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Gaza-Flotte: Abreise weiter unklar

Griechische Behörden verweigern Schiffen Auslaufgenehmigung / Brief an Papandreou

Von Martin Lejeune, an Bord der »Stefano Chiarini« in Gouvia *

Das spanische Schiff »Gernika« der Gaza-Flotte 2011 versuchte am späten Sonntagabend (3. Juli), ohne Ablegegenehmigung den Hafen von Hania auf Kreta zu verlassen. Das Schiff wurde daraufhin, wie zuvor schon am Freitagabend das US-amerikanische Schiff »Audacity of Hope«, von der griechischen Küstenwache aufgehalten.

Khalid Turaani, einer der Koordinatoren der Gaza-Flotte, äußerte sich gegenüber ND empört über den Vorfall: »Wir wollen Freiheit nach Gaza bringen, aber Israel und die USA weiten die illegale Blockade des Gaza-Streifens auf die griechischen Hoheitsgewässer aus.« Von den 14 bisher bekannt gewordenen Schiffen der Gaza-Flotte sind nach ND-Recherchen vom Montag acht Schiffe »technisch« noch in der Lage, den Gaza-Streifen zu erreichen. Zwei Schiffe werden von Küstenwache und Marine festgehalten. Das kanadische Schiff »Tahrir« hat die Genehmigung zum Ablegen – »aber nicht mit dem Ziel Palästina«.

Die Weigerung der griechischen Regierung vom Freitag (1. Juli), die Schiffe ablegen zu lassen, stößt im Gaza-Streifen auf scharfe Kritik. »Wir sind von der Entscheidung Griechenlands schockiert«, so Abed Schokry, Dozent der Ingenieurswissenschaft an der Islamischen Universität in Gaza gegenüber ND.

Schokry meint, die fortgesetzte israelische Blockadepolitik und der erneut geschlossene Grenzübergang zu Ägypten seien »eine Katastrophe für das palästinensische Volk«. Sogar 2010 während der ersten Flottenaktion sei die Versorgungslage im Gaza-Streifen viel besser gewesen als heute.

Derweil wartet das niederländisch-italienische Schiff »Stefano Chiarini« seit drei Wochen in dem Hafenstädtchen Gouvia auf Korfu auf seine Genehmigung zum Auslaufen. Nourdin al-Quali, Mitglied des Stadtrates von Rotterdam, Mitglied des Koordinierungsteams und Miteigentümer der »Stefano Chiarini«, meinte am Montag im Gespräch mit ND: »Wir haben uns als Gruppe Dienstag 15 Uhr als eine interne Deadline gesetzt, um auf eine Entscheidung der Hafenbehörde zu warten, denn wir wollen uns nicht ewig auf der Nase herumtanzen lassen. Sollten wir bis dahin keine Antwort auf unser Gesuch erhalten oder einen negativen Bescheid, greift unser Plan B.« Wie dieser Plan aussehe, wollte Quali nicht kommentieren.

Unterdessen zeigen die administrativen Restriktionen und die dadurch bedingte weitere Wartezeit auf der »Stefano Chiarini« erste demoralisierende Wirkungen. 15 der 60 Passagiere reisen in ihre Heimatländer zurück. »Unter den Fahnenflüchtigen ist auch die deutsche Gruppe«, äußerte ein Kritiker der Aussteiger. Auf ND-Nachfrage bestätigte der deutsche Delegationsleiter auf der »Stefano Chiarini«, Samir Kazkaz: »Die deutsche Gruppe hat bereits geschlossen am Sonntag Flüge für Dienstag ab Korfu gebucht.« Ihnen gehe das Geld aus oder sie hätten die Hoffnung verloren, dass die »Stefano Chiarini« noch ablegen könne, äußerten abreisende Aktivisten gegenüber ND.

Die Anwälte der »Stefano Chiarini« sagten gegenüber dem Koordinator Nourdin al-Quali am Montag, sie hätten alles rechtlich Mögliche getan, um das Auslaufen der Schiffe vor Gericht durchzusetzen, die richterliche Entscheidung stehe jedoch noch aus.

An Premier Giorgios Papandreou schickten die Delegationen der »Stefano Chiarini« unterdessen einen offenen Brief. Darin zeigen sie sich »empört über die Entscheidung Ihrer Regierung, die Häfen Griechenlands für unsere humanitäre Initiative, wenn nötig sogar mit Gewalt, zu blockieren«. Dieser Beschluss verletze »nicht nur die allgemein gültigen Prinzipien des Völkerrechts bezüglich der Freiheit der Meere und der alten Tradition der Freiheit des Mittelmeers, sondern missachtet auch die Demokratie und das Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes«, heißt es.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011

Koordinator

Khalid Turaani / Der Palästinenser ist die Seele des Gaza-Schiffes »Stefano Chiarini«

Von Martin Lejeune, Gouvia **


Seit drei Wochen liegt das niederländisch-italienische Schiff »Stefano Chiarini« der Gaza-Flotte 2011 im Hafenstädtchen Gouvia der griechischen Insel Korfu und wartet auf die Genehmigung zum Auslaufen. Seit drei Wochen wirbelt Khalid Turaani, Cheforganisator der »Chiarini«, um das Beladen und Ablegen sicherzustellen.

Der 45-Jährige wurde in Al-Yarmouk geboren, dem größten palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien, und wuchs dort mit mehreren Geschwistern in dürftigen Verhältnissen auf. Heute gehört das Lager Al-Yarmouk, in dem bei Turaanis Geburt 50 000 Flüchtlinge lebten, zu Damaskus. Auf seinen muskulösen Körper angesprochen, sagte er: »Ich war nie in einem Fitnessstudio. Aber ich musste schon als Kind zum Familieneinkommen beitragen und schleppte in Al-Yarmouk viele Jahre Ziegel zu Baustellen und auf die Dächer.« Sein Vater sorgte sich um die Ausbildung der Kinder. Deshalb ging er in die Golfstaaten, wo er als Manager Öldollars verdiente, die er nach Hause schickte. So konnte Khalid ein Physikstudium an der Universität Ouachita in den USA aufnehmen. Doch schon in seinem zweiten Semester verstarb der Vater, und Turaani war auf sich allein gestellt. »Ich arbeitete als Kellner in einem mexikanischen Restaurant und als Tankwart, um mein Studium zu finanzieren.«

Solange er denken kann, ist Turaani politisch aktiv. Alle Exil-Palästinenser wie er seien »mit der Geburt Teil der Katastrophe des palästinensischen Volkes geworden«, erklärt er. »Wenn du in einem Flüchtlingslager geboren wirst, dann ist Politik für dich nicht irgendein Engagement in deiner Freizeit oder neben deinem Beruf. Politik bestimmt jeden Bereich meines Lebens und war während jeder Phase Teil meines Lebens.« Turaani sei vor, während und nach seinem Studium ständig in palästinensischen Organisationen aktiv gewesen, davon die meiste Zeit in dem Verein »American Muslims for Jerusalem«.

Heute ist Turaani Direktor von »Inform« in Brüssel, einer palästinensischen Interessenvertretung, die Kontakte zu den Organen der EU pflegt. Bereits 2010 koordinierte er das Gaza-Flotten-Schiff »8000« (die Zahl steht für die palästinensischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen).

** Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2011



Gaza-Flottille: »Tahrir« geentert

Griechische Küstenwache stoppt Auslaufversuch

Von Claudia Wangerin ***


Es war der dritte Versuch eines Teilnehmerschiffs der »Free Gaza«-Flottille, ohne Genehmigung aus einem griechischen Hafen auszulaufen: Die kanadische »Tahrir« hat am Montag (4. Juli) nachmittag mit rund 50 Passagieren den Hafen von Agios Nikolaos auf Kreta verlassen und ist kurz darauf von der Küstenwache geentert worden. Kurz vor Redaktionsschluß meldete der jW-Korrespondent an Bord der »Tahrir«, das Schiff werde von einem Boot der Küstenwache mit Wasserkanonen und bewaffneten Soldaten an Bord verfolgt. Beim Entern gab es nach jW-Informationen keine Verletzten. Die Passagiere riefen »Free our Boat«. Die »Tahrir« sollte von der Küstenwache zurück zum Hafen eskortiert werden, was der Maschinist zunächst verhinderte, indem er die Drehzahlen ständig veränderte. Die Ordnungskräfte auf der Brücke hatten demnach keine Kontrolle über das Schiff.

Das spanische Teilnehmerschiff »Gernika« hatte am Sonntag (3. Juli) kurz nach Redaktionsschluß versucht, den Hafen von Hania auf Kreta zu verlassen, war jedoch ebenfalls von der Küstenwache gestoppt worden. Weitere Teilnehmerschiffe der Gaza-Solidaritätsflottille saßen bei Redaktionsschluß noch in verschiedenen griechischen Häfen fest, nachdem die Regierung am Freitag ein Auslaufverbot für Schiffe nach Gaza verhängt und dies mit der israelischen Seeblockade begründet hatte. Der Kapitän des US-Teilnehmerschiffs »Audacity of Hope« soll heute vor Gericht gestellt werden, nachdem das Schiff am Freitag kurz nach dem Auslaufen in der Nähe von Piräus von der Küstenwache gestoppt wurde. Die Passagiere hoffen weiterhin, doch noch auslaufen zu können, nachdem die Organisatoren Anwälte und Seerechtsexperten beauftragt haben. Die US-Initiative der »Free Gaza«-Bewegung meldete am Sonntag auf ihrer Website die Festnahme von acht Amerikanern, die vor der US-Botschaft in Athen einen Hungerstreik für die Aufhebung des Auslaufverbots nach Gaza und die Freilassung ihres Kapitäns durchgeführt hatten. In der Nacht zum Montag folgte die Twittermeldung: »Gute Neuigkeiten! Hungerstreikende des US-Schiffs alle freigelassen! Macht mehr Druck, damit wir auslaufen dürfen.«

*** Aus: junge Welt, 5. Juli 2011


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