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Athen warnt vor Ultimatum

Griechenlands Regierung bestätigt Übersendung eines "kompletten Reformplans" nach Brüssel

Das Gezerre um die griechische Schuldenkrise ging auch am Dienstag weiter. Die Regierung in Athen versicherte, den Kreditgebern einen umfassenden Reformplan vorgelegt zu haben. Medieninformationen zufolge hatten sich auf der anderen Seite die Vertreter Deutschlands, Frankreichs, der EU, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds in der Nacht zum Dienstag in Berlin auf einen »letzten Kompromissvorschlag« an Griechenland geeinigt.

Es seien »realistische« Empfehlungen an die Gläubiger übermittelt worden, um das Land aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise zu führen, sagte Regierungschef Alexis Tsipras am Dienstag. »In der vergangenen Nacht wurde ein kompletter Plan übermittelt«, so der Regierungschef. Er nannte keine Details, sprach aber von »Zugeständnissen, die schwierig sein werden«.

Griechenlands Vizepremierminister Giannis Dragasakis warnte nach dem Berliner Treffen davor, seinem Land ein »Ultimatum« zu stellen. »Wir akzeptieren keine Ultimaten und beugen uns keiner Erpressung«, schrieb Dragasakis auf dem Kurzmitteilungsdienst Twitter offenbar mit Blick auf Medienberichte, dass Athen nun von den internationalen Kreditgebern ein »allerletztes Angebot« gemacht werden solle.

Die griechische Regierung verhandelt seit Monaten mit ihren internationalen Kreditgebern über die Bedingungen, zu denen an das von der Staatspleite bedrohte Land in Aussicht gestellte Hilfsgelder von 7,2 Milliarden Euro ausgezahlt werden sollen. Die bisherigen »Reformvorschläge« aus Athen, die von den Geldgebern zur Bedingung für weitere Kredite gemacht wurden, hatten diese bisher nicht zufriedengestellt. Streit gibt es unter anderem um die geforderte Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Rentenreform. Nun drängt die Zeit, weil das »Hilfsprogramm« von 2012 Ende des Monats ausläuft.

Der stellvertretende Minister für Sozialversicherungen, Dimitris Stratoulis, sagte, die Regierung in Athen würde lieber vorgezogene Neuwahlen ausrufen, als ein »schlechtes Abkommen« zu akzeptieren. Wenn der Deal »schlecht für die Regierung, die Bevölkerung und das Land ist, wird es im Parlament nicht einmal zur Debatte gestellt«, warnte Stratoulis über den Sender Skai Radio. »Wir werden dann Wahlen abhalten müssen.«

Angesichts der festgefahrenen Lage hatte am Montag abend eine Spitzenrunde im deutschen Bundeskanzleramt nach Lösungen gesucht. Ursprünglich waren als Teilnehmer Frankreichs Präsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angekündigt. Überraschend kamen aber auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hinzu.

Die Gesprächspartner seien sich einig gewesen, »dass nun mit großer Intensität weitergearbeitet werden« müsse, erklärte das Kanzleramt nach dem Treffen. Beobachter gehen davon aus, dass die Runde vor allem versucht hatte, vor dem G-7-Gipfeltreffen am Sonntag und Montag im bayerischen Elmau, das Problem Griechenland aus dem Diskussionsfokus zu holen. Bekanntlich beharren US-Regierung und eine Kongressmehrheit auf einem unbedingten Verbleib Griechenlands im Euro-Verbund. Washington fürchtet besonders, dass sich Athen im Falle eines Ausscheidens aus der Währungsunion noch stärker Russland und China zuwenden könnte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 03. Juni 2015


»Eine Demokratie kann sich das nicht bieten lassen«

Das »allerletzte Angebot« an Griechenland läuft auf Erpressung hinaus

Ein Gespräch mit Roland Süß **


Roland Süß ist Sprecher des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC.

Von einem »allerletzten Angebot« an Griechenland war beim Spitzentreffen in Angela Merkels Kanzleramt in der Nacht zum Dienstag in Berlin die Rede. Aber was sind das für Verhandlungen, zu denen der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, gar nicht eingeladen wurde?

Griechenland muss bis Freitag einen Kredit von rund 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Insgesamt werden im Juni fast 1,6 Milliarden Euro fällig. Für das Treffen hatte nun Merkel IWF-Chefin Christine Lagarde und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi nach Berlin eingeladen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Frankreichs Staatschef François Hollande waren ohnehin zu Gesprächen dort.

In den vergangenen Monaten hätte es vielfältige Gründe gegeben, diese Verhandlungen zu einem vernünftigen Ergebnis zu bringen. Die deutsche Bundesregierung hat jedoch ständig abgebremst und sich nicht kompromissbereit gezeigt. Die plötzliche Hektik erklärt sich jetzt damit, dass Merkel im Vorfeld des G-7-Gipfels Kritik an ihrer Politik die Spitze nehmen will. Wenn jetzt von diesem »allerletzten Angebot« zu hören ist, läuft das auf Erpressung hinaus. Eine demokratisch gewählte Regierung wie die Griechenlands kann sich das nicht bieten lassen.

Für Athen stehen 7,2 Milliarden Euro an Hilfen bereit, die wegen angeblich mangelnder Reformbereitschaft blockiert sind. Wie ist das einzuschätzen?

Diese Summe war mit der vorherigen Regierung als Kredit vereinbart. Nachdem Syriza gewählt wurde und deutlich machte, dass sie mit der von außen diktierten Sparpolitik nicht einverstanden ist, wird davon nichts mehr überwiesen. Das Geld wird als Pfand und Druckmittel verwendet. Jetzt hat der IWF die sogenannte Sambia-Lösung ins Spiel gebracht – nach dem Beispiel einer Verhandlung mit Afrika. Es geht darum, die Rückzahlung so zu bündeln, dass die im Juni stückweise fällige Summe von 1,6 Milliarden Euro komplett am Ende des Monats gezahlt wird. Die griechische Regierung muss also jetzt nicht sofort reagieren, hat aber das Interesse, endlich zu einer zuverlässigen Lösung zu kommen. Alles andere würde die Wirtschaft in Griechenland weiter zu Boden drücken.

Alle Länder, die der Macht der Neoliberalen nicht nachgeben wollten, sollten bestraft werden; Griechenland sei das erste Opfer, meinte Tsipras gegenüber Le Monde. Sehen Sie das auch so?

Griechenland ist das erste Land, das als Verhandlungspartner mit eigenen Vorstellungen auftritt und mit dem neoliberalen Sparkurs gegenüber der Bevölkerung nicht einverstanden ist. Es wird ein Exempel statuiert, um klarzustellen, dass es in Europa für eine andere Politik keinen Raum gibt.

In der deutschen Mainstreampresse heißt es, Tsipras richte seine Hoffnungen auf das Berliner Kanzleramt. Er sei sogar zu Rentenkürzungen bereit. Was wissen Sie darüber?

Griechenland hat sich stets kompromissbereit gezeigt. Der richtige Weg wäre gewesen, sich zusammenzusetzen. Statt dessen ist nun in Berlin versucht worden, Griechenland mit diesem »allerletzten Angebot« zum Schlucken der Bedingungen zu bringen. ATTAC ist der Meinung, dass es einen Schuldenschnitt geben muss sowie eine Schuldenkonferenz, die sich mit der wirtschaftlichen Ungleichheit in Europa beschäftigt. Alles andere ist undemokratisch. Die Bevölkerung Griechenlands hat diese linke Regierung gewählt, um so der Politik der europäischen Institutionen zu begegnen.

Deshalb wird es zum Kompromiss kommen müssen und keine weiteren Diktate geben. In Deutschland gibt es jetzt das Bündnis »Europa Anders Machen«, das die Zeichen der Zeit erkannt hat und für den 20. Juni zu einer Großdemonstration in Berlin aufruft.

Wieso ist in Athen nun von Neuwahlen die Rede, sogar mit konkretem Termin, dem 28. Juni?

Es ist klar, dass eine Regierung, die von außen daran gehindert wird, ihre Politik umzusetzen, sich beim Volk rückversichern will, ob sie diesen Weg weitergehen soll.

Interview: Gitta Düperthal

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 03. Juni 2015


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