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Brei der Medien

Westliche Berichterstattung über Krieg in Gaza ist von einseitiger Parteinahme für Israel gekennzeichnet

Von Karin Leukefeld *

Seit Beginn der Bombardements am 27. Dezember verweigert Israel Journalisten den Zutritt zum Gazastreifen. Wie Tiger im Käfig wandern die Fernsehkorrespondenten vor der militärischen Sperrzone am Gaza­streifen auf und ab; ab und zu zoomen die Kameras auf die Rauchsäulen, die am Horizont zu sehen sind. »Israel hat den Zugang für Medien noch nie derart eingeschränkt und sollte sich schämen«, sagt der Bürochef der New York Times in Jerusalem, Ethan Bronner. »Es spricht allen Grundsätzen Hohn, nach denen es selbst leben will.« Die Regierung in Jerusalem nennt vor allem »Sicherheitsgründe«, weshalb es keinen der 350 angereisten Kriegsreporter und 900 in Israel akkreditierten Journalisten in den Gazastreifen läßt. Viele meinen allerdings, Israel wolle die Berichterstattung zu seinen Gunsten kontrollieren. Eine Klage der Vereinigung der Auslandskorrespondenten vor dem Obersten Gericht in Israel endete mit dem Vergleich, daß acht Reporter am vergangenen Freitag (2. Jan.) in den Gazastreifen gelassen werden sollten, die übrigen Medien sollten deren Berichte übernehmen dürfen. Doch dann wurde die Grenzöffnung auf Montag (5. Jan.) verschoben und schließlich ganz aufgegeben.

Zahlreiche Reporter verbringen daher viel Zeit damit, auf Israel gefeuerte Raketen und den durch sie entstandenen Schaden zu filmen, stellt ein AP-Korrespondent fest. Auch deutsche Korrespondenten berichten darüber und müssen es hinnehmen, daß ihr Bericht von den Moderatoren in der abendlichen Nachrichtensendung dazu benutzt wird, um Verständnis für die mörderischen Angriffe der israelischen Armee auf die Bevölkerung von Gaza zu werben.

Es geht Israel allerdings nicht nur um Informationsblockade, denn es gibt ausländische Journalisten vor Ort. Die Korrespondenten des Fernsehsenders Al Dschasira, von Al Arabia und Press TV sowie palästinensische Kollegen verschiedener Nachrichtenagenturen berichten unter Lebensgefahr über das Geschehen in Gaza. Ihre Bilder erreichen dank Satellitenübertragung Millionen Fernsehzuschauer in aller Welt, doch deutsche Medien zeigen sie kaum. Auch Hintergrundinformationen wie zum Beispiel, daß Israel als Besatzungsmacht nach der Genfer Konvention für das Wohlergehen der Bevölkerung unter Besatzung verantwortlich ist und die 18-monatige Schließung der Grenzübergänge zum Gazastreifen dagegen verstoßen hat, gibt es kaum. Selbst UN-Vertreter machen Israel für den Bruch des Waffenstillstandes verantwortlich, nicht die Hamas, die fast ausnahmslos als »radikalislamische Terrororganisation« bezeichnet wird, mit der man nicht verhandelt, was geradezu Originalton israelische Regierung ist.

Funk und Fernsehen berichten nicht, daß die palästinensischen Opferzahlen in Gaza mehr als hundertmal höher sind, als die auf israelischer Seite. Man erfährt nicht, daß Israel täglich aus den USA mit 6,8 Millionen US-Dollar unterstützt wird, während die palästinensische Administration 0,3 Millionen Dollar erhält. 65 UN-Resolutionen gibt es gegen das Vorgehen Israels und keine gegen das Vorgehen der Palästinenser. Ein Israeli ist in palästinensischer Gefangenschaft, während 10756 Palästinenser in israelischer Gefangenschaft sind. Die Palästinenser haben außerhalb von Kriegshandlungen kein israelisches Haus zerstört, während Israel seit 1967 18 167 Häuser von Palästinensern vernichtete. Zudem hat Israel 223 illegale Siedlungen in Palästina, während die Palästinenser Flüchtlinge in ihrem eigenen Land sind.

Der Ausschluß westlicher Medien aus dem aktuellen Krieg führe zur Desinformation, wie Ausführungen des Direktors des israelischen Presseamtes nahelegen. Die Hamas fälsche die Bilder und Berichte aus dem Gazastreifen, um Israel in ein schlechtes Licht zu rücken, erklärte Daniel Seaman und bezeichnet die Berichte aus Gaza als »fragwürdig«. In Wirklichkeit berichten deutsche Medien so artig »ausgewogen« über den Krieg, daß palästinensische oder kriegskritische Stimmen wie kürzlich die von Jamal Nazzal, Vertreter der palästinensischen Fatah, nur selten zu hören sind. In einem Deutschlandfunkinterview kritisierte Nazzal, er habe die Berichterstattung westlicher Medien über den Krieg in Gaza beobachtet und festgestellt, sie »könnte ein Teil eines israelischen Informationsministeriums sein. Das Motto westlicher Berichterstattung besteht darin, daß die Hamas eine Terrororganisation sei.«

* junge Welt, 8. Januar 2009


"Rundschau hat Antikriegsproteste kleingeschrieben"

Teilnehmerzahlen von Friedensdemo runtergerechnet. Deutsche Medien an der Seite Israels. Gespräch mit Hans Christoph Stoodt **

Hans Christoph Stoodt ist Pfarrer in Frankfurt am Main und Sprecher der Anti-Nazi-Koordination

Sie beteiligen sich an den Protesten gegen den Krieg in Gaza. Was denken Sie über die Berichterstattung der deutschen Medien zu Israels Militäroperation?

Ich finde, daß die Berichterstattung in der Tagesschau geprägt ist von einer zweifelhaften Ausgewogenheit. Es wird ständig behauptet: Israel lasse täglich Lastwagen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln für die Bevölkerung in den Gazastreifen hinein. Der Krieg richte sich nicht gegen die Menschen, sondern gegen die Hamas. Im Gegensatz dazu ist in einem Bericht auf BBC deutlich zu erkennen: In die Krankenhäuser wurden bislang nur zwei Kämpfer der Hamas eingeliefert, Hunderte von Verletzten sind Frauen, Kinder und Unbewaffnete - von denen einige sterben, weil sie keine Medikamente erhalten. Hierzulande wird in den Medien Tag für Tag einseitig berichtet.

Auch die Frankfurter Rundschau hat den Antikriegsprotest kleingeschrieben. Über eine der größten Friedensdemonstrationen der vergangenen Jahre in Frankfurt am Main gegen den Krieg in Gaza am vergangenen Samstag (3. Jan.) hatte sie in ihrer Online-Ausgabe zunächst gar nicht berichtet. Dann folgte ein süffisant-zynischer Bericht im Lokalteil. Kostprobe: Einen der Demonstranten, der Allah u Akbar (Gott ist groß) gerufen habe, »hätte man mit jedem DJ eines der gehobenen Clubs der Stadt verwechseln können«. Die Teilnehmerzahl, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Hessischen Rundfunk auf 10000 beziffert, hat die FR auf 7000 heruntergerechnet. Ganz ähnlich hatte sie über die letzte Demonstration in dieser Größenordnung in Frankfurt 2003 berichtet.

Damals wurde gegen den Irak-Krieg protestiert...

Ja, die FR hatte das »Frankfurter Bündnis gegen den Krieg« in der Berichterstattung über einen langen Zeitraum vernachlässigt. Als wir schließlich eine bezahlte Anzeige gegen den Krieg schalten wollten, hat sie die Veröffentlichung abgelehnt. Nach Insiderinformationen soll das Blatt dieses Verhalten, nachdem es publiziert wurde, einige hundert Abonnements gekostet haben. Später hat die FR ihre Berichterstattung geändert - nachdem klar wurde, daß die Bevölkerung den Krieg konsequent ablehnte.

Wie erklären Sie sich diese Vorgehensweise?

Die FR befolgt sklavisch genau die Linie, die das Bundesaußenministerium vorgibt. Damals, vor dem Irak-Krieg hieß es, Deutschland beteilige sich nicht am Krieg. Unsere - wie sich später herausstellte - sehr berechtigte Kritik an der mittelbaren Verquickung Deutschlands in den Krieg war Grund genug, schlecht über uns zu berichten. Heute ist es eindeutiger. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier weisen die Schuld für den Gaza-Krieg einseitig der Hamas zu. Die FR hält sich stets an die von den Regierenden vorgegebene Linie.

Ich kann nur vergleichen. BBC und andere Medien im Internet, denen man keinerlei Sympathien für die Hamas unterstellen kann, sagen deutlich: Die israelische Besatzung trägt Schuld an diesem Krieg. Mitschuld treffen indirekt die Europäische Union, die USA - und Deutschland. Sie liefern Waffen an Israel und fordern die Hamas zur Zurückhaltung und sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen auf. Das ist absurd. Wenn Medien in der Mehrheit dieser Linie folgen, ist es nur so zu erklären, daß sie sich mit der Position der Mächtigen und Herrschenden nicht anlegen wollen.

Oder, daß sie keine Stellung gegen Israel beziehen wollen?

Natürlich haben wir in der Bundesrepublik ein Problem: Vielen Menschen fällt es aus historischen Gründen - wegen des Holocaust - schwer, sich im Nahostkonflikt israelkritisch zu äußern. Aber unsere israelischen Freunde auf seiten der Linken erwarten von uns, daß wir gegen den Krieg Stellung nehmen und sie mit dieser Haltung nicht allein lassen. Sie haben es schwer, denn die Rechten übertönen sie mit Sprechchören wie »Tod den Arabern« -- beispielsweise vergangenen Samstag in Tel Aviv.

Apologeten des israelischen Kriegs bezichtigen Friedensdemonstranten des Antisemitismus ...

Natürlich gibt es Antisemiten, Nazis und andere Rechte in Deutschland, die sich an unsere Proteste anhängen wollen. Ich verwahre mich jedoch gegen Unterstellungen, antisemitisch zu sein - nur weil ich den Angriffskrieg der Staatsführung Israels kritisiere. Deren Politik ist in ihren Auswirkungen im Moment selber in Gefahr, antisemitisch zu wirken. Sie gefährdet das Leben vieler Juden.

** junge Welt, 8. Januar 2009


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