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Was Algeriens Terroristen und Folterknechte von Frankreich gelernt haben

Verbrechen der französischen Armee während des Algerienkriegs - Schwierige Erinnerungsarbeit

Im Sommer 2000 begann in Frankreich eine Diskussion, die längst überfällig war: Es geht um die Verbrechen, die französische Streitkräfte während des Algerienkriegs begangen haben. Von systematischen Folterungen ist die Rede und daveon, dass diese Verbrechen bis heute unter der Decke gehalten wurden. Im Licht dieser historischen Schuld, die Frankreich auf sich geladen hat, werden die Gewaltexzesse und Massaker, die seit 1992 in Algerien an der Tagesordnung sind (und die von so genannten "islamistischen" Terroristen und Armeeangehörigen in gleicher Weise begangen werden), zwar nicht verständlicher und schon gar nicht entschuldbarer - sie zeigen aber, dass die Saat der Gewalt eine lange Vorgeschichte, auch eine koloniale Vorgeschichte hat und dass die französische Besatzungsmacht hieran einen gewissen Anteil hatte.

Wir dokumentieren im Folgenden Ausschnitte aus Artikeln der Neuen Zürcher Zeitung und der Süddeutschen Zeitung, in denen auf die Diskussion in Frankreich über die Folter-"Enthüllungen" eingegangen wird. Hierzu passt auch der Aufruf "Ausgemachte Komplizenschaft", der im Februar 2001 von europäischen Wissenschaftlern und Schriftstellern - darunter Pierre Bordieu und Werner Ruf (Kassel) - veröffentlicht wurde.


Folter - ein Herrschaftsinstrument Frankreichs in Algerien

Zur Auseinandersetzung um das Vorgehen der französischen Armee im Algerienkrieg ...
(Die folgenden Ausführungen hat Christian Windler, Professor für Geschichte des romanischen Westeuropa an der Universität Freiburg im Breisgau, zusammen mit den Studierenden Burget, Geffroy, Kiil-Nielsen, Krause, Rehman, Riecken, Sonkajärvi, Teiwes, Übelhör und Zanker verfasst.)
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In ihrer Dissertation über Armee und Folter während des Algerienkriegs belegt Raphaëlle Branche (Institut d'études politiques de Paris) auf der Grundlage umfangreicher Recherchen ..., dass Folterungen nicht einfach einzelnen Armeeangehörigen anzulasten sind. Sie waren ein grundlegendes Element eines bedrohten kolonialen Systems. Misshandlungen von Häftlingen waren nicht nur in den besonders berüchtigten Fallschirmjäger-Verbänden an der Tagesordnung. Die Überzeugung von der zivilisatorischen Mission Frankreichs, welche seit 1830 die Kolonialherrschaft legitimiert hatte, verband sich mit dem alltäglichen Rassismus gegenüber den geschmähten «indigčnes», der unter den Algerienfranzosen verbreitet war. Die Armee wollte sich und der Nation nach der schmachvollen Niederlage von Dien Bien Phu in Indochina (1954) beweisen, dass sie in der Lage war, eines verachteten Gegners Herr zu werden. Die Folter diente nicht nur dazu, Verhaftete zum Sprechen zu bringen und weitere Anschläge zu verhindern, sondern sollte ebenso die kolonialen Untertanen daran erinnern, wer in ihrem Land das Sagen hatte.

Folter als Herrschaftsinstrument: Für diese Interpretation sprechen die zahlreichen Vergewaltigungen ebenso wie der Umstand, dass weder Kinder noch Greise verschont wurden. Nicht jeder Häftling wurde misshandelt, doch jeder algerische Muslim und jeder europäische Sympathisant der Unabhängigkeitsbewegung musste befürchten, im Falle einer Verhaftung gefoltert zuwerden. Die bis heute erschlossenen Archivquellen belegen, dass die Zahl der Gefolterten indie Hunderttausende ging. Allein für das bekannteste Folterzentrum (die «ferme Améziane» imConstantinois) belaufen sich glaubwürdige Schätzungen auf nahezu 110 000 Opfer. Die Spur zahlreicher Häftlinge verlor sich in den Quartieren der Armee: Aufsehen erregte schon während des Krieges der Fall Maurice Audins, eines Assistenten der Universität Algier, der 1957 von Soldaten entführt und zu Tode gefoltert worden war. Gegenüber der französischen Öffentlichkeit vertuschten die damals führenden Politiker solche Praktiken unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Der sozialistische Premierminister Guy Mollet beispielsweise behauptete 1956, die Fälle vonFolter liessen sich an einer Hand abzählen, obwohl ihm bereits zahlreiche Berichte vorlagen, die genau das Gegenteil belegten. Schon 1955, also vor der «Schlacht von Algier» (1956/57) und der formellen Suspendierung der individuellen Freiheitsgarantien durch das Parlament, wurden die Truppen angewiesen, «alle Mittel» anzuwenden, die ihrer Aufgabe dienlich waren. Sie erhielten dafür Straffreiheit zugesichert. Wer den Widerspruch zwischen dem Verfassungsauftrag, die Freiheit der Bürger zu schützen, und der Folter öffentlich anprangern wollte, musste mit staatlicher Zensur rechnen. Die Verbreitung kritischer Filme (zum Beispiel Jean-Luc Godards «Le petit soldat») und Bücher (unter anderem die Berichte von Henri Alleg über seine eigenen Erfahrungen als Häftling) wurde durch die Zensur behindert. Diese Massnahmen verhinderten indessen keineswegs, dass beunruhigende Nachrichten über die «Ereignisse in Algerien» nach aussen drangen. Die Methoden der französischen Armee wurden wiederholt in den Vereinten Nationen an den Pranger gestellt. In Frankreich traten neben die Kritik am Vorgehen der Armee entschiedene Zweifel am Sinn des Einsatzes der wehrpflichtigen Jahrgänge (zeitweise über 400 000 Soldaten) in einem verlustreichen Kolonialkrieg. Die Gegensätze zwischen der kriegsmüden französischen Bevölkerung und den zum Widerstand entschlossenen Algerienfranzosen sowie Teilen der Armee bildeten den Hintergrund zum Sturz der Vierten Republik im Jahre 1958.

Nach der Unabhängigkeit der Kolonie im Jahre 1962 ... setzte sich (in der französischen Gesellschaft, d. Verf.) ein breiter Konsens durch, die «Ereignisse in Algerien» zu verdrängen. Da Regierungs- und Oppositionsparteien in ihrer Beurteilung des Krieges gleichermassen gespalten waren, konnte dieser nicht zum Kristallisationspunkt der Gegensätze zwischen den politischen Lagern werden. Gleichzeitig trat de Gaulle mit dem Anspruch auf, mit seiner Fünften Republik ein neues Frankreich zu schaffen: Der Algerienkrieg gehörte nun zum Erbe der Vierten Republik, die es zu überwinden und zu vergessen galt. Die Niederlagen in den Kolonialkriegen in Indochina und Algerien kompensierte de Gaulle, indem er versuchte, der«Grande Nation» in einem «Europa der Vaterländer» eine wichtige Rolle zu verschaffen. ... Warum sollten sie sich durch die Erinnerung an verlorene Kolonialkriege die Freude am neu erworbenen Wohlstand verderben lassen? Der Mantel sozialer Selbstzensur umhüllte nicht nur die Menschenrechtsverletzungen während des Krieges, sondern auch das persönlicheLeiden der französischen Algerienveteranen angesichts ihrer Kriegserinnerungen. Sie wussten, dass sie damit ihre Mitmenschen besser nicht störten. Eindrückliches Zeugnis davon legt Bertrand Taverniers Film mit dem bezeichnenden Titel «La guerre sans nom» von 1992 ab. Tavernier brach mit der unausgesprochenen Schweigepflicht und gab Soldaten und Offizieren das Wort, die unter ihren Erinnerungen schwer litten.

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1990 richteten sich nach Angaben des Innenministeriums 70 Prozent der als rassistisch beurteilten Gewaltakte gegen Personen nordafrikanischer Herkunft. Bei Kriegsende 1962 hatten etwa 300.000 Algerier in Frankreich gelebt; 20 Jahre später waren es infolge der Nachfrage nach billigen Arbeitskräften bereits ungefähr 800.000. Sie konfrontieren die französische Gesellschaft mit einem schmerzlichen Tabuthema und werden zugleich zu Opfern rassistischer Fremdbilder kolonialer Prägung. In den frühen siebziger Jahren liess die algerische Regierung keine Anwerbungen mehr zu. Damit trat die Niederlassung in Frankreich endgültig an die Stelle der temporären Auswanderung, die bis in die Nachkriegszeit das Bild der algerischen Emigration geprägt hatte. Nun wurde die Integration der Immigranten zu einer zentralen politischen Frage.

Im Gedächtnis all jener, die sich an diesen Debatten beteiligen, sind die historischen Hintergründe der schwierigen französisch-algerischen Beziehungen zwar präsent, doch werden sie selten reflektiert. Man übersieht, wie sehr das Verhältnis der Algerier zu Frankreich durch die Erniedrigungen der Kolonialzeit geprägt bleibt, und verweiststattdessen immer noch gerne auf das «zivilisatorische Werk» des Landes in Algerien. Das Verdrängen der Schattenseiten der eigenen Vergangenheit erleichtert es, Integration als imperative Aufforderung an die Einwanderer zu formulieren, sich an die Verhältnisse im Gastland anzupassen. Der rechtspopulistische Front national, der in den achtziger Jahren unter der Führung von Jean- Marie Le Pen - einem persönlich an Folterungen beteiligten Offizier der Fallschirmjägertruppen in Algerien - zu einer festen Grösse in der politischen Landschaft Frankreichs wurde, kann dieFurcht vor der «Überfremdung» durch die «Eindringlinge» aus dem Maghreb schüren und daraus politisches Kapital schlagen. ...

Die Erinnerung an den verlorenen Krieg prägt nicht nur die Einstellung der extremen Rechten gegenüber Algerien und den algerischen Immigranten. Als Präsident Bouteflika am 14. Juni 2000 beim ersten Staatsbesuch eines algerischen Präsidenten in Frankreich seit 1983 vor der französischen Nationalversammlung eine Rede hielt,blieb etwa die Hälfte der Abgeordneten der gemässigten Rechten der Sitzung fern, um gegen die Präsenz eines prominenten politischen Erben des Front de libération nationale (FLN) zu protestieren - eines «ancien terroriste», wie es ein Abgeordneter formulierte.

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Berichte über Louisette Ighilahriz, eine Veteranin des FLN und Opfer schwerer Misshandlungen in französischer Haft, lösten im Juni 2000 eine Grundsatzdiskussion über Folter in der Republik aus, die seither nicht mehrverstummt ist. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema werden auch von der Tagespresse begierig kommentiert. Gleichzeitig konfrontieren die eindrücklichen Stellungnahmen ehemaliger Offiziere die französische Gesellschaft mit einer kaum aufgearbeiteten moralischen Altlast. General Jacques Massu, der 1957 als Kommandant der 10. Fallschirmjäger-Division für die «Ordnungsmassnahmen» in Algier verantwortlich war, hatte in seinen Memoiren von 1971 die Anwendung der Folter noch mit dem Hinweis auf ihren militärischen Nutzen gerechtfertigt. Heute bekennt er, dass ihn diese Ereignisse zutiefst betrüben, weil man auch anders hätte vorgehen können. Massu fordert nun eine vorbehaltlose Verurteilung von Folter und summarischen Erschiessungen. Er geht damit über die Bekenntnisse anderer beteiligter Offiziere hinaus, welche die Übergriffe mit Verweis auf die Zeitumstände und die Vorgaben der Regierung entschuldigen. Massus Aussagen geben der Forderung nach einem Reueakt der Regierung neuen Auftrieb.

Premierminister Jospin hatte zwar schon 1997 eine grössere Öffnung der Archive für die historische Forschung angekündigt, und im November2000 unterstützte er einen Appell von zwölf Intellektuellen, welche die Folterungen durch dieSicherheitskräfte anprangerten und Erinnerungsarbeit forderten. Die Grenzen dieses Engagements zeigen sich aber, wenn der Premierminister die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission ebenso wie einen kollektiven Reueakt der Regierung der Republik ablehnt. Der Verzicht auf einen solchen Reueakt wird unter anderem mit dem Verweis auf die lückenhafte Erinnerungsarbeit der algerischen Seite gerechtfertigt. Solange sich der FLN beziehungsweise seine politischen Erben nicht zu den eigenen Greueltaten bekennten, bestehe auch in Frankreich kein Anlass zu offizieller Reue. In Algerien bleibt vor allem das Schicksal der Harkis, die 1962 als «Kollaborateure» zu Tausenden Racheakten der nationalen Befreiungsfront zum Opfer fielen, ein Tabuthema. Ihre bleibende Ausgrenzung als eine kleine Minderheit von Verrätern trägt dazu bei, den Mythos der im Kampfgegen die Kolonialmacht vereinten Nation zu erhalten. Bei seinem Staatsbesuch in Frankreich im Juni 2000 verglich der algerische Präsident die Harkis mit den Kollaborateuren Vichy-Frankreichs....

Sowohl in Frankreich als auch in Algerien bleibt noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, die in beiden Fällen politisch von grosser Relevanz ist...
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 29. Januar 2001

Die Süddeutsche Zeitung bracht bereits Ende November das Thema zur Sprache. Einmal in einem Artikel, der sich auf die innerfranzösische Debatte um die früheren "Staatsverbrechen" bezieht (Verfasser: Gerd Kröncke), und zum anderen in einem Kommentar (von Johannes Willms), in dem noch einmal deutlich wird, wie verstrickt die Nation - bis hinein in die Linke - in die Verbrechen ihrer Armee und ihres Staatsapparats war.

"Folter als Teil des algerischen Ambientes"

Ex-General Jacques Massu löst mit dem Eingestehen von Grausamkeiten im Algerienkrieg eine Debatte über eine Kollektivschuld Frankreichs aus

... (Die Diskussion) war in den letzten Monaten des öfteren aufgeflackert und diesmal wurde sie von den Kommunisten neu entfacht. Als Mitglied des linken Regierungsbündnisses in Frankreich haben die Kommunisten durchaus Gewicht, auch wenn die Zeitung L'Humanité, in der Ende Oktober ein Aufruf führender Intellektueller erschien, ums Überleben kämpft. Das Blatt, das vorigen Donnerstag seine erste Seite mit dem Titel "Das Staatsverbrechen" versah, lässt seither nicht locker. Zum Wochenanfang veröffentlicht es eine Meinungsumfrage: 57 Prozent der Franzosen sind dafür, die Folter im Algerienkrieg, von ihrer regulären Armee praktiziert, zu verdammen.

Es war ein Krieg, der nicht beim Namen genannt werden durfte. Noch bis vor kurzem wurde offiziell nur vom "Konflikt" gesprochen, und als er stattfand, in den Jahren 1954 bis 1962, war von "Operationen zur Aufrechterhaltung der Ordnung" die Rede. Die algerischen Freiheitsbewegung FLN hatte den Unabhängigkeitskrieg mit einem Aufstand unter ihrem Führer Ben Bella begonnen. ... Es wurde, von beiden Seiten, ein besonders schmutziger Krieg, und dass französische Soldaten systematisch gefoltert haben, ist heute Gemeingut. ...

Jean-Pierre Masseret, Kriegsveteranen-Minister, war, als er vor zwei Jahren ein Mahnmal enthüllte, der erste, der dem Grauen seinen Namen gab: "Erlauben Sie mir, dass ich den Ausdruck Algerienkrieg benutze." Später erläuterte er: "1,7 Millionen Männer wurden mobilisiert, 24.000 Tote, 60.000 Verletzte - wenn das kein Krieg ist, weiß ich dafür kein anderes Wort in unserer Sprache." Auf algerischer Seite gab es schätzungsweise eine halbe Million Opfer. Der Algerienkrieg - das Wort wurde von der französischen Nationalversammlung voriges Jahr für verbindlich erklärt - hatte stattgefunden, um einen Besitz zu halten, den Frankreich in der Mitte des 19. Jahrhunderts erobert hatte.

... Im Fernsehen wurde der General Aussaresses befragt. Eigenhändig, so gibt er zu, hat er 24 Menschen erschossen - "ausschließlich Terroristen". Auf die Frage, ob es denn Gerichtsverfahren gegeben habe, reagiert er verständnislos. Anders der General Jacques Massu, inzwischen 92 Jahre alt. Er bestreitet, selbst Menschen misshandelt zu haben, bedauert aber inzwischen, dass seine Soldaten gefoltert haben. "Die Folter war Teil eines gewissen Ambientes", sagte er neulich, "man hätte die Dinge anders machen sollen." Diese Woche, in einem Interview mit Le Monde ging der alte Mann noch weiter: "Ich hielte es für einen Fortschritt, wenn Frankreich diese Praktiken anerkennen und sie verurteilen würde." Vorigen Sommer hatte sich eine Algerierin, Louisette Ighilahriz, zu Wort gemeldet, die den General belastete: "Massu war brutal, ekelhaft." Ighilahriz war 1957 drei Monate lang systematisch von Spezialisten der 10. Fallschirmjäger-Division gefoltert worden. Die damals 20-Jährige war als einzige Frau eines algerischen Kommandos gefangen genommen worden. "Ich lag nackt, immer lag ich nackt. Sie konnten zwei, dreimal am Tag kommen. Wenn ich ihre Stiefel auf dem Flur hörte, fing ich an zu zittern. Danach wurde die Zeit zur Ewigkeit."

... Anfang des Monats hatte Regierungschef Lionel Jospin vor den jüdischen Gemeinden eingeräumt, dass in Algerien "mit Billigung gewisser französischer Behörden" gefoltert wurde. Gewiss, der Premier kann sich vorstellen, dieses Kapitel durch eine Historikerkommission aufarbeiten zu lassen, so wie eine Kommission das Unrecht untersucht hat, das der Vichy-Staat den Juden angetan hat. Aber einen "kollektiven Akt der Reue", eine Anerkennung einer "culpabilité générale"? Da lautet das Urteil noch: niemals.

Jospin findet Unterstützung vor allem bei den Bürgerlichen. Vom ehemaligen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing ("Frankreich ist kein Land, das sich dauernd schuldig bekennen und erniedrigen muss") bis zum früheren Innenminister Charles Pasqua: "Wir nehmen keine Lektionen an von Leuten, die Kofferträger gewesen sind." Gemeint sind die französischen Kommunisten und ihr einst enges Verhältnis zu kommunistischen Diktaturen. Die Kommunisten gehören zu der Minderheit, die schon jetzt auf einer nationalen Schulderklärung beharrt. ...
Aus: SZ, 28.11.2000

Einst in Algerien

Aufklärung ja, Reue nein - Frankreichs Politiker und die Folter

Die Eingeständnisse der beiden Generäle Massu und Aussaresses, dass während des Algerienkriegs 1954 - 1962 französische Truppen systematisch Gefangene gefoltert haben ..., lösten eine innenpolitische Kontroverse in Frankreich aus. ... Während die Kommunisten an ihrer Forderung festhalten, eine parlamentarische Untersuchungskommission müsse die damaligen Praktiken untersuchen, für die sich der Präsident und der Premierminister im Namen Frankreichs zu entschuldigen hätten, werden beide Forderungen von dem sozialistischen Koalitionspartner zurückgewiesen.

Auf dem Parteitag der Sozialisten in Grenoble hat sich Premierminister Lionel Jospin am vergangenen Samstag erneut für "die Erforschung der Wahrheit" ausgesprochen, ein Auftrag, den er aber einer Historikerkommission anvertrauen möchte. Keineswegs, so Jospin weiter, sei die Folter ein Problem, das allein Frankreich angelastet werden könne. Die Übergriffe, die in Algerien stattgefunden haben mögen, seien seiner Meinung nach jedenfalls kein Anlass für eine kollektive Buße.

Im Widerspruch zu Jospin erklärte der kommunistische Minister für Jugend und Sport, Marie-George Buffet, unterdessen jedoch, dass seiner Einschätzung nach es nicht nur die Pflicht der Politiker, sondern auch der Regierung sei, die Folterpraxis während des Algerienkriegs zu verurteilen, um so die Erinnerungsarbeit und das Auffinden der Wahrheit zu unterstützen. Ähnlich äußerte sich auch der Chef der KPF, Robert Hue: Er gab bekannt, dass auch die Kommunisten nicht "Reue" forderten, sondern eine offizielle Verdammung dieses "größten Übels, das die Folter darstelle", seitens Jacques Chirac und Lionel Jospin. Im übrigen müssten sich die Kommunisten keine Vorwürfe machen, da sie mit zu den ersten gehört hätten, die den Konflikt in Algerien als "Kolonialkrieg" verdammt haben.

Dagegen erinnern Vertreter anderer Parteien die Kommunisten daran, sie seien Koalitionspartner in der Regierung des Sozialisten Guy Mollet gewesen und hätten 1956 widerspruchslos den "Sondervollmachten" zugestimmt, dank derer die Folterpraxis in Algerien überhaupt erst möglich geworden sei.... Lediglich der ehemalige Innenminister Charles Pasqua, Chef der rechtsgaullistischen Splitterpartei RPF, erklärte vollmundig: "Wir stehen ein für die gesamte Geschichte Frankreichs! Die französische Armee muss nicht schamrot werden wegen Taten, die man sie hat begehen lassen!"
Aus: SZ. 28.11.2000

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