"Afrikanische Union" gegründet - Vorbild ist die EU
Doch mehr als gute Wünsche ist von den reichen Industrieländern nicht zu erwarten
"Von außen wird kein Beistand zu erwarten sein. Nicht von Europa ... schon gar nicht von den USA." Mit dieser desillusionierenden Feststellung des Afrika-Korrespondenten der Frankfurter Rundschau ist die Misere des afrikanischen Kontinents treffend beschrieben. Die reichen Industriestaaten haben ein Interesse an Afrika, solange wichtige Rohstoffe zu günstigen Konditionen zu gewinnen sind (neben Diamanten und anderen Edelsteinen werden diverse industrielle Grundstoffe gefördert, auch das Öl Nigerias und anderer nordafrikanischer Staaten wird nicht verachtet); ihr Interesse schwindet aber mit der Zunahme politischer Unsicherheiten und ökonomischer Risiken. Insbesondere die großen Mächte der "Triade" (USA, Europa/Deutschland, Japan) haben alle Hände voll zu tun, um sich im gegenseitigen globalen Wettbewerb zu positionieren, sodass sie auf die Parias der Weltwirtschaft keine Rücksicht nehmen können. Ein paar gute Worte, z.B. von Powell auf seiner jüngsten Afrika-Tournee, hier und ein paar Almosen, Entwicklungshilfe genannt, dort: Das war's dann schon. Forderungen aus Afrika nach Entschädigungszahlungen für die jahrhundertelange koloniale Ausplünderung des Kontinents werden im Westen nur milde belächelt, falls sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen werden.
Auch wenn man die afrikanische Einheit herbeisehnt, damit der ärmste aller Kontinente an politischem Gewicht gewinnen möge, wird man sich den Realitäten stellen müssen. Dazu gehört die Tatsache, dass die 53 afrikanischen Staaten nicht nur objektive gemeinsame Interessen etwa gegenüber dem reichen "Norden" zu vertreten hätten, sondern dass sie untereinander viele ökonomische Interessengegensätze, offene territoriale Fragen und zum Teil historisch begründete verschiedene Bindungen an die USA oder Europa haben, was ihnen ein gemeinsamens Agieren auf der weltpolitischen Bühne vorerst ungemein erschwert. Die vielen Kriege und Bürgerkriege, die Afrika immer tiefer ins Elend stürzen, sind nur ein Ausdruck dieser Gegensätze. Dennoch: Jeder Schritt, den die afrikanischen Staaten aufeinander zu gehen, jedes Abkommen, das sie in Teilbereichen zu einem einheitlichen Handeln bewegt, jede überstaatliche Institution, in der gesamtafrikanische Interessen gebündelt werden, ist ein Hoffnungsschimmer für Afrika und seine Menschen. An uns in Europa liegt es, die ökonomischen und sozialen Entwicklungsanstrengungen Afrikas zu unterstützen, was selbstverständlich nur gegen die neoliberal eingestellten Regierungen der "Wettbewerbsstaaten" und gegen den "Terror der Ökonomie" zu machen ist.
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Auszüge aus drei Artikeln verschiedener Zeitungen, in denen die Gründung der "Afrikanischen Union" kommentiert wurde.
Pst
Die Süddeutsche Zeitung (Autor: Arne Perras) schrieb unter dem Titel "Nahrung für Panafrika" u.a.:
Am Wochenende durfte die Welt eine afrikanische
"Wiedergeburt" miterleben. So jedenfalls sieht es Salim Ahmed
Salim, der Generalsekretär der Organisation Afrikanischer Einheit
(OAU). Per Vertrag haben die Staaten des Kontinents eine neue
"Afrikanische Union" (AU) gegründet. Sie soll bis zum kommenden
Jahr die OAU vollständig ersetzen. "Nur so werden wir in Würde
und in Wohlstand leben können", verkündet Salim. Die neue
Einheit wird "viel stärker, viel fähiger sein" als die alte, verspricht
er.
Unverkennbar sind also die Bemühungen zur Wiederbelebung
panafrikanischer Ideen, die besonders in den fünfziger und
sechziger Jahren hoch im Kurs standen. Damals streifte Afrika
das Joch kolonialer Herrschaft ab. ...
Dass die OAU nach 38 Jahren abgeschafft wird, ist kein großer
Schaden. Sie ist ein ziemlich impotentes Organ geblieben, und
das stellt die Integrationskraft des riesigen Kontinents mit
seinen 53 Staaten ernsthaft infrage. Wer wie Salim die
Afrikanische Union aber als "Meilenstein" auf dem Weg zur
Einheit bezeichnet, betreibt Schönfärberei. Bisher ist die AU nur
eine leere Hülse. ...
Wie der Name nahe legt, soll sich die Afrikanische Union am
europäischen Modell der Einigung orientieren. Vorgesehen ist ein
gesamt- afrikanisches Parlament, ein Rat der Regierungschefs
und ein Sekretariat, das Kommission heißen soll. Auch eine
afrikanische Zentralbank steht auf der Wunschliste. Doch noch
gibt es keinen konkreten Fahrplan für die Schaffung der
Institutionen. ...
Deutlich erkennbar ist aber etwas Anderes. Mit der Schaffung der
AU hat vor allem ein Mann einen Prestigeerfolg errungen:
Libyens Diktator Muammar el Gaddafi. Er hatte die Idee vor zwei
Jahren geboren, und anfangs viel Spott dafür geerntet. Nur
wenige glaubten daran, dass die AU jemals zu Stande kommen
würde. Weil sich Gaddafi von der arabischen Welt zunehmend im
Stich gelassen fühlte, wandte er sich damals gen Süden. Dabei
half es ihm, dass er mit libyschen Schecks so manchen für die
Idee der neuen Union gewinnen konnte.
Es wäre indes falsch, die Gründung der Union allein auf Gaddafis
Engagement zurückzuführen. Vielmehr betrachten immer mehr
afrikanische Regierungen eine stärkere Integration prinzipiell als
richtige Antwort auf den Druck der Globalisierung. Könnten die 53
Staaten auf der Bühne der Weltpolitik mit einer Stimme sprechen
- ihr Einfluss würde gewaltig wachsen. Doch ist es schwierig,
dies in Einklang mit den Machtinteressen der politischen
Gravitationszentren wie Südafrika oder Nigeria zu bringen. Sie
fürchten, dass ihr wachsender regionaler Einfluss durch ein
neues politisches Organ verwässert werden könnte. ...
(SZ, 28.05.2001)
In der jungen welt kommentierte Thomas Berger:
Vor allem einer freute sich, als vor wenigen Tagen die
Afrikanische Union (AU) offiziell in der äthiopischen
Hauptstadt Addis Abeba gegründet wurde: Muammar el
Ghaddafi. Der libysche Staatschef ist der wichtigste
Geburtshelfer des Projektes und hatte diesem in den
vergangenen zwei Jahren viel Kraft gewidmet. Seit dem 26.
Mai ist der Kontinent einer Einheit nun einen wichtigen Schritt
näher - auch wenn dieser Zielpunkt immer noch meilenweit
entfernt ist. Die AU löst die Organisation für Afrikanische
Einheit (OAU) ab, die seit 1963 bestand und in wenigen
Monaten endgültig von der politischen Weltbühne
verschwinden wird. Was die OAU über fast vier Jahrzehnte
nicht vermochte - die Interessenkonflikte der einzelnen
Mitgliedsstaaten schrittweise abzubauen - soll nun die
Neugründung des Libyers leisten.
Eine große Herausforderung. Nicht nur, daß die AU in den
gleichen politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
agieren muß wie ihre Vorgängerin, sie hat als Erbschaft auch
deren Lasten und Fehlleistungen übernommen. Dazu gehört
vor allem das Tauziehen um die Vorherrschaft zwischen den
Großen auf dem Kontinent, zu denen sich nun auch durch die
Geburtshilfe noch Libyen im Norden gesellt hat. Die anderen
beiden Pole sind Nigeria und Südafrika. ...
Für Ghaddafi gibt es gleich zwei Pluspunkte. Zum einen
kommt er international wieder einmal positiv in die
Schlagzeilen, was vor dem Hintergrund des immer noch
latenten Terrorismusvorwurfs westlicher Staaten nicht hoch
genug geschätzt werden kann. Zum anderen werden es die
kleineren afrikanischen Partner nicht vergessen, daß er es
war, der dem Projekt bis zu dieser Stufe mit großer
Beharrlichkeit zum Erfolg verholfen hat. Ist doch für Libyen
solcherlei Engagement für seine südliche Nachbarschaft
bislang eher fremd geblieben und auch jetzt weniger von
humanitären Aspekten denn von ganz klaren eigenen
Interessen motiviert. Eine Afrikanische Union unter libyscher
Vorherrschaft könnte ein wichtiger Gegenpol zur westlichen
Welt, insbesondere zu den USA, werden, hat Ghaddafi
ausgerechnet. Tripolis hat sich das Vorhaben sogar einiges
kosten lassen: Ein Teil der Entwicklungshilfe in mehreren
Ländern des Kontinents stammt schon nicht mehr aus London
und Paris, sondern von libyschen Petrodollars.
Das ungewohnte Interesse des vorwiegend arabischen
Landes für Afrika steht teilweise sogar im Gegensatz zu
innenpolitischen Entwicklungen. Nicht wenige Libyer blicken
voller Verachtung auf ihre bettelarmen Nachbarn im Süden,
haben Sorge, ihren relativen Wohlstand mit den Hungerleidern
teilen zu müssen. Ghaddafi muß diese Bedenken mit im Blick
haben, will er nicht im eigenen Land eine Opposition gegen die
hochfliegenden Pläne erzeugen.
53 Staaten unter einen Hut zu bringen, hatte bereits die
OAU nur unzureichend vermocht. ...
Westeuropäer, Amerikaner und nicht zuletzt auch die
sozialistischen Länder zu Zeiten der Blockkonfrontation hatten
es leicht, die Afrikaner immer wieder gegeneinander
auszuspielen. Heute gibt es nun nicht nur ein
Wohlstandsgefälle zwischen erdölfördernden Ländern à la
Nigeria, Gabun oder den Maghreb-Staaten und den weltweit
ärmsten wie Äthiopien, Eritrea, Mauretanien, Niger, Somalia
oder Moçambique. Es gibt auch den politisch-kulturellen
Konflikt zwischen jenen Diktatoren und Despoten, die
teilweise schon seit Jahrzehnten an der Macht sind, und jung-
dynamischen Präsidenten, die in mehreren Ländern während
der vergangenen Jahre gewählt wurden und ihre politische
Sozialisation in den 70er Jahren erhalten haben.
Ein zahnloser Tiger war die OAU, was das Agieren bei
Problemfällen und Konflikten angeht. Zum einen wegen der
Politik der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, von
der auch die neue AU getragen sein wird. Doch selbst
extremen Entwicklungen wie dem Völkermord in Ruanda oder
den Bürgerkriegen in Sierra Leone, Somalia und Liberia stand
die Organisation machtlos-betroffen gegenüber. Lediglich der
Fakt, daß Marokko wegen des nach wie vor ungelösten
Westsahara-Problems weiter außen vor bleibt, ist Beleg eines
Minimalkonsenses in der innerafrikanischen Außenpolitik.
(junge welt, 01.06 2001)
Unter dem Titel "Afrikanische Einheitsträume" kommentierte Christoph Link in der Frankfurter Rundschau u.a.:
Seit vier Jahrzehnten versucht die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) mit
Sitz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba dem Kontinent eine Stimme zu
verleihen. Doch ausgerechnet aus der OAU-Zentrale ist eine Anekdote überliefert,
die Afrikas Zerrissenheit widerspiegelt. Zwei äthiopische Diplomaten fahren im Lift
und der eine sagt zum anderen: "Du, ich fliege morgen nach Afrika." Nicht
überliefert ist, ob die Reise nach Kenia oder Uganda ging, jedenfalls ging sie in den
Süden, nach Schwarzafrika.
Ein Riss geht quer durch Afrika - was heißt einer, mindestens tausende. Hier die
Maghreb-Staaten wie Tunesien und Algerien mit ihrer hellhäutigen arabischen, dort
die Länder südlich der Sahara mit ihrer schwarzen Bevölkerung. Hier das
bettelarme Benin, wo Bauern ihre Kinder als Plantagenarbeiter verkaufen, dort das
hoch entwickelte Südafrika, durch dessen Industrieschlote 50 Prozent aller
Emissionen des Kontinents geblasen werden und in das die reichen Weißen aus
Kenia vor Weihnachten zum Einkaufen jetten.
Das soll nun alles unter einen Hut gebracht werden. "Afrikanische Union", heißt
das Zauberwort. Der Schwarze Kontinent will den gleichen Weg gehen wie Europa,
sich eine zentrale Verwaltung zulegen, mit Afrikanischem Rat, Ministerrat,
Gerichtshof und Parlament. Das wäre alles schön und gut, würde der Einheitsstifter
nicht ausgerechnet in Libyen sitzen. Moammar al Ghaddafi, der sonst weder in
Arabien noch im Mittelmeerraum Macht und Einfluss besitzt, sucht Anerkennung
bei seinen armen afrikanischen Vettern und Basen. Nicht weniger als 40
Staatschefs des Kontinents hatte er
Anfang März nach Syrte eingeladen, wo er von
den "Vereinigten Afrikanischen Staaten" fabulierte und immerhin die "Afrikanische
Union" durchsetzte.
...
Trotz der Widersprüche hat die Idee der Afrikanischen Union an Fahrt gewonnen,
und sie scheint mehr zu sein als ein PR-Gag Ghaddafis. Am vergangenen
Wochenende hat die Afrikanische Union mit 37 Mitgliedsstaaten ihre Arbeit
aufgenommen. Damit sind mehr als zwei Drittel der 53 OAU-Staaten mit von der
Partie. Im Juli soll in Lusaka die AU mit einem Gipfel gekrönt werden.
Darf applaudiert werden? ...
...
Es gab einmal ein großes Thema, das die afrikanischen Staaten zusammenrücken
und in den Vereinten Nationen mit einer Stimme sprechen ließ: Das war der Kampf
gegen die Apartheid in Südafrika, der letztendlich zum Sieg führte. Heute sind es
andere, weniger plakative Themen, die nur in Afrika zu lösen sind: Da ist der
Brain-Drain, die abertausendfache Abwanderung von Akademikern in die westliche
Welt. Da ist der Kampf für billige Aids-Medikamente und gegen die
Marginalisierung im Welthandel. Da bleibt auf der Wunschliste Afrikas die
Austragung einer Weltmeisterschaft und ein Sitz als Ständiges Mitglied im
Weltsicherheitsrat.
Von außen wird kein Beistand zu erwarten sein. Nicht von Europa, das zunehmend
frustriert auf Korruption in Afrika reagiert und mit seinen an "gutes Regieren"
geknüpften Hilfsprojekten nur mäßige Erfolge erzielt. Und schon gar nicht von den
USA, deren neuer Präsident George W. Bush bereits im Wahlkampf erklärt hat,
Afrika passe nicht in die strategischen Interessen der USA. Deutlicher kann man
nicht sagen, dass der Schwarze Kontinent unwichtig sei.
Afrika steht ohne Verbündete da, seine Probleme - allen voran Aids, Armut und
Korruption - muss es allein lösen. Der Weg zur "Afrikanischen Union" ist noch lang
und steinig. Vorerst steht dieses Fernziel als Symbol für ein besseres, friedliches
und wohlhabenderes Afrika.
FR, 02.06.2001
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