Französische Polizeioffiziere stehen über dem Gesetz / Des policiers au-dessus des lois / POLICE OFFICERS ABOVE THE LAW IN FRANCE
Ein aufrüttelnder Report von amnesty international über Menschenrechtsverletzungen - und die Straflosigkeit der Verantwortlichen (deutsch, französisch, englisch)
Wer bei den Protesten gegen den NATO-Gipfel am 3. und 4. April in Strasbourg dabei war und die französische Polizei im Einsatz sah, hat einen eindrucksvollen Einblick in deren Gewohnheiten und Praktiken im Umgang mit Demonstranten gewinnen können. Da wurde kaum etwas ausgelassen: Tränengasgranaten in die Menschenmenge, Gummigeschosse (schon das Anlegen der großkalibrigen Gewehre auf friedliche Demonstranten verbreitet unangenehme Gefühle), Knüppelorgien und wahllose Verhaftungen waren an der Tagesordnung. Hinzu kam die demonstrative Gleichmut gegenüber dem Abfackeln von Häusern - gerade so als brauche die Staatsmacht das, um das eigene harte Vorgehen zu legitimieren.
Einen Tag vor Beginn der Anti-NATO-Proteste legte die französische Sektion von amnesty international einen Bericht vor, in dem die besonders rüden Methoden der französischen Polizei dokumentiert und angeprangert werden. Und was alles noch schlimmer macht: In Frankreich muss kein Polizist, vor allem kein Vorgesetzter fürchten, wegen Menschenrechtsvergehen und Willkür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Im Folgenden dokumentieren wir
Der gesamte Bericht kann heruntergeladen werden:
Frankreichs Flics am Pranger
Polizisten sonnen sich trotz Verfehlungen im Gefühl der Straflosigkeit
Von Ralf Klingsieck, Paris *
In Frankreich verhalten sich die Sicherheitskräfte, als ob sie über dem Gesetz stehen. Zu dieser
Einschätzung kommt Amnesty International in einem dieser Tage in Paris vorgelegten Bericht.
Polizisten in Frankreichvermitteln dem Bürger häufig ein Gefühl von Allmacht. Nach einem Bericht
von Amnesty International kommt dies daher, dass Willkürakte, Übergriffe und selbst schwere
Verletzungen von Gesetzen und Menschenrechten fast nie geahndet werden und sich die Behörden
stets schützend vor die »Ordnungshüter« stellen.
Dieser schwerwiegende Vorwurf wird von Amnesty mit Fakten, Beispielen und Zeugenaussagen
untermauert. Die Opfer sehen sich meist hilflos einer festgefügten Front gegenüber, die die Polizei
im Verein mit der Staatsanwaltschaft, den Gerichten und den zuständigen Regierungspolitikern
bildet.
»Totschlag, Prügel, rassistische Beleidigungen und der unangemessene Einsatz von Gewalt sind
nach dem Völkerrecht verboten«, heißt es in dem Bericht von Amnesty, »doch in Frankreich lösen
Anzeigen gegen solche Verletzungen der Menschenrechte oft nicht einmal eine Untersuchung aus,
und nur in den seltensten Fällen müssen sich die dafür Verantwortlichen vor der Justiz
verantworten.«
Amnesty stellt fest, dass sich damit die Situation in keiner Weise gegenüber dem Stand von 2004
verbessert hat, als ein früherer Bericht der Organistion zu diesem Thema schon zur selben
Feststellung weitgehender Straflosigkeit kam. »Doch demgegenüber muss man heute feststellen,
dass sich ein besorgniserregendes Phänomen ausbreitet: Personen, die Zeugen von Polizeiwillkür
und Gewalt geworden sind und die einzugreifen und zu protestieren versuchen, werden immer öfter
von genau diesen Polizisten wegen Aufruhrs und Widerstandes gegen die Staatsgewalt angezeigt.«
In solchen Fällen reagiere die Justiz bezeichnenderweise sehr schnell und unnachsichtig.
Opfer, die sich über Misshandlungen beschweren, werden systematisch wegen »Verleumdung«
angezeigt, und da in solchen Fällen ihr Wort nicht nur gegen das des jeweiligen Polizisten, sondern
auch noch gegen das von »Zeugen« unter seinen Kollegen steht, haben sie kaum eine Chance.
»Durch diese Praxis versucht die Polizei ein Klima der Verunsicherung zu verbreiten und all jene
abzuschrecken und einzuschüchtern, die geneigt sein könnten, gegen Menschenrechtsverletzungen
aktiv zu werden. Damit breitet sich bei der Polizei ganz offensichtlich das Gefühl der Straflosigkeit
immer noch weiter aus.«
Amnesty erkennt durchaus an, dass die Polizisten »sehr oft ernsten Gefährdungen ausgesetzt
sind«, bezweifelt jedoch, dass sie angemessen auf Spannungssituationen und Konfrontationen
reagieren. Als Beispiel wird der Tod von Hakim Ajimi angeführt, der im Mai 2008 in Grasse
(Südfrankreich) bei der Verhaftung flach auf den Boden geworfen wurde, wobei Polisten ihm die
Arme nach hinten rissen und die Knie in den Rücken stemmten, so dass er keine Luft mehr bekam
und starb.
Diese rüde Methode der »Immobilisierung« sei immer noch die Regel, obwohl Frankreich deswegen
bereits vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wurde. Da es keine klaren Anweisungen über die
erlaubte Art des Gewalteinsatzes gibt, urteilten die Richter bei Klagen gegen Polizisten meist »im
Zweifelsfall zugunsten des Amtsträgers«, schätzt Amnesty ein. »Das nährt Zweifel an der
Unvoreingenommenheit der Justiz.«
Von 663 Klagen, die 2005 von der Polizei selbst und den Gerichten behandelt wurden, führten nur
16 zur Entlassung des entsprechenden Polizisten; 2006 waren es bei 639 Klagen sogar nur acht.
Jüngere Statistiken gibt es nicht. »Unzählige Anzeigen werden von den Staatsanwaltschaften zu den
Akten gelegt und erreichen nie einen Richter«, klagt Amnesty und fordert angesichts der
offensichtlichen Verschleierungstaktik bei den polizeiinternen Untersuchungsabteilungen und der
Voreingenommenheit der Justiz ein unabhängiges Gremium. Dieses müsste über die Berufsethik
der Ordnungskräfte wachen und bei Klagen über Verstöße die Vollmacht zur Untersuchung und
Offenlegung haben.
* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2009
France. Des policiers au-dessus des lois
Communiqués de presse, 02.04.2009
Les homicides illégaux, les passages à tabac, les injures racistes et l’usage abusif de la force par les agents de la force publique sont interdits en toutes circonstances par le droit international. Or, en France, les plaintes pour ce type de violations des droits humains ne sont pas souvent suivies d’enquêtes effectives, et les responsables de ces actes sont rarement traduits en justice, affirme Amnesty International dans un nouveau rapport, qui paraît ce jeudi 2 avril 2009.
« Dans un climat où les violences policières ne sont pas toujours contrôlées, l’impunité de fait dont bénéficient régulièrement les agents de la force publique en France est inacceptable », a déclaré David Diaz-Jogeix, directeur adjoint du programme Europe et Asie centrale d'Amnesty International.
Le rapport d'Amnesty International intitulé France : des policiers au-dessus des lois condamne le fait que des mauvais traitements policiers, des injures racistes et des utilisations abusives de la force continuent d’être signalés tandis que les procédures d’enquête sur ces allégations ne sont toujours pas à la hauteur des normes requises par le droit international. L’organisation constate par ailleurs une tendance croissante à l’inculpation pour « outrage » ou « rébellion » des victimes ou des témoins de mauvais traitements commis par des agents de la force publique.
Les nombreux cas étudiés par Amnesty International dans le cadre de la préparation de ce rapport montrent que, si les victimes de mauvais traitements et d’autres violations des droits humains sont aussi bien des hommes que des femmes et appartiennent à toutes les tranches d’âge, la grande majorité des plaintes concernent des ressortissants étrangers ou des Français appartenant à une minorité dite « visible ».
« La tâche des responsables de l’application des lois en France est difficile et dangereuse, et les expose souvent à des risques importants. Il n’en demeure pas moins que, quand des fautes sont commises par la police, elles doivent faire l’objet dans les plus brefs délais d’enquêtes exhaustives, indépendantes et impartiales », a souligné David Diaz Jogeix.
« Les gens doivent pouvoir faire confiance à leur police. Or, aujourd’hui, ce n’est souvent pas le cas. Cette confiance ne sera possible que lorsque les gens verront que des mesures disciplinaires appropriées sont prises en temps voulu, et que les policiers responsables d’actes criminels sont traduits en justice selon une procédure impartiale et indépendante. Une telle confiance est aussi indispensable pour protéger la réputation de la majorité des représentants de l’ordre qui remplissent leur devoir avec professionnalisme et dans le respect de la légalité »
Certes, les plaintes déposées contre la police ne sont pas toutes fondées, mais l’écart entre le nombre de plaintes reçues et le nombre de sanctions disciplinaires prises permet de s’interroger sur l’exhaustivité et l’impartialité des enquêtes. D’après les informations limitées qu’Amnesty International a pu obtenir, sur 663 plaintes examinées par l’organe d’inspection de la police en 2005, seulement 16 ont conduit à la radiation des agents concernés ; en 2006, seules huit allégations de violence sur 639 ont abouti à une telle radiation. De très nombreuses plaintes déposées contre des agents des forces de l’ordre sont classées sans suite par le parquet avant même d’arriver jusqu’au tribunal.
« Les gens ont le droit de porter plainte mais, dès qu’il s’agit de plaintes contre des policiers, les chances d’obtenir gain de cause sont très minces. Institutionnellement, le système judiciaire favorise les agents des forces de l’ordre. Les victimes, dont beaucoup sont des ressortissants étrangers ou des Français issus de minorités ethniques, sont trop souvent privées de justice », a ajouté David Diaz-Jogeix.
Amnesty International continue d’appeler les autorités françaises à prendre des mesures pour réformer le système actuel et à créer une commission indépendante pour s’occuper des plaintes, avec des pouvoirs et des moyens suffisants pour mener des enquêtes exhaustives et efficaces.
« Les autorités françaises doivent prendre les mesures nécessaires pour que personne ne soit au-dessus des lois. Il est indispensable que le grand public ait confiance en la police », a conclu David Diaz-Jogeix.
www.amnesty.fr
PUBLIC OUTRAGE. POLICE OFFICERS ABOVE THE LAW IN FRANCE
CONCLUSIONS AND RECOMMENDATIONS
(p. 38-40)
Unlawful killings, torture and other ill-treatment are all violations of human rights prohibited
under international law in all circumstances. Allegations of such human rights violations
must be promptly, impartially, independently and effectively investigated and those
responsible should be brought to justice – on both the disciplinary and criminal level – in full
and fair proceedings. Any sanctions imposed should appropriately reflect the gravity of the
crime. Effective internal and criminal investigations are also an important means of
identifying systemic failings which facilitate misconduct, which may subsequently be
rectified. Victims of human rights violations committed by law enforcement officials should
be accorded prompt and adequate reparation from the state, including restitution, fair and
adequate financial compensation, appropriate medical care and rehabilitation, and
guarantees of non-repetition.
Amnesty International’s research has highlighted the existence of significant weaknesses and
failings in the current system of investigating allegations of human rights violations by law
enforcement officials in France. Neither the criminal justice system, the internal police
inspectorates, nor the CNDS fully satisfies the requirements of international law and
standards for prompt, impartial, independent and effective investigations. Consequently,
Amnesty International continues to call on the French authorities to take steps to reform the
current systems. Amnesty International considers that the creation of an independent police
complaints commission, with greater powers and resources than those enjoyed by the CNDS,
is a crucial component of such a reform.
Amnesty International wishes to draw attention once again to its concern that although the
victims of ill-treatment and other human rights violations include both men and women and a
variety of age groups, the vast majority of complaints that have come to the organization’s
attention concern French citizens from an ethnic minority or foreign nationals. In several of
the cases highlighted in this report, racist abuse was an explicit element. This trend has also
been noted with concern by UN human rights bodies and the CNDS, and gives rise to
concerns of possible institutionalized racism within the French law enforcement agencies.
The many recommendations made by Amnesty International in its 2005 report France: The
search for justice are still relevant today. In order to focus attention here on the principle
issues addressed in the current report, what follows is a list of Amnesty International’s
recommendations on specific areas for most urgent reform.
RECOMMENDATIONS
Amnesty International calls on the French government to:
Create an independent investigatory body to examine complaints against law
enforcement officials. This body could be an enhanced version of the CNDS, or it could be a
specialised department within the office of the Defender of Rights. In either case, in order to
be effective Amnesty International considers it essential that such a body comply with the
following criteria:
-
Be mandated to investigate all allegations of serious human rights violations by
law enforcement officials, including deaths in custody, killings (including fatal
shootings), torture, racism and other cruel, inhuman or degrading treatment.
- Have the capacity to receive, register and investigate complaints filed directly
by any individual, and to investigate incidents on its own initiative, absent any
specific complaint.
- Have all necessary powers, authority and resources to conduct investigations
into alleged human rights violations by law enforcement officials, including:
-
the power and resources to immediately examine the scene of the
incident;
- the power to summon witnesses and to order the production of
evidence and documents – the use of these powers must never
result in criminal charges of “false accusation” or “moral harm”
against complainants;
- the power to monitor police investigations in the course of any
criminal investigation into a case referred for prosecution by the
independent body;
- the power to supervise or direct the investigations of the IGPN,
IGS or IGN when considered necessary, and the power to replace
the investigative functions of the IGPN, IGS or IGN in cases of
serious human rights violations.
- Be adequately staffed and headed by professionals of acknowledged
competency, impartiality, expertise, independence and probity, who are not
members of the law enforcement agencies or the public prosecution. It should have at its disposal its own corps of independent expert investigators to investigate complaints.
- Have the power to refer a case directly to the prosecuting authorities for
criminal prosecution where appropriate and the power to appeal any decision made
by the prosecution authorities to a court (including decisions to suspend or close
investigations, and decisions on sentencing).
- Have the power to order disciplinary proceedings to be instigated and the power
to require the disciplinary body to report back to the complaints body on the result
of disciplinary proceedings.
- Have the power to make binding decisions that apologies should be granted or
criticisms made, and the power to recommend adequate compensation be paid to
victims.
- Be made widely known, including through publicity in police stations.
Amnesty International calls on the Minister of Interior to:
Refrain from making public statements indicating views of the veracity of a complaint
against a law enforcement official while the investigation and any prosecution or disciplinary
proceedings are pending, in order to avoid any perception of bias.
- Collect and publish regular, uniform and comprehensive statistics on complaints about
misconduct, including human rights violations, by law enforcement officials. These figures
should include: information on the number of complaints of ill-treatment, the steps taken in
response to each complaint, the outcome of any criminal and disciplinary investigations,
statistics on allegations of racist abuse, and statistics on the national and ethnic origin of
complainants.
- Prohibit the use of dangerous restraint techniques and develop and effectively
implement, through initial and ongoing training, protocols and guidelines on the appropriate
use of force and restraint techniques which are fully consistent with international human
rights standards including the European Convention on Human Rights, the International
Covenant on Civil and Political Rights, the UN Convention Against Torture, the UN Code of
Conduct for Law Enforcement Officials and the UN Basic Principles on the Use of Force and
Firearms by Law Enforcement Officials.
- Authorize and ensure the publication in full of all annual reports of the internal
inspectorates of the law enforcement agencies (IGS, IGPN and IGN). These should be made
readily available to the public, for example, via the web page of the Ministry of Interior.
Amnesty International calls on the public prosecutor and investigating judges to:-
Conduct prompt, thorough and impartial investigations wherever there is reasonable
ground to believe that law enforcement officials may have committed a human rights
violation.
- Ensure that where complaints are filed by a detainee alleging human rights violations by
law enforcement officials and simultaneously by law enforcement officials alleging outrage or
rebellion, neither complaint is used to undermine the investigation of the other.
Complainants should receive protection from any form of intimidation or reprisal.
- Refrain from making public statements indicating views of the veracity of a complaint
against a law enforcement official while the investigation and any prosecution proceedings
are pending, in order to avoid any perception of bias.
- Ensure proper implementation of the provisions on racist motivation as an aggravating
factor in specified offences.
Amnesty International calls on the law enforcement agencies to:
- Ensure that information on internal investigation procedures, including how to make a
complaint about police misconduct, is readily available to the public (including at police
stations, town halls, and on the internet).
- Develop training and sensitization on intercultural relations for law enforcement officials.
- Ensure that appropriate disciplinary measures are taken against law enforcement
officials who make unfounded retaliatory arrests or bring false charges against individuals
who have made a complaint about police misconduct.
PUBLIC OUTRAGE. POLICE OFFICERS ABOVE THE LAW IN FRANCE
p. 38-40
Source: www.amnesty.org (pdf)
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