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Unausgegorene Gedankenspiele oder strategischer Plan?

Der Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion, einen Nationalen Sicherheitsrat nach US-Vorbild einzurichten, ist auf überwiegende Ablehnung gestoßen. Pressestimmen


Hier geht es zu unserer Dokumentation: EINE SICHERHEITSSTRATEGIE FÜR DEUTSCHLAND
Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6. Mai 2008 (Im Wortlaut)



Albträume aus dem Kanzlerbunker

Union will Nationalen Sicherheitsrat heute beschließen / Kritik der SPD moderat

Von Jürgen Elsässer *


Am 16. Oktober 2012 trat der Nationale Sicherheitsrat zu einer Eilkonferenz zusammen. Bundeskanzler Roland Koch hatte die wichtigsten Minister, die Chefs der Geheimdienste und den Generalstabschef in den Atombunker unter dem Reichstag geladen und präsentierte die neuen Luftaufnahmen des Satellitensystems Galileo aus Kaliningrad: In der russischen Enklave an der Ostsee waren Mittelstreckenraketen vom Typ SS-46 stationiert worden, laut Auskunft der CIA mit achtfachen Nuklearsprengköpfen bestückt. Der Kreml hatte jede Stellungnahme verweigert und die NATO bezichtigt, durch die Aufstellung von Cruise Missiles im Neumitgliedstaat Georgien »den Weltfrieden in unerträglicher Weise zu gefährden«. »Die Uhr tickt«, betonte ein sichtlich erregter Bundeskanzler in der Aussprache. »Wir müssen mit unseren Abwehrraketen die SS-46 ausschalten, bevor es zu spät ist.« Außenminister Jürgen Trittin sprach von »Hysterie« und forderte eine Sondersitzung des Bundestages. »Das geht nicht mehr«, antwortete Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan lapidar. »Zu ihrer persönlichen Sicherheit« seien alle Abgeordneten bereits auf den US-Stützpunkt Ramstein gebracht worden.

Eine Zukunftsgeschichte? Nur zum Teil. 50 Jahre vorher, im Oktober 1962, hatte sich die Kuba-Krise nach demselben Muster zugespitzt. US-Satelliten hatten sowjetische Raketen auf der Zuckerinsel entdeckt, John F. Kennedy berief das Executive Committee des Nationalen Sicherheitsrates ein. In der Stunde der Gefahr schien keine Zeit mehr für Beratungen und Abstimmungen im Kongress, alle Macht lag bei der Exekutive. Die Falken im Beraterstab plädierten mehrheitlich für Luftangriffe oder gar für eine Bodeninvasion. Da zog der Präsident die Notbremse und einigte sich mit seinem sowjetischen Amtskollegen Nikita Chrus-tschow in letzter Minute auf beiderseitige Abrüstung. Der Dritte Weltkrieg war verhindert worden, weil der einsame Mann an der Staatsspitze klüger war als der Nationale Sicherheitsrat. Die gewählten Volksvertreter jedenfalls hatten nie etwas zu melden gehabt.

Wie ein Bundeskanzler Koch im Falle eines Falles wohl entscheiden würde? Und eine Bundeskanzlerin Angela Merkel? Die bekundete jedenfalls gestern ihre »grundsätzliche Zustimmung« zur neuen »Sicherheitsstrategie für Deutschland«, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am heutigen Dienstag verabschieden will. Kernelemente sind die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates nach US-Vorbild und die Installation eines sogenannten Raketenabwehrschildes gegen atomare Drohungen - von wem auch immer. Angesichts der Radikalität des Vorstoßes blieb die Kritik des Koalitionspartners SPD zahm. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kritisierte, das Konzept sei »kein Weg in die Zukunft, sondern ein Weg in die Vergangenheit«. Fraktionschef Peter Struck sagte: »Die Union wird mit ihren Vorstellungen keinerlei Zustimmung von der SPD erhalten« - eine Formulierung, die üblicherweise das Kompromisseln einleitet. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sprach läppisch von einer »Theaterinszenierung« der CDU/ CSU - als wolle er Placebos an die Öffentlichkeit verteilen.

FDP-Chef Guido Westerwelle nannte die CDU-Strategie immerhin »gefährlich«, weil »hier dem regelmäßigen Einsatz der Bundeswehr im Landesinnern der Boden bereitet werden soll«. Erfreulich scharf auch der Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin, der das Unionskonzept als »Generalangriff auf die Grundrechte« bezeichnete. Strategisches Ziel des neuen Konzeptes sei es, innere und äußere Sicherheit so verschmelzen zu lassen, dass am Ende die Maßstäbe des Rechtsstaats in den Hintergrund gedrängt würden. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norman Paech, sprach von einem »Durchbruch militaristischen Denkens«. Die Vorschläge machten nur Sinn, wenn »die Bundesregierung der US-Armee in alle Winkel der Erde folgen will«. Fraktionsvize Petra Pau formulierte mit biblischer Kraft, die Union sei »vom Teufel beseelt«.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


Steinmeier beharrt auf dem Grundgesetz

Vizekanzler gegen CDU-Sicherheitsratsidee

Von René Heilig *


»Auf dem Weg zu einer europäischen Armee« sah sich die SPD-Bundestagsfraktion am Montag (5. Mai) auf einer von ihr initiierten Konferenz. Dabei erteilte Außenminister und Vizekanzler Frank Walter Steinmeier der Unionsidee zur Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates eine deutliche Absage.

Als er vor Wochen die Zusage gab, auf der Konferenz zu sprechen, habe er nicht ahnen können, dass das Interesse an deutscher Sicherheitspolitik eine solche Aufwertung erfahren würde. Damit spielte Frank Walter Steinmeier auf Pläne der Union an, deren Sicherheitsexperten wieder einmal die Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates befürworten. Steinmeier reagierte gelassen, obgleich es sich um einen wesentlichen Eingriff in bisherige Leitlinien deutscher Innen- wie Außenpolitik handelt.

Deutlich wurde er am Ende dann doch: Das Grundgesetz habe »aus historischen Gründen eine andere Verantwortlichkeit für außen- und sicherheitspolitische Belange vorgesehen«. Steinmeier räumte ein, dass die bislang praktizierte Methode »mühsamer, weil transparenter« sei. Doch warnte er: »Hüten wir uns vor dem Schluss, dass das Hineinzwingen aller Bereiche der Sicherheitspolitik in nur eine Hand schon das Ergebnis ist.«

Steinmeier, lange Zeit Chef des Kanzleramtes, kennt aus dieser Zeit unter Gerhard Schröder diverse vergleichbare Forderungen »selbsternannter Strategen« nach Bildung eines Nationalen Sicherheitsrates. Doch das sei »kein Weg in die Zukunft, sondern ein Weg zurück«. Was in den USA 2003 geschah, als der Nationale Sicherheitsrat jeden Widerstand gegen die Bush-Politik erstickte, »kann kein Modell sein, das wir übernehmen sollten«. Sagt Steinmeier, der heute Außenminister und Vizekanzler der schwarz-roten Koalition ist. Und da Kanzlerin Angela Merkel von der CDU zu den Sicherheitsrats-Vorstößen aus den eigenen Reihen noch nichts verlauten ließ, ist seine Position die bislang maßgebende Regierungsposition. Man wird sehen, wie die Union reagiert, die für Mittwoch zu einer sicherheitspolitischen Konferenz eingeladen hat.

Der außenpolitische Experte der SPD-Bundestagsfraktion Gert Weisskirchen verlangt ein klares Nein zu den Unionsplänen. Gegenüber ND bestätigte er, dass es sich beim Problem Sicherheitsrat um eine harte Auseinandersetzung zwischen Sicherheits- und Außenpolitikern handelt. Aber man könne sicher sein, sagte er nach dem Auftritt »seines« Außenministers, dass die Vernunft sich durchsetzt. »Schließlich ist hierzulande jeder an das Grundgesetz gebunden - auch die Kanzlerin.«

Wer sich die gestern vorgetragenen Überlegungen der SPD-Experten zur Erweiterung der EU-Militärpolitik angehört hat, fragt sich dennoch, ob Vernunft siegt. Ein Thema: Effizienz. Die 27 EU-Armeen mit zwei Millionen Soldaten unter Waffen kosten um die 160 Milliarden Euro. Daraus lasse sich mehr machen. Doch ist auch der SPD, die sich als erster Vertreter der Vision einer europäischen Armee versteht, klar, dass es neben Geldfragen reichlich politischen Sprengstoff gibt auf dem Weg zu einer EU-Streitmacht. Dabei geht es unter anderem um das Verhältnis zur NATO, die nukleare Teilhabe und nicht zuletzt um den Parlamentsvorbehalt beim Einsatz deutscher Soldaten im Ausland.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


Alle Macht für die Kanzlerin

Ein Nationaler Sicherheitsrat wäre das Kriegskabinett einer Notstandsdiktatur

Von Jürgen Elsässer *


Ein Nationaler Sicherheitsrat nach US-amerikanischem Vorbild ermöglicht die Ausschaltung der Demokratie in einem willkürlich definierten Spannungsfall

Erst am Dienstag Abend (6. Mai) wird die CDU/CSU ihre neue »Sicherheitstrategie für Deutschland« verabschieden. Doch schon die bisher bekannt gewordenen Teile sollten bei jedem Demokraten die Alarmglocken schrillen lassen. Im Kern der Strategie steht die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates, der »ressortübergreifend mögliche Bedrohungen für die innere und äußere Sicherheit analysieren, präventive Maßnahmen einleiten sowie die zivil-militärische Krisenbewältigung und Krisenprävention im In- und Ausland koordinieren« soll. Man beachte das Wörtchern «präventiv«: Wenn im weiteren von der »Einleitung geeigneter Abwehrmaßnahmen und Notfallplanungen« sowie dem «Einsatz von Heimatschutzkräften« die Rede ist, bedeutet das also bei Gefahr im Verzug auch das »präventive«, auf deutsch: »vorbeugende« Zuschlagen von Uniformierten.

Aggression nach außen

Dabei ist nicht nur an den Einsatz von Polizei gedacht, sondern auch von Bundeswehrtruppen im Innern. »Gerade bei der Bedrohung durch den globalen Terrorismus ist es wichtig, dass wir die traditionellen Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit überwinden«, so Union- Fraktionschef Volker Kauder. »Für Aufgaben des Heimatschutzes, wie beispielsweise Pionieraufgaben, Sanitätswesen und ABC-Abwehr, müssen aus dem Personalbestand der Bundeswehr ausreichend Soldaten zur Verfügung stehen«, heißt es entsprechend in dem Papier.

Das Wort »Heimatschutz« entstammt dem Wörtberbuch der Bush-Administration, die nach dem 11. September 2001 für diesen Zweck ein eigenes Ministerium mit umfassenden Kompetenzen (»Homeland Security«) geschaffen hat; in der Bundesrepublik war es vorher nicht gebräuchlich gewesen. Die genannten Bundeswehraufgaben stellen offensichtlich nur einen Ausschnitt (»beispielsweise«) dar. Explizit erwähnt wird der Bundeswehreinsatz zum ABC-Schutz, also falls ein vermeintlicher Staatsfeind in die Nähe radioaktiver Stoffe gelangt.

Offensiv wird der Kampf um Rohstoffe als Teil der neuen Krisenstrategie propagiert. »Auch die Energie- und Rohstoffversorgung ist ein wichtiges sicherheitspolitisches Thema. Wie sollen wir reagieren, wenn die Chinesen in Afrika Diktatoren unterstützen, um sich den Zugang zu Rohstoffen zu sichern?« Vermutlich, so darf man schlussfolgern, wird dann das Vaterland auch am Sambesi oder auf dem Kilimandscharo verteidigt.

Notstand im Innern

Das ständige Trommeln der Union für Bundeswehreinsätze im Innern verwundert auf den ersten Blick, denn solche Einsätze sind nach Maßgabe der 1968 verabschiedeten »Notstandsgesetze« bisher schon möglich. Dort heißt es, die Bundesregierung könne im Bedarfsfall »Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und der Bundespolizei beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer« (Artikel 87a Abs. 4 GG) einsetzen. Allerdings muss dieser Bedarfsfall mit Zweidrittelmehrheit vom Bundestag (oder dem Gemeinsamen Ausschuss, einer Notfallvertretung, in der die Parteien im selben Proporz vertreten sind) festgestellt werden. In Frage kommen dafür die Kategorien Verteidigungsfall, Spannungsfall, innerer Notstand oder Katastrophenfall. Weiterhin heißt es in Artikel 87a einschränkend: »Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.«

Warum reichen Kauder und Co. nicht einmal diese 1968 eingeführten Möglichkeiten? Ist ihnen lästig, dass sie nur mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit – also mit Zustimmung von zumindest Teilen der Opposition – in Kraft treten können?

Dafür sprechen die Überlegungen, die Rudolf Georg Adam, Leiter der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, bereits im Januar 2006 geäußert hat. Der frühere BND-Vize und Redenschreiber von Bundespräsident Richard von Weizsäcker plädierte darin, wie jetzt die CDU, für die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrates. Im Unterschied zum weitgehend machtlosen Bundessicherheitsrat soll er im Bedarfsfall die Macht in die Hände eines einzigen Mannes – im aktuellen Fall: einer einzigen Frau – legen. »Auf den Kanzler kommt es an, dann sollten die Grundfragen der nationalen Existenz, die Frage über Krieg und Frieden, die Bestimmung, was in letzter Konsequenz im deutschen Interesse liegt und welche Opfer dafür geboten sind, beim Kanzler liegen.« Und wann wäre dieser Fall gegeben? Laut Adam nicht nur bei einem kriegerischen Angriff auf das deutsche Staatsgebiet. »Es spricht Vieles ... dafür, die Befehls- und Kommandogewalt nicht nur beim klassischen Verteidigungsfall, sondern auch bei ... den militärisch relevanten Kriseneinsätzen ... dem Kanzler zu übertragen.« Deswegen müsse »im Kanzleramt tatsächlich ein eigenes Machtzentrum heranwachsen“. Voilà, das ist der Nationale Sicherheitsrat

* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2008


Die CDU marschiert

"Sicherheitsstrategie für Deutschland" der Union stößt auf Kritik bei SPD und Oppositionsparteien. Die Linke warnt vor weiterer Militarisierung und Bundeswehreinsatz im Inneren

Von Ulla Jelpke **


Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich hinter die am Wochenende bekannt gewordenen Unionspläne zur weiteren Militarisierung gestellt. Es habe zwar keine Abstimmung zu jeder einzelnen Formulierung des Papiers, das unter anderem einen Nationalen Sicherheitsrat fordert, gegeben. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende stehe aber »selbstverständlich zur generellen Zielrichtung«, erklärte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag in Berlin. Widerspruch gibt es hingegen von den Oppositionsparteien, aber auch vom Koalitionspartner SPD.

Die »Sicherheitsstrategie für Deutschland« soll am heutigen Dienstag in der CDU/CSU-Fraktion beschlossen und am Mittwoch offiziell der Öffentlichkeit präsentiert werden. Neben der Einrichtung eines beim Kanzleramt angesiedelten Nationalen Sicherheitsrates nach US-Vorbild geht es um den Aufbau eines europäischen Raketenabwehrschildes gegen Atomwaffenangriffe und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Als Begründung dienen neben der »Bedrohung durch den globalen Terrorismus« die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bezeichnete die Pläne als »Weg in die Vergangenheit«. Die Union ziele darauf ab, die Strukturen des Grundgesetzes zu überwinden und Elemente aus den Präsidialsystemen der USA oder Frankreichs einzuführen. Ein Sicherheitsrat im Kanzleramt widerspreche dem in Deutschland geltenden Prinzip, daß die außenpolitische Linie vom Bundestag bestimmt werde. Dafür werde es »keinerlei Zustimmung von der SPD« geben, tönte auch SPD-Fraktionschef Peter Struck. Er warnte außerdem vor dem erneuten Versuch von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu ermöglichen. Die Verfassung setze hier enge Grenzen, so Struck.

Norman Paech, Außenpolitiker der Partei Die Linke im Bundestag, warnte vor einem »Durchbruch militaristischen Denkens«. Nationaler Sicherheitsrat, Raketenschild und die Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts nach US-amerikanischem Vorbild machten nur dann Sinn, »wenn die Bundesregierung der US-Armee in alle Winkel der Erde folgen will.« Wer den Verteidigungsauftrag im Grundgesetz ernst nehme, müsse dagegen die Finger vor solchen Abenteuern lassen.

** Aus: junge Welt, 6. Mai 2008


Neuer Militarismus

Großmachtpolitik als Tagesaufgabe

Von Frank Brendle **


Die Unverfrorenheit, mit der die Grundlagen der Verfassung militärischen Gelüsten geopfert werden sollen, ist schier unglaublich. Vorbei die Zeiten, als noch Behelfsargumente mit »humanitären Hilfseinsätzen« die Rückkehr des Militarismus kaschieren mußten. Rohstoffe, Energieversorgung, Handelswege – oder einfacher gesagt: wirtschaftliche Interessen werden von der CDU/CSU mit ihren Vorstellungen von einem »Nationalen Sicherheitsrat« als ausreichende Gründe für neue Kriege angeführt. Um sicherzustellen, daß die Drittweltländer ihre Ressourcen weiterhin zum Schleuderpreis abgeben, sieht die »Sicherheitsstrategie für Deutschland« eine rasante Ausweitung von Bundeswehr-Auslandseinsätzen vor. Weil die Profite gleichermaßen steigen wie die Armut, müssen auch die einheimischen Proleten unter Kontrolle gehalten werden. Ergo: mehr Inlandseinsätze.

Großmachtpolitik soll wieder auf die Tagesordnung. Deutscher Tradition entspricht es, solche Fragen wie die nach Krieg oder Frieden nicht dem Parlament zu überlassen. Wenn’s drauf ankommt, behalten die »Sicherheitsstrategen« das Zepter lieber selbst in der Hand. Krieg soll also auch dann möglich sein, »wenn eine Entscheidung des Bundestages nicht herbeigeführt werden kann« – es könnte ja mal passieren, daß es dort keine Mehrheit dafür gibt. Hat jemand was vom Notstandsparagraphen der Weimarer Reichsverfassung gesagt?

Alle Politikressorts sollen künftig ihren Beitrag zur »Sicherheitspolitik« à la Union leisten. Der zu gründende »Nationale Sicherheitsrat« soll nicht nur alles koordinieren, was er für »sicherheitsrelevant« hält, sondern auch »Entscheidungszentrum« sein. »Vernetzte Sicherheit« nennt sich das, was auf die Militarisierung des zivilen Raumes hinausläuft. Steht das Vaterland im Krieg, sind alle in der Pflicht. Man hört es schier schreien: »Wollt ihr den vernetzten Krieg?«

Mit der Union wird das Militär zum unkontrollierbaren Staat im Staate. Das kritisieren SPD, Grüne und FDP als rückschrittlich. Doch ihr Protest entspringt größtenteils einer Haltet-den-Dieb-Mentalität. Wer hat denn 1999 den Angriffskrieg der souveränen BRD gegen Jugoslawien angeführt? Wer hat den »Krieg gegen den Terror« erklärt? Was zwischen diesen Parteien diskutiert wird, sind nur verschiedene Spielarten von Militarisierung: eher national, eher am US-Modell orientiert oder eher mit EU-Einbindung? Das verleiht antimilitaristischen Standpunkten immerhin ein Alleinstellungsmerkmal.

** Aus: junge Welt, 6. Mai 2008


Schwarzer Block

Auslandseinsätze ohne UN-Mandat?

Von Werner Pirker ***


Allein beim Wort »Sicherheit« sollte einem schon der Schrecken durch die Glieder fahren. Vor allem dann, wenn es von Unionspolitikern im Munde geführt wird. Und das geschieht in letzter Zeit ständig. Eine »Sicherheitsstrategie für Deutschland«, nennt sich ein am Dienstag in Berlin behandeltes Konzeptpapier der Unionsfraktion, das sein Vorbild offenbar in Übersee hat. Dort hatten die Bush-Leute ihre globalen Machtansprüche in einem als »Nationale Sicherheitsstrategie« bezeichneten Papier programmatisch zusammengefaßt. Die Anschläge vom 11. September 2001 boten dann die Gelegenheit, der expansionistischen Strategie Nachdruck zu verleihen und sie innenpolitisch mittels einer dramatischen Einschränkung elementarer Freiheits- und Bürgerrechte innenpolitisch in einem schleichenden Faschisierungsprozeß durchzusetzen.

Zur Sicherheitsstrategie der Unionsparteien gehören die Einrichtung eines der demokratischen Kontrolle entzogenen »nationalen Sicherheitsrates«, die Befähigung der Bundeswehr zum Bürgerkriegseinsatz und eine noch weit über das bisher Gewohnte hinausgehende Militarisierung der Außenpolitik. Nach den Vorstellungen des schwarzen Regierungsblocks soll die Bundeswehr künftig auch ohne UN-Mandat zum Einsatz kommen. In der Praxis bundesdeutscher Interventionspolitik wäre das ohnedies nichts Neues mehr – Jugoslawien wurde, obwohl es dafür kein Mandat der UNO gegeben hat, unter deutscher Mittäterschaft niedergebombt.

Nun aber soll ein von Deutschland gepflegter Rechtsnihilismus auch noch als sicherheitsstrategisches Prinzip festgelegt werden. Und hieß es früher, Menschenrechte gingen vor Völkerrecht, oder: bei Genozidgefahr in Verzug hätten völkerrechtliche Prozeduren zurückzustehen, so werden nun nicht einmal mehr solche Gründe bemüht. Auch zur Sicherung der Rohstoffzufuhr könnten Bundeswehreinsätze ohne UN-Mandat notwendig werden, ist in dem Fraktionsentwurf zu lesen. Wenigstens einmal Klartext. Um deutsche Rechte auf Rohstoffe geht es, nicht um Menschenrechte.

Die Mißachtung des wichtigsten Instruments zur Blockade von Kriegen wird im Merkel-Lager bereits als Teil der deutschen Staatsräson aufgefaßt. Die »Verfolgung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen«, heißt es in dem Papier, könne »auch ohne UN-Mandat erfolgen«. Das bedeutet in der Konsequenz, daß die Interpreta­tionshoheit über die UN-Charta beim westlichen Hegemonialkartell liegt. Was sich die EU ohnedies bereits herausnimmt, die Selbstermächtigung als globale Interventionsmacht jenseits des UN-Völkerrechtsregimes, soll nach den Vorstellungen des Unionslagers auch im deutschen Alleingang möglich sein. »Die Verfolgung unserer Interessen und strategischen Ziele«, heißt es im schwarzen Sicherheitspapier, »erfordert ein aktiveres, frühzeitiges, rasches, kohärentes und wenn nötig robustes Handeln«. »Legal, illegal? – Scheißegal!« Wie man das aus dem schwarzen Block gewohnt ist.

*** Aus: junge Welt, 7. Mai 2008


Eine Konferenz im Geiste Orwells

CDU und CSU präsentierten in Berlin ihre »Sicherheitsstrategie für Deutschland«

Von Jürgen Elsässer ****


Die Union will alle Hürden fallen lassen – für Einsätze der Bundeswehr im In- und Ausland. Das auf einer Sicherheitskonferenz am Mittwoch in Berlin beschlossene Konzept selbst erlegt sich keine Grenzen auf.

Das Machtzentrum in Deutschland hat sich an diesem Tag schon ein bisschen verschoben: Im Konferenzsaal der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf der dritten Ebene des Reichstags drängten sich mehrere hundert Pressevertreter um die Spitzen der Union, sogar ein zusätzlicher Saal musste geöffnet werden. Derweil gab es im Plenum des Bundestages – dort, wo die gewählten Volksvertreter sitzen – nur die üblichen halbleeren Sitzreihen. Auf Antrag der Grünen wurde in einer Aktuellen Stunde debattiert, was die Union im selben Gebäude als ihre Marschroute verkündete: eine neue »Sicherheitsstrategie für Deutschland«.

Das von Fraktionsvize Andreas Schockenhoff unter diesem Titel vorgestellte Papier wird vielleicht einmal an Universitäten als Lehrbeispiel diskutiert werden, wie sich in Zeiten der Bedrohung der Demokratie die Sprache der Macht verändert. Durchgehende Leitlinie der Überlegungen ist, dass »die bisherige Trennung von ... Kriegszustand und Friedenszeit nicht länger aufrechterhalten« werden kann. Das erinnert an einen zentralen Slogan der Big Brother-Partei in George Orwells Antiutopie »1984«: Krieg ist Frieden, und Frieden ist Krieg. Die »veränderte Bedrohungslage erfordert ein völlig neues Verständnis von Sicherheitspolitik.«

Verteidigungsminister Franz Josef Jung begründete: Die »strikte Trennung in innere und äußere Sicherheitsarchitektur« sei überholt, weil auch innere und äußere Bedrohung zusammen gedacht werden müssten. »Heimatschutz« – ein Zentralbegriff der neuen Strategie – bedeute, dass die Bedrohung »an der Quelle« bekämpft werde. Wenn die Bundeswehr dabei schießt und tötet, handelt es sich für Jung nicht um Krieg, sondern um »Einsätze hoher Intensität« – auch ein Begriff wie aus dem Orwellschen »Neusprech«. Solche Einsätze sieht er für Afghanistan und für den Balkan kommen.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warb für Militäreinsätze im Innern, das Abschießen entführter Flugzeuge und die Zentralisierung aller Machtkompetenzen in einem »Nationalen Sicherheitsrat«. Ein solches Gremium, kritisierte fast parallel im Hohen Haus FDP-Rechtsexperte Max Stadler, sei »überflüssig, verfassungspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.« Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hielt der Union vor, einen »präventiven Sicherheitsstaat« einrichten zu wollen. Auch vom Koalitionspartner SPD und der LINKEN bekam die Union kräftig Kontra.

Doch Schäuble wird sich davon nicht beirren lassen. An die Adresse der Kritiker gewandt, sagte er: »Wer Tabus und Denkverbote aufstellt, darf sich nicht wundern, wenn hinterher in Grauzonen gehandelt wird.« Genau damit muss man bei ihm rechnen.

**** Aus: Neues Deutschland, 8. Mai 2008


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