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Ort des Grauens

In Berlin wird das Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" wiedereröffnet

Von Frank Brunner *

Bereits kurz nach der Machtübertragung an Hitler und die NSDAP sprach Heinrich Himmler Klartext. »Wir wissen, daß nur der Gegner nicht schadet, der tot und vernichtet ist«, sagte der »Reichsführer-SS« am 11. Juni 1933 vor SS-Leuten in Frankfurt/Main. Zu hören ist seine Rede in der Ausstellung »Topographie des Terrors«, die ab dem heutigen Freitag auf dem Gelände des früheren Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in Berlin-Mitte zu sehen ist. Er freue sich, daß das Dokumentationszentrum nach einer »langen Zeit der Irrungen und Wirrungen« nun wiedereröffnet wird, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Donnerstag (6. Mai) vor Pressevertretern.

Doch bevor Wowereit die neue Gedenkstätte würdigte, widmete er sich der jüngeren Vergangenheit. »Wir stellen uns der Geschichte, besonders vor dem Hintergrund, daß in dieser Stadt erst vor wenigen Tagen Neonazis aufmarschiert sind«, so der Politiker mit Blick auf eine NPD-Demonstration am 1. Mai. Ausdrücklich verteidigte er Straßenblockaden von Antifaschisten, die etwa 700 Rechten den Weg versperrt hatten. Er sei stolz drauf, »daß Bürger und herausragende Repräsentanten der Politik die Neonazis gestoppt haben«, erklärte Wowereit und stellte sich damit auch hinter Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Der hatte an einer Blockade teilgenommen und war daraufhin von Polizei und CDU sowie Teilen der eigenen Partei scharf kritisiert worden. Auch die aktuelle »Topographie des Terrors« sei vor allem der Verdienst von engagierten Menschen, betonte der Bürgermeister.

Tatsächlich war die Geschichte des Ortes, an dem sich zwischen 1933 und 1945 die Zentralen von Gestapo, SS und Sicherheitsdienst befanden, lange Zeit in Vergessenheit geraten. Dabei planten hier Himmler und RSHA-Chef Reinhard Heydrich den Mord an sechs Millionen Juden, folterten die Nazis in den Kellern mehr als 15000 Menschen. Bis 1956 wurden die im Westteil der Stadt gelegenen Gebäude abgerissen; seit 1987 existierten nur provisorische Ausstellungen. Die Arbeiten an einem ersten Komplex wurden 1999 wegen explodierender Kosten eingestellt, der halbfertige Bau 2004 abgerissen und das Projekt nochmals ausgeschrieben. Erst 2007 begannen erneut die Arbeiten für das insgesamt 38,5 Millionen Euro teure Vorhaben. Eine »lange Phase der Improvisation« gehe jetzt zu Ende, so Stiftungsdirektor Andreas Nachama gestern.

Der schlichte Neubau aus Glas und Beton bietet Platz für Ausstellungen, Seminarräume, Bibliothek und ein Archiv. Im Mittelpunkt steht eine Dauerausstellung, die vor allem die Täter des »Dritten Reiches« beleuchtet. Auf 800 Quadratmetern zeigen die Kuratoren Fotografien und Informationstafeln über NS-Organisationen, Festnahmeprotokolle der Gestapo und präsentieren Biographien von SS-Mitgliedern. Erschütternd sind historische Ton- und Videoaufnahmen, die das Grauen der Nazi-Ära nachzeichnen. So dokumentiert der Film eines Wehrmachtssoldaten, wie SS-Männer im Sommer 1941 Juden im lettischen Ort Liepaja erschießen. 3000 Menschen starben allein bei diesem Verbrechen. Die Drahtzieher kamen fast alle davon. Von den etwa 7000 Mitarbeitern im Reichssicherheitshauptamt klagte die bundesdeutsche Justiz gerademal 16 an; nur drei der Beschuldigten wurden verurteilt. Die Strafe vollständig absitzen, mußte keiner der Täter.

* Aus: junge Welt, 7. Mai 2010


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