"Stefano Chiarini" liegt im Hafen fest
Griechische Behörden verhindern Auslaufen des Hilfsschiffes Richtung Gaza
Von Martin Lejeune *
Die Hafenbehörde von Korfu hat dem europäischen Passagierschiff »Stefano Chiarini«, das sich an der Gaza-Hilfsflotte beteiligt, wider Erwarten am Freitag (1. Juli) noch keine Auslaufgenehmigung erteilt.
Khalid Tarrani, Sprecher der Europäischen Kampagne zur Beendigung der Blockade des Gaza-Streifens und einer der Cheforganisatoren der Flottille, erklärte am Freitag gegenüber ND, die Gründe für die Verspätung seien »politischer und nicht technischer Art«. Auch der griechische Kapitän der »Stefano Chiarini« bestätigte dies: »Die ›Stefano Chiarini‹ ist startklar. Ich bin sehr optimistisch, dass wir die Genehmigung zum Auslaufen sehr bald bekommen werden.«
Tarrani fragte während einer Sitzung der gesamten Passagiergruppe, wer von den Anwesenden bereit sei, am Montag auch »illegal«, also ohne Genehmigung der Hafenbehörden, auszulaufen. Insgesamt 33 Aktivisten signalisierten ihre Bereitschaft dazu. Von den zehn Schiffen, die sich nach derzeitigem Stand an der Flottille beteiligen, sind sieben auslaufbereit. Die beiden französischen Schiffe befinden sich bereits auf See; das sabotierte irische Schiff liegt fahruntüchtig in einem türkischen Hafen.
In der Nacht zum Freitag war an Bord der »Stefano Chiarini« die Anspannung spürbar größer geworden. Im Wasser des Hafenbeckens spiegelten sich die Taschenlampen des unter den Teilnehmern selbst organisierten Nachtwachen-Dienstes. »Ich halte Ausschau nach Tauchern des israelischen Geheimdienstes, die die Schiffschraube des Bootes beschädigen könnten«, sagte ein österreichischer Teilnehmer, der zur Nachtwache eingeteilt war, gegenüber ND. Gegenüber der »Stefano Chiarini« liegen zwei Schiffe der Küstenwache, auf denen Beamte ebenfalls Wache halten.
Um vier Uhr morgens gab es plötzlich Aufregung an Bord. Ein kleines Boot hatte sich dem Schiff genähert und wurde von der Küstenwache abgedrängt. Es ging die Befürchtung um, es habe sich um einen versuchten Sabotageakt gehandelt.
»Das war eine aufregende Nacht für uns«, sagt Brian Curdy. Er spricht mit US-amerikanischem Akzent, ist Schweizer Staatsbürger und stammt aus Albanien. Curdy war bei den US-Marines. Er nimmt an der Durchbrechung der Blockade teil, weil er »als Schweizer ein privilegiertes Leben« habe und sich für jene Menschen einsetzen will, »die es nicht so gut haben wie ich«.
Curdy bringt seine Erfahrungen als Sanitäter bei den US-Marines an Bord ein. Dem Medical Team gehören auch noch Dr. Alftono Coletta, ein Rettungsarzt aus Italien, Dr. Wee, ein malaysischer Mediziner, und der syrische Neurochirurg Samir Kazkaz an. Die Bordapotheke ist gefüllt, auf dem Arzttisch liegen Mullbinden. Dennoch fordern die Organisatoren die Teilnehmer auf, sich ebenfalls mit den nötigsten Medikamenten einzudecken, vor allem mit Tabletten gegen Seekrankheit. Inzwischen haben die Teilnehmer auch ihre Kreditkarten und wichtige persönliche Dinge nach Hause gesandt, um sie vor einem Zugriff israelischer Soldaten zu schützen.
An Bord befinden sich nun 60 Teilnehmer zwischen 20 und 80 Jahren, mit verschiedensten Religionen und Berufen. Sie kommen u.a. aus Malaysia, Bosnien, Australien, Serbien, Neuseeland, Russland, Irland, Italien, den Niederlanden und Jordanien. Alle Teilnehmer, die mit dem Autor sprachen, betonten, sie seien gegen Gewalt gegen israelischen Armeeangehörige.
Vorwürfe der israelischen Seite, auf den Schiffen würden Düngemittel mitgeführt, aus denen Säure hergestellt werden könne, wurden von Teilnehmern dementiert. Die Säure hätte nach Angaben der israelischen Armee bei einer Kaperung gegen die Soldaten eingesetzt werden sollen. Eine der Koordinatorinnen der Flotte, Ewa Jasiewicz, sagte im Gespräch mit ND: »Nach meiner Kenntnis befinden sich keine Düngemittel an Bord irgendeines Schiffes der Flotte. Israel versucht den unzutreffenden Eindruck zu erwecken, Schiffe der Flotte brächten waffenfähiges Material nach Gaza. Dies stimmt nicht. Wir haben nur humanitäre Hilfsgüter an Bord, die im Gaza-Streifen dringend benötigt werden, zum Beispiel Zement.«
* Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2011
US-Schiff vor Athen gestoppt **
Das Auslaufen der Schiffe der »Free Gaza«-Solidaritätsflottille aus griechischen Häfen hat sich am Freitag (1. Juli) weiter verzögert. Die Behörden hatten bei Redaktionsschluß noch nicht allen eine Genehmigung zum Auslaufen erteilt. Die Teilnehmer stellten sich darauf ein, erst am Montag auslaufen zu können. Zudem wurde am Freitag ein weiterer Sabotageversuch bekannt. Diesmal an der »Stefano Chiarini«, die bereits einen Teil der 20 irischen Passagiere aufgenommen hat, weil deren Schiff »Saoirse« (Freiheit) am Mittwoch (29. Juni) so schwer an der Antriebswelle beschädigt wurde, daß es ausfiel.
Bei der »Stefano Chiarini« sei rechtzeitig Alarm geschlagen und kein Schaden entdeckt worden, als ein Taucher die Unterseite des Schiffs inspizierte, sagte eine deutsche Passagierin am Freitag gegenüber jW. Gegen 4.20 Uhr sei ein kleines Boot in die Nähe der »Stefano Chiarini« gewesen, Luftblasen seien aus dem Wasser aufgestiegen. »Als das Boot von unserer Nachtwache entdeckt wurde, fuhr es mit großer Geschwindigkeit davon«, sagte Elfi Padovan gegenüber jW. Sofort sei die Küstenwache alarmiert worden.
Das multinational besetzte Teilnehmerschiff der »Free Gaza«-Flottille liegt zur Zeit in einem Hafen der griechischen Insel Korfu. Außer der deutschen Gruppe und den zugestiegenen Iren reisen auf der »Stefano Chiarini« Passagiere aus der Schweiz, Italien, den Niederlanden, Malaysia und Norwegen mit insgesamt rund 70 Personen.
Neben der »Saoirse« ist auch das Schiff »Juliano«, das bereits Anfang der Woche beschädigt wurde, ausgefallen, da die Reparatur zuviel Zeit in Anspruch nehmen würde. Wann die acht verbliebenen Schiffe auf internationalen Gewässern zusammentreffen, um Hilfsgüter in den von Israel blockierten Gazastreifen zu bringen, blieb am Freitag bei Redaktionsschluß noch unklar. Aufgehalten worden war im Lauf des Tages unter anderem die »Gernika« mit 45 spanischen Teilnehmern an Bord. Die Kampagne »Rumbo a Gaza« (Kurs auf Gaza) teilte mit, das Schiff sei Ziel »jeder Art von Behinderungen und administrativer Eingriffe durch die Behörden Griechenlands«. Das US-Schiff »Audacity of Hope« war in dieser Woche ähnlichen Problemen ausgesetzt und ist nach neuesten Meldungen am Freitag nachmittag in See gestochen, wurde aber einige Minuten später von der Küstenwache gestoppt. Die israelische Regierung hatte Anfang der Woche angekündigt, den Bruch ihrer Seeblockade mit allen Mitteln zu verhindern. Die Aktivisten der »Free Gaza«-Flottille haben sich das Motto »Menschlich bleiben« auf die Fahnen geschrieben und für den Fall einer Konfrontation mit der israelischen Marine zur Gewaltfreiheit verpflichtet.
** Aus: junge Welt, 2. Juli 2011
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