenen Reihen noch gegen die haitianische Bevölkerung tolerieren und entsprechend damit umgehen, sagte Myers am 13. März in Port-au-Prince. Der US-Generalstabschef traf sich während seines rund zweieinhalbstündigen Aufenthalts in dem Karibikstaat mit den Befehlshabern der etwa 2.600 Soldaten aus den USA, Frankreich, Chile und Kanada. Zu einem Gespräch mit haitianischen Vertretern fehle ihm dagegen die Zeit, wie Myers sagte.
15. bis 21. März
  • Erstmals seit der Ankunft von US-Truppen in Haiti vor zwei Wochen ist ein Marineinfanterist aus den USA angeschossen worden. Wie ein US-Armeesprecher am 15. März mitteilte, schossen Unbekannte am Abend des 14. März in Bel Air, einem der ärmsten Viertel der Hauptstadt Port-au-Prince, auf den Soldaten. Der Mann, der mit einer Patrouille unterwegs war, erlitt Schussverletzungen am Arm und wurde mit dem Flugzeug in ein Krankenhaus in Miami im US-Bundesstaat Florida gebracht.
  • Kurz vor der erwarteten Ankunft des entmachteten haitianischen Präsidenten Jean Bertrand Aristide in Jamaika hat Haitis neue Regierung ihren Botschafter von der Nachbarinsel zurückbeordert. "Wir frieren unsere Beziehungen zu Jamaika ein", sagte der neue Ministerpräsident Gérard Latortue am 15. März in Port-au-Prince. Aristide verließ in der Nacht zum 15. März sein Exil in der Zentralafrikanischen Republik an Bord eines Flugzeugs in Richtung Jamaika. Er folgte einer Einladung des jamaikanischen Regierungschefs Percival Patterson.
    Die USA haben die Reise des entmachteten haitianischen Präsidenten Jean Bertrand Aristide nach Jamaika erneut kritisiert. Die Anwesenheit Aristides in dem Karibikstaat sei "nicht nützlich", sagte ein Außenamtssprecher am 15. März.
  • Zur Bildung einer Übergangsregierung für Haiti ist Ministerpräsident Gerard Latortue am 16. März mit Vertretern aller Seiten zusammengekommen. Die ersten Mitglieder des Kabinetts unter Beteiligung der bisherigen Opposition als auch der Lavalas-Partei des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide sollten noch im Laufe des Tages ernannt werden.
  • Der haitianische Ministerpräsident Gerard Latortue hat am 16. März sein neues Kabinett vorgestellt. Die Regierung sollte am 17. März vereidigt werden, hieß es. Unter den 13 Ministern ist kein Anhänger der Lavalas-Partei des gestürzten Staatschefs Jean-Bertrand Aristide vertreten, wie einer der designierten Minister, Robert Ulysses, mitteilte. Neuer Innenminister soll den Angaben zufolge der ehemalige General Herald Abraham werden. Das Außenministerium wird Yvon Simeon übernehmen, Finanzminister wird Henri Bazan, der Präsident der haitianischen Vereinigung von Ökonomen.
    "Die Zeit ist gekommen, den Diktaturen den Rücken zu kehren", sagte Regierungschef Gérard Latortue während der Vereidigungs-Zeremonie in Port-au-Prince am 17. März. Die Regierung sei unparteiisch und müsse nach ihrer Arbeit bewertet werden, betonte er.
  • Das erste Kontingent der kanadischen Truppe für Haiti ist am 17. März in Port-au-Prince eingetroffen. Die 170 Soldaten sollen in der Hauptstadt auf Patrouille gehen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren, wie ihr Kommandeur Oberstleutnant Jim Davis mitteilte. Die Mission ist auf 90 Tage angelegt und soll insgesamt 450 kanadische Soldaten umfassen. Diese sind Teil einer größeren multinationalen Truppe, an der sich auch die Vereinigten Staaten, Frankreich und Chile beteiligen.
  • Französischen Soldaten in Haiti sind von der Hauptstadt Port-au-Prince in den Norden des Landes ausgerückt, der bislang von den Rebellen gegen den gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gehalten wurde. Ein Konvoi von 150 Mitgliedern der französischen Fremdenlegion erreichte am 19. März Gonaives, 250 Soldaten nahmen in der Hafenstadt Cap-Haitien ihre Positionen ein. In beiden Städten haben sich die Rebellen nur dann zur Niederlegung ihrer Waffen bereit erklärt, wenn die Anhänger Aristides gleichziehen. Rebellenführer Butteur Metayer sagte der Nachrichtenagentur AP in Gonaives, man werde den einrückenden Franzosen alle Gewehre aushändigen, mit denen man in den letzten Wochen gekämpft habe. Ob dies alle Waffen im Besitz der Aufständischen in der Stadt sein könnten, blieb unklar. Metayer bekräftigte indessen seine Verpflichtung zum Frieden in Haiti.
  • Ein französischer Fremdenlegionär ist in Haiti ums Leben gekommen. Der Soldat sei in der nördlichen Stadt Gonaďves unter noch nicht geklärten Umständen getötet worden, teilte ein französischer Militärsprecher am 21. März in Cap-Haďtien mit. Der Vorfall habe sich bereits am 20. März ereignet. Möglicherweise habe es sich um einen Unfall gehandelt.
22. bis 28. März
  • Nigeria hat sich zur zeitweiligen Aufnahme des entmachteten haitianischen Präsidenten Jean Bertrand Aristide bereit erklärt. Ein Sprecher von Staatschef Olusegun Obasanjo erklärte am 22. März, Aristide dürfe sich "einige Wochen" in dem westafrikanischen Land aufhalten. Damit werde einer Bitte der Gemeinschaft der Karibischen Staatenentsprochen. Nigeria habe vor seiner Entscheidung mehrere afrikanische Staaten, die Afrikanische Union und die US-Regierung konsultiert. Der Sprecher machte keine Angaben dazu, wann Aristide nach Nigeria einreisen könnte.
  • Nach der Rückkehr der haitianischen Polizei in die bislang von Rebellen gehaltene Stadt Cap Haitien haben beide Seiten am 23. März Krisengespräche aufgenommen. Vorausgegangen waren Zusammenstöße zwischen Rebellen und Polizisten am Vorabend (22. März). Bislang sind rund 30 Beamte in die zweitgrößte Stadt Haitis zurückgekehrt, die Rebellen sind dort noch immer in der Überzahl. Vor einer Polizeistation und einem Hotel wurden am Abend des 22. März Schüsse abgegeben. In beiden Gebäuden haben die Rebellen Kämpfer stationiert. Unklar war, wer die Gefechte begonnen hat. Es gelte verschiedene Missverständnisse auszuräumen, sagte Polizeichef Renan Etienne am 23. März.
  • Die in New York ansässige National Coalition for Haitian Rights kritisierte den haitianischen Ministerpräsidenten Gerard Latortue, er unterstütze die Rechtlosigkeit im Land weiter, indem er eine Verbindung mit den Rebellen eingegangen sei. Laturtue hatte sich am Wochenende bei seiner Rückkehr in seine Heimatstadt Gonaives gemeinsam mit Rebellen gezeigt. (AP, 23. März 2004)
  • Die haitianischen Rebellen haben nach ihrer Einnahme der Stadt Cap Haďtien im Februar möglicherweise Menschen hingerichtet. "Wir haben Informationen über außergerichtliche Hinrichtungen", sagte Joanne Mariner von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch am 23. März der Nachrichtenagentur AFP in Port-au-Prince. Es lägen glaubhafte Informationen vor, nach denen Leichen im Meer gesehen wurden. Ein Mann im Hafen habe der Organisation von einem Leichnam berichtet. In der Stadt stationierte französische Soldaten sahen eine an einer Boje festgebundene Leiche, wie der Sprecher der Truppe, Xavier Pons, mitteilte. Er könne jedoch Berichte über Massenhinrichtungen nicht bestätigen.
  • In Haiti ist die vor einer Woche vereidigte Übergangsregierung zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammengetreten. Höchste Priorität der Regierung ist die Entwaffnung der militanten Gruppen, die den Karibikstaat seit Monaten mit Gewalt überziehen, wie ein Sprecher am 24. März mitteilte. Man erwäge außerdem, nach dem Vorbild Südafrikas eine Wahrheitskommission einzurichten, um Gewalttäter zur Rechenschaft zu ziehen.
  • Verschiedene US-amerikanische Menschebrechtsorganisationen haben eine Petition entworfen, in der die US-Regierung angeklagt wird, den Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Aristide aktiv unterstützt zu haben. Die Petition soll im US-Kongress eingebracht werden. (Siehe: Die Petition im Wortlaut (deutsch und englisch)).
  • Der gestürzte haitianische Präsident Jean Bertrand Aristide erhält Asyl in Südafrika. Aristide könne sich nach der südafrikanischen Parlamentswahl am 14. April dauerhaft dort niederlassen, hieß es am 25. März in Diplomatenkreisen am Rande einer Konferenz der Gemeinschaft der Karibischen Staaten (Caricom) in dem Karibik-Staat St. Kitts und Nevis. Auf Bitten der Caricom hatte sich zunächst Nigeria bereit erklärt, den entmachteten Staatschef vorübergehend aufzunehmen.
  • Die Staaten der Karibischen Gemeinschaft haben die Vereinten Nationen am 25. März aufgefordert, die Vorwürfe des gestürzten haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gegen die USA zu untersuchen. Aristide wirft den USA vor, den Putsch gegen ihn initiiert und ihn zur Flucht gezwungen zu haben. Aristide lebt seit dem 15. März in Jamaika im Exil.
    Die Karibikstaaten seien immer noch empört und unzufrieden über die Art und Weise wie Aristide abgesetzt worden sei, sagte der Ministerpräsident von St. Kitts und Nevis, Denzil Douglas, der Nachrichtenagentur AP. Sie hätten dies auch dem UN-Gesandten Reginald Dumas deutlich gemacht. "Wir bringen diesen Fall vor die UN-Vollversammlung", sagte Douglas. Im Sicherheitsrat könnten die USA und Frankreich jeden Vorschlag mit ihrem Veto blockieren. In der Vollversammlung können die 15 Staaten der Karibischen Gemeinschaft wohl auf die Unterstützung der Afrikanischen Union zählen. Verärgert sind die Karibikstaaten auch über den neuen haitianischen Ministerpräsidenten Gerard Latortue, weil dieser die am Sturz Aristides beteiligten Rebellen als "Freiheitskämpfer" bezeichnet hatte. Unter ihnen sind auch verurteilte Mörder, die Anhänger Aristides getötet haben. Latortue wurde auch nicht zu dem zweitägigen Gipfel eingeladen.
    Am 26. März berichtet AP außerdem: "Die Lage im Norden Haitis verschlechtert sich unterdessen nach Angaben von Hilfsorganisationen täglich. Viele Orte dort hätten wegen der unsicheren Lage schon seit Wochen nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden können. Babys sind nach Angaben von Ärzten die ersten Opfer. Zehn sollen in diesem Monat bereits wegen Unernährung und Flüssigkeitsmangel gestorben sein."
  • Die haitianische Übergangsregierung beschloss am 26. März ein Reiseverbot für Dutzende Mitglieder der Aristide-Regierung. Wie der neue Justizminister Bernard Gousse der Nachrichtenagentur AP sagte, dürfen unter anderem der frühere Ministerpräsident Yvon Neptune, Expolizeichef Jocelyn Pierre, der ehemalige Zentralbankdirektor Venel Joseph und der frühere Vorsitzende der staatlichen Telefongesellschaft, Alphonse Inevil, das Land vorläufig nicht verlassen. Gousse sagte, die Maßnahme bedeute nicht, dass diese Personen schuldig seien. Es sei nur eine "Versicherungspolice" dafür, dass sie bei den Untersuchungen zu Korruption und Unterschlagung zur Verfügung stünden.
  • Die 15 Staaten der Karibischen Gemeinschaft (Caricom) erkennen die Übergangsregierung in Haiti bis auf weiteres nicht an. In der Abschlusserklärung zu ihrem Gipfeltreffen in Basseterre forderten die elf anwesenden Staats- und Regierungschefs am 27. März UN-Generalsekretär Kofi Annan auf, Vorwürfe des vertriebenen haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide zu prüfen, er sei von den USA ins Exil gezwungen worden. Die USA und Frankreich stützen die Übergangsregierung, die in der vergangenen Woche vereidigt wurde. Die internationale Gemeinschaft habe ein "zwingendes Interesse", die Umstände von Aristides Flucht aufzuklären, hieß es weiter. Der Aufruf an die Vereinten Nationen werde auch von der Afrikanischen Union (AU) und mehreren lateinamerikanischen Ländern unterstützt, sagte der Ministerpräsident von St. Vincent, Ralph Gonsales. Die Staats- und Regierungschefs der Caricom rügten darüber hinaus die Parteinahme des neuen haitianischen Ministerpräsidenten Gerard Latortue für die Rebellen. Latortue hatte die Aufständischen als "Freiheitskämpfer" bezeichnet und die Beziehungen Haitis zur Caricom wegen deren Haltung in der Aristide-Frage eingefroren. "Diese Entwicklungen haben es nicht ermöglicht, die Übergangsregierung in den Gremien der Gemeinschaft zu empfangen", erklärte die Caricom.
29. - 31. März
  • Der Ministerpräsident der Übergangsregierung in Haiti, Gerard Latortue, hat versprochen, seinen Vorgänger nicht zu verfolgen. Yvon Neptune habe von der neuen Regierung nichts zu befürchten, sagte Latortue am 30. März im Radio Metropole. Neptune ist nach Morddrohungen abgetaucht und bezichtigt die Regierung einer Hexenjagd. Diese hatte vergangene Woche ein Reiseverbot für Dutzende Mitglieder der gestürzten Regierung unter Jean-Bertrand Aristide beschlossen, von dem auch Neptune betroffen ist. Zur Begründung hieß es, es müsse sichergestellt werden, dass die fraglichen Personen für Untersuchungen zu Korruption und Unterschlagung zur Verfügung stünden. Wenn Neptune sich eines Verbrechens schuldig gemacht habe, werde das Justizsystem sich darum kümmern, sagte Latortue.


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