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Schlechte Chancen bei Richterwahl

In Guatemala sieben Kommissionen progressive Juristen aus den Bewerberlisten

Von Knut Henkel *

Kommissionen bestimmen derzeit, mit wem die 90 höchsten Richterposten in Guatemala besetzt werden. Anwälte befürchten, dass damit der Kampf gegen Straflosigkeit einen Rückschlag erleidet.

»Die Kommissionen zur Wahl der höchsten Richter des Landes sind zusammengetreten. Wir erwarten nicht, dass viele progressive Kandidaten das Verfahren überstehen«, sagt Rechtsanwalt Michael Mörth. In Guatemala werden die Richter des Obersten Gerichtshofs, der Berufungsgerichte und der Hochsicherheitsgerichte gewählt.

Das sorgt für zahlreiche Möglichkeiten der Einflussnahme, kritisieren Menschenrechtsanwälte wie Mörth oder Experten wie Iván Velásquez, der Vorsitzende der UN-Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala. »Die Wahl der Richter durch Kommissionen läuft der Unabhängigkeit der Justiz zuwider. Wir plädieren für Kontinuität im Richteramt – vorausgesetzt, die Richter liefern gute Arbeit«.

Kontinuität im Justizsektor ist in Guatemala jedoch nicht allerorts gefragt. Das zeigt der Fall von Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz. Die Amtszeit der international prämierten Juristin, die maßgeblich für den Rückgang der Straflosigkeit in Guatemala verantwortlich war, wurde vom Verfassungsgericht unter fadenscheinigen Gründen um ein halbes Jahr gekürzt. Mitte Mai musste sie ihr Büro räumen und als Nachfolgerin zog Thelma Esperanza Aldana ein.

Aus einer Liste von sechs Kandidaten hatte Präsident Otto Pérez Molina die neue Generalstaatsanwältin ausgewählt. Auf dieser Liste fehlte jedoch der Name von Claudia Paz y Paz, obwohl die 26 Juristen, die an dem Auswahlverfahren teilnahmen, ihr nach Thelma Esperanza Aldana die höchste Qualifikation bescheinigten, kritisierte beispielsweise Liliana Gamboa vom Open Society Institut. Aber auch internationale Anwaltsorganisationen wie die American Bar Association bezeichneten das Verfahren als wenig transparent. Ein Dilemma, das aber durchaus im Interesse maßgeblicher Kreise wie des Unternehmensverbandes Cacif, der Militärs und Teilen der Politik ist.

»Die nehmen Einfluss, und schon jetzt haben Menschenrechtskanzleien alle Hände voll zu tun, Aktivisten von sozialen Bewegungen vor Kriminalisierung zu schützen«, sagt Michael Mörth. Das bestätigt auch Liliana Gamboa gegenüber dem »Miami Herald«. Kriminalisierung sei ein Instrument in Guatemala, um widersprechende Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Dabei kommt der Justiz eine wichtige Rolle zu. Während unter Claudia Paz y Paz die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und die Ahndung von Menschenrechtsverbrechen Priorität hatten, muss das unter ihrer Nachfolgerin nicht der Fall sein. Thelma Esperanza Aldana gilt als Anhängerin der Partei FRG, die von Zury Rios, der Tochter von Exgeneral und Exdiktator Efraín Ríos Montt, geleitet wird. Rios Montt war unter Claudia Paz y Paz zu einer Haftstrafe von 80 Jahren wegen Völkermordes und Menschenrechtsverbrechen verurteilt worden. Das Urteil wurde wegen vermeintlicher Verfahrensfehler allerdings vom Verfassungsgericht kassiert. Der Prozess soll im Januar 2015 neu aufgerollt werden.

Doch daran glauben die Anwälte Edgar Pérez und Michael Mörth, die die Anklage vertreten, nicht so recht. »Einen Prozess wird es nur geben, wenn die Justiz unter Kontrolle der Regierenden ist und es kein unabhängiges Urteil geben wird«, sagt Mörth. Mit der Ernennung von Thelma Esperanza Aldana ist ein erster Schritt getan. Der nächste könnte mit der Wahl der obersten Richter folgen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 16. Juni 2014


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