"Dignité" geentert
Französische Motoryacht vor Gaza von israelischer Marine aufgebracht. Angeblich keine Verletzten an Bord
Von Karin Leukefeld *
Erneut hat Israel mit militärischer Gewalt die Blockade des Gazastreifens durchgesetzt. Am späten Dienstag vormittag (19. Juli) enterten Soldaten der israelischen Marine die »Dignité/Al Karama« (Würde), ein französisches Boot, das mit Hilfsgütern beladen Kurs auf den Hafen von Gaza genommen hatte. Das Schiff sowie die an Bord befindlichen 17 Passagiere und Besatzungsmitglieder wurden in den Hafen von Aschdod entführt, wo sie verhört werden sollen. Die israelische Einwanderungsbehörde wirft den Aktivsten vor, sie hätten versucht, illegal nach Israel zu gelangen. Allerdings war von Anfang an klar, daß das Boot nicht Israel, sondern den palästinensischen Gazastreifen anlaufen wollte.
Thomas Sommer-Houdeville, einer der französischen Aktivisten an Bord der »Dignité«, hatte in einem Interview mit AFP am Montag abend (18.Juli) gesagt, die Fracht des Bootes sei eine »symbolische Botschaft des Friedens, der Hoffnung und der Liebe«. Es gebe keinen Anlaß für Israel, sie aufzuhalten.
Kontakt mit der israelischen Armee hatte die »Dignité« bereits in den frühen Morgenstunden am Dienstag, etwa 50 Seemeilen vor der Küste von Gaza, also in internationalen Gewässern. Man sei von vier israelischen Kriegsschiffen umringt, hieß es in einer Nachricht von Bord, drei kleineren und einem größeren Schiff. Sollte man den Anordnungen der Marine nicht Folge leisten und umkehren, werde das Schiff geentert, teilte die israelische Marine dem Kapitän der »Dignité« mit. Als dieser die Fahrt fortsetzte, folgten die israelischen Schiffe in kurzer Entfernung und enterten das Schiff kurz darauf. Der Piratenakt war von Generalstabschef Benny Gantz angeordnet worden. Zuvor war die Kommunikation mit der »Dignité« abgebrochen, nachdem Israel Funk- und Satellitenverbindungen gestört hatte. Das an Bord befindliche Filmteam des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira hatte offenbar zuvor noch ein kurzes Gespräch mit dem eigenen Reporter und mit Amira Hass übermittelt. Die Reporterin der israelischen Tageszeitung Haaretz bestätigte demnach, daß das Boot in internationalen Gewässern, etwa 50 Seemeilen von Gaza entfernt geentert werde.
Eine Militärsprecherin sagte hingegen, das Schiff sei zwölf Seemeilen vor dem Küstenstreifen »übernommen« worden. Alles sei »ruhig« und »unspektakulär« abgelaufen, es habe »keine Verletzten« gegeben. Die Passagiere seien auf eines der Kriegsschiffe gebracht worden, wo ein Arzt sie untersucht und allen »gute Gesundheit« bescheinigt habe.
Um die zu Luft und Land bestehende Belagerung des Gazastreifens zu vervollständigen, hatte Israel zunächst eine Sperrzone von drei Seemeilen vor Gaza verhängt, die sukzessive in den letzten Jahren bis auf zwölf Seemeilen vor der Küste ausgeweitet wurde. Israel begründet die Maßnahme mit dem »Schutz der eigenen Sicherheit«.
Als am Montag (18. Juli) bekannt wurde, daß die »Dignité« Kurs auf Gaza genommen hatte, bekräftigte der stellvertretende israelische Außenminister Danny Ayalon, sollte das Schiff auf dem Weg nach Gaza sein, »ist das ein Bruch des internationalen Seerechts und eine Provokation«. Man werde es aufhalten, aber dafür sorgen, »daß die Leute an Bord sich wie zu Hause fühlen werden«.
Scharfe Kritik an dem israelischen Piratenakt kam von dem unabhängigen palästinensischen Abgeordneten Mustafa Barghouti aus Ramallah. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, das israelische Vorgehen gegen Schiffe in internationalen Gewässern zu verurteilen.
Der Deutsche Koordinationskreis Palästina-Israel (KoPI) verurteilte die »hermetische Abriegelung von Gaza«. Angesichts einer »Staatengemeinschaft, die die israelische Politik der Besatzung und Abriegelung gewähren« lasse, sei »die Aktion der Zivilgesellschaft, die Blockade mit Schiffen zu durchbrechen, legitim«. Bundesregierung und Bundestag müßten endlich »konkrete Maßnahmen ergreifen«, damit die Blockade beendet werde. Konkret solle das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel »konditioniert« ausgesetzt werden, bis das Land die Besatzung beende. Gefordert wird auch die »unverzügliche Einstellung der Rüstungskooperation« mit Konfliktparteien in der Region.
* Aus: junge Welt, 20. Juli 2011
"Al Karama" vor Gaza geentert
Israelische Marine äußert sich zur Kaperung
Von Martin Lejeune **
Die israelische Marine hat im Mittelmeer das französische Hilfsschiff »Dignité/Al Karama« aufgebracht, das Kurs auf Gaza genommen hatte. Auf dem Schiff waren 16 Passagiere.
Einer der Passagiere, Dror Feiler, Mitglied der Organisation Europäische Juden für einen gerechten Frieden, hatte gegenüber ND noch wenige Stunden vor der Kaperung der »Karama« bestätigt: »Wir sind auf dem Weg nach Gaza, um die Blockadepolitik Israels zu brechen. Und wir lassen uns von niemandem aufhalten, weder von der griechischen noch von der israelischen Marine.«
Doch genau dies geschah. Soldaten der israelischen Eliteeinheit 13 enterten das Schiff 15 Seemeilen vor der Grenze der israelischen Hoheitsgewässer. Gegenüber ND bestätigte die Sprecherin der israelischen Armee, Avital Leibovich, am Telefon die Kaperung: »Um 10 Uhr israelischer Zeit kontaktierten wir ›Al Karama‹ per Funk und fragten nach ihrem Ziel. Sie antworteten: Gaza. Wir begannen daraufhin einen ernsthaften Dialog und boten an, zum Heimathafen (Rhodos – d.Red.) zurückzukehren oder einen anderen europäischen Hafen ihrer Wahl anzulaufen«. Es sei »nicht erlaubt«, nach Gaza zu fahren. Die Marine habe der »Karama« angeboten, ihre Fracht im israelischen Hafen Aschdod zu löschen, da eine »Kontrolle auf See technisch nicht möglich« sei. Als die Besatzung dies ablehnte, seien die Soldaten »ruhig und friedlich« an Bord gegangen und hätten die Passagiere auf ein israelisches Kriegsschiff gebracht. In Aschdod sollten sie der Grenzpolizei übergeben und »umgehend deportiert« werden.
Die Organisatoren erklärten, die »Karama« sei »im offenkundigen Verstoß gegen das Recht auf freie Fahrt auf offener See« in internationalen Gewässern nahe der Küste des Gazastreifens gekapert worden.
** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2011
Fragwürdiger Anspruch
Von Roland Etzel ***
Das erzwungene Ende der Solidaritätsfahrt nach Gaza kommt nicht unerwartet. Nach drei Wochen Nervenkrieg vor allem mit den griechischen Behörden endet der Weg der »Karama« erzwungenermaßen in einem israelischen Hafen. Ob die anderen Schiffe noch jemals aus Athen Richtung Gaza auslaufen, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Mit »Würde«, so der Name des Schiffes, dürfen dessen Passagiere dennoch auf das vorläufige Ende ihrer Reise zurückblicken. Immerhin haben sie drei Wochen lang mit ihrer Beharrlichkeit dazu beigetragen, dass Israels rigide Politik gegenüber den Gaza-Palästinensern international nicht in Vergessenheit geraten konnte. Es hat auch dazu beigetragen, dass das israelische Kaperkommando sich befleißigte, seine Zwangsmaßnahme nachgerade mit Samthandschuhen auszuüben.
Das ändert allerdings rein gar nichts an dem fragwürdigen Rechtsanspruch, mit dem die Entführung eines fremden – französischen – Schiffes von hoher See durch israelische Kriegsschiffe erfolgte. Die dieses Mal wortreichen israelischen Rechtfertigungen unterstellen wie selbstverständlich, dass Israel vor dem Gaza-Streifen wie vor seiner eigenen Küste agieren könne. Nach der UN-Resolution 242 von 1967 hätte Israel dieses Territorium aber schon vor Jahrzehnten geräumt haben müssen, und das schließt die Territorialgewässer vor Gaza ein. Die gewöhnlich vor Rechtsstaatsempfinden überquellenden westlichen Staaten hätten das überdies längst von einem internationalen Gerichtshof endgültig klären lassen können. Da der politische Wille dafür nirgendwo auszumachen ist, muss es wohl das zu erwartende Urteil sein, das man hier fürchtet.
*** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2011 (Kommentar)
"Wie komme ich auf die schwarze Liste?"
Palästina-Aktivisten zogen Bilanz ****
»Willkommen in Palästina« hieß die Aktion. Ab 8. Juli hatten etwa 600 Palästina-Aktivisten aus verschiedenen Ländern versucht, über den Flughafen Tel Aviv explizit »nach Palästina« weiterzureisen. Am Dienstag (19. Juli) berichteten einige von ihnen nach ihrer Rückkehr in Berlin von ihren Erlebnissen.
Regisseurin Cynthia Beatt, die seit Jahrzehnten in Berlin lebt, schaffte es gar nicht erst nach Tel Aviv. Sie war auf die »schwarze Liste« geraten, die das israelische Innenministerium seit Anfang Juli an Fluggesellschaften versandt hatte. »Ich mag die Bezeichnung ›schwarze Liste‹ überhaupt nicht. Sie impliziert, dass die Personen auf dieser Liste etwas Schlimmes in der Vergangenheit getan hätten. Ich weiß aber überhaupt nicht, warum ich auf diese Liste gekommen bin. Ich war niemals zuvor in Palästina.«
Im Gegensatz zu vielen anderen gelang es Angelica Seyfrid aus Deutschland auf dem Tel Aviver Flughafen Lod anzukommen. Als sie an der Passkontrolle sagte, sie wolle nach »Palästina«, sei sie aber sofort festgenommen worden. »Ich verweigerte mich der Abschiebung, die Israel an Ort und Stelle ausführen wollte. Daraufhin wurde ich mit mehreren anderen Teilnehmern der Aktion, die sich ebenfalls der Abschiebung widersetzten, in ein Gefängnis gebracht.«
Angelica Seyfrid klagte mit Unterstützung der »Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden« vor einem israelischen Gericht gegen ihre Abschiebung. Die Klage wurde abgewiesen. »Der Richter sprach in seiner Begründung von ›geheimdienstlichen Erkenntnissen‹, wonach ich angeblich eine Staatsfeindin sei«, berichtete sie. Allerdings sei der schriftlichen Urteilsbegründung zu entnehmen, dass dem Gericht diese »geheimdienstlichen Erkenntnisse« nicht vorlagen.
Elsa Rassbach, die internationale Medien-Koordinatorin der »Flytilla«, bewertete die Aktion »aufgrund der großen Medienresonanz als einen großen Erfolg«. Einige hunderttausend Menschen mehr auf der Welt wüssten von der Unterdrückung der Palästinenser, »die nicht einmal Gäste empfangen dürfen, die sie eingeladen haben«.
**** Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2011
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