Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Überlegungen zum PKK-Verbot

Die Würde der Kurdinnen und Kurden in der BRD

Von Devriş Cimen *

Deutschland diskutiert über das PKK-Verbot: Dabei wird allerdings oft Völkerverständigung mit Staatenverständigung verwechselt. Der Bundestag debattierte kürzlich zu Recht über die Aufhebung des Verbots, gleichzeitig waren aber auch Töne zu hören wie: »Entscheidend ist doch, ob die PKK auf dieser Wegstrecke irgendwann von ihrer Agenda, die sich gegen die Völkerverständigung richtet, abgerückt ist.« Die Haltung der Mehrheit der deutschen PolitikerInnen gegenüber der ArbeiterInnenpartei Kurdistan (PKK) bleibt – nicht nur im Bundestag – größtenteils ignorant und kriminalisierend. Das PKK-Verbot hat in den letzten 22 Jahren die Mehrheit der kurdischen Community in Deutschland eingeschüchtert, diskriminiert, ausgegrenzt und darüber hinaus vielfach zu teils gravierenden Menschenrechtsverletzungen geführt. Es wird vorerst wohl auch weiterhin ein Instrument der herrschenden Politik in der Bundesrepublik bleiben.

Die Debatte über einen Antrag der Linksfraktion,[1] der die Neubewertung des 1993 vom Bundesinnenministerium verhängten Betätigungsverbots gegen die PKK beinhaltet, stimmt nachdenklich. Eigentlich ist das Verbot ein »Anachronismus« und gehört aufgehoben. Sämtliche Fraktionen außer der Linken stimmten am 26. Februar 2015 aus »sicherheitspolitischen Aspekten« gegen den Antrag, ohne der Entwicklung der Organisation in den letzten dreißig Jahren in irgendeiner Form ernsthaft Rechnung zu tragen. Der kontinuierliche Einsatz für Demokratie, Frieden und Menschenrechte soll dem Willen der Abgeordneten zufolge auch weiter kriminalisiert werden.

Im Antrag der Linksfraktion heißt es u. a.: »Die politischen Veränderungen in der Türkei und der Nahostregion sowie die Entwicklung der PKK und der ihr nahestehenden Organisationen in Deutschland erfordern eine Neubewertung der PKK. (...)

Der Bundestag hält die Einstufung der PKK als terroristische Organisation durch die EU angesichts laufender Friedensverhandlungen mit dem türkischen Staat und der herausragenden Rolle der PKK und ihr nahestehender Milizen bei der Bekämpfung des terroristischen IS im Irak und Syrien für unzeitgemäß und realpolitisch kontraproduktiv. Die EU hat sich so selbst die Hände gebunden, im Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK vermittelnd eingreifen zu können.

Der Bundestag begrüßt die laufenden Bemühungen der türkischen Regierung und der PKK um eine Lösung der kurdischen Frage auf dem Verhandlungsweg und ermutigt beide Seiten zu einer konstruktiven Fortsetzung dieses stockenden Prozesses. Eine Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste können dazu beitragen, einen Dialog der Konfliktparteien auf Augenhöhe zu ermöglichen. Dies würde das friedliche Zusammenleben und die Demokratie in der Türkei stärken.«

Ulla Jelpke sprach für den Antrag im Namen der Fraktion DIE LINKE: »Wer die Kurden im Nahen Osten als Partner umwirbt, sollte ihnen auch in Deutschland die Hand zum Dialog reichen. Deswegen muss das PKK-Verbot endlich aufgehoben werden.«[2] Die Politikerin forderte zudem die Streichung der Partei von der »EU-Terrorliste«. VertreterInnen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sprachen sich dagegen in der Debatte für die Aufrechterhaltung der kriminalisierenden Verbotspraxis aus. Für die Bündnisgrünen, die sich in der Fraktion nicht einig waren, äußerte sich ihre innenpolitische Sprecherin Irene Mihalic, auch sie gegen eine Aufhebung des PKK-Verbots.

Sicherheitspolitische Zusammenarbeit und Waffenbrüderschaft mit der Türkei

Die Haltung der CDU/CSU, SPD sowie Bündnisgrünen steht im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs der letzten Jahre und Monate. Deshalb ist es wichtig, den Hintergrund für die Ablehnung zu erkunden. In der 1993 veranlassten Verbotsbegründung wird die PKK als ein Störfaktor in den türkisch-deutschen Beziehungen gebrandmarkt: »Der Grad der Beeinträchtigung der außenpolitischen Beziehungen ist durch zahlreiche Demarchen (diplomatische Schreiben) der türkischen Regierung sowie dadurch deutlich geworden, dass die türkische Seite bei allen politischen Spitzengesprächen der letzten Zeit ... den Vorwurf erhoben hat, die Bundesregierung dulde PKK-Aktivitäten auf deutschen Boden und kontrolliere sie nicht oder nur mangelhaft. Die Türkei trägt im einzelnen vor, die Propagandatätigkeit in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen.«[3] Und entsprechend versuchte man seitens der Bundesregierung, derartigen Vorwürfen mit dem Verbot der PKK zu begegnen. Denn »die deutsche Außenpolitik und die Außenpolitik der gesamten westlichen Welt tritt für diese Integrität eines wichtigen Nato-, WEU – und Europaratspartners im Interesse des Friedens in der gesamten Region ein. Eine weitere Duldung der PKK-Aktivitäten in Deutschland würde diese deutsche Außenpolitik unglaubwürdig machen und das Vertrauen eines wichtigen Bündnispartners, auf das Wert gelegt wird, untergraben.«

Also war und ist auch heute noch die Einschätzung und »Klassifizierung« der PKK wesentlich von den türkisch-deutschen Beziehungen abhängig und nicht von der eigenen Meinungsbildung. Die Legitimität des Widerstands gemäß der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN« spielt deshalb keine zentrale Rolle. Der türkische Staat betreibt seit seiner Gründung eine systematische, rassistische und assimilierende Unterdrückungs- und Kolonialpolitik gegenüber der kurdischen Bevölkerung. Folter, Kriegsverbrechen, Sprachverbote, willkürliche Inhaftierungen, extralegale Hinrichtungen usw. sind an der Tagesordnung. Deshalb ist es legitim, »als letztes Mittel zum Aufstand gegen Tyrannei und Unterdrückung zu greifen«[4]. Bei der Tyrannei und Unterdrückung des türkischen Staates gegenüber den KurdInnen handelt es sich offensichtlich um Staatsterrorismus. Der Widerstand der PKK ist also nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten legitim.

Anstatt nun aber die türkischen Regierungen wegen der Missachtung internationalen und nationalen Rechts und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN zur Rechenschaft zu ziehen und sie zur Demokratisierung zu bewegen, werden sie international weitgehend kritiklos geduldet und oftmals sogar in ihrem undemokratischen und menschenfeindlichen Vorgehen unterstützt. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches war der kurdischen Bevölkerung bei der Aufteilung des Nahen Ostens im Vertrag von Sèvres u. a. von Großbritannien und Frankreich versprochen worden, auf ihre Rechte zu achten. Doch im 1923 unterzeichneten Vertrag von Lausanne wurden die kurdischen Siedlungsgebiete auf vier Staaten verteilt: Türkei, Irak, Iran und Syrien. Dort haben die KurdInnen seitdem in unterschiedlicher Ausprägung unter bisweilen blutiger, rassistischer Unterdrückung und Kolonialisierung gelitten. Für ihren Widerstand gegen diese systematische Unterdrückung haben sie in allen vier Ländern – vor allem in der Türkei – einen hohen Preis bezahlt.

Die Ankündigung der damaligen türkischen Ministerpräsidentin Tansu Çiller, die PKK »auszulöschen«, begleitete die Kohl-Regierung 1993 dadurch, dass sie dem NATO-Partner Türkei das Verbot der Partei zum Geschenk machte. Die damals regierungsnahe türkische Tageszeitung »Hürriyet« titelte dementsprechend »Danke schön, Herr Kohl«.

Bekanntlich hatte diese Geste einen strategisch-politischen Hintergrund. Neben der NATO-Partnerschaft war die Türkei bereits seit Ende der 1950er umfangreich finanziell und militärisch von Bündnispartnern unterstützt worden. Westdeutschland wurde für die Türkei der wichtigste Waffenlieferant nach den USA und ließ auch in der Hochphase des Krieges zwischen der türkischen Armee und der PKK nicht davon ab. Im Gegenteil verschenkte die Bundesregierung aus Restbeständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR an die Regierung Çiller u. a.: 300 Infanterie-Panzer vom Typ BTR-60, mehrere Millionen Patronen für die BTR-60-Panzer, über 250.000 Kalaschnikow-Gewehre, 100.000 Panzerfäuste, 800 LKW, 200 Bomben für Raketen. Förderung einer menschenrechtsfeindlichen Politik

In jahrzehntelangen gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der PKK-Guerilla wurden von türkischem Militär und »Sicherheitskräften« laut Menschenrechtsorganisationen [5] 3 500 kurdische Dörfer zerstört und entvölkert, 4,5 Millionen KurdInnen vertrieben; etwa 1 Million von ihnen sind anschließend ins Ausland geflohen, überwiegend nach Europa. Mehr als 17 000 Morde wurden von »unbekannten Tätern« begangen. Mittlerweile wurden hunderte Massengräber entdeckt, zehntausende Fälle von Folter und tausende extralegale Hinrichtungen dokumentiert. Auch diejenigen, die Waffen oder Munition lieferten und die Türkei finanziell förderten, sind für diese menschenrechtsverletzende Politik mitverantwortlich. Insbesondere die NATO-Partner unterstützten die Türkei politisch, strukturell und militärisch sowie durch Waffenlieferungen.

»Insgesamt erhält die Türkei seit Mitte der 60er Jahre massive Rüstungshilfen aus Deutschland, darunter Unterstützung für den Ausbau der Waffenindustrie. Die Lieferungen setzen sich aus staatlichen Unterstützungen und kommerziellen Rüstungstransfers zusammen. (...) Die Türkei produziert mit deutschen Lizenzen G3-Sturmgewehre der schwäbischen Firma Heckler & Koch, MP5-Maschinenpistolen derselben Firma und das Maschinengewehr MG3 von Rheinmetall. So ist es nicht verwunderlich, daß jene Waffen auf fast allen Bildern von Militärs in der Türkei zu identifizieren sind. Der naheliegende Schluß, daß diese Waffen auch für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden, hat die Bundesregierung jedoch nicht davon abgehalten, der Türkei Anfang der 90er Jahre zusätzlich noch einmal mindestens eine Viertelmillion ‚Kalaschnikow'-Maschinenpistolen samt der dazugehörigen Munition aus Restbeständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen DDR zu schenken – genug, um eine ganze Armee auszurüsten. (...) Angesichts der Verwendung solcher Waffen bei Morden und Mißhandlungen an Zivilisten fordert amnesty international alle Regierungen auf, keine Schnellfeuergewehre oder ähnliche automatische oder halbautomatische Waffen an die Türkei zu liefern und auch keine Vergabe von Produktionslizenzen zu genehmigen«, beschrieb 1996 amnesty international in der Veröffentlichung »Deutsche Waffen und die Menschenrechte«.[6]

Völkerverständigung und »schizophrene Reflexe«

Kommen wir nochmals auf die PKK-Verbots-Begründung von 1993 zurück. Darin heißt es u. a: »Die PKK/ERNK richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung.« Und ohne Verbot würde »das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland« gestört.

In der Bundestagsdebatte griff der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger erneut das Thema Völkerverständigung auf: »Entscheidend ist doch, ob die PKK auf dieser Wegstrecke irgendwann von ihrer Agenda, die sich gegen die Völkerverständigung richtet, abgerückt ist. Dazu gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2012 – das ist also noch nicht so lange her –, in dem festgestellt wurde, dass sich die PKK von ihrer Ideologie und ihrer Agenda her unverändert gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet.«

Die PKK hat seit 1993 wiederholt einseitige Waffenstillstände ausgerufen und ist die treibende Kraft im derzeitigen Friedensprozess mit der Türkei. Sie rettet ÊzîdInnen und weitere Volks- und Religionsgruppen vor dem Islamischen Staat (IS) und steht für das respektvolle Zusammenleben aller Menschen im Mittleren Osten. In Anbetracht dessen erscheinen die Äußerungen Herrn Binningers zur Völkerverständigung recht weit hergeholt. Niemand kann uns oder andere davon überzeugen, dass Waffenexporte und eine bedingungslose Waffenbrüderschaft mit der Türkei oder die Schenkung von Restbeständen aus der NVA in der Hochphase eines Bürgerkriegs zur Völkerverständigung beigetragen haben. Ganz im Gegenteil: Waffenproduktion und -export in Deutschland dient dem Morden. Nach unzähligen Massakern, Chemiewaffeneinsätzen und Kriegsverbrechen gegen die KurdInnen möchte Herr Binninger uns zum Thema Völkerverständigung belehren? Der Grünen-Politiker Christian Ströbele fragte letztes Jahr, als über die Waffenlieferung an die Peschmerga diskutiert wurde, ob es nicht »schizophren oder pervers« sei, »die PKK einerseits zu loben und sie auf der anderen Seite hier strafrechtlich zu verfolgen«.

Der Koalitionsvertrag und der Gesellschaftsvertrag von Rojava

In ihrem Koalitionsvertrag bringt die Große Koalition ihre Unterstützungsbemühungen für den Mittleren Osten zum Ausdruck: »Wir beobachten mit großer Sorge, dass die Lage der Christen und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten in Nordafrika, dem Nahen oder Mittleren Osten nach dem Sturz der autoritären Regime sich zum Schlechteren entwickelt. Auch deshalb werden wir die Entwicklung von pluralistischen Gesellschaften, in denen Religionsfreiheit garantiert und umgesetzt wird, dort mit aller Kraft unterstützen. Christen müssen in dieser Region eine Zukunft haben.«[7]

Das ist ja an sich positiv. Eine Umsetzung dieser Vorstellungen findet in Rojava (Nordsyrien) statt, das oft mit der PKK assoziiert wird. Denn der Gesellschaftsvertrag von Rojava [8] wird mit großer Überzeugung von ChristInnen mitgetragen und führt in vorbildlicher Weise zur Völkerverständigung zwischen sämtlichen dort lebenden Volks- und Religionsgruppen. Sollten die Versprechen im Koalitionsvertrag ernst gemeint sein, dann sollte mensch 1. Rojava viel stärker unterstützen und 2., wie Ulla Jelpke betonte, »ihnen [den KurdInnen] auch in Deutschland die Hand zum Dialog reichen. Deswegen muss das PKK-Verbot endlich aufgehoben werden.«

Strafbare Aussagen?

Wer sich schon länger mit dieser Thematik auseinandersetzt, weiß, dass selbst die PolitikerInnen im Bundestag in Bezug auf das PKK-Verbot zutiefst widersprüchlich sprechen und handeln. Dem Verbot zufolge wäre zum Beispiel die Aussage des CDU-Fraktionsvorsitzenden Kauder »zu überlegen, ob man gegen die Angriffe des IS auch die PKK bewaffnen soll«, strafbar. Interessant auch MdB Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) am 9. September 2014 im Bundestag: »Ich habe zwei Fragen, damit wir den Sachverhalt im Zusammenhang mit den §§ 129a und 129b Strafgesetzbuch klären. Würden Sie zustimmen, dass jede Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und jede Unterstützungshandlung wie Geldsammlungen oder Rekrutierungshandlungen nach dem bestehenden Recht selbstverständlich strafbar sind? Würden Sie mir vielleicht auch darin zustimmen, dass wir im deutschen Recht nicht nur das Werben oder Sympathiebekundungen für ISIS unter Strafe stellen können, sondern das abstrakt für alle terroristischen Vereinigungen machen müssen? Und was machen wir dann mit dem Satz, den wir dann der politischen Beurteilung und Artikulation entziehen: ‚Wir sind dankbar dafür, dass die syrische PKK die Jesiden aus der Hand der ISIS befreit hat.'? Die PKK ist eine verbotene Terrororganisation. Das, was ich gerade im Zusammenhang mit den Jesiden gesagt habe, wäre nach Ihrem Vorschlag eine strafbare Aussage. Ich meine, Ähnliches hier im Hause schon gehört zu haben.«[9] Daraufhin tauschten der CDU/CSU-Politiker Stephan Mayer und Volker Beck über Minuten ihre »Gedanken« und »Ängste« aus, ohne wirklich zu einer Schlussfolgerung zu kommen, die weiterhelfen könnte.

Auch weiterhin sollen Sympathiebekundungen oder die Unterstützung für die PKK strafrechtlich verfolgt werden. Es bleibt weiterhin so, wie Ulla Jelpke sagte, dass ein Großteil der fast eine Million KurdInnen in Deutschland sich infolge des PKK-Verbots »von Grundrechtseinschränkungen und Kriminalisierung, von Diskriminierung, Ausgrenzung und Misstrauen betroffen« sehen. Denn wie sie richtigerweise ausführte, ist es »nach über 20 Jahren an der Zeit, Bilanz zu ziehen und den Weg des Dialogs zu gehen. Zu den Folgen des Verbots gehören Tausende Strafverfahren, Razzien, Vereins- und Versammlungsverbote. Allein in den letzten zehn Jahren gab es bundesweit 4 500 Straftaten mit PKK-Bezug.«

Der § 129b ist absurd und viele AnwältInnen und ExpertInnen halten ihn darüber hinaus auch für verfassungswidrig. Nicht eine konkrete Straftat, sondern lediglich Sympathiebekundungen oder die Zuordnung zur PKK werden strafrechtlich verfolgt – zudem noch auf Einschätzung und Anweisung der Exekutive. Die Aufhebung der Immunität von MdB Nicole Gohlke, weil sie auf einer Demonstration die Fahne der verbotenen ArbeiterInnenpartei Kurdistan PKK hochgehalten hat, ist ein gutes Beispiel für die Absurdität der Regelungen. Nicole Gohlke wollte mit dem Zeigen der Fahne auf genau dieses willkürliche Verfahren hinweisen. Während die türkische Regierung inzwischen mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan verhandelt, halten einige Bundesländer, u. a. Berlin, an einer überholten Dämonisierung fest, indem sie das Tragen von Porträts Abdullah Öcalans auf Demonstrationen verbieten. Es ist absurd, dass sich deutsche Gerichte mit Fragen wie denen beschäftigen, wie viele Porträts Abdullah Öcalans auf einer Demonstration mitgeführt werden dürfen oder »welche Farbe das Hemd von Öcalan auf mitgeführten Plakaten oder T-Shirts haben darf«. Sind es nämlich die falschen Farben, könnten Plakate oder T-Shirts in ihrer Gesamtanmutung an die verbotene PKK-Fahne erinnern, was nach herrschender Gesetzeslage wiederum ein Grund für polizeiliche »Zugriffe« und Strafverfolgung sein kann. Es ist auch absurd, dass mehrere KurdInnen wegen ihres Einsatzes für die Menschenrechte und Frieden hier in der BRD gemäß § 129b zu bis zu sieben Jahren verurteilt wurden, ohne eine Straftat begangen zu haben – nur weil sie vermeintlich der PKK angehören.

Dass im Bundestag die kleinsten Diskussionen über die PKK (wie z. B. bei der Debatte über Nicole Gohlke) zu unkollegialem Umgang der Fraktionen miteinander führen, ist nicht verwunderlich. Solange die Hintergründe des Widerstands der PKK und der KurdInnen vertuscht werden, solange das systematische Unrecht der türkischen Regierungen geleugnet und die PKK als terroristisch und kriminell gebrandmarkt wird, so lange muss der Umgang mit dem Konflikt und der sich damit auf undifferenzierter Grundlage Beschäftigenden untereinander absurd bleiben. Das kann dann wie von Christian Ströbele als »schizophren oder pervers« bezeichnet werden.

Das PKK-Verbot und die damit zusammenhängende Kriminalisierung führen dazu, dass kurdischstämmige Menschen in der BRD ihre politische Meinung verschweigen oder aufgeben müssen. Dabei bleibt es, auch wenn der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger in der Debatte über den Antrag der Linksfraktion völlig fern der Realität behauptet, dass von den rund 800 000 in Deutschland lebenden KurdInnen »bestimmt 95 Prozent keine Beziehung zur PKK« hätten und diese Menschen dann in ihren Rechten und ihrer Meinungsfreiheit überhaupt nicht eingeschränkt wären. Es bleibt dabei, auch wenn der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch in derselben Debatte sagt, es ginge nicht um die Situation der mehr als 800 000 KurdInnen in Deutschland und auch nicht um die Situation der KurdInnen in der Türkei, sondern nur um die Frage, »wie die PKK heute zu Gewalt als Mittel des politischen Kampfes steht«. Und es bleibt auch dabei, wenn für die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic »allein der Kampf der PKK gegen den gemeinsamen Feind ›Islamischer Staat‹« nicht für eine Aufhebung des Verbots ausreicht und sie für dessen Erhalt plädiert. Denn die Bundesregierung müsse »präzise beantworten«, welche positiven und negativen Auswirkungen das PKK-Verbot habe. »Natürlich darf die PKK von uns Offenheit für Veränderungen erwarten. Aber ich finde, wir dürfen von der PKK auch echte Bemühungen und tatsächlichen Gewaltverzicht verlangen«, so die Grünen-Politikerin. Die Hintergründe des Konfliktes und die Betrachtung der völkerrechtlichen Komponenten blenden die genannten PolitikerInnen aus – auch dass es der türkische Staat ist, der seit Jahren systematisch alle Friedensbemühungen der PKK unterminiert. Dadurch verhindern die PolitikerInnen eher eine sachliche Annäherung an das Thema und die Entspannung des Konfliktes durch dialogfördernde Schritte in der BRD.

Damit die PKK bei etwaiger Anerkennung der Rechte der KurdInnen durch die türkische Regierung auf Gewalt verzichten kann, müsste der Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat, Abdullah Öcalan und der PKK erfolgreich verlaufen und die Regierung Erdoğan/Davutoğlu endlich ernsthafte Schritte unternehmen, anstatt erneut den Einsatz des Militärs gegen die PKK zu forcieren. Es wird auch weiterhin Verfahren gegen KurdInnen in der BRD geben, die sich mit der Bewegung solidarisieren oder mit ihr arbeiten, die sich am meisten für ihre Rechte und Freiheit einsetzt. Das sollte uns klar sein.

Was aber sollten in diesem Fall die politischen EntscheidungsträgerInnen tun?

Sie sollten dafür sorgen, dass Artikel 1 des Grundgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland auch für die Mehrheit der KurdInnen gilt. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie die Bindung der staatlichen Gewalt an die weiteren Grundrechte sollte auch den KurdInnen garantiert werden. Das wäre das Mindeste, was zu erwarten ist. Wenn die Würde der Menschen verletzt wird, haben alle anderen Gesetze auch keinen wirklichen Sinn. Denn der Wunsch nach Freiheit und Würde ist untrennbar miteinander verbunden.

Fußnoten:
  1. Drucksache 18/3575 (http://dip.bundestag.de/btd/18/035/1803575.pdf)
  2. Plenarprotokoll 18/88, 26.02.2015, S. 8369 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18088.pdf)
  3. Zitiert nach: Dr. Jürgen Schneider, Rechtsanwalt, Zur aktuellen Diskussion über die Aufhebung des „PKK-Verbots" (http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2014/11/15.htm)
  4. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf)
  5. Dokumentation über die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei der letzten Jahre in Zahlen (http://www.civaka-azad.org/wp-content/uploads/2012/12/Menschenrechtsverletzungen.pdf)
  6. Deutsche Waffen und die Menschenrechte, amnesty international, ai-Journal Dezember 1996 (http://www.amnesty.de/umleitung/1996/deu05/064?lang=de%mimetype%3Dtext/html)
  7. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, S. 172 (http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile)
  8. Der Gesellschaftsvertrag von Rojava (http://civaka-azad.org/wp-content/uploads/2014/03/info7.pdf)
  9. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/49, 09.09.2014, S. 4494 (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18049.pdf)
* Aus: Kurdistan-Report, online-Ausgabe 179/2015; www.kurdistan-report.de


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