Wortgefechte um Gaza-Flotte
Organisatoren der Hilfsaktion halten an Vorhaben fest / Israel will Blockadebruch verhindern
Von Martin Lejeune, Athen *
Die israelische Regierung hat die Marine des Landes am Montag angewiesen, eine Ankunft der geplanten Hilfsflottille für den Gaza-Streifen in dem Palästinensergebiet zu unterbinden. Am selben Tag bekräftigten die Organisatoren der »Freedom Flotilla II – Stay Human« auf einer Pressekonferenz in Athen, an ihrem Vorhaben festzuhalten. Die Aktion verfolge ausschließlich humanitäre Ziele.
Etwa 200 Medienvertreter hatten sich zu der Pressekonferenz eingefunden. Immer wieder wurde die Veranstaltung von zustimmendem Applaus unterbrochen, nicht nur seitens der zahlreichen arabischen Korrespondenten.
Vanguelis Pissias, Professor an der Technischen Universität Athen und Sprecher des griechischen Schiffes, erklärte: »Die Schiffe laufen aus, wenn der Druck auf die Behörden reduziert wird.« Gemeint sind damit die Bemühungen, die Flottille unter anderem durch scharfe Kontrollen am Ablegen Richtung Gaza zu hindern. Der Druck werde nicht nur von Israel ausgeübt, sondern auch von anderen Regierungen. »Das ist nicht akzeptabel.« Die Teilnehmer seien alle Menschen aus der Zivilgesellschaft, denen die Risiken der Reise bewusst seien. »Wir wissen, dass wir die Gewalt eines Staates gegen uns haben. Aber unser Motiv ist humanitär. Wir wollen dringend benötigte Hilfe nach Palästina bringen. Wir wollen auf die Einhaltung der Menschenrechte achten.« Pissias rief die Medien auf, die Beladung der Schiffe zu kontrollieren und die Güter der Schiffe zu untersuchen, »um die israelische Propaganda auszuschalten«. »Wir stechen in See wegen der Verteidigung der Menschenrechte der Palästinenser. Dies wird von Israel als politisches und nicht als humanitäres Ziel absichtlich missdeutet.«
Am Montagnachmittag (27. Juni) verlautete aus Jerusalem, dass die israelische Marine angewiesen worden sei, die Ankunft der Hilfsflottille im Palästinensergebiet zu unterbinden. Israelische Soldaten sollten aber eine »Konfrontation mit den Menschen an Bord der Schiffe so weit wie möglich vermeiden«, hieß es in einer Erklärung von Regierungschef Benjamin Netanjahu.
In den kommenden Tagen sollen sich im Mittelmeer etwa zehn Schiffe treffen, die gemeinsam die von Israel völkerrechtswidrig verhängte Seeblockade des Gaza-Streifens durchbrechen und Hilfsgüter in das Palästinensergebiet bringen wollen. Nach Angaben der Organisatoren der Flottille vom Montagnachmittag sollen sich die Schiffe am Donnerstag oder Freitag vor der Küste der griechischen Mittelmeerinsel Kreta sammeln, um die Fahrt gemeinsam fortzusetzen. Im vergangenen Jahr war die damalige Hilfsflotte von israelischen Spezialeinheiten aufgebracht worden. Bei dem Militäreinsatz starben insgesamt neun Menschen, zahlreiche weitere, darunter auch israelische Soldaten, wurden verletzt.
Unter den Prominenten, die sich an der diesjährigen Gaza-Hilfsflottille beteiligen, ist abermals der schwedische Schriftsteller Henning Mankell. Auf der Pressekonferenz nahm Mankell Bezug auf den südafrikanischen Bischof Desmond Tutu, »der hinter uns steht«. »Tutu erlebte, was die Apartheid den Schwarzen in Südafrika antat. Und Tutu sieht, was die Israelis den Palästinensern antun. Daher sendet uns Tutu seine Unterstützung aus Südafrika.« Die US-Bürgerrechtlerin Alice Walker betonte, sie fahre nach Gaza, »weil unsere Regierung versagt hat bei den Bemühungen um die humanitären Hilfen für die Palästinenser«.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2011
Schiff der geplanten Gaza-Hilfsflotte im Hafen von Athen beschädigt
US-Regierung ruft alle Seiten zu "Zurückhaltung" auf / Unterdessen demonstriert Israel Härte **
Ein Schiff der geplanten Hilfsflottille für den Gazastreifen ist im Hafen von Athen schwer beschädigt worden. Unbekannte hätten die Schiffsschraube und die Antriebswelle des griechisch-schwedischen Passagierschiffs am Montagabend (27. Juni) abgeschlagen, sagte einer der griechischen Organisatoren der Flotte, Dimitris Plionis, der Nachrichtenagentur AFP. Er sprach von »Sabotage«. Die Aktivisten wollen demnach aber versuchen, das Schiff zu reparieren und wie geplant noch in dieser Woche in See zu stechen.
In den kommenden Tagen sollen sich im Mittelmeer rund zehn Schiffe treffen, die zusammen die von Israel durchgesetzte Seeblockade um den Gazastreifen durchbrechen und Hilfsgüter in das Palästinensergebiet bringen wollen. Nach Angaben der Organisatoren sollen sich die Schiffe am »Donnerstag oder Freitag« (30. Juni oder 1. Juli) vor der Küste der griechischen Mittelmeerinsel Kreta treffen.
Ungeachtet dessen demonstriert Israel Härte: Eine internationale Flotille mit Hilfsgütern dürfe den Gazastreifen nicht anlaufen. Das beschloss der nationale Sicherheitsrat Israels bei einer nächtlichen Sitzung, wie die »Jerusalem Post« auf ihrer Website am Dienstagmorgen berichtete. Israel sei entschlossen, »die Ankunft der Flotille im Gazastreifen zu verhindern, mit so wenig Reibung wie nur möglich mit den Passagieren dieser Schiffe«, zitierte das Blatt aus einer Mitteilung aus dem Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu. Die Schiffe lagen unterdessen noch in Athen fest.
Nach israelischen Medienberichten, basierend auf Angaben aus Regierungskreisen, wurden einige der Aktivisten mit Chemikalien ausgerüstet, mit denen israelische Soldaten am Entern der Schiffe gehindert werden sollten.
Die US-Regierung rief unterdessen alle Seiten zu »Zurückhaltung« auf, um eine Wiederholung der tragischen Vorfälle von 2010 zu vermeiden. Israel habe zwar das Recht, sich gegen Waffenschmuggel zur Wehr zu setzen, sagte Außenamtssprecherin Victoria Nuland am Montag in Washington. Die US-Regierung hoffe aber darauf, »dass es nicht zu der gleichen Situation wie im letzten Jahr kommt«. Die Aktion sei »gefährlich« und »provokant«. Am 31. Mai des vergangenen Jahres hatten israelische Soldaten die Schiffe eines Hilfskonvois für den Gazastreifen gestürmt und neun türkische Aktivisten erschossen.
** Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2011
Es gibt eine humanitäre Krise
Die Menschen in Gaza erleiden in vielerlei Hinsicht Mangel
Von Oliver Eberhardt ***
Seit Jahren streitet Israel darüber, ob es im Gaza-Streifen eine humanitäre Krise gebe. Dabei zeigen die Zahlen der Experten deutlich: Es gibt sie.
Das Schifa-Hospital in Gaza-Stadt war einmal ein Modell dafür, wie ein Krankenhaus zu funktionieren hat: Im Ausland ausgebildete, oft hoch spezialisierte Ärzte behandelten ihre Patienten mit moderner Technik. Die Ärzte sind geblieben. Doch behandeln können sie ihre Patienten kaum noch. Seit Israel den Gaza-Streifen im Sommer 2006 abgeriegelt hat, wird darüber gestritten, ob es in dem dicht besiedelten, nur 360 km² großen Landstrich eine humanitäre Krise gebe – hier, im Schifa-Hospital, ist sie unübersehbar. »Die Leute hungern nicht direkt; sie haben zu essen. Aber sie essen das Falsche. Und was dann mit ihnen passiert, wird erst offensichtlich, wenn sie einen Arzt brauchen – und wenn der den Leuten dann nur einen Schluck Wasser und ein paar Tipps geben kann«, sagt Krankenhaus-Sprecher Dr. Abdullah Schweiki. Denn auch dort fehlt es an allem, an Ersatzteilen für Röntgengeräte sowie an Desinfektionsmitteln für Operationssäle, Verbandsmaterial oder Medikamenten.
Im Krankenhaus treffen sich irgendwann jene, bei denen sich die gesundheitlichen Folgen der Krise zeigen: unzureichende Ernährung, Kälte- und Hitzeschäden, psychische Probleme. 27 Prozent der rund 1,7 Millionen Gaza-Bewohner seien mangelernährt, hat die Weltgesundheitsorganisation ausgerechnet, was bedeutet, dass sie ihrem Körper nicht die Stoffe zuführen, die er braucht, während der Bauch einigermaßen voll ist. Sechs Prozent seien unterernährt, würden also zu wenig Kalorien zu sich nehmen. Weitere zehn Prozent befänden sich in akuter Gefahr, innerhalb der nächsten zwölf Monate an den Folgen von Mangel- oder Unterernährung zu erkranken. Insgesamt sind laut WHO 43 Prozent der Bevölkerung ohne Zugang zu ausreichender Ernährung.
Die Ursachen sind komplex: Durch die Blockade dürfen Nahrungsmittel, aber auch medizinische Güter, nur begrenzt eingeführt werden, wobei diese Grenzen von Berechnungen der israelischen Regierung über das Existenzminium im Gaza-Streifen diktiert werden. Andere Dinge sind ganz verboten, wie Rohre, Zement, aber auch Putzmittel, weil sie zum Bau von Waffen benutzt werden könnten. Während der israelischen Angriffe Anfang 2009 wurden Infrastruktur, aber auch viele Wohnhäuser schwer beschädigt. Weil die Einfuhr von Baumaterialien und Ersatzteilen nahezu unmöglich ist, wurden diese Schäden nur notdürftig repariert. Die Folge sei, so eine Studie der New York University, dass die Menschen in schlecht isolierten Häusern der Witterung ausgesetzt sind, wodurch das Immunsystem zusätzlich geschwächt werde.
Hinzu kommt, dass die Blockade Exporte aus dem Gaza-Streifen heraus vollständig verhindert und damit der Wirtschaft die Möglichkeit nimmt, Geld einzunehmen, das wiederum für den Kauf von Waren benötigt wird. Viele konnten sich so die Einfuhr selbst erlaubter Waren nicht mehr leisten – der Gaza-Streifen wurde abhängig von Hilfslieferungen der Vereinten Nationen, die aber den Bedarf nur teilweise decken können. Daran ändert vorerst auch nichts, dass die neue ägyptische Regierung vor einigen Wochen den Grenzübergang Rafah dauerhaft öffnete. Die Grenze zwischen Ägypten und Gaza macht nur etwa ein Fünftel der Binnengrenze aus. Zu Wasser und in der Luft herrscht allein israelisches Militär, das auch den Flughafen von Gaza-Stadt zerstört hat.
*** Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2011
Erklärungen der israelischen Regierung:
ZAHAL-Sprecherin: Flottille aufhalten, Konfrontation vermeiden
Die Sprecherin der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL), Avital Leibovich, hat sich direkt an die Organisatoren der Gaza-Flottille gewandt, die offen ihre Absicht erklärt haben, in den von der Terrororganisation Hamas regierten Gaza-Streifen zu segeln.
Leibovich erläuterte, dass sich ZAHAL angesichts der langen Geschichte des Waffenschmuggels auf dem Seeweg (es handelt sich um Raketen und Munition, die letztendlich auf israelische Zivilisten abgefeuert werden) das Recht vorbehalten muss, jedes Schiff zu inspizieren, das beabsichtigt, in die Region zu gelangen. Wenn dies unterlassen wird, könnte das zur Aufrüstung von Terrororganisationen wie der Hamas und des Islamischen Jihad führen. Im März 2011 hatte ZAHAL die „Victoria“ geentert und damit den letzten Versuch des Iran aufgedeckt, Terrororganisationen mit hochentwickelten Waffen auszurüsten, die gegen israelische Zivilisten gerichtet werden.
ZAHAL kann und will diesen Schiffen nicht erlauben, die legitime Blockade zu durchbrechen und wird jede friedliche Methode nutzen, um Konfrontationen zu vermeiden.
27.06.2011
Barak zur Flottille
Verteidigungsminister Ehud Barak hat gestern (27. Juni) zu verschiedenen aktuellen Themen Stellung genommen.
Zur Gaza-Flottille erklärte der Verteidigungsminister:
„Die Flottille, die sich in jenen Tagen in den Häfen des Mittelmeers zum Auslaufen bereit macht, stellt eine überflüssige Provokation dar. Im Gaza-Streifen gibt es weder eine humanitäre noch eine sonstige Krise. Die wichtigsten Probleme in Gaza sind, dass Gilad dort weiter festgehalten wird und die Tatsache, dass dort weiterhin mehr und mehr Raketen gesammelt werden, die den Süden Israels bedrohen. Es ist unproblematisch, Waren über den Hafen Ashdod einzuführen, und im besonderen Fall der Flottille können sie auch über den Hafen von El-Arish eingeführt werden.
Deshalb rufen wir die Organisatoren der Flottille, die Teilnehmer und die Regierungen der Staaten, aus deren Häfen die Schiffe auslaufen dazu auf, diese Provokation zu beenden und nicht auch noch zu unterstützen. Ich erkläre erneut, dass ich die israelischen Verteidigungskräfte (ZAHAL) mit Rückendeckung des Kabinetts angewiesen habe, die Schiffe zu stoppen, wenn sie versuchen, hierher zu kommen. Wir werden sie vorher warnen, uns erklären, jede Möglichkeit zur Entspannung nutzen, aber im Endeffekt sollte ihnen klar sein, dass die Flottille nicht nach Gaza gelangen kann. Wir rufen daher dazu auf, die Flottille abzusagen und erklären schon jetzt, dass, wenn es doch zu einer Auseinandersetzung kommt und Schaden entsteht, die Teilnehmer und Organisatoren dafür selbst verantwortlich sind.“
Quelle: Newsletter der israelischen Botschaft in Berlin, 28. Juni 2011
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