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Ausgebrochene Wut

Guatemala: Rücktritt des Präsidenten und neue Verfassung gefordert. Anlass ist ein Korruptionsskandal

Von Lena Kreymann *

Am Mittwoch sind in Guatemala-Stadt erneut Tausende Bauern und Indigene auf die Straße gegangen. Sie forderten den Rücktritt des Präsidenten Otto Pérez Molina, dessen Regierung gerade einen Korruptionsskandal nach dem anderen erlebt. Bei dem Sternmarsch zum Regierungspalast in der Landeshauptstadt trugen die Demonstranten Schilder mit Aufschriften wie »Raus mit allen korrupten Unternehmern und Politikern« oder »Das Leben und die Grundrechte sind keine Ware«, wie der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur berichtete.

Bereits im vergangenen Monat hatte es immer wieder derartige Demonstrationen im gesamten Land gegeben. Erst am Samstag waren über 60.000 Menschen dem Aufruf von mehr als 20 Organisationen gefolgt; guatemaltekische Medien bezeichneten diesen Protestmarsch als einen der größten in der Geschichte des 13-Millionen-Einwohner-Landes.

Ausgelöst worden war die Protestwelle von einem Korruptionsfall, der Mitte April aufgedeckt worden war. Demnach hatte Juan Carlos Monzón Rojas, ehemaliger Privatsekretär der Vizepräsidentin Roxana Baldetti, ein Netzwerk für Schmuggel und Zollbetrug geleitet und so Millionenbeträge in private Taschen fließen lassen. Auch gegen Pérez Molina wurden bereits Vorwürfe laut, in die Vorfälle verwickelt zu sein.

Monzón Rojas befindet sich seitdem auf der Flucht, Baldetti legte ihr Amt nach wochenlangen Rücktrittsforderungen am 8. Mai nieder. An ihrer Stelle wurde am Donnerstag vergangener Woche Alejandro Maldonado Aguirre benannt, der aus Sicht der indigenen und sozialen Bewegungen kaum besser ist: Er war 2013 an der Annullierung des in jahrelanger Auseinandersetzung erkämpften Urteils gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt wegen Völkermordes in den 80er Jahren maßgeblich beteiligt. Auf den Demonstrationen am Mittwoch und am Samstag wurde deshalb auch sein Rücktritt gefordert.

Am Mittwoch nahmen die Behörden 17 Personen fest, die in einen weiteren Bestechungsfall verwickelt sein sollen, darunter der Präsident der guatemaltekischen Zentralbank, Julio Suárez, und der Leiter der Sozialbehörde IGSS. Letzterer war laut TeleSur von Pérez Molina im April 2013 mit dem Posten betraut worden, um die Korruption in dieser Institution zu bekämpfen.

Zwar wollen die Demonstranten die Absetzung der verantwortlichen Politiker, doch bloße personelle Umgruppierungen im Staatsapparat sind ihnen nicht genug. Vielmehr wurde auf den Kundgebungen auch der Unmut über die sozialen Verhältnisse deutlich. Die Protestierenden forderten am Mittwoch auch einen besseren Zugang zum öffentlichen Gesundheits- und Bildungssystem, die Verstaatlichung der Stromversorgung und ein Ende der Repression gegen Gemeinden und Bauern. In Guatemala sind laut einer Studie der Wirtschaftskommission CEPAL von Anfang dieses Jahres 70,3 Prozent der Bevölkerung arm und können sich die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse nicht leisten.

In einer Erklärung vom Samstag fordert die Soziale Volksversammlung, ein Zusammenschluss aus Gemeinden, Indigenengruppen und weiteren Organisationen, die für den 13. September angesetzten Wahlen zu verschieben. Zuvor soll das Wahl- und das Parteiengesetz reformiert und eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden, die »den Grundstein für einen tiefgreifenden Wandel des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systems legt«. Die Regierungsgeschäfte soll vorläufig ein Übergangsrat übernehmen.

Am Mittwoch kündigte Pérez Molina angesichts der Massenproteste Reformen an, darunter auch des Wahl- und des Parteiengesetzes. Außerdem werde er sich mit Vertretern des Justizapparates treffen, um dessen Stärkung zu diskutieren, wie die guatemaltekische Zeitung La Hora berichtete. Einen Rücktritt hatte er jedoch bereits am Montag ausgeschlossen. Er habe ein Mandat bis zum 14. Januar kommenden Jahres. Bei seiner Arbeit werde er Bitten und Forderungen der Bevölkerung einbeziehen, aber er werde seine Amtszeit beenden, zitierte ihn La Hora.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2015


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